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i^S^^<>2S^ck^i>LÜ^<^L<>LL>LL>L->ÜL>L^Lck^rS>LL>Ü<>L Will I m kIIa Ec war genau ein Jahr alt. als er mit seiner Mutter nach Berlin zog. Sie hatte nie viel Worte gemacht. Sie war arbeitsam ordentlich und rechtschasfen. Er vergegen wärtigte sich die hagere Frau mit dem glat ten Scheitel und den etwas kurzsichtigen Augen, wie sie jeden Morgen vor seinem Bett stand, um ihn zu wecken, ihn bediente, für ihn sorgte, als er ein Schulknabe war und später als junger Mann. — — Sie gin gen beide früh gemeinsam aus dem Haus, er in seine Schule, später in sein Geschäft, und sie in eine Wäschefabrik, in der sie Zu schneiderin war. Mittags aß er bei Nach barn, so lange er die Schule besuchte. Spä ter machten sie gemeinsam englische Tisch zeit —. Niemals hatte die Not an ihre Türe ge pocht. — Seine Mutter hatte ihm sogar ein ganz kleines Vermögen hinterlassen. So bescheiden und wunschlos, wie sie war. — Im Winter dann und wann einen billigen Platz im Theater, im Sommer ein Garten- konzert. Ihr ganzer Ehrgeiz war, er möchte ein tüchtiger Kaufmann werden — sie sah darin die einzige Möglichkeit, zu Wohlstand zu gelangen. Sie hatte ihn fast erfüllt ge sehen. Und einen anderen Wunsch hatte sie kurz vor ihrem Tode ausgesprochen, als sie müde, mit eingesunkenen Schläfen aus dem Sofa lag: Er solle — wenn sie gestorben sei — eine Esche auf ihr Grab Pflanzen. Das hatte er getan. Jetzt fiel ihm plötzlich schwer auf die Seele, daß er sich nie um diesen Baum gekümmert hatte. Nur die Raten für den Gärtner, der das Grab in Ordnung hielt, hatte er gewissenhaft bezahlt. Wenn er ehrlich sein wollte: der Friedhof lag weit draußen — und wer verdirbt sich gerne sei nen Sonntag? — Aber eigentlich, wenn er nachdachte, lag alles, was für ihn den Begriff Heimat aus machte, unter diesem Baum. Seit die alte, einfache Frau tot war, hatte er kein rechtes Zuhause mehr. Wie er so schaukelnd dasaß, llang mitten in seine Gedanken hinein das Lied der Kurrendejungen: „Wo findet die Seele, die Heimat, die Ruh'?" Er trat ans Fenster und betrachtete die schwarzbemäntelte Schar, die sich unten im Hof ausgestellt hatte. Die Mutter seines Chefs ließ sich jede Woche von den Waisen knaben geistliche Volkslieder singen. Er hatte immer ein Achselzucken und ein Lächeln für diese Frömmelei — merkwürdig, heute sah ihn: der Ton des Liedes noch im Ohr, als er bereits in seinem möblierten Zimmer angelangt war. Er hatte zum erstenmale in seinem Leben sentimentale Anwandlun gen und versäumte seinen Kegelabend. Karl Wächterbach wohnte bei der Witwe eines Arztes, die ihm das Zimmer ihres Sohnes, der auf einer auswärtigen Univer- sität studierte, abgetreten hatte. Er bat sich bei ihr Tee und belegte Brötchen aus. Sie kam selbst, um sich zu erkundigen, ob er krank sei „Bewahre, nein — nur ein wenig ner vös." Dann fragte er, eigentlich ganz un vermittelt: „Wo liegt doch Ihre Heimat, Frau Doktor?" Ein Leuchten ging über das blasse Ge sicht: „Meine Heimat — liegt weit von hier — in einem schönen Tal — ich werde sie nur noch im Traum sehen — es sei denn, mein Sohn führte mich einmal dahin zu rück." — Sie ging. — Er fühlte, daß er eine schmerzende Stelle berührt hatte. Was war das für eine sonderbare Sache, eine Heimat verlieren! Und noch sonderbarer war es, sich nach einer Heimat sehnen. Als ihm am anderen Morgen Fräulein Window, die Korrespondentin, die Briefe zur Unterschrift vorlegte, fragte er:: „Fräu lein, wo sind Sie zu Hause?" „Ich? Zu Hause?" Ein ähnliches Leuchten, wie es über Frau Doktor Alten burgs Gesicht ging, strahlte ihn aus einem Paar schöner, grauer Augen an. Zum ersten male besah er sich das Mädchen genauer. Sie hatte reiches, dunkelblondes Haar, das ohne Künstelei frisiert war; bemerkenswert in ihrem Gesicht waren nur die Augen und der gut geschnittene Mund mit den festen, Weißen Zähnen. Ihre Kleidung war schlicht, und zum erstenmale fiel ihm auf, daß sie einen vornehmen Anstrich hatte, der dem Anzug der andern mangelte. „Ja, ich möchte gern etwas von Ihrer Heimat wissen." Karoline Windows Stimme klang ein wenig verschleiert, als sie sagte: „Ich bin aus der norddeutschen Tiefebene — zwischen Moor und Heide bin ich geboren, in einem einsamen Forsthause." Sie schilderte dann den Zauber des Flachlandes und seinen wei ten Himmel und seine dunklen Wälder und tiefen Seen und einsamen Höfe. „Nirgends geht dem Menschen sc der Begriff des Un