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Sensation der Ausstellung. Auch die Schamhaftigkeit ist in gewissem Maße eine Modesache; war noch vor einem Jahre in Dresden allgemeine Entrüstung erregt hätte ge hört Heuer zum guten Ton; war behördlich erlaubt wird, gilt als anständig. Kleider machen Leute! Wenn man ihnen die Kleider auSzteht, find eS dann oft keine Leute mehr! Diese Er fahrung macht man im Wellenbade bei jedem Besuch aufs neue. Besonders mit dem starken, aber häßlichen Ge- schlecht. Schön gewachsene Männer sind nicht gerade eine Spezialität unseres engeren Vaterlandes Sachsen, wo an geblich die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen Zum Ersätze dafür sind bei uns solche Persönlichkeiten und Möglichkeiten ausgeschlossen, wie sie z. B. auf dem Lido von Venedig zu beobachten sind. Drei geradezu klassisch gebaute Männer, die herrlichen Glieder in schwarzes Seidentrikot gepreßt, trieben sich stundenlang in den hell blauen, flachen, leise atmenden Wellen und auf vem goldenen Sande vor den Badehütten herum, bis endlich einer der Badediener gefragt wurde: „Sagen Sie, wer sind diese bildschönen Kavaliere?* „Kavaliere", sagte er, und kniff das rechte Auge ein — „schöne Kavaliere" (das mundartige venetianische Wort ist nicht zu übersetzen!) —, das ist Demimonde für die englischen alten Jungfern! Ein Beitrag zum Thema vom gefährlichen Alter! Das ewig Weibliche, das die Undos« beehrt, ließe sich einteilen in solche, die baden und sich abkühlen, und solche, die gesehen sein und andere erhitzen wollen. Die erstere Art trägt eine Art Wafserreformtracht, die selbst im nassen Zustande völlig neutral wirkt; das dritte Ge schlecht! Was sich sehen lassen kann und will, erscheint meistens im dunklen Trikot mit einem feschen, bunten Turban auf dem Haar. Man läßt sich ein paarmal von der Welle hochheben, wobei sich viel Kühnheit, Gewandt heit und Anmut entwickelt, und nimmt dann am Ufer Platz, um bei einer Zigarette nach allen Regeln der Kunst den Wafserflirt zu betreiben. Man lernt sich da natür licherweise viel rascher und genauer kennen, als etwa beim Tennis oder bet einer Landpartie, da jeder gleich weiß, was er vor sich hat. Vorspiegelung falscher Tatsachen gibts nicht mehr! Schlank sein, lautet bekanntlich die Forderung des Tages! Wer hier lange genug beobachtet, lernt an Zauberei glauben. Perlicke, Prrlucke! Manche Damen lassen in der Kleidung die halbe Figur verschwinden, die noch eben im Badegewande gewiß und wahrhaftig da gewesen war. Wtfs-n Sie, welche von allen weiblichen Schönheiten auch hier am seltensten zu sehen ist? Ein wohlgeformter, unverdorbener, glatter, weißer Fuß! Manche vollkommene Einzelheit entzückt nicht selten das Auge, und selbst Versuche zum ganz lebenden Kunstwerk tauchen zuweilen auf, aber im allgemeinen ist doch die Kleidung ein wohltuender Schutz, nicht bloß gegen Frost und Hitzel Lhronik. Beim Einsturz eine- Baugerüstes 5 Maurer getötet. In einer Textilfabrik in Roztok, wo Aus besserungen nach einem Brande vorgenommen wurden, stürzte ein Baugerüst ein und begrub 10 Maurer unter sich. Fünf Maurer wurden tot, drei schwer und zwei leichter verletzt zutage gefördert. Blitzschlag in ein Bethaus. Aus Radom (Ruß land) wird gemeldet: Während eines Gewitters schlug der Blitz im