Volltext Seite (XML)
No. 53. PAPIER-ZEITUNG. 1369 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme; Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Selbstthätige Bogenanleger. Dass die Schnellpresse zu den vollkommensten Maschinen der Gegenwart gehört, wird niemand bestreiten können, der die Entwicke lung dieser Maschine innerhalb der letzten Jahrzehnte nur einiger maassen verfolgt hat. Dies gilt namentlich von der in neuerer Zeit so hoch entwickelten Rotationsmaschine, welche mit Recht als das Muster einer vollkommen selbstthätig wirkenden Maschine hingestellt werden kann, insofern als der Mechanismus ohne jegliche menschliche Mitwirkung das Erzeugniss in so fertigem Zustande liefert, dass nichts mehr hinzuzufügen bleibt. Anders verhält es sich indessen mit der gewöhnlichen Schnell presse, welche bisher noch nicht so selbstthätig arbeitet, wie man es wohl verlangen könnte, und wie man es namentlich mit Rücksicht auf das heutige Verhältniss zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber von Seiten der letzteren lebhaft wünscht. Der Mangel einer selbstthätigen Papierzuführung zum Druck- cylinder ist es, was der gewöhnlichen Schnellpresse bei aller sonstigen Vollkommenheit als Arbeits-Maschine doch erst den zweiten Rang an weist, weil gerade für diese wichtige Arbeit gewandte und geschulte Kräfte erforderlich sind, deren Zahl und Fähigkeiten sich von Jahr zu Jahr zu verringern scheinen. Diesem sich fortwährend steigernden Bedürfniss entsprechend lässt sich denn auch ein stetig wachsendes Bestreben wahrnehmen, jenem Uebelstande abzuhelfen und die Schnellpresse durch Ausstattung mit einem selbstthätig wirkenden Anlegeapparat auf denjenigen Grad der Vollkommenheit und Unabhängigkeit zu erheben, auf dem sich die Rotationsmaschine bereits befindet. Die Aufgabe selbst gehört zu den schwierigsten, aber gleichzeitig zu den lohnendsten; kein Wunder daher, wenn fortlaufend zahllose Versuche gemacht werden, die vor handene Lücke auszufüllen. Alle bisher gebauten Anlegeapparate haben bis auf wenige Aus nahmen das Gemeinsame, dass sie für die drei ihnen eigenthümlichen Operationen, nämlich für 1) das Abtrennen der einzelnen Bogen vom Stoss, 2) den Transport zum Druckcylinder, 3) das genaue Anlegen an denselben drei gesonderte Mechanismen anwenden, von denen die für 2 und 3 dienenden in den meisten Fällen übereinstimmen. Zum Transport der Bogen bedient man sich nämlich entweder der gewöhnlichen Bandleitungen, oder hin- und hergehender, mit Greifern ausgestatteter Schlitten, deren Greifer sich abwechselnd schliessen, nachdem sie über den Rand des einzeln abgetrennten Bogens getreten sind, und sich wieder öffnen und den Bogen freigeben, nach dem sie die Vorderkante desselben in die Nähe des Druckcylinders gebracht haben. Das genaue Anlegen an letzteren findet dann in bekannter Weise durch Geradschieber statt. Hieraus ist ersichtlich, dass die maschinelle Ausführung der Ope rationen 2 und 3 keinerlei Schwierigkeiten bietet. Wenn aber trotz dem noch keine selbstthätigen Bogenanleger in der Praxis zu finden sind, so wird man dahin geführt, die Hauptschwierigkeit in der maschinellen Ausführbarkeit der Operation 1, dem Abtrennen der einzelnen Pogen vom Stoss, zu suchen, was in der That der Fall ist. Gelingt es, ein Mittel zu finden, durch welches man imstande ist, mit Sicherheit einen Bogen nach dem andern vom Stosse zu trennen, so ist die Aufgabe als gelöst zu betrachten. Es wird daher zweckmässig sein, die bisher gemachten Versuche nach der ihnen zu Grunde liegenden Methode des Abtrennens der einzelnen Bogen zu klassifiziren, um eine systematische Uebersicht über die grosse Zahl der Einzelerscheinungen zu gewinnen. Von diesem Gesichtspunkte aus lassen sich nun die Versuche im wesentlichen in 3 verschiedene Gruppen theilen, nämlich in 1) Apparate, bei denen man die eigentliche Schwierigkeit dadurch zu umgehen sucht, dass man dem Papierstoss von vornherein eine solche Anordnung giebt, dass die Bogen an der Kante getrennt sind; 2) solche, die die Bogen einzeln ausstreichen, und zwar durch rauhe Finger, Scheiben oder Walzen; 3) Apparate, die die Trennung der einzelnen Bogen durch Luftsaugung bewirken. Was die erste Methode anbetrifft, so ist es bekannt, dass man durch Ausstreichen eines Papierstosses bezw. geschicktes Handhaben desselben es dahin bringen kann, dass die einzelnen Bogen treppen förmig gegen einander zurücktreten; vorausgesetzt, dass man es mit verhältnissmässig gutem, starkem und trocknem Papier zu thun hat. Dass es nichtsdestoweniger immer mühsam und zeitraubend sein wird, die Bogen nun auch einigermaassen gleichmässig zu ordnen, wie es für einen maschinellen Angriff unumgänglich nothwendig ist, dürfte ohne