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WMtt fiir UWM Beilage zu Nr. 15. Dienstag 6. Februar 1912. De«kfprüche für «emSt u»S VEauv. Vom Uebeimaß der Lust wird Leid hervorgebracht. Das Auge selber weint, sobald man heftig lacht. F. Rückert. Ans Sachsen. Wilsdruff, den 5. Februar. Ein 13jähriger Realschüler erhängte sich in der in Ver Holbeinstraße in Dresden gelegeneen Wohnung seines Vaters, eines Gerichtsbeamten. Er hatte wegen Fern» bleibens aus der Schule eine Strafe zu gewärtigen. AuS Furcht davor dürfte er die Tat begangen haben. — Die Donnerstag früh erfolgte Hinrichtung des Raubmörders Göhlert, der den greisen Rentner Todt brutal ermordete, hatte einen aufregenden Zwischenfall, über den in ver- schiedenen Blättern bis jetzt nicht berichtet wurde. AIS mit dem letzten Glockenschlag um 7 Uhr Göhlert, von zwei Beamten gestützt, bleich und angstverzerrt auf dem Gerichtshof erschien und der Staatsanwalt die Worte: „Scharfrichter, walten Sie Ihres Amtes" ausgesprochen Hatte, sträubte sich Göhlert verzweifelt, der bis dahin völlig apathisch gewesen war. Mit schriller Stimme gellte es durch den Hof: „Ich will Ihnen noch etwas sagen, meine Herren, ich bin unschuldig verurteilt. . . ich habe einen Brief an meine Frau geschrieben, da steht alles drin .. . man hat ihn nicht abgeschickt . . . meine Herrschaften, Ihr wißt nun wies war . .. es sind meine letzten Worte . . Bis zum Schaffott schrie Göhlert; der Rest waren Schimpfworte gegen Staatsanwalt und Gerichtshof, dann erstickte seine Stimme. . . Scharf« lichter Brandt erklärte: „Das Urteil ist vollstreckt!" — Auf dem Wege von der Zelle bis zum Hofe hat Göhlert dem ihn begleitenden Anstaltspfarrer zugerufen, Liebe, Treue und Gerechtigkeit seien auf Erden verschwunden. Nach den „Dr. N." übertönte Göhlerts Stimme die deS Staatsanwalts Dr. Weichert. Die Worte Göhlerts, die schaurig von den hohen Wänden widerklangen, haben nach diesem Blatt gelautet wie folgt: „Meine Herren, ich möchte erst noch etwas mit Euch sprechen. Ich bin zu Unrecht verurteilt worden. Das ist Ihnen nickt itgeleilt worden von der Justiz. Nehmen Sie ch das za Herzen. Es ist mein letzter Gang ch habe ein Schriftstück an meine Frau abgegeben, r steht das drin; das ist aber nicht abgegeben worden, hr wißt nun, wie es zugegangen ist. Meine . . ." Hier habe man das dump e Aufschlagen des Fall- breites gehört. Göhlert ist auf Grund erdrückender Beweise verurteilt worden. Die Leiche des Todt hat er in seinem Schrebergarten vergraben und sich das Vermögen des Er mordeten angeeignet. Mit dem unschuldigen alten Manne hatte die Bestie, die so nach Gnade schrie, kein Mitleid gehabt. — Leo Döring in Dresden, 16 Jahre alt, erbte als Dreizehnjähriger 182000 Mk. Zwischen diesem Gelbe und ihm standen seine Elten, die ihn lehr verzogen. Ein Giftmordversuch mit Salzsäure mißlang durch die Achtsamkeit des Dienstmädchens, das, als die Sache herauskam, vom Vater desDöring beschuldigt wurde, den Mordversuch ver übt zu haben. Der Vater des Döring wird sich wahrscheinlich wegen falscher Anschuldigung zu verteidigen haben. Was Döring jun. betrifft, so unterhielt er als Vierzehnjähriger rin Verhältnis mit einer Schauspielerin, für die er, von seiner Mutter begleitet, Brillanten für 800 Mark kaufte. Das Gericht sprach ihn wegen Unzurechnungsfähigkeit frei, stellte ihn aber dem Fürsorgeamt zur Verfügung. Der Vergiftungsversuch an