Städtchen Zachichost in ein überfülltes isra elitisches Bethaus, tötete zwei und betäubte acht der Ver sammelten Walddraud i» Vossensatz. Ein Waldbrand bei Gofsensoß hat am Freitag und in der darauffolgenden Nacht durch einen heftigen Sturmwind eine ungeheure Ausdehnung genommen, so daß ein gleiche« Unglück wie bei Franzenfeste zu befürchten ist. DaS Feuer bedroht die Ortschaften Pflersch und Schellenberg. Die vernichteten Waldbestände werden gegenwärtig auf 250 Joch geschätzt Mit Extrazügen traf militärische Hilfe ein, doch sind ! Rettungsversuche unmöglich, weil sich das Feuer in einem gefährlichen und unzugänglichen Terrain ausbreitet. Goffen- saß selbst ist nicht bedroht. Die meiste Gefahr besteht für die vorüberfahrenden Eisenbahnzüge durch Steinschlag, weil Steinlawinen fast ununterbrochen aus dem brennenden Wald herniedergehen. Verheerende Schadenfeuer. In der Nacht zu« Sonnabend brannten in Reichmannsdorf bei Saalfeld fünf Wohnhäuser nieder. Die Ursache der Feuers ist unbekannt. — In derselben Nacht wütete in Augustwalde bei Naugard ein Großfeuer. Insgesamt wurden 32 Haupt- und Nebengebäude mit dem Erntevorräten vernichtet. Der erste Zeituugstrausport mittels Aera» plaus ist am Sonnabend morgen durchgeführt worden. Früh 4.28 Uhr stieg der Flieger Hoffmann auf einem Harlam-Decker vom Flugplatz Johannisthal auf. In seiner Begleitung befand sich Leutnant Steffen von der Unteroffizierschule in Potsdam, der sich als getreuer Führer des Piloten Büchner bei dem Wettbewerb um den B. Z.-PreiS der Lüfte bekannt gemacht hat. Das Flug, zeug, dar ein Paket mit Exemplaren der iu den ersten Morgenstunden fertiggestellten neuesten Nummern der „Berliner Morgenpost" trug, landete um 5.08 Uhr auf dem Exerzierplätze in Frankfurt (Oder), wo der Pilot die Zeitungen unversehrt dem Frankfurter Filialleiter des Verlags Ullstein L Co. aushändigte. Die Zeitungen waren auf dem Luftwege um etwa eine Stunde früher in Frank furt als der Eisenbahnzug, mit dem sie regelmäßig nach Frankfurt expediert werden. Attirft, Wissenschaft und Literat«?. »»chem-Lpielpl«« »er Dresdner Theiler. Kgl. Opernhaus: Geschloffen. Kgl. Schauspielhaus: DieuStag Carmen, Mitt woch und Sonnabend Boccaccio, Donnerstag Der Fünf- ubrtee, Freitag Orpheus in der Unterwelt, Sonntag Der Evangelimaun, Montag Hoffmanns Erzählungen. Residrnztheater: Dienstag, Donnerstag, Sonn abend und Sonntag Polnische Wirtschaft, Mittwoch Der Herrgottschnitzer von Ammergau, Freitag Bummelstudente«, Montag Taifun. Anfang abend» 8 Uhr. Zentral. Theater: Täglich abends 8 Uhr Der Meisterdieb, Sonntag nachmittag 3'/, Uhr Hippolytr'S Abenteuer. Viktoria.Salo«: Geschloffen. Rätsel-Ecke. Vexierbild. Ach, da kommt ja die jung« Frau Doktor! Siebt die aber einfach auS! DiamemtrAtfel. In die Felder neben stehender Figur find die Buchstaben » 88, C, VOVV, LL88 8, o, n, im, 8, dH« rmnnn, 8888«, 88, v derart einzutragen, daß die mittelste wage- rechte Reihe gleichlautend mit der mittelste« senk rechten ist und die wage- rechte« Reihe« (ohne die , obere und untere Spitze) Wörter von folgender Bedeutung ergebe«: 1. technisches Hilfsmittel; 2. Frucht; 3. bekannte Stadt in Persien; 4. bekannter Badeort; 5. Ansicht; 6. innerer Körperteil; 7. altbiblischer Name. LSsuxgex i« nächster Nummer. Auflösungen der Rätsel aus