Volltext Seite (XML)
Äe! l Im kiia. ^L^2^v^2^V^S7>r^L-22^>S^2^S^>S^2^>L^V»!^v2^ I^mäer cler Heimat. Roman von L. Erhard-Clausnitzer. Fortsetzung.) (g) eberall sah sie verschlossene Türen. Sie sah die anderen Menschen an. Sie mochte keinen fragen. Sie wartete die Sache ab. Es würde sich schon von selbst finden, wo sie hinaus musste. Warum war ihr nur überhaupt einge fallen, den Rückweg durchs Böhmerland zu nehmen? Sie hatte das doch gar nicht nötig. Sie konnte doch mit einer guten Schnellzugsverbindung Görlitz erreichen und nun fuhr sie auf weitem Umweg ihrem Wohnort zu. Ach ja — — sie hatte soviel zu -denken — — so sehr viel— — Sie wollte nicht schnell zuhause sein! Nein. Sie wollte unterwegs noch so man- cherlei bedenken, sich klarlcgen, mit sich allein besprechen. Vielleicht traf sie wieder das Glück, «in Abteil allein zu erhaschen, nebenbei ein ziemlich aussichtsloser Wunsch angesichts dieser' vielen Menschen. Ob unter ihnen vielleicht so mancher den selben Wunsch hatte? Wohl kaum. Sie plauderten zusammen, erzählten Zollstreiche, ein jeder hatte Anspruch auf seine Zunge, nur Milly schwieg und war sehr vergnügt, als der Beamte endlich die Türe, die auf den Bahnsteig gradeswegs hinausführte, aufschloß . . . Schade, schade. Milly stand so sehr weit hinten, sie trat fast als Letzte hinaus sie lief über den Schienenstrang, auf einem Nebengleis standen kleine, rumpliche Wagen, sie bildeten den Zug, mit dem Milly jetzt weitcrfahren mußte. Alle Bequemlichkeit fehlte den Abteils. Milly mußte sich erst darin zurechtfinöen und endlich hatte sie das Damenabteil doch heraus, aber es war besetzt. „Bitt' schön, daneben ist Nichtraucher," sagte der dicke freundliche Schaffner, sein blauer Lüstersakko und seine gelben Hosen glänzten so vertraulich, wie sein ganzes Ge sicht. Ja, „bitll schön" sagen ist dem Oester reicher Lebensaufgabe. Milly fürchtete schon einen vollkommen besetzten Raum, aber sie war sofort beruhigt, als sie nur eine einzige Dame erblickte, die auch die augenblicklichen Bahnverhältnisse recht gut zu kennen schien, denn als der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, sagte sie: „Ja, wer schwer reich ist — — der fährt halt in der ersten Klass' — — übrigens wann ich Geld hab' fahre ich nimmermehr in der arme Leut' Sitzklass' s'is doch aa Indiskretion was man da spürt, wann al's mit drin hockt, mit dem ein's Leben sonst nit zusammen'bracht hat " „Ich fahre immer dritter Klasse, überall, bloß nicht des Nacksts," antwortete Milly. „Und bloß nit durchs Böhmerland, da san'S wohl überhaupt noch nit drin ge wesen?" „Nein," sagte Milly. „Aber weil es so sehr schön sein soll, wünschte ich es zu durch fahren." „Durchfahren ist freilich leicht, was? Und am hellenlichten Tag träumt sich alles so schön wie es nachher aussieht, wann d' Nacht kommt, das dürfen Sie alleweil andächtig verschlafen . . ." Milly verstand der Rede Sinn. Deran- gierte Häusel drängten sich in ihre Augen, schlechte Straßen, schmutzige Kinder — — „Sehen'S das Zerlumpte da draußen?" fragte es zu Milly herüber. „Ja. Aber schließlich ist dergleichen über all vorhanden." „Ja! Ja! — Fahrens auch nach Prag Fräulein?" „Nein," „Wo fahren Sie denn hin?" „Nach Dresden." „Nach Dresden? Menschcnskind. Und da nehmen's den Weg über soviel Un- schön's?" „Verzeihen Sie, was mir ins Auge fliegt ist schön!" „Ach dös is nur Gutmütigkeit von dem Wald, der alleweil grünfreudig all's zudcckt. Wollen S' aa Schinkensemmerle essen? Für mein ganzes Lebensalter hat das Schwieger- muttcrl mein' Taschen vollg'pfropft — —" Milly dankte und betrachtete sich die Dame in dem enganliegenden Schneider kleid etwas genauer. Ein keckes Näschen, gesunde Wangen, blitzende, weiße Zähne, Lachen um Mund und Augen. Kurz und gut eine hübsche, junge Frau. Sie plauschte unaufhörlich und so oft das „Zügel" anhielt schaute sie zum Fenster heraus und wenn es wieder losfuhr, sagte sie jedesmal: „Daß wir auch grad in dem letzten Wagen sitzen müssen — — kein Mensch kommt zu uns herein — —" Nein es kam wirklich kein Mensch herein. „Das is Pech," meinte die Fahrtgenossin und lachte. „Ich fahre riesengern allein in einem Abteil," sagte Milly und sah tatsächlich mit Freude und Rührung in die Fichten und Tannen hinein, die ihre Häupter gradlinig in den schönen, blauen Himmel