den Eltern wurde als voll erwiesen angesehen. Ueber den Zusammenbruch der Dippoldiswalde» Vereinsbank kommt jetzt einige Klarheit. Da die Verluste, die das Fallissement der Bank nach sich zieht, bis in unseren NedaktionSbezirk reichen, so wird ein näherer Be richt über den gegenwärtigen Stand des Konkurses nicht ohne Interesse sein Von den beteiligten Kreisen wird es als sehr befremdlich empfunden, daß sogar die Spar kasse Dippoldiswalde mit einer Forderung von 124000 Mk. hervortritt. Diese hat von der Vereinsbank als Sicher heiten Wechsel angenommen, deren Bonität sich jetzt als sehr zweifelhaft herausstellt. Die Annahme der Wechsel als Sicherheit mag wohl darauf zurückzuführen sein, daß Herr Bürgermeister Dr. Weisbach als Sparkassen Vorstand gleich-eilig erstes Vorstandsmitglied der Vereinsbank war. — Inwieweit dem Chemnitzer Bankverein bei seinen starken Engagements ein Verlust trifft, ist vorläufig noch gar nicht srstzustellen. Angemeldet hat er 540000 Mk , wofür ihm nur 150000 Mk. Stimmrechte zugebilligt wurden. Bei der Firma G Möhring, Sägewerk in Ober, carsdorf bei Dippoldiswalde, hat der Chemnitzer Bank verein mit einer Wechselforderung von zirka 110000 Mk. Konkurs beantragt. Die Firma G. Möhring, welche sich aus kleinen Anfängen emporgearbeitet hat, verliert infolge der betrügerischen Manipulationen des Kassierers Willkomm ihr ganzes Vermögen. Diese Firma ist am 3. Januar 1912 in Besitz des Herrn F. Uckermark übergegangen, und fungiert Herr Möhring daselbst als Prokurist. Es scheint nicht ausgeschlossen zu sein, daß der Vereinsbankkrach noch weitere Fallissements nach sich zieht. — Bücherrevisor I. Müller-Dresden, welcher im Jahre 1909 und 1911 im Auftrage des Königlichen Amtsgerichts Dippoldtswalse zwar nur als Genossenschaftsrevisor bei der Vereinsbank revidiert hat, soll bereits 1909 außer anderen Unkorrekt heiten auch die mangelhafte Buchführung beanstandet haben. Ende 1911 soll er den Vorstand und Aufstchtsrai nicht allein auf verschiedene ungesetzliche Vorkommnisse auf merksam gemacht haben, sondern auch die mißliche finanzielle Lage der Bank klargelegt haben. Es scheint aber zu spät gewesen zu sein, um noch das Schlimmste zu verhüten, der Kassierer Willkomm zog es daher vor, zu verschwinden. Die anderen Vorstandsmitglieder, ebenso der Aufsichtsrat, besteht, soviel bekannt ist, aus durchaus ehrenhaften und einwandfreien Herre», die sich einzig und allein von Willkomm haben düpieren lassen, sie müssen natürlich ihre Vertrauensseligkeit schwer büßen, da sie doch sicherlich regreßpflichtig gemacht werden. Das große Unglück, was besonders die kleinen Leute betrifft, ist gar mcht zu be schreiben, es sollen sich in den ersten Tagen herzzerreißende Vorkommnisse abgespielt haben. Wenn auch infolge der angestrengten Tätigkeit des Konkursverwalters und der früheren Aufstchtsratsmi glieder schon jetzt eine Abschlags- dtvibende von zirka 10 Prozent in Aussicht gestellt ist, so dürften doch im günstigsten Falle insgesamt nur 25 bis 30 Prozent herauskommen Ein großes Glück ist es, daß der Reservefonds in Höhe von zirka 49OoO Mk selbständig Verwaltet und unter Verschluß des Aufsichtsrates war, ebenso ist die Kaution Willkomms in Höhe von 5000 Mk. vorhanden gewesen. Hätte Willkomm auch hierüber ver fügen können, so wäre sicherlich nichts mehr dagewesen. Ein sicherer Status dürfte wohl infolge der geradezu ver worrenen Verhältnisse