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No. 31. PAPIER-ZEITUNG. 715 Vollständig frei und ohne Einschränkung beim Verkauf sind bis 10 Uhr Bäcker, Schlächter und Restaurateure. Von 10—12 sollen die Thüren einklinken, wie auch die Fenster verhängen: die Händler mit Lebensmitteln und Cigarren und Restaurateure. Letztere dürfen nicht in Vorgärten ausliefern und auch nicht das Kegel- und Billard spiel gestatten. Von 12 Uhr ab können diese Geschäfte die Vorhänge abnehmen und die Thüren öffnen. Alle anderen Geschäfte sind zur Schliessung verpflichtet. In der Besprechung dieser Verordnung wurde darauf hinge- gewiesen, dass die Arbeiter den freien Sonntag bereits bewilligt erhalten haben, und dass es beschämend sei, wenn den Angestellten erst die Polizei-Verordnung den freien Sonntag verschaffe, während dieser schon lange freiwillig hätte bewilligt werden müssen. Durch Mitglieder wurde nachgewiesen, dass diese Verordnung nicht gleichmässig in Berlin ausgeführt wird, und auch in einigen Gegenden die Thür fest geschlossen werden muss, während meistens nur das Einklinken der Thür und Verhängen verlangt wird. Die Versammlung beschloss, eine Deputation, bestehend aus den Herren Tetzer, Gronau und Schartiger, zum Polizei-Präsidenten zu senden, die den Dank des Vereins für die Verfügung überbringen und die Gleichmässigkeit der Ausführung event. die vollständige Schliessung sämmtlicher Geschäfte, soweit dies aus Rücksicht auf das Allgemein wohl angängig ist, erbitten soll. Diese begründeten Bitten sollen schriftlich dem Herrn Polizei-Präsidenten übergeben werden. V. Am Busstag findet ein für den ganzen Tag berechneter Aus flug mit Damen nach Potsdam und Umgegend statt, über den der Vorstand noch berichten wird. Herr Tetzer schloss hierauf um 1/2 1 Uhr die Versammlung; die nächste Sitzung wird im Monat August stattfinden. Sonntagsruhe. Die Deutsche Industrie braucht für ihren Absatz den Weltmarkt und ist in den letzten Jahrzehnten erfolgreich mit vielen Zweigen der britischen Industrie in Wettbewerb getreten. Dies ist ihr ge lungen, obwohl England billigeren Brennstoff, billigere Metalle, mehr Kapital und ausgebreiteteren Welthandel besitzt. Wenn wir auch der Wissenschaft, dem Verständniss und der Thatkraft einen Theil dieses Erfolges verdanken, so muss derselbe in der Hauptsache doch der billigeren und grösseren Arbeitsleistung unseres Volkes, der Ausnützung unserer Wasserkräfte und dem Besitz mancher Rohstoffe zugeschrieben werden. Deutschland hat es durch diese Gewerbsthätigkeit zu einem bisher ungekannten Wohlstand und besonders dahin gebracht, dass grössere Nothstände, die früher in Form von Hungertyphus usw. häufig Tausende wegrafften, garnicht mehr vorkommen. Unter diesen Umständen konnte man auch an die Besserung des Looses der ar beitenden Bevölkerung die Hand legen und darin, wie in den Kaiser lichen Erlassen gesagt, so weit gehen, als es ohne Schädigung der Ausfuhr möglich ist. Die Unfallversicherung legt unseren Fabrikanten grosse Opfer auf, welche durch die Alters- und Invalidenversicherung noch um Summen vergrössert werden, deren Höhe Niemand kennt. Der bessere Geschäftsgang, die Arbeiter-Ausstände haben die Arbeitslöhne schon wesentlich erhöht und dadurch auch die Preise aller Erzeug nisse gesteigert. Wir nähern uns damit bedenklich rasch den eng lischen Lohnverhältnissen und büssen immer mehr von dem Vorzug billigerer Arbeit ein. Jede Einschränkung der Arbeit der Frauen und Minderjährigen, so erwünscht und richtig sie auch sein mag, wirkt in gleicher Richtung. So lange die Industrie aller Länder, wie in diesem Augenblick, vollauf beschäftigt ist, wird uns diese Vertheuerung der Arbeit nicht fühlbar. Sie muss sich aber bemerkbar machen, sobald der Welt markt erschlafft und der Wettbewerb wieder solche Schärfe annimmt, dass die geringsten Preisunterschiede über die Absatzfähigkeit vieler Waaren entscheiden. Wir wollen hoffen, dass unsere Industrie auch dann noch imstande sein wird, die erhöhten Opfer zu tragen und alle Arbeiter zu beschäftigen. Zu den Gesetzen, welche dem Reichstag demnächst vorgelegt werden, gehört voraussichtlich auch eines über die Sonntagsruhe. Dieselbe ist in einigen Theilen des Reichs, z. B. in Sachsen, bereits eingeführt, und von dort her wird besonders darauf gedrungen, dass im ganzen Reich am Sonntag nicht gearbeitet werden darf. Es ist auch aus vielen Gründen erwünscht, dass der Sonntag nicht mehr als Arbeitstag angesehen werde; das Gesetz muss aber eine solche Fassung erhalten, dass es keinen neuen Nagel in den Sarg unseres Exports treibt. Wir haben hierbei in erster Linie das Papierfach im Auge und beschränken deshalb unsere Wünsche auf folgende Punkte. Der erste betrifft die vielen Fest- und Feiertage, welche bei uns jetzt auf