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No. 51. PAPIER-ZEITUNG. 1093 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Kolportage. (Schluss zu No. 50.) Ein Kaufmann, welcher sich mit dem Verlag von Kolportage- Romanen zu beschäftigen gedenkt, wird folgende Gesichtspunkte zu beachten haben: Der Roman oder die Erzählung muss in Kapitel, und zwar kurze Kapitel, getheilt, und jedem muss eine drastisch gefasste Ueberschrift gegeben werden. Wie die ärmsten Klassen nicht gern Kunden eines Verkaufsladens werden mit grossen Spiegelscheiben und entsprechenden Einrich tungen, so darf auch ein für jene Klassen bestimmtes Buch keinen Luxus zur Schau tragen, ganz abgesehen von den durch theures Papier erhöhten Herstellungskosten. Es wäre also verfehlt, elegante Ausstattung zu bieten. Sie soll nur »anständig« sein. Dazu gehört weiches, nicht zu dünnes, den Druck nicht durchschimmern lassendes Papier, nicht allzu enger, augenmörderischer Druck. Ob der Anfang eines Kolportageroman-Verlags mit neu ver fassten oder mit älteren Büchern zu machen wäre, welche älteren gediegenen Volksschriften in die Sammlung aufzunehmen seien, etwa mit schonender Ueberarbeitung, kann offene Frage bleiben. Jeden falls lasse man sich nicht von dem Griff nach einem »Mleisterwerk« abhalten durch die Besorgniss, dass dasselbe »schon allzu bekannt und verbreitet«, und dass infolgedessen »nichts mehr damit zu machen sei.« Bei den nach vielen Millionen zählenden, hier in Be tracht kommenden Volksschichten kann äusser Bibel und Katechismus kein einziges Werk als bekannt gelten. Der Lesedrang des deutschen Volkes wächst von Jahr zu Jahr zusehends und kann noch weit mehr geweckt werden. Leider sind die Bücher durchweg in Deutschland, wo mehr Bücher erscheinen als in anderen Kulturländern, noch viel zu theuer, unter anderm weil die Verleger noch nicht wagten, auch auf dem bisherigen Sortimentswege auf Absatz im grössten Stil zu spekuliren. Selbst die heutigen Verleger von Kolportageromanen haben weitaus nicht alle verfügbaren Hebel in Bewegung gesetzt. Auf das zweckmässige Verhältniss des Unternehmers zu Buch druckern und Buchhändlern erster Hand oder Kommissionären, und zu Sortimentern, Kolportagehändlern, Reisenden und Kolporteuren hier einzugehen, würde zu weit führen. Nur das merke man: allen diesen Geschäftsleuten ist keinerlei Risiko noch Opfer zuzumuthen; dagegen dürfte es sich lohnen, den Leipziger Verleger, beziehungs weise Kommissionär durch einen freigebig bemessenen progressiven Gewinnantheil zu lebhafter Thätigkeit anzufeuern. Beiläufig sei erwähnt: der als Millionär verstorbene Begründer der »Gartenlaube«, Ernst Keil, hat ohne alles Vermögen dieses Unter nehmen begonnen und sicherlich einen grossen Theil seines Er folges der geschäftlichen Kühnheit — (neidische Kollegen hatten andere Ausdrücke dafür) — zu verdanken, mit welcher er, auf Massenabsatz rechnend, die Bezugsbedingungen stellte. Die gesetzlichen Bestimmungen der Gewerbenovelle vom 1. Januar 1884, welche auf den Kolportage- oder Hausir-Buchhandel Bezug haben, muss der Kolportage-Verleger selbstverständlich genau kennen. Sie sind enthalten im Titel II.: »Stehender Gewerbebetrieb«, §§ 14, 15; §§ 42, 42b—44a; §§ 55— 63; und in Titel X.: »Strafbestim mungen« §§ 143, 145, 148, 149. Zu diesem sogenannten »Kolportage-Gesetz« brachte die »Börsen zeitung für den Kolportage-Buchhandel« am 1. Mai 1880 folgende lesenswerthe Erläuterungen: »Zum Feilbieten im Umherziehen, das heisst zum Verkauf aus der Hand, wo man den Betrag für die Waare sogleich in Empfang nimmt, braucht man einen Wandergewerbeschein und ein Verzeich- niss derjenigen Schriften und Bildwerke, welche man verkaufen will, und welches von der Polizeibehörde des Wohnortes genehmigt werden muss. Will man nur an seinem Wohnort Druckschriften derart verkaufen, dann hat man nur das einfache Gewerbe anzumelden; dies kostet in Preussen 18 M. im Jahr, das Wandergewerbe aber kostet 36 Mark und darüber. Es können jedoch auch Ermässigungen ein treten. Man darf bei Strafe und Konfiskation der Waaren keine anderen Sachen bei sich führen, als die in dem genehmigten Verzeichniss angegebenen. Zum Abonnentensammeln bedarf man weder eines solchen Wandergewerbescheines, noch eines genehmigten Verzeichnisses, sondern nur einer Legitimation, dass man entweder für sich selbst oder für Rechnung seines Prinzipals Bestellungen auf Druckschriften und Bildwerke entgegennimmt. In Preussen und einigen anderen deutschen Staaten werden solche Gewerbe-Legitimationskarten von der Polizeibehörde kostenlos ausgestellt, in Sachsen z. B. giebt es »Kolportage - Karten«, für welche eine besondere Steuer erhoben wird. Mit einer von der Behörde ausgestellten Gewerbe-Legitimations karte versehen, kann man im ganzen Deutschen Reich ungehindert Bestellungen