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So. 31. PAPIER -ZEITUNG. 657 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Fraktur oder Antiqua. Ueber dies wichtige Thema hielt Herr Professor Dr. Leo Burger stei n im Wissenschaftlichen Klub zu Wien einen interessanten Vor trag, der mehrfach neue Gesichtspunkte zu Tage förderte und die Beachtung der schreibenden und lesenden Welt verdient. Der Vortrag ist als Sonderabdruck in der Ausserordentlichen Beilage zu No. II der Monatsblätter des Wissenschaftlichen Klub in Wien unter dem Titel »Die Weltletter« erschienen. Diese Veröffentlichung legen wir der nachstehenden Zusammenstellung dessen, was unsern Lesern an den Ausführungen des Vortrags neu sein dürfte, zu Grunde. Der Vortragende begann mit folgendem Gleichniss: »Mitten im Herzen von Australien wohnt das Volk der Teut-sehi, ein Volk, welches nach den Berichten wahrheitsliebender Forscher höchst merkwürdige Bräuche hat. Dahin gehört jener, dass die ge wöhnlichsten Begriffe auf vier- bis mehrfache Art bezeichnet werden. Zwei dieser Bezeichnungsarten sind untereinander ähnlich und ein fach; sie zeigen zugleich an, ob der Gegenstand gross oder klein gemeint sei. Zwei andere hingegen sind sowohl von den zwei ge nannten, als untereinander verschieden und komplizirt. So z. B. sollen die vier Bezeichnungen für Hand heissen: ilt, ila; triochrubliowuju, bessprisstrasstno. Es meinten nun viele Teut-schi, man solle die ver wickelten Bezeichnungen fallen lassen, da ja noch immer zwei ein fache bleiben und vollkommen genügen würden; überdies wäre derart der Verkehr mit den benachbarten Stämmen erleichtert, deren Sprachen für jene Dinge auch nur zwei Namen haben, die denen der Teut-schi überdies gleich klingen. Aber andere Teut-schi behaupteten, die zwei verzwickten Namen seien national. Freilich wiesen die Gelehrten jenes Landes aus den Geschichtsbüchern nach, dass die verwickelten Namen von dem feindlichen Nachbarstamme der Fran-schi her stammen, aber die streng nationalen Teut-schi lasen nicht die Schriften der Gelehrten. Und so mussten die Freunde der Wahrheit und des Fortschrittes unter den Teut-schi eigens einen Verein gründen, um ihr Ziel zu erreichen. Sie hoffen, dass dies längstens in 2000 Jahren gelingen werde.« Nun folgt eine Geschichte der Schrift-Entwickelung, meist an der Hand von Soenneckens verdienstlichem Werk »Das deutsche Schriftwesen und seine Reform«. Die klassischen Schriftformen römischer Zeit, ihre Ausbildung zur Buch- und Schreibschrift und die allmälige Ausartung der Formen werden besprochen und an Beispielen gezeigt. Wir haben dieses Thema im Jahrgang 1887, Seite 285, in dem Aufsatz »Entstehung der Fraktur« eingehend behandelt. Zur Geschichte der auf Rückkehr zur runden Minuskel oder »Antiqua« gerichteten Bewegung führt der Verfasser einige inter essante Thatsachen an. Er sagt: »Leibnitz forderte 1696 die Deutschen entschieden auf, zum ausschliesslichen Gebrauch der lateinischen Buchstaben überzugehen, Wieland that es 1782. Die Dichtungen von Ewald Kleist (+ 1759), Bodmer (f 1783), Gessner (f 1788), Ramler (f 1796), Gleim (f 1803), Körner (f 1813), und zahlreiche Schriften Goethe’s sind in Antiqua erschienen. Klopstock nannte die Fraktur „ganz undeutsch.“ Vor etwa hundert Jahren war die Einsicht besonders infolge der Thätigkeit des preussischen Unterrichtsministers von Alvensleben so weit vorgeschritten, dass z. B. das preussische Gesetzbuch in Lateindruck erschien und das Gesetz zur allgemeinen Einführung der Antiqua nur noch der Bestätigung des Königs harrte, als Friedrich Wilhelm II. starb. Das Gesetz kam nicht zu Stande, und in Deutschland kamen Zeiten, in denen man an Anderes dachte, worüber die Sache in Vergessenheit gerieth. Sie ruhte, aber nicht für immer; Hufeland, Wilhelm von Hum boldt traten für Antiqua ein, und 1854 schrieb Jakob Grimm, der erste und grösste Sprachforscher, den Deutschland je besass, in der Vorrede zum grossen deutschen Wörterbuch: „Leider nennt man diese verdorbne und geschmacklose Schrift sogar eine deutsche, als ob alle unter uns im schwang gehenden misbräuche, zu ursprünglich deutschen gestempelt, dadurch empfohlen werden dürften . . . warum soll in der Schrift aller unrat bleiben?