weiteres klar sein. Ob daher hierbei ein Gewinn zu erzielen sein wird, ist mehr als zweifelhaft. Wie übrigens die Anlegeapparate nach diesem System beschaffen sind, können die Leser ds. Ztg. aus Jahrgang 1890, Seiten 669 und 1260 ersehen. Die zweite Methode, nämlich die des Ausstreichens der einzelnen Bogen durch rauhe Finger, Scheiben oder Walzen, ist offenbar rationeller als die oben beschriebene. Sie ahmt im wesentlichen das gebräuch liche Handverfahren nach, und der Laie wird daher geneigt sein, sie ohne weiteres für die beste zu halten; denn wenn sich diese Methode beim Handverfahren bewährt, muss sie doch auch für die Maschine den zweckmässigsten Ausgangspunkt liefern! Der technisch Gebildete weiss dagegen, dass es im allgemeinen nicht rathsam ist, bei maschineller Ausführung eines Prozesses die Reihenfolge und Art der Operationen der Handarbeit zu Grunde zu legen. Und das lässt sich leicht ein sehen; denn bei der Handarbeit steht immer der denkende Mensch daneben, der alle Fehler, sie mögen bei dem gewählten Handverfahren noch so zahlreich auftreten, sogleich wahrnimmt und berichtigt. Bei der Maschinenarbeit aber ist dies nicht möglich; daher müssen die Operationen grundsätzlich so gewählt werden, dass Fehler überhaupt nicht vorkommen.. Im vorliegenden Falle also merkt die Anlegerin, wenn sie die Bogen ausstreicht, sogleich, ob 2 oder mehrere Bogen auf einmal kommen; sie stellt den Fehler daher sofort, oft schon während des Ausstreichens selbst, ab. Wenn aber mechanische Finger als Aus streicher arbeiten, so wird zunächst das gleichzeitige Ausstreichen mehrerer Bogen, wegen mangelnden Gefühls und danach zu regu- lirenden Druckes, weit häufiger zu erwarten sein, sodann aber ist der begangene Fehler nicht mehr rückgängig zu machen, d. h. es gehen mehr als ein Bogen auf einmal durch die Maschine. Dass bei der Methode des Ausstreichens durchaus keine Gewähr dafür gegeben ist, dass stets nur ein Bogen ausgestrichen wird, liegt auf der Hand. Ist z. B. die Adhäsion zwischen den drei obersten Bogen durch irgend einen Zufall stärker als zwischen dem 3. und 4., so wird, da sich der Druck, mit dem der Ausstreicher auf den Papierstoss wirkt, gleichmässig bis zum 4. Bogen fortpflanzt, die Reibung zwischen dem 3. und 4. Bogen geringer sein als zwischen je zwei der oberen Bogen; es werden daher in diesem Falle die drei obersten Bogen auf einmal beim Ausstreichen vorgeschoben werden. Immerhin hat man durch zweckmässige Sicherheits- und Kontroll vorrichtungen die Störungen erheblich herabgemindert, und es sollen einige Apparate nach diesem System, z. B. der von Böger & Siegl in Offenbach, recht gut arbeiten. Was nun die dritte Methode, Ansaugung durch Luft, anbetrifft, so scheint dieselbe am frühesten versucht worden zu sein. Sie könnte als vollkommenste gelten, wenn nicht ein zufälliger Um stand als wesentliches Hinderniss in den Weg treten würde, nämlich die Schnelligkeit, mit der eine Schnellpresse schon an und für sich arbeitet, in Verbindung mit einem selbstthätigen Bogenanleger aber erst recht arbeiten soll. Bei diesem schnellen Gange lässt es sich garnicht vermeiden, dass das Ansaugen verhältnissmässig plötzlich geschieht; dadurch aber ist keine Gewähr mehr dafür gegeben, namentlich bei nicht sehr starkemPapier, dass immer nur ein Bogen angesaugt wird. Vielmehr verhält sich die Sache so, dass durch den plötzlichen Luftdruck zwei, drei, vier oder mehr Bogen auf einmal abgehoben werden, nämlich im allgemeinen alle diejenigen Bogen auf einmal, die fest und dicht aufeinanderliegen und daher der Luft keinen Zutritt zwischen sich gestatten, bis zu demjenigen hin, der durch einen grösseren Zwischenraum von dem vorhergehenden ge trennt ist und so das Eintreten einer genügenden Luftmenge ermög licht. Je dünner das Papier ist, um so unsicherer wird die An saugung, welche endlich bei dünnem Post- und Affichenpapier ganz unzuverlässig wird. Es darf übrigens nicht unerwähnt bleiben, dass ein Anlegeapparat nach dem Prinzip der Luftsaugung wegen der Luftpumpen und Dichtungen immerhin recht theuer sein und eine sehr sorgfältige Behand lung verlangen wird, wenn er zuverlässig wirken soll. Bei langsamerem Gang der Maschine und besserem Papier funk- tionirt der Saugeapparatindessen recht zuverlässig und hat nament lich den grundsätzlichen Vorzug vor anderen Systemen, dass der einzelne Bogen zunächst vom Stoss abgehoben, also in seiner ganzen Ausdehnung abgetrennt, und sodann erst vor gezogen wird, ohne durch Reibung auf den nächsten Bogen einzu- wirken. Wenn man nun einmal diese Ueberzeugung von der verhältniss- mässigen Ueberlegenheit des letzteren Systems gegenüber den anderen gewonnen hat, wird man den Fortschritt der ganzen Angelegenheit in