auf Schriften usw. annehmen. Allerdings ist man ver pflichtet, in den Staaten, in welchen besondere Steuern erhoben werden, diese zu entrichten. An der Giltigkeit der Legitimations karte ändert dies nichts. In Preussen besteht hierauf keine be sondere Steuer als die übliche Gewerbesteuer, nach dem Umfang des Gewerbes abgeschätzt. Man darf jedoch, mit solcher Gewerbe-Legi timationskarte versehen, keine Waaren direkt verkaufen und den Be trag sofort kassiren, sondern nur Bestellungen aufnehmen und die Waaren zusenden, oder auch selbst bringen. Bei richtiger Handhabung seitens der Kolporteure oder der Buch handlungsreisenden, aber auch nur dann, werden die Härten des Kolportagegesetzes wenig oder garnicht gefühlt werden. Richtige Gesetzeskenntniss und korrekte Ausführung desselben ist die erste Pflicht jedes Kolportage-Buchhändlers. Dann hat er aber auch zu verlangen, dass ihm der nöthige Schutz seitens der Behörde ent gegengebracht werde. Wo dies nicht geschieht, liegt es vielfach an der unrichtigen Auffassung von beiden Seiten.« Das Kolportagegesetz hat für die davon betroffenen Geschäfts leute mancherlei Unannehmlichkeiten mit sich gebracht. Eine ganz erheblich gute Wirkung aber hat dasselbe unstreitig geübt, eine Wirkung, die alle Verluste und Schäden wieder, wenn auch erst mit der Zeit, wettmachen wird, nämlich: es hat die Kolporteure zu Vereinen zusammen geführt, in denen man sich redlich und emsig bemüht, die dem Gewerbe anklebenden Schwächen und Mängel zu erkennen und zu beseitigen. Der Central-Verein Deutscher Kolpor tage-Buchhändler, der jährlich im Juni oder Juli seine General versammlung hält, mit den amtlichen Organen: »Börsen-Zeitung« und »Fachzeitung für den Kolportage-Buchhandel« (erstere in Leipzig, letztere in Berlin) gliedert sich in etwa ein Dutzend Lokalvereine (Beilin, Braunschweig, Breslau, Chemnitz, Dortmund, Dresden, Hamburg- Altona, Hannover-Linden, Leipzig, Magdeburg). Kommissionsgeschäfte mit Grosssortiment für Kolportage-Buch handlungen sind in Leipzig: Rudolf Giegler, Bruno Radelli, F. E. Fischer, Friedrich Schneider, Louis Naumann; in Berlin L. Abel und R. Mickisch in Wien: C. Daberkow und Gebr. Rubinstein. Der Name »Grosssortiment« hat sich eingebürgert für solche Handlungen, welche von den gangbareren der für die Kolportage geeigneten Artikel ein mehr oder minder grosses Lager halten und ihre Waare an den Kolporteur zu den gleichen Bedingungen abgeben wie der Verleger selbst, als Gebühr für ihre Vermittelung aber auf den Fakturaposten 5 pCt. draufschlagen. Die Zehnpfennig-Romane liefert der Grosssortirnenter dem Kolporteur mit 6 Pf. baar. Sein Gewinn am Heft beträgt also 1 Pf.; denn fast alle Verleger dieser Literatur liefern mit 50. pCt. Rabatt. Es ist nun durchaus nicht nothwendig, dass der Kolporteur von einem dieser Grosssortimenter seine Waare mit 6 Pf. kauft. Jeder Verleger wird sie ihm, wie allen andern seiner Kunden, mit 5 Pf. ebenfalls liefern. Allerdings hat er dann den Geldbetrag vorher einzusenden und die Frachtkosten zu tragen. Die schenkt ihm der Grosssortimenter aber auch nicht, und besondre Kredit-Erleichterungen pflegen ihm dort auch nicht ge geben zu werden. Je weniger umständlich und je weniger theuer der Kolporteur sich sein Geschäft einrichtet, desto leichter wird es ihm werden, sein Auskommen dabei zu finden; denn trotz der hohen Rabatte, welche vom Produzenten auf die Waare gewährt werden, liegt dasselbe infolge des grossen Wettbewerbs, der, wie auf allen Gebieten, auch hier herrscht, heutzutage bei weitem nicht mehr so günstig, wie vor fünfzehn und zwanzig Jahren. Es wird sich heute auch kein Kolporteur mehr, wie es damals vielfach noch geschah, auf den Verschleiss von Zehnpfennig-Literatur allein be schränken, sondern seine Aufmerksamkeit den vielen anderen Artikeln zuwenden, welche sich für den direkten Verkauf durch Anbieten als lohnend erwiesen haben. Hierher gehören in erster Reihe die zahl reichen illustrirten Wochen- und Monatsschriften (Gartenlaube, Daheim, Ueber Land und Meer, Chronik der Zeit, Buch für Alle, Abend glocken, Neues Blatt, Schorers Familienblatt, Universum, Vom Fels zum Meer, und wie sie sonst alle noch heissen mögen), ferner eine grosse Reihe von populärwissenschaftlichen Büchern (Brehms Thier leben, Herders Völker-Bibliothek), fach wissenschaftlichen Werken (Toussaint-Langenscheidt’sche Unterrichtsbriefe, Weizeis Unterrichts briefe über Maschinenbau), die Legion von illustrirten Pracht werken, Klassikern etc. (Kröner, Hallberger, Spemann in Stuttgart, Grote in Berlin etc.), endlich die für breitere Volksschichten berechneten und zugeschnittenen »Briefsteller«, »Traum- und Punktirbücher«, »Volks- anwälte« etc., sowie vor Allem gute hervorragende Zeit-Ereignisse behandelnde Schriften. Wer z. B. beim Hinscheiden des Kaisers