voriger Nummer. Homogramm: ra 8 § 8 8 dl 2 Ick I dl dl 2 X Wortspiel: a. Dorn, Kelle, HauS, Leier, Mai«, Weste, Robe, Eulen, Stirn. — d. Horn, Kmle, Haws, Leder, Mals, Wette, Rwbe, Eugen, Star«. Hwwdstckgo. Scherzrätsel: Bei«, Berit« (Be — rl — in). Marktbericht. Meißen, am 19. August. Butter, 1 Kilo 2,70 bi» 2,80 Mk.; Gänse, 1 Pfund 80 Pfg.; Hase«, StückMk.; Eier, 1 Stück 8 Pfg. Getreidepreise: geringe Qualität mittlere Qualität gute Qualität niedrigst, höchst, niedrigst, höchst, niedrigst, höchst. Weizen — — — — 19,30 19,70 Roggen alter — — — — — — Roggen neuer — — — — 16,90 17,30 Gerste — — — — — — Hafer alt — — 19,00 19 20 19,30 19,60 Hafer neu - - 17,00 17,30 17,40 17,70 Meitzner Ferkelmarkt Wege« Se«che«gefahr ««---falle». Nossener Produktenbörse am 18. August 1911. -170, 175, per . 193, -167, 196, 170, 16,60 13,60 9- 8,25 7- 6,40 7,5- 6,60 8,70 9,10 50 -,- 50 —50 14,25 50 13,00 - SS—,— 8516,30 8013,30 80—,— 70-,- 70-,- 50 8,40 - 17,50 . 16,- - 13,75 - 12,50 Heu, alt Heu, neu Schüttstroh Gebundstroh Kartoffeln alt - neu - um —/— . Roggen neu-/- - . , -/— . Gerste Brau. - - Futter- - Hafer neu - - alt » Futtermehl l 100 . ll Welzenkleie grob - Maiskörner grob - Maisschrot - 1000 1-8 Mk. bis Mk. l-8 Mk.biS Mk. Weizen um — « B —,— - , 50 , - —50 —- 9- 10,- 50 Ktto von Mk. —— btS Mk. 50 s O B 4,00 4^50 50 B B B 2,50 B » 3,00 50 B B 2- B - 2,50 50 « O » I —— 50 » B B 4,80 B B 5,- Um ein Erde. Novelle von Karl Meisner. 22f (Nachdruck verboten.) Ungeheuer war die Aufregung in der ganzen Gegend, als bekannt wurde, daß die Staatsanwaltschaft gegen den Schloß- und Gutsbesitzer Otto Wolny sowie gegen den Notar Flebbe Anklage erhob wegen Urkunden- beziehungs weise Testamentsfälschung. Als der Tag der Verhandlung, der ungewöhnlich schnell anberaumt wurde, herankam, drängten sich die neugierigen Zuhörer in solcher Menge zu dem Sensationsprozeß, daß nicht alle zugelassen werden konnten. Im geräumigen Verhandlungssaal saß Balthasar Dittert, völlig verändert, Haupthaar und Bart gestutzt, in mordernem Anzug, neben dem Staatsanwalt. Auf der „Armensünderbank" mußten gegen ihren Willen Wolny und Flebbe Platz nehmen. Auf dem schwarz behangenen, mit einem Kruzifix gezierten Richtertisch lag das Testament. Nachdem die Formalitäten betreffs der Feststellung der Personalien erledigt waren, erhob sich der Staatsanwalt. Er verlaß kurz und in knappen Worten die Anklage auf Testamentsfälschung mit folgender Begründung: „Der Wortlaut des echten, unverfälschten Testaments war der: Ich vermache Schloß und Gut Liechtenderg meinem Neffen Balthasar Dittert, den Rest meinen Neffen Otto Wolny. Diese Bestimmung ist, unter kluger Berücksichtigung der Sonderlichkeiten der Erblasserin, welche hin und wieder einen unverkennbaren Zug zur Ironie zeigte, obwohl ich damit in keiner Weise dem durchaus ehrenfesten Charakter der Verstorbenen etwas nachsagen will, — diese Bestimmung ist, behaupte ich, durch nachträgliche Hinzufügung des Wortes „Alt" gefälscht und in das Gegenteil verkehrt wor den. Diesem Betrug kam der Umstand zu statten, daß die bekannte Ruine Alt-Liechtenberg tatsächlich noch amtlich als „Gut" geführt wird, obgleich nur ein kleines Stückchen Wald noch zu ihr gehört, wie amtlich festgestellt wurde. Diese Testamentsfälschung kann einzig und allein