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No. 66. PAPIER-ZEITUNG. werden die meisten Leser enttäuscht wieder aus der Hand legen, indem nur wenig Neues aus derselben sich ergeben wird. Dennoch halte ich mich zur nachstehenden Veröffentlichung für berechtigt und verpflichtet, da nur durch allgemeines offenes Studium und gegen seitiges Belehren unserer Frage näher auf den Leib gerückt werden kann, und da es schwer oder nie einem Einzelnen gelingen wird, solch grosse Fragen selbständig und allein zu lösen. Daher glaubte ich auch obigen Titel benutzen zu dürfen, da jeder die Pflicht hat, Bausteine, auf welche er beim Arbeiten gestossen, herbeizutragen, bis endlich der Baumeister kommt, der es verstellt, die Steine ineinander zufügen und so den stolzen Bau, von welchem mancher schon lange vorher geträumt, zu vollenden. * * s * Besonders der organische Theil der Frage der Zellstoff-Dar stellung aus Holz liegt noch vollkommen im Dunkeln, da wir noch garnicht wissen, woraus die inkrustirenden Substanzen des Holzes eigentlich bestehen, ob sie ein chemisches Individuum für sich, oder ein Gemisch solcher Individuen sind, und welche Zusammensetzung sie haben. Wie schon im Jahrgang 1888 der Papier-Zeitung, Seite 627, unter »Lignin«, und im Jahrgang 1890, Seite 1279, unter Kolloidaler Zellstoff«, hervorgehoben wurde, fehlt uns eben gerade aus diesem Grunde bisher noch jede Aufklärung über die eigentliche Natur aller Ablaugen, gleichviel ob sie nach dem Sulfit-, Natron- oder Sulfatverfahren gewonnen worden sind. Bis jetzt sind überhaupt noch nicht einmal die anorganischen Vorgänge oder, besser ausgedrückt, die Veränderungen, welche die anorganischen Bestandtheile der Koch laugen bei der Kochung durchzumachen haben, aufgeklärt. Da mich als Sulfitstoff - Techniker dieses Verfahren allein interessirt, so wollen wir uns heute auch nur mit diesem beschäftigen und uns vor allem die bis jetzt darüber erschienenen Veröffent lichungen, soweit sie sich mit der Erklärung des chemischen Vor ganges beschäftigen, betrachten. Benjamin Chew Tilghman, der Erfinder des Sulfitverfahrens, schreibt in seinem englischen Patente Nr. 2924 vom Jahre 1866 darüber, wörtlich übersetzt, Folgendes: »Der Zusatz einer Quantität von schwefligsaurem oder doppeltschweflig saurem Kalk oder anderer passender Basen zur Lösung der schwefligen Säure ist vortheilhaft. Der Zusatz von schwefligsaurem oder doppeltschwelligsaurem Kalk, oder einer andern geeigneten Base zur Säurelösung pflegt das faserige Produkt von einer weisseren Farbe und leichter gebleicht zu machen. Die wässerige schweflige Säure scheint bei der erforderlichen Temperatur das wirkende Agens zum Lösen der Intercellular- oder verkittenden Stoffe der vegetabilischen faserigen Substanz zu sein, und wo die Farbe des Produktes ohne Bedeutung ist, kann die Operation mit der Schwefligsäure-Lösung allein ohne Zusatz von Sulfit vollendet werden. In diesem Falle erhält das resul- tirende faserige Produkt eine röthlichgelbe Farbe, und in der Säurelösung wird man eine Quantität freier Schwefelsäure nachweisen können, welche während der Operation gebildet wurde durch Oxydation eines Theiles der schwefligen Säure. Die Gegenwart von Sulfit in der Säurelösung verhindert dieses Röthlichwerden, und bei vielen Stoffen tritt eine beträchtliche Bleichung des faserigen Produktes ein. Die wahrscheinliche Wirkungsweise des Sulfits besteht darin, dass dieses