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No. 103. PAPIER-ZEITUNG. 2283 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel, Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung Eingesandte Werke finden Besprechung. Flach auflegbare Bücher. Die Technik des Buchbindens erschien dem Mitarbeiter eines vielgelesenen Familienblattes so einfach und leicht, dass er vor einiger Zeit den Lesern empfahl, irgend einem Buchbinder ein wenig zuzu sehen, sich seine Handgriffe zu merken und dann nach Hause zu gehen und ihre Bücher selbst zu binden. So hat es der weise Verfasser des merkwürdigen Aufsatzes nach seiner Aussage selbst gemacht. Er kaufte sich, nachdem er dem Buchbinder seine Geheimnisse in einigen Stunden abgelauscht hatte, eine Presse, einige Messer, einen Leimtopf, und nun brauchte er den Buchbinder nicht mehr und ver richtete die »ungemein lohnende« Arbeit des Buchbindens selbst. Wieviel Leser seinem Beispiele gefolgt sind, wieviele anderseits den klugen Mann ausgelacht haben, kann ich leider nicht sagen. Dass aber sämmtliche Buchbinder über den Pfiffikus lachen werden, darf wohl als sicher angenommen werden. Der Fachmann weiss am besten, dass es keineswegs leicht ist, einen tadellosen Einband herzustellen, und dass dabei Schwierigkeiten zu bewältigen sind, die nur ein Sachkenner zu schätzen weiss. So ist es z. B. nicht leicht, Bücher jeden Formates und jeder Dicke mit unfehlbarer Sicherheit so zu binden, dass sie sich flach auflegen lassen. Damit will ich sagen, dass geöffnete Bücher liegen bleiben, ohne dass die Blätter vom Buchrücken zurückgezogen werden, sich aufspreizen oder gar sich von selbst wieder zusammenschliessen. Diese Eigenschaft des flachen Auflegens verlangt man von einem tadellosen Bucheinbände ganz mit Recht. Auch der Buchbinder ist bestrebt, dieser Forderung nach Kräften gerecht zu werden, und wenn er mit Sorgfalt und Ueberlegung arbeitet, so wird ihm dies bei Anwendung der in Deutschland üblichen Arbeitsweise stets ge lingen, wenn die betreffenden Bücher auf geeignetes Papier ge druckt sind. Freilich mag es auch vorkommen, dass Bücher in die Welt ge schickt werden, welche zur Qual des Lesers stets wieder zusammen klappen und sich ihren Inhalt nur unter steter Mitarbeit beider Hände abringen lassen. Das ist unangenehm, denn das Aufspreizen der Blätter und das Zuklappen derselben stört die ruhige Gedanken arbeit des Lesers und zwingt ihn, das Buch mit zwei Händen oder mit einem schweren Gegenstände offen zu erhalten. Kein Wunder, dass Bücherliebhaber nichts von derartigen ungefügen Einbänden wissen wollen. Die Amerikaner haben verschiedene Vorrichtungen ersonnen, welche unbedingtes Flachliegen des geöffneten Buches ermöglichen. In No. 93 der Papier-Zeitung wurde eine solche Einrichtung be schrieben, für welche sich aber schwerlich ein deutscher Buch binder erwärmen wird. Nicht nur, dass sie mühevolle Afbeit verur sacht , sie ist auch weder dauerhaft, noch wird sie dem Buche zur besondern Zierde gereichen. Man denke sich ein Buch, dessen Bogen an eine Reihe Zeugfalten geheftet sind, und das vom oberen und unteren Schnitt aus gesehen den Anblick gewährt, welchen Fig. 1 in etwas vergrösserter Darstellung wiedergiebt. Die durch Papiereinlage verstärk ten Zeugfalten a a sind eines- theils an eine den Rücken bildende Zeuglage /, andern- theils an die Buchlagen ge heftet und bilden demnach Fig. 1. ein geschmeidiges Mittelglied zwischen Buchrücken und Buchkörper, welches bestimmt ist, den letzteren von der Umklammerung des äusseren, zur Decke gehörenden Papprüokens unabhängig zu machen. Man wird nicht bezweifeln, dass sich ein so hergestelltes Buch flach auflegt. Allein damit ist die Aufgabe noch nicht gelöst. Ganz abgesehen davon, dass sich die Schnittfläche der Zeugfalten mit der Zeit auffasern wird, wodurch das unschöne Aussehen, welches ein solches Buch schon vom Schnitt aus gewährt, bis zur Verunstaltung verschlimmert werden kann, bleibt noch ein Hauptbedenken be stehen: der Erfinder hat wohl erreicht, dass sich das Buch flach auflegt, aber nicht, dass es sich auch wieder untadelhaft zuklappt. Bei einem neuen Buche wird das der Fall sein; sobald es jedoch abge nützt ist und die Zeugfalten schlaff werden, wird sich nach mensch licher Berechnung das Buch nicht mehr von selbst in die