in den Büchern der Vereinsbank erst in einigen Monaten aufzustellen sein. Nach Mitteilung des Vorsitzenden der Gewerbe-Aus stellung in Freiberg hat der Protektor der Ausstellung, König Friedrich August, in Aussicht gestellt, bet der Er öffnungsfeier anwesend zu sein. — Das Ministerium des J-nern hat die Vereinigung der Orte Erbisdorf und Brand verfügt. — Der kürzlich wegen des Verbrechens der Blutschande verhaftete Bauarbeiter und Bürstenbinder Helbig von Freiberg bat sich in seiner Gefängniszelle er hängt. — Der Ueberlandstromverband Freiberg, der jetzt 100 Gemeinden und Gutsbezirke in den Amtshauptmann schaften Freiberg, Flöha und Dippoldiswalde umfaßt, und in Lichtenberg bei Mulda errichtet worden ist, wird in einigen Wochen mit der Stromabgabe beginnen können. Der Strompreis stellt sich verhältnismäßig billig, da eine 16kerzige Lampe in 10 Stunden Brennzeit nur 9 Pfg. kostet. Die Inanspruchnahme des Werkes hat sich seit der Gründung des Verbandes verdoppelt und beträgt jetzt 6000 Pferdekräfte. Erfreulich ist ferner die Tatsache, daß von den ursprünglich auf 2800000 Mark veran schlagten Baukosten nicht weniger als 700000 Mark ge spart werden konnten. Einen Raubmordversuch auf seine Stiefmutter führte am Donnerstag der 18 Jahre alte Arbeitsbursche Kurt Gruber in Waldheim aus. Er streckte die Frau mit mehreren Beilhieben zu Boden und flüchtete darauf mit den erbeuteten 113 Mark. Da er jedoch den Zug ver säumte, ging er in ein Kino, wo er verhaftet wurde. Gruber gab an, die Tat begangen zu haben, weil er zu wenig zu essen bekommen habe. Der seit ca. 1V« Jahr in Grotzenhai« erscheinende Großenhainer Anzeiger, ver eine liberale Richtung ver folgt, hat mit Ende Januar sein Erscheinen wieder ein gestellt. In der Wohnung der Eheleute Geiger in der Körner straße 21 in Leipzig fingen gestern früh Kleidungsstücke, die dem Küchenmen zu nahe gekommen waren, Feuer. Durch den sich entwickelnden starken Qualm ist das sechs Monate alte Kind der Eheleute erstickt — Am 18. Mai soll in Leipzig ein Margareten-VolkSfest abgehalten werden, dessen Reinertrag zu mildtätigen Zwecken bestimmt ist. — Dem Leipziger Bäckergewerbe steht ein neuer Lohnkampf bevor. Die Bäckergesellen haben beschlossen, in den Streik zu treten, wenn die Innung nicht den Kost- und Wohnungs zwang bei den Meistern beseitigt. Der Boykott soll mit Hilfe der gesamten Arbeiterschaft in weitestem Umfange ausgeübt werden. Im ganzen Vogtlande herrscht seit Freitag abend ein heftiger Schneesturm. In der Stadt Plauen hat der Schnee auf ben Straßen eine Höhe erreicht, wie es seit Jahren nicht der Fall gewesen ist. In der Schüllerschen Baumwollspinnerei in Venus berg (Amtsh. Marienberg) geriet am Freitag der 19jähr. Arbeiter Wolf in eine Spinnmaschine, wobei ihm der Kopf zermalmt wurde. Der Tod trat auf der Stelle ein. In Bernsbach bei Schwarzenberg geriet der 85jähr. Senior der Firma Heck-r u. Sohn infolge eines Schwäche- Stürmiläie Mögen Kriminal-Roman von Karl von Rieger st ein. Z7s (Nachdruck verboten.) 