eine Base liefert, mit welcher die Schwefelsäure sich verbindet, sobald sie sich gebildet hat und diese so an weiterer Einwirkung verhindert. Es giebt andere Klassen von Salzen, welche bis zu einem gewissen Grade in derselben Weise wirken, wie die Sulfite; sie sind aber kostspieliger und unzweckmässiger. Die Erfordernisse sind: 1) dass das Salz sich nicht durch die schweflige Säure bei der ange wendeten Temperatur und dem angewendeten Druck zersetzen kann, 2) dass es sich durch eine schwache Lösung von Schwefel säure bei der angewendeten Temperatur und dem angewendeten Druck zersetzen lässt, 3) dass die auf diese Weise frei gewordene Säure nicht die Eigenschaft hat, die Faser bei der angewendeten Temperatur und dem angewen deten Druck zu färben. Viele Salze von schwächeren Säuren (essigsaure Salze z. B.) würden diese Bedingungen bis zu einem hohen Grade erfüllen, aber da sie theurer sind als die Sulfite, hat man keine Veranlassung sie zu verwenden. Äusser seiner Billigkeit hat der schwefligsaure Kalk den Vor zug, dass er eine äquivalente Menge schwefliger Säure liefert, wenn er durch Schwefelsäure zersetzt wird. Er ist auch sehr leicht aus den verbrauchten Säurelösungen wieder zu gewinnen. Ich ziehe vor, eine Quantität von schwefligsaurem Kalk anzuwenden, die genügend ist, um sicher zu sein, dass etwas von dem Salze während der ganzen Operation in der Säurelösung vorhanden ist, und dass etwas unzersetzt übrig bleibt, nach dem die Reaktion auf die faserige Substanz beendigt ist.« * • * * Herr Professor Dr. Alexander Mitscherlich schreibt in seinem D. R. P. Nr. 4178 »Verfahren zur Produktion von Gerbstoff« Folgendes: »Die Wirkung des schwefligsauren Kalkes erklärt sich aus der Bildung des schwefelsauren Kalkes, welche in um so höherem Maasse statt hat, als die Reaktion unter Verschwinden von schwefliger Säure von statten geht.« Ferner im D. R. P. Nr. 4179: »Die von dem Zellstoff darauf abgeschiedene Flüssigkeit, welche neben Kalksalzen (Gips usw.), Gerbsäure, Gummi, Essigsäure und ein wenig zurückgebliebene schweflige Säure enthält, wird« usw. * * * Herr Dr. Adolph Frank, der verdienstvolle Rathgeber der Sulfit zellstoff-Industrie, welche dem genannten Herrn bedeutende Fort schritte. gerade in Bezug auf den chemischen Theil des Verfahrens zu verdanken hat, schreibt in seiner Abhandlung: »Darstellung und Unter suchung der Sulfitlaugen«, Nr. 5 der Papier-Zeitung vom Jahre 1887, wörtlich Folgendes: »Was wir bisher über den chemischen Prozess bei Reindarstellung des Zellstoffs mittels Sulfitlauge wissen, ist wenig, doch kommen Praxis und Theorie zu dem übereinstimmenden Ergebniss, dass bei sonst geeignetem Heizmaterial das gleichmässige und lohnende Resultat des Betriebes in erster Reihe von der Anwendung guter Lauge abhängt, und dass es wesentlich die freie schweflige Säure ist, welche die Aufschliessung des Holzes bewirkt, während der in der Lauge gelöste einfaoh-schwefligsaure Kalk nur die Rolle eines Schwefligsäurereservoirs und gleichzeitig eines Sicherungsmittels erfüllt gegen die Angriffe der im Ver laufe der Kochung gebildeten Schwefelsäure und gegen die durch letztere bewirkte bis zur Verkohlung steigende Schwärzung des Zellstoffs. Gerade die von Pictet angestellten und beim Arbeiten im Kleinen wohlge lungenen Versuche, das Holz mittels schwefliger Säure allein aufzuschliessen, haben den Beweis geliefert, wie wichtig die Anwesenheit einer Basis für die volle Beherrschung des Kochprozesses ist.