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Well iw K > > ö. „tziäonie . Ein Franenschicksal. R o m an v v n W. H n r d ^^^^ie sind gewiß fahr beliebt, Herr Engel," äußerte Johannes zu sei- ! nein Vorgesetzten, als sie sieh zum V rÄ/ Kontor zurückbegaben, „alle haben Sie augenscheinlich gern." „Mag sein. Jedenfalls kommt der am besten durch die Welt, der den Leuten ein freundliches Gesicht zeigt. Merken Sie sich auch das, mein Lieber. Ein kleiner harm loser Scherz, ein Witzchen am passenden Ort, Las liegt mir nun einmal im Blut. „Er heißt Vogel und hat einen Vogel," denken die Leute, und ein wenig Recht haben sie, I was?" „O," meinte Johannes, „ich finde es j sehr pläsierlich, mit Ihnen zu plaudern. Sie sind unverheiratet?" „Passionierter Junggeselle," erwiderte der kleine Mann. „Sie denken, ich hätte einen vorzüglichen Familienvater abgege ben? Kann fein. Denke mir das auch höchst gemütlich und Poetisch: holde liebende Gattin, zärtliches tets-ü-tots und enün esul nach erfüllter Tagespflicht, Schlummerrolle, Fidibus. Von Zeit zu Zeit auch reizende Schmollmiene, zürnendes ckos-ä-äos, dann Versöhnungsszene und süßer Driadenschluß. Aber bedenken Sie die Kehrseite: prosaische HauZstandssorgen, Waschfest, Toilette, Badereise und ein Dutzend kleiner Vögel. Kamps um den Hausschlüssel, Ueberschret- tung der Polizeistunde, Gardinenpredigt. Heiraten ist güt, steht schon in der Bibel, aber nicht heiraten ist besser. Ich habe das bessere Teil erwählt. Uebrigens will ich mich Ihnen in diesem Punkte nicht als Vorbild aufdrängen, Verehrtester. Ich ver stehe und schätze die Gefühle der Jugend." „Aber Sie sind doch selber noch jung!" „Sehr schmeichelhaft! Gut konserviert, mein Bester, abgesehen vom Dach des Hau fes, das sehr reparaturbedürftig erscheint." Er lüftete seinen Hut und präsentierte sei nen ziemlich gelichteten Haarwuchs. „Na, das macht nichts, wenn's Herz nur gut ist. Treten Sie ein, wir sind wieder zur Stelle." Unter den neuen Kollegen war keiner, der Johannes so gut gefiel wie Herr Vogel. Diejenigen von ihnen, mit denen er in nä here Berührung kam, zeigten sich, sobald sie vom Kontordienst frei waren, als ziemlich oberflächliche blasierte junge Leute, deren Gespräche sich um hübsche Tänzerinnen und Varieteegrößen drehte. Johannes schwerfäl lige Art Paßte nicht zu ihnen. Er schloß sich ihnen daher auch nicht an, und sie wie derum ließen ihn laufen, sich achselzuckend über sein absonderliches Wesen aushaltend. „Denken Sie sich," äußerte einer von ihnen, „was dem Speerseld heute Morgen aus der Tasche rutschte. Ich habe es sehr deutlich gesehen, obgleich er es verbergen wollte. Es war ein Band Homer, dazu noch in griechischer Sprache." Man lachte, machte versteckte und offene Anspielungen und nannte Johannes seit der Zeit nicht anders als den Professor. Die Folge war, daß Johannes sich noch ängstlicher in sich zurückzog und ausschließ lich mit Vogel verkehrte. Dessen sich immer gleichbleibeüder goldener Humor, sein gut mütiger ehrlicher Sinn war ihm eine Stütze s und Erquickung, wenn die bösen Stunden über ihn kamen, in denen ihm seine Tätig keit schal und abstoßend vorkam und sein Dasein ihm vergällt war. Die Zeiten des Tages, aus die Johan nes sich allein wirklich freute, Waren die Plauderstunden mit Sidonie am Abend. Wenn der Vater gegangen war, wußte sie durch ihr hausmütterliches Walten einen solchen Zauber von Gemütlichkeit um den Schein der kleinen Lampe zu verbreiten, die zwischen ihnen beiden auf Johannes Ar beitstische stand, daß es ihn heimatlich an- mutete. Der kleinen Cousine gegenüber schüttete er rückhaltlos sein ganzes Herz aus. Zuerst gab sie ihm auf seine Klagen die Antwort, er werde sich schon an die neue Arbeit gewöhnen. Aber aller Anfang sei schwer und die Lernzeit unerquicklich. Er nickte nur traurig mit dem Kopfe und nahm seine Bücher zur Hand, seine gelieb ten Bücher, die aus seines Vaters Nachlaß stammten. Als die Mutter ihm den Reife koffer packte, hatte er gebettelt und gefleht, sie ihm mitzugeben; so habe er doch einen Trost daran. Mit brennenden Augen und glühenden ! Wangen saß er davor, und wo ihm der In halt am köstlichsten schien oder dem Ver ständnis seiner Zuhörerin am angemessen sten, da erhob er feine Stimme und las ihr vor' von Roms Größe und Griechenlands Kunstschätzen, und Sidonie saß still dabei, ließ die Hände ab von ihrer Stickerei und saltete sie andächtig. „Das ist schön, das ist wunderbar!" sagte sie tief ausatmend, wenn er geendet