18. Kapitel. Eine elegante Erscheinung ist Herr von Ramingen zweifellos. Etwas bleich. Das macht die Erregung. Kein Wunder. Er hat die Tote ja so geliebt. Bei seinem Eintreten lächelt er seiner Braut zu. Diese sieht ihn starr an und lächelt nicht. Herr von Ramingen wird vereidigt. Alles steht auf. .... die volle Wahrheit und nichts als die Wahrheit ... So wahr mir Gott helfe." Mehr hört man nicht von der Formel. Nun tiefe Stille. .. wissen Sie, Herr von Ramingen, uns über ms -Nordtat oder deren Vorgeschichte und über die Vorgänge m der kritischen Nacht zu erzählen, soweit sie Ihnen bekannt sind?" "^.erzählen?" fragte vonRamingen. „Alles, was Sie wissen. Gewiß " Dann in Gottes Namen also. —' So schwer es ihm wird, er erzählt. Er schildert die Frau als einen Engel an Güte, M Milde und Schönheit. Sie war an einen brutalen Gatten gefesselt. Sensation im Publikum. Oft hatte sie ihm über ganz unverdiente Eifersuchtsszenen geklagt, die ihr ihr Gatte gemacht hatte. „Das ist nicht wahr", sagt Walter oben auf der Anklagebank. „Sie haben jetzt nicht das Wort", rügt der Vorsitzende die Anmaßung Walters. „Fahren Sie fort, Herr von Ramingen." Und Ramingen erzählt weiter. Wie eigentlich Walters Art sich die Liebe seiner Frau von Anfang an verscherzt hatte. Wie er sich gleich in den ersten Tagen der Ehe als eine rohe, gewalttägige Natur gezeigt hatte. Wie er die Frau, die diesem Manne ihre Tugend geopfert hatte, vernachlässigte und ihre Gefühle mit Füßen trat. Wie er — Ramingen — als der einzige, natürliche Beschützer seiner Schwester — Walter zur Rede stellte und dieser ihn aus dem Hause verwiesen — in das er freilich heimlich auf Wunsch seiner Schwester häufig zurückkam, um mit ihr zu be sprechen, wie die — Scheidung einzuleiten war. Denn von ihrem Manne sich zu trennen, war der einzige Wunsch Frau von Walters gewesen. Ihre einzige Furcht war ihr Kind. Sie fürchtete, daß Walter es ihr gewaltsam entreißen könnte. „Nimmt er mir das Kind, so ist es mein Tod", sagte sie. Sie ließ ihrem Manne daher nachspüren, und als sie die untrüglichen Beweise seiner Schuld in Händen hatte, da reichte sie die Scheidungsklage ein, die sie gewann. „Weil ich wollte!" schrie der Angeklagte auf, „weil ich . . ." Der Vorsitzende aber schnitt ihm das Wort ab. „Wenn Sie sich noch einmal so weit vergessen, lasse ich Sie abführen und in Ihrer Abwesenheit weiter verhandeln, merken Sie sich das." Und Ramingen konnte weiter erzählen. „Oft schon hatte Claire. . . meine Schwester wollte ich sagen, mir gegenüber ihrer Furcht Aus druck gegeben, daß ihr Mann ihr etwas anhaben könne, und noch am Tage vor der Scheidung flüchtete sie sich zu mir und rief: „Schütze mich, rette mich. Ich weiß, daß er sich rächen und mich ermorden wird." Diese Worte Ramingens machten natürlich un geheures Aufsehen. Die Wagschals neigte sich wieder sehr zuungunsten des Angeklagten, Lessen Sache so gut wie verloren war. Und das mochte wohl auch er selber fühlen. Er war totenbleich, und man sah es ihm an, daß er sich Gewalt antat, seine mächtige Erregung nieder zukämpfen. Am liebsten hätte er die Wahrheit über seine Frau in alle Welt jetzt hinausgeschrien. Aber — das Kind! das Kind! von Ramingen konnte übrigens mit dem Eindruck, den er gemacht hatte, zufrieden sein, und er warf denn auch seiner Braut, sich halb nach ihr hin drehend, einen seiner triumphierenden Blicke zu, der aber unbegreiflicherweise wieder nur einem eisiger^ harten, fast grausamen Blicke begegnete, der ihn förmlich aus der Fassung brachte. Was hatte sie nur, was war denn geschehen? Aber er hatte keine Zeit, seinen Gedanken nach- zuhängen, denn die Frage des Vorsitzenden unter brach ihn. „Erinnern Sie sich dieser Worte ganz genau, Herr Zeuge?" Welcher Worte? Ach ja, er erinnerte sich. (Fortsetzung folgt.)