« In einer kleinen Druckschrift über das »Pictet-Brlaz-Verfahren« er kennen die Chemiker C. F. Cross und E. J. Bevan in London an, dass die verschiedenen Bisulfitverfahren einen eigenthümlichen Vortheil besitzen, welcher in der Gegenwart der schwefligsauren Salze in der Reaktionsflüssigkeit liegt. Dieselben wirken ihrer Meinung nach des halb wohlthätig beim Kochprozesse mit, weil »die gebildeten starken Säuren, sei es nun Schwefelsäure, die aus der unvermeidlichen Oxydation der schwefligen Säure entsteht, oder Säure, die aus der Holzsubstanz selbst sich bildet, mit der Base sich verbinden und dadurch unwirksam gemacht werden.« Endlich sei noch erwähnt, dass in Nr. 53, Jahrgang 1888 der Papier-Zeitung sich auch der Chemiker Herr Wilhem A. Müller, welcher früher öfter so belehrende und anregende Arbeiten über das Sulfitverfahren veröffentlichte, aber seit einiger Zeit leider voll kommen verstummt ist, dahin ausspricht, dass nicht allein die freie schweflige Säure das wirksame Agens sei, sondern dass »möglicher weise auch das gelöste schwefligsaure Salz als solches wirken könne«. Auch er erkennt im grossen und ganzen die »Rolle der Basis als Sicherungsmittel gegen die im Kochprozess durch Oxydation gebildeten stärkeren Säuren« und gegen schlechte Färbung des Stoffes an. * * *k Alle diese Veröffentlichungen enthalten nun eigentlich fast nur Vermuthungen über die beim Sulfitstoffverfahren möglichen Vorgänge, und es ist meiner Ansicht nach die erste Aufgabe des Chemikers, den Vorgang, welcher sich bei jeder Kochung im Kocher abspielt, durch anorganische Untersuchungen einer Erklärung näher zu führen. Dann erst wird es möglich sein, durch Uebergreifen auf das Gebiet der organischen Chemie auch die in dieses Feld gehörigen Verände rungen des Holzes nach und nach zu erkennen und aufzuklären. Haben wir einmal über diese bis jetzt noch vollkommen dunklen Fragen Klarheit, wissen wir einmal, was eigentlich in.der Ablauge vorwiegend vorhanden ist, dann wird der Praktiker sehr bald den Gedanken verfolgen können, wie und auf welche Art die hier vor handenen Stoffe möglicherweise einer gewerblichen Verwerthung ent- gegengeführt werden können. Nach den oben angeführten Veröffentlichungen geht die bis jetzt allgemein gütige Anschauung dahin, dass während der Kochung und durch dieselbe als hauptsächlichster Vorgang eine Oxydation der schwefligen Säure zu Schwefelsäure stattfindet, d. h. also dass die schweflige Säure Sauerstoff (aus den organischen Stoffen des Holzes, denn wo anders her sollte sie denselben nehmen, da doch der Sauer stoff-Gehalt der Luft im Kocher bald verbraucht wäre) aufnimmt, dass sich folglich Schwefelsäure bildet, welch letztere durch den Kalk (Ca 0) des Calciummonosulfits (Ca SOs) in Form von Gips (Ca SO,) gebunden wird, und dass dieser Gips, der dann selbstverständlich in verhältniss- mässig grösseren Mengen auftreten müsste, theils in der von der Schwefligsäure her stark sauren Kochlauge gelöst bleibt, theils aber auch sich auf der Faser und an den Kocherwänden niederschlägt. Daraus ergiebt sich selbstverständlich, dass, wenn diese Anschauung richtig ist, der Prozentsatz an Schwefelsäure (H 2 SO, oder SOa) in der Kochlauge sich durch die Kochung sehr bedeutend vermehren müsste. Bei so hoher Temperatur und so langen energischen chemi schen Prozessen, wie das Zellstoff-Kochen ist, müsste, wenn die an-