Arbeitstage fallen. In den Vereinigten Staaten von Amerika giebt es äusser dem streng gefeierten Sonntag nur zwei Feiertage im Jahr, nämlich den 4. Juli, den Tag der Unabhängigkeitserklärung, und Weihnachten. Aber auch an diesen beiden Tagen ist die Arbeit nicht verboten, und Schreiber Dieses hat beispielsweise eine Papierfabrik in Amerika in dringendem Falle am Weihnachtstag durcharbeiten lassen. In England verhält es sich ganz ähnlich. In Frankreich, wo viele Papierfabriken Sonntags ebenso wie in der Woche in Betrieb bleiben, sind, mit Ausnahme des Neujahrstags, alle Feiertage auf Sonntage verlegt. Ostern, Weihnachten, Pfingsten werden nur Sonntags gefeiert, einen zweiten Feiertag kennt man nicht. Soll Deutschland gegen die anderen Industrie-Staaten nicht zu sehr benachtheiligt werden, so müssen alle auf Wochentage fallenden Fest- und Feiertage auf Sonntage verlegt werden, ehe ein Gesetz die Sonntagsarbeit verbietet. Unsere Wasserkräfte bieten einigen Ausgleich für theure Brenn stoffe und andere Nachtheile. In den meisten Fällen würden die selben etwa den siebenten Theil ihres Werthes einbüssen, wenn sie Sonntags nicht benutzt werden dürften, und die damit hergestellten Waaren würden sich entsprechend vertheuern. Das Gesetz müsste deshalb eine Bestimmung enthalten, wonach die Wasserkräfte auch Sonntags in Betrieb bleiben können. Da hierzu meist nur ein kleiner Theil der Arbeiter nöthig ist, so er scheint eine Ausnahme-Bestimmung für volle Ausnützung der Wasserkraft unbedenklich. Die Zellstoff-Industrie hat sich im letzten Jahrzehnt zu unge ahnter Blüthe entfaltet und wächst fortwährend. Sie ist eine der wichtigsten Grundlagen unserer Ueberlegenheit in der Papier-Er zeugung, muss aber jetzt schon einen Theil ihrer Waare ins Aus land abgeben, da dieselbe vom Inland nicht verbraucht werden kann. Diese Fabriken arbeiten stets mit einer Reihe von Kochern, die 18 bis 72 Stunden zu einer Kochung brauchen und zu verschiedenen Zeiten gefüllt und entleert werden, damit gleichmässiger Betrieb eingehalten werden kann. Wenn diese Zellstoff-Fabriken ihre Arbeit 24 Stunden lang einstellen müssten, so dürfte man die Kocher, welche 6—18 Stunden vor Anfang des Sonntags gefüllt werden sollten, nicht mehr benutzen, da der gekochte Zellstoff nicht mehr heraus genommen werden und infolge dessen verderben könnte. Ebenso könnten nach Ablauf des Sonntags nicht alle Kocher gleichzeitig gefüllt, mit Lauge und Dampf gespeist werden, und es müssten für mehrere derselben wieder 6—18 Stunden verloren gehen. Eine streng durchgeführte Sonntagsfeier würde daher den Verlust von etwa zwei Arbeitstagen, d. h. etwa eines Drittels der Erzeugung bedeuten und manche Fabrik äusser Stand setzen, mit Nutzen zu arbeiten. Soll die Zellstoff- Industrie nicht geschädigt werden und sich weiter entfalten, so müssen die Zellstoff-Kocher zu den Betriebsmitteln gerechnet werden, deren Thätigkeit, wie die der Hochöfen, Gasanstalten usw. an Sonn tagen fortdauern darf. Auch das nothwendige Zubehör der Kocher, nämlich die Wascheinrichtungen, dürfen dem Sonntagszwang nicht unterliegen, wohl aber können die Vorbereitungen, wie Entrinden, Schneiden, Putzen, Sortiren des Holzes usw., welche weitaus den grössten Theil der Arbeiter beschäftigen, Sonntags ausgesetzt werden. Viele Zweige der Papier-Verarbeitung, die zum Verschenken geeignete Waaren erzeugen, wie die Papier-Ausstattung, die Luxus papier-Fabrikation, manche Druckereien sind für einen wesentlichen Theil ihres Absatzes auf das Weihnachts-, Neujahrs- und Osterfest angewiesen; bei anderen drängt sich der Bedarf auf mehrere Monate zusammen. In solchen Zeiten, wo ohnehin schon die Nacht zu Hilfe genommen wird, muss für sogenannte Saison-Artikel auch die Arbeit am Sonntag erlaubt sein. Eine allgemeine strenge Sonntagsfeier würde wie in England zur Folge haben, dass die Bevölkerung ihre Einkäufe schon Sonnabends machen müsste, wodurch ein weiterer halber Arbeitstag verloren ginge. Der Minister für Handel und Gewerbe, Herr von Berlepsch, be tonte in einer beim Festmahl des Vereins zur Beförderung des Ge- werbsfleisses gehaltenen Rede, dass man mit den Maassregeln zum Wohl der arbeitenden Klassen nicht zu weit gehen dürfe, da man sonst den Ast absäge, auf dem wir alle sitzen. Er hat damit das Richtige getroffen, und wir können deshalb zu der Regierung das Vertrauen haben, dass sie aus der Gesetzgebung und Verwaltung alles fern halten wird, was unsere Erzeugungs-Grundlagen und unsern Absatz auf dem Weltmarkt schädigen könnte. Dauernde Verminderung unserer Exportfähigkeit würde bei rückgängiger Marktlage dahin führen, dass ein Theil unserer Bevölkerung keine Arbeit fände, und dass die leidende Industrie trotz der wohlwollendsten Gesetze nicht alle Arbeiter erhalten könnte.