“ Der Sprachforscher August Schleicher (f 1868) schrieb: „Ein grosser Uebel stand ist die Beibehaltung der von unseren romanischen, germanischen und slavischen Nachbarn fast durchaus bereits abge ¬ schafften verzierten und verschnörkelten Schrift, wie sie zur Zeit der Erfindung der Buchdruckerkunst gerade üblich war. Keineswegs ist diese Schrift etwa eine deutsche, etwas uns Eigenthümliches, Nationales.“ 1876 wurde vom preussischen Unterrichtsministerium eine Kon ferenz einberufen behufs grösserer Einigung in der deutschen Recht schreibung; Prof. Dr. Wilmanns stellte den Antrag, dass der Ueber- gang vom deutschen zum lateinischen Alphabet sich empfehle. Dieser Antrag wurde mit zehn von vierzehn Stimmen angenommen, hatte aber wenig oder gar keine praktischen Folgen.« Interessant sind auch die Mittheilungen über Fortschritte der Antiquabewegung im nordisch-germanischen Ausland, wo noch vor 100 Jahren Fraktur eben so häufig verwendet wurde wie heute bei uns: »Dänemark ist entschieden auf dem Wege des Fortschrittes. Dort nannte man die Eckenschrift „dänisch“, jetzt heisst sie „gothisch“. In der Volksschule wird nur Antiqua geschrieben. Von Kopenhagen lautet die Nachricht eines Schulmannes: „In unseren Schulen wird in den letzten Jahren nur Antiqua geschrieben; die Kinder müssen aber sowohl Antiqua wie Fraktur lesen können. Viele Bücher und Zeitungen werden noch mit Fraktur gedruckt.“ Man bemerke das „Viele“ im Vergleiche mit Schweden, das noch weiter fortgeschritten ist. Von dort wird berichtet: „In Schweden begann die Bewegung zu Gunsten der Lateinschrift vor etwa 50 Jahren. Die Fraktur nannte man dort schwedische Schrift 1 , keineswegs ,deutsche 1 . Noch heute aber ist die Bewegung nicht ganz vollendet, denn noch erscheinen einige für die Landbevölkerung berechnete Wochenschriften in dem alten Druck.“ Bemerkenswerth ist hier, dass man die Eckenschrift in den be treffenden Ländern »dänisch«, beziehungsweise »schwedisch« nannte, d. h. auch für national hielt. Von Norwegen erhielt der Verfasser die Nachricht: »In den Schulen wird nur lateinisch geschrieben, und zwar seit etwa 30—40 Jahren. Die Zeitungen erscheinen noch zum Theile in Fraktur.« Dass Antiqua lesbarer ist als Fraktur, wird im allgemeinen nicht bestritten, doch ist die Anführung einiger augenfälliger Beläge von Interesse: »Die Buchstaben für die Bezeichnung der örtlichen Eintheilung Berlins im Postverkehr wurden lateinisch befohlen. Hier konnte eine Rücksicht auf das Ausland nicht ausschlaggebend sein; NW und JP® ist einfach leserlicher als 92 und 727 was für den Berliner Postbeamten wichtig ist. In der Deutlichkeit liegt auch der Grund, warum die Auf schriften der Stationen und Münzen, die Eigennamen in sonst mit Fraktur gedruckten Anzeigen u. s. f. so oft Antiqua zeigen. Es ist ein bedauerlicher, gewiss unbeabsichtigter Missgriff, dass die Strassen aufschriften in Wien Fraktur haben. (In Berlin und den meisten grossen Städten Deutschlands sind sie in Antiqua-Buchstaben aus geführt. D. Red.) Herr Oberlehrer Em. Bayr liess die Firmen in der Mariahilferstrasse in Wien bezüglich der auf den Schildern verwendeten Schrift zählen. Von den 735 Firmen haben 670 Antiqua und 37 Frakturschriften. Acht Firmen besitzen gemischte Schilder. Landkarten werden in Antiqua gedruckt; eine Landkarte in Fraktur wäre ein Versuch, dem zuliebe sich Niemand dem Verdacht der Ver rücktheit aussetzen wird; denn dort stehen lauter Eigennamen, es darf also nicht gerathen, es muss gelesen werden. Oder giebt es einen Poststempel in Fraktur? Herr Fabriksdirektor R. Weeber in Wien konstatirte bei den durch die Kopirpresse erhaltenen Abzügen grössere Leserlichkeit, wenn das Original in Lateinschrift, als wenn es in Eckenschrift ge schrieben war. Auch erhielt sich das Original in Latein nach dem Kopiren deutlicher.« Nach Anführung zahlreicher weiterer Gründe, die für den Ueber- gang zur Antiqua sprechen, gelangt der Verfasser zu dem Schluss, dass jeder Freund gesunden Fortschritts in seinem Kreise für Ersatz der Fraktur durch Antiqua wirken soll. »Wer Einfluss auf Drucksachen hat oder einen belangreichen Freund, kann hier viel thun. Verhandlungen von Vertretungs körpern, Gesetze, Verordnungen, Vereinsdrucksachen, Anzeigen können oft in Antiqua gesetzt werden. Es genügen oft die Worte: „ist in Antiqua zu setzen“ auf dem Manuskript.« Verfasser empfiehlt den Beitritt zum Verein für Lateinschrift Dr. F. W. Fricke-Wiesbaden), der vor andern Vereinen noch den Vorzug hat, dass er keine Geldbeiträge fordert, sondern nur leicht zu erfüllende Pflichten auferlegt.