streckten. „Ich bin ein Herdentier und hab's am liebsten, wann's Kasters vollbesetzt is, bis zum letzten Platz. So ein Reisebekanntschaft nachher sortsetzen schad't nix, das heißt, wir zwei werden uns doch verstehen, ich mein, keine ewige Freundschaft. So ein, zwei Postkarten sich schreiben, nachdem man von einander geschieden ist. O ja, sowas erklär' ich für ganz vernünftig, bloß net verlieben — — das hatt' ich dummes Menschenkind auch einmal getan. Aber da gabs zu Haus einen Mordsspektakel, bis ich richtig er kennt hab', daß sowus die größte Dummheit is, die..man zuweg' bringen kann, wenn einer so aa paar Augen im Kopf sitzen hat und so ein' famosen Schnurrbart auf dec Oberlippen, wie er gehabt hat. Sehen Se: Sakrisch hat's mich mitgenommen. Aber seh'ns halt: Der Vater hat g'sagt: „Eher schieß' ich dich tot!" Und das Muttert? Ach das hat mit mir geslennt. Und dann hat mir's wieder die Höll' heiß gemacht und behaup't, so einer bringt sein Leben nie ins Geleise. Na und da war halt die Sach' die, er hat mir noch eine Schachtel Schoko ladenbonbons zu g'schickt, und als Gratis beilage eine besonders schöne Ros'. Ich hab' natürlich die Schokolad' in den Magen überführt, die Nos' is' vertrocknet und nächster hat die Lieb' dasselbe Geschick er wischt . . ." „Und nachher haben Sie Ihren Mann geheiratet?" „Meinen Mann? Das is' ein' besondere Ueberraschung, daß Sie mir da einen zu fallen lassen. Nein, den ich hab' haben wollen, das war ein Schlingel und seitdem mag ich von keinem mehr etwas wissen." Milly Grittberg entsann sich, daß die Reisegefährtin von einem „Schwiegermut- terl" gesprochen hatte. Komisch. Nun war sie gar nicht verheiratet und einen Bräuti- gam hatte sie auch nicht. In ihr schien alles zu grünen, zu leuchten, im Glanze fröhlicher Lebenslust. Sie lachte. Sie machte zu allem so treffende Randbemerkungen und plauderte mehr als natürlich, bekannte: „Mein Bruder hat eine Vernunsteh' ge- schlossen, genau so wie es der Vater zurecht- gesctzt und fein hat er sich rausgemacht. Ein Gütel mit ein Paar Dutzend Ostfrie sischen, die ein' Butter bringen, akkurat so wie die Schweinerl feine Karbonaden. Aber sonst is' der Josef ein Schaf, ein ausgemachtes Schaf. Trytz seinen g'sunden Menschenverstandes — — denken Sie mal Fräulein, er küßt seine junge Frau nit mal, weil's das Schwiegermutter! nit gern hat, wenn's sowas sieht ... Na ich hab stn Handumdrehen Freundschaft mit der alten Dame geschlossen, braucht doch nit zu er schrecken, daß mein' Schwiegermutter! auch so ein' Art haben wird . . . Meinetwegen mag der Josef sich mit Hochachtung nach der alten Dame richten Fräulein, ich will Sie nur verständigen das Schwie germutter! hat ein kolossales Geld, aber llipp und klar wäscht's dem Josef die Kappe, wenn er was ausgibt, das er nicht selber zu Recht verdient. In diesem Augenblick fuhr der Zug in eine Station ein. Die Sprecherin sprang auf. Wirklich, sie war eine brillante, reizen de Gestalt! Sie setzte sich den Klemmer auf und sah zum Wagenfenster hinaus und wandte sich lustig lachend zurück: „Da kommt einer ganz in Gedanken angehumpelt, so einer zwischen vierzig und siebzig, ich glaube er kommt wirklich zu uns . . „Ach ich hab' mich leider Wohl geirrl, er wird sicherlich zweiter Klasse fahren. Deswegen soll er aber leben gelt Fräulein?" Sie sah Milly gutmütig an und beugte sich wieder aus dem kleinen Fenster und schrie Plötzlich auf: „Richarde!, Richarde! . . . hier her! Da bin ich! Um Himmelswillen siehst mich denn gar net?" Milly starrte auf die Abteiltür und sah den Eintretenden neugierig an. Er grüßte nur nach links hinüber, da brauchte sie nicht zu danken. Sie sah zum Fenster hinaus und hörte: „Da — da setz' dich — wo willst du hin. Richardle? Du, Nichardle, das möcht' ich gern wissen." „Ich sage dir es aber nicht," erscholl die Männerstimme. „Das is doch gar nicht lieb von dir, Richarde! — du das is höchst merkwürdig. Glaubst, daß ich das hätte ahnen sollen —. Sei doch nit gleich zu Anfang böse, Richar- del — du lach' mal — aber gutmütig — Er wendete sich nach rechts, sah Milly höchst merkwürdig an, legte die Hände aus die Knie und schwieg. „Du — so gefällst mir gut —kam es von seinem Gegenüber. „Du bist doch der ungezogenste Racker! Denkst etwa nach über deine vielen Schulden?" Er starrte auf den