hatte. Auf einein kleinen Bücherregal, das Sidonie auf dem Boden zwischen Gerüm pel entdeckt hatte, standen in Reih und Glied aufmarschiert Johannes Lieblinge, Homer und Virgil, Horaz und Sophokles. In Augenblicken der Begeisterung vergaß er wohl, daß Sidonie nur mit schwachem Er folg eine höhere Töchterschule besucht hatte, und deklamierte ihr griechische Hexameter vor oder las mit Schwung eine horazischc Ode. Lächelnd hörte sie ihm zu und freute sich über seinen Eifer, aber zugleich kam ihr ein Ahnen, wie viel es diesem jungen Mann, dessen Neigung und Fähigkeit so offen und klar zu Tage lag, gekostet haben müsse, dem Studium zu entsagen. Wenn er spar Abends seine Bücher end lich zuklappte, geschah es mit einem tiefen Seufzer. Der graue Alltag mit feinen un bittlichen Forderungen riß ihn aus seinem Paradiese. Tonlos und müde wünschte er dem Mädchen gute Nacht und stieg hinauf in sein Kämmerlein. Je mehr Sidonie mit ihm verkehrte und seine Art lernte, desto tiefer ward ihr Mit leid mit ihm. „Johannes," begann sie eines Abends, als er wieder an der vollen Tafel des Gei stes geschwelgt hatte und mit verwandeltem Wesen ihr gegenüber saß, „hättest du es ! denn gar nicht möglich machen können, doch zu studieren? Schon mancher Mittel lose hat sich durch Stipendien und mit Stundengeben durchgeschlagen." Die Tränen standen ihr in den Augen. Sie legte ihre warme Hand auf die kalten Finger ihres Vetters. „Wer verschafft mir ein Stipendium?" entgegnete er hart. „Aber auch ohne das — vielleicht hätte ich mich auch durchge schlagen und durchgehungert, wer weiß? Kraft genug fühle ich in mir, alles zu er tragen, wenn ich mein Ziel nur erreiche. Aber ich darf nicht, um der Mutter willen. Dein Vater zieht die Hand von ihr ab, wenn ich ihm nicht gehorche. Ich hab' mein Hoffen begraben " : „Ach, wenn dir zu helfen wäre! Du tust mir so leid. Du paßt so gar nicht in unsern Stand. Ich lerne es immer besser begreifen. Seitdem ich dich kenne, halte ich es auch nicht mehr aus bei meiner Schreib maschine. O Johannes, es ist hart, nicht zu können, wie man möchte!" Er sah sie warm an und faßte ihre schlanke Hand fester. „Du verstehst mich, Sidonie. Mir ist zu Mute, als sei ich in einen engen Kerker eingeschlossen, aus dem es kein Entkommen gibt. Und das soll mein ganzes Leben lang so sortgehen? Ich kann es nicht ertragen; ich gehe dabei zugrunde!" Sein blonder Kops sank aus den Tisch und sein Arm breitete sich darum. Ein heftiges Schluchzen drang ihm aus tiefster Brust hervor. Von da ab grübelte Sidonie darüber nach, ob ihm nicht zu helfen sei. Der Vater war unerbittlich, das wußte sie. Vielleicht konnte er auch wirklich nicht aushelfen. Er sprach mit ihr niemals über geschäftliche Dinge. Wie viel er besaß, ver mochte sie nicht anzugeben. Zuweilen machte er Börsengeschäfte, ob immer mit Glück, war ihr zweifelhaft. Jedenfalls war er mitunter mürrisch und ungenießbar, ossenbar hatte er dann Verluste gehabt. Ein andermal trium phierte er wieder und war rein aus dem Häuschen, Wenns ihm gelungen war. Das ging auf und ab wie das Steigen und Fal len eines Barometers bei gutem und schlech tem Wetter. In der letzten Zeit war Vogel öfter ge kommen und hatte auf ein Stündchen an der Abendunterhaltung teilgenommen. Er würzte das Gespräch in seiner lebhaften Art. „Für einen unverbesserlichen Jungge sellen," meinte er, „ist es recht heilsam, we nigstens einen Abend in der Woche sittsam zu sein und bei der Lampe traulichem Schimmer von den Freuden des Familien lebens zu nippen." „Sind sie denn sonst so unsolide, Herr Vogel?" fragte Sidonie neckisch. „Ich habe meine schwachen Seiten, meine Verehrteste. Ein Kreis heiterer Freunde, ein gutes Glas Wein, eine wohlbesetzte Ta fel, Hasenpastete, Austern, auch ein nettes Lustspiel oder eine schwungvolle Operette. Oft nehme ich mir vor, in meinen vier Wänden zu bleiben und ein gutes Buch zu lesen wie unser vortrefflicher Freund hier, aber sobald die Traube winkt, — ich wohne nämlich leider der goldenen Traube gegen über — ist's vorbei mit den guten Vor sätzen. Halb zog sie ihn, halb sank er hin und ward nicht mehr gesehn." Johannes hatte den Kopf in die Hand gestützt und blickte träumend vor sich hin. „Unser Freund Speerfeld," fuhr Vogel fort, „ist ja ein wahres Muster von Brav heit und Solidität. Der Mentor könnte hier in der Tat von seinem Schüler lernen. Rätselhaft, mein Bester, wie Sie das fertig bringen. Als ich jung war, war ich gela den mit Elektrizität von oben bis unten.