Decke zurücklegen, sondern wird mit Zuhilfenahme beider Hände gewaltsam in dieselbe bezw. in den Papprücken hineingedrückt werden müssen. Auflegen und Schliessen eines Buches erfolgt hauptsächlich unter Mitwirkung der Buchdecke, genauer gesagt: des Papprückens der selben. Dieser umschliesst den Rücken des Buchkörpers gleich einer federnden Hülse und bildet eine wesentliche Ursache des flachen Auflegens des Buches. Beim Oeffnen stösst er den Buchkörper nach aussen, beim Schliessen zieht er ihn in die frühere Umklam merung zurück und bewirkt dadurch, dass sich die Rundung des Buchkörpers erhält. Zugleich fördert aber auch letzterer durch seine Rückenrundung und den dort befindlichen Falz das gegenseitige Ineinandergreifen und Ergänzen mit dem Papprücken. Folgende bildliche Darstellung möge das erklären: Fig. 2 zeigt einen gewöhnlichen Pappband vom oberen oder unteren Schnitt aus gesehen. Wie man sieht, läuft der Buchkörper in der Rundung des Rückens breit auseinander und zeigt an jeder Seite a a eine gegen den übrigen Schnitt scharf vortretende Er höhung. Diese zwei Erhöhungen werden Fälze genannt und durch die Arbeit des Abpressens an das Buch ge klopft und gerieben. Die Fälze zeigen sich nach drei Seiten hin nützlich: Erstens verhindern sie den Buch körper aus seiner am Schnitt und Rücken gerundeten Form herauszutreten, zweitens geben sie Rücken und Deckeln einen sicheren Stützpunkt und drittens üben sie in ihrer Verbreiterung im Verein mit dem Papp rücken jene Spannkraft aus, welche zum flachen Auflegen des Buches nöthig ist. Ueber die Rundung des Buchkörpers weg liegt fest angeschlossen der gleichfalls runde Papprücken, welcher über die vorspringenden Fälze scharf weggebrochen und, auf den tiefer liegenden Theil des Buches übergehend, Fig. 2. unter den Buchdeckeln befestigt ist. Dadurch entsteht zwischen den hoch stehenden Fälzen und den Buchdeckeln eine schmale Rinne, welche mindestens so breit sein soll, als die Deckel dick sind, damit letztere beim Aufschlagen genügenden Spielraum haben und sich nicht auf dem Rücken stossen. Bei Halbfranzbänden, welche auf andere Art angesetzt sind, fällt diese schmale Rinne weg, da bei ihnen die Bünde nicht unter, sondern auf den Buchdeckeln liegen. Dieser Unterschied ist jedoch hier unwesentlich. Der Vorgang des Oeffnens und Auflegens, den ich zeigen will, ist bei beiden Bandarten derselbe. Indem man das Buch öffnet, zieht sich die Rundung des Buch körpers nach dem Schnitt zu heraus und gestaltet sich, wie Fig. 3 zeigt, zu einer annähernd geraden Fläche. Dadurch nimmt der Buchrücken natürlich grössere Breite an, da eine aufgezogene, annä hernd gerade Bogenlinie von Ende zu Ende stets einen grösseren Durchmesser zeigen muss, als dieselbe Bogenlinie in mehr gerundetem Zustande. Der beim Oeffnen des Buches sich verbreiternde Rücken ist jedoch vom äusseren Papp rücken fest umschlossen und mit seinen vorstehenden Fälzen in den Papprücken oder an die Deckel gestützt. Die Folge ist, dass der Rücken des Buchkörpers denjenigen der Buchdeckel mit in die Breite drücken und aus der vorherigen Rundung in einen flachen Zustand biegen wird. Diese Stellung des Buches zeigt Fig. 3. Beide Theile, sowohl der innere Buchkörper als auch der Papp rücken, befinden sich jetzt in einer durch ihre Gegenwirkung er zeugten kräftigen Spannung. Während der Buchkörper den Ueber- gang aus der Rundung in die Fläche und dadurch eine nothwendige Verbreiterung seines Rückendurchmessers anstrebt, wirkt der gleich falls gerundete Papprücken und die Decke dieser Verbreiterung entgegen. Der Buchkörper überwindet jedoch den Widerstand des Papprückens und zieht diesen selbst mit so weit in die Breite, als er zu seiner vollen Ausdehnung Platz braucht. Befindet sich nun der Rücken des Buchkörpers im Zustande der grössten Verbreiterung und bildet eine annähernd gerade Fläche, so muss der nächste Ruck, den das theilweise geöffnete Buch von den Händen des Lesers erhält, die Mitte des Buchrückens zwingen, über die gerade Linie nach der entgegengesetzten Seite herauszu treten. Sobald das der Fall ist, erlahmt die Kraft, mit welcher der Buchkörperrücken die Papprücken auseinanderdrückte; die in ihre früherer Rundung zurückstrebende Federkraft des letzteren bekommt die Oberhand und mit mehr oder minder kräftigem Drucke treibt