endlichen auf wie dort." Herr Wächterbach bat: „Reden Sie wei- ter!" „Wenn ich wenigstens in meiner Heimat sterben könnte!" Nun standen wirklich Trä nen in ihren schönen Augen. „Warum denn sterben? Sie können dort noch manches Jahr glücklich leben." „Ja, wenn ich ein Mann wäre, ich bin nur eine Waise, die froh ist, wenn sie ihr tägliches Leben fristet." „Das ist die Not der Zeit — so viel hei matlose Leute." Er sagte die Worte mehr für sich. Karoline Window sagte: „Eine Heimat! Einerlei, wo sie liegt, in der Ebene oder zwischen hohen Bergen im Tal an einem Fluß oder am Meere, aber der Mensch muh wissen, wohin er gehört, er muß seinen Stamm kennen. Die Heimat muß immer sein Ziel sein, und sein Glück ist groß oder gering, je nachdem, ob er diesem Ziel nahe oder fern ist." Karl Wächterbach meinte nachdenklich: „Ihre Worte klingen ähnlich tue das Lied der Kurrendejungen, und doch anders. Je nes spricht von einer Heimat im Lichte allein — aber wir leben doch aus dieser Welt!" „Ich" __ sie zögerte, Karl Wächterbach nickte — sie möge getrost weiterreden — „ich hörte auch dies Lied, das brachte mich dazu, nach dem Himmel und seinen Sternen zu blicken. Ich wohne sehr hoch in einer Mansarde, da lernte ich die Sterne lieben." Karl Wächterbach lächelte mitleidig. Die War noch sentimentaler als er. Er reichte Karoline Window das Buch mit den Briefen hin — es war wohl Zeit, diese -Unterhal- tung zu beenden. Es war kein Zufall, daß Karl Wächter- bach an einem der nächsten Abende mit Ka roline Window vor der Tür des Geschäfts hauses zusammentraf, in dem sie beide seit Jahren arbeiteten, ohne sich jemals nahege- treten zu sein. Heute grüßte er nicht nur, sondern fragte sie nach ihrem Ergehen. Etwas zog ihn zu dem hübschen, vor- nehmen Mädchen. Da es sich herausstellte, das sie ein und denselben Weg hatten, blie ben sie nebeneinander. Das Wetter war still und kalt, der Himmel ganz klar. Die Sterne funkelten. Karoline wies ihren Begleiter darauf hin. „Der große Stern dort ist der Sirius.".. „Woher wissen Sie seinen Namen?" „Ich besitze eine Himmelskarte." Sie waren auf einem Schmuckplatz an gelangt und blieben einen Augenblick stehen. Der Mond stand hinter seinen Schleierwol- ken, und es war, als ob immer mehr Sterne aufblitzten — Tausende — und keiner störte des anderen Bahn. „Wird Ihnen nicht stille ums Herz, wenn Sie hinaufsehen?" „Ich sah bis jetzt nie hinauf," gestand er ehrlich. „Die Sterne brachten eine leuchtende Spur in mein Leben — ich folgte ihr, ohne nachzudenken, wohin sie führt — ich fühle mich aber einbegriffen in die große Welt ordnung." Karl Wächterbach meinte unmutig: „Daz klingt auch wieder ähnlich wie der Gesang der Kurrende." Er mußte sich jetzt verabschieden, denn sein Weg bog nach links ab. Obgleich Karl Wächterbach nicht „Auf Wiedersehen!" ge sagt hatte, trafen sie sich zuweilen auf dem Nachhausewege, und wenn Karoline Win dow die Briefe zur Unterschrift hineintrug, verwickelten sich die beiden jedesmal in eine Unterredung, die weitab vom kaufmänni schen Betrieb lag. Einmal erzählte Karl Wächterbach auch von seiner Mutter und dem Baum auf ihrem Grabe. „Oh — Sie nennen einen Baum ihr Eigentum! Einen Baum, auch wenn er nur auf einem Grabe steht — wie glücklich muß das machen. Ist er gerade und gut ge wachsen ?" Karl gestand, daß er ihn nie gesehen habe. „Das ist ja unglaublich! Hätte ich einen Baum — es wäre ähnlich wie mit den Sternen. Er würde mich fest und froh machen können." „Liebes Fräulein Window," — sagte Karl Wächterbach stockend. Karoline sah ihn mit ihren grauen Augen ehrlich entrüstet an: „Es stimmt gar nicht zu Ihnen — Sie gehen nicht an das Grab Ihrer Mutter und lauschen nicht, was Ihnen der Baum verkündet." „Begreifen Sie, wie es um einen heimat losen Menschen bestellt ist? Er kennt nur den Weg — gar nicht ein Ziel, das an sei nem Ausgangspunkt liegt." „Doch," sagte Karoline, „ich begreife, wie arm und allein Sie sind." „Also hast du mich lieb, du gutes Mäd chen?" Er stellte diese Frage leise und zaghaft und griff nach ihrer Hand, die sie ihm ließ. Nun hatten sie beide eine Heimat ge funden. — r>eimkeki». Der dampfendeWclld und die schwebendeNacht, Das Raunen im röhrigen Ried, Die b . u i den Nebel im moorigen Schacht, Drin zitternd ein Irrlicht zieht: So lieb' ich dich, mein verlorenes Tal, So grüßt dich mein zuckender Mund, Wo die Mutter schläft; am steinernen Mal, Küss' ich den erdigen Grund. Reinhold Braun»