von den beiden Angeklagten gemeinschaftlich oder von einen von ihnen ins Werk gesetzt sein. Ein Dritter kommt durchaus nicht in Betracht. Notar Flebbe war der, welcher das Testament niederschrieb, beurkundete, aufbewahrte und auch vollstreckte. Ich stelle daher an den Notar Flebbe die Frage, ob er sich schuldig bekennt oder sonst Mitteilung machen will, wie die Fälschung entstanden ist." Der Gefragte erklärte kurz, er sei sich keiner Fälschung bewußt, das Testament sei wörtlich so, wie es vorliege, im Original abgefaßt. Wolny erklärte hohnvoll, als auch die Frage an ihn gestellt wurde, daß die Echtheit des Testaments bereits von zwei Instanzen ausdrücklich anerkannt sei. Er habe daher keine Veranlassung, auf solche aus der Luft gegriffenen, un haltbaren Anschuldigungen sich weiter zu verteidigen. Der Staatsanwalt erläuterte nun eingehend den Rich tern, daß vor dem Wort „Liechtenderg" zufällig ein kleiner Raum freigeblieben sei, voraussichtlich, weil der Schreiber den Schnörkel an dem L zuerst größer machen wollte. Diesen freien Raum habe man benutzt, um später das Wörtchen „Alt" noch einzufügen. Wolny erklärte hierzu, er könne sich beruhigt auf das Gutachten jedes Sachverständigen berufen, der bestätigen müsse, daß das Wort „Alt" von derselben Hand und mit derselben Tinte geschrieben sei. „Selbst wenn es kleiner oder enger geschrieben ist wie die übrige Schrift", schloß er, „so liegt darin auch noch nicht die Spur eines Beweises." „Ich finde es sonderbar," antwortete der Staatsanwalt, „daß der Angeklagte selbst darauf aufmerksam macht, daß das eingeschobene Wort enger geschrieben ist. Dieser Um stand ist allerdings, wie aus einem Gutachten eines Sach verständigen hervorgeht, auffallend, ^vcnn auch nur in geringem Mabe". Wolny biß sich ärgerlich auf die Lippen. Flebbe stierte teilnahmslos auf den Boden, als ginge ihn die ganze Verhandlung überhaupt nichts an. „Die Staatsanwaltschaft", fuhr der öffentliche Ankläger fort, hat, selbst wenn sonst kein klarer Beweis sich «* bringen ließe, trotzdem ein gewichtiges, unumstößliches Be weismittel in der Hand, dessen Echtheit unbestreitbar ist." Wolny stand auf und schaute gespannt «ul den Sprecher. „Dieses Beweismittel ist dieses schwär, gebunden« Buch hier, das den geschriebenen Titel führt: „Tagebuch der Schloß- und Gutsbesitzerin »u Liechtenderg, Dorothea Dittert. Anno 1824. In diesem Jahre ist es begonnen und von der Verfasserin bis kurz vor ihrem Tode geführt worden." „Ich bestreite die Richtigkeit dieser Angabe", schrie da Wolny laut, kirschrot vor Wut. „Alle hinterlassenen Papiere meiner Tante haben Flebbe und ich genau durch gesehen, ein solches Tagebuch war nicht darunter. Wie kommt aber ein solches Buch, wenn eS den Angaben ent spricht, in fremde Hände?" „Daß Sie vorsichtshalber alle hinterlassenen Papiere durchgesehen haben", entgegnete der Staatsanwalt, „glaube ich Ihnen ausnahmsweise recht gerne. Aber Sie können doch nach dem Wege fragen, auf welchem dieses entscheidende Schriftstück in die Hände des Gerichts gelangt ist. Ge richtsdiener holen Sie die Zeugin Luy." Binchen betrat den Gerichtssaal, bleich, aber aufrechten Ganges. Ruhig schaute sie die Richter an. Wolny starrte sie an, als ob sie aus dem Grabe gestiegen sei, selbst Flebbe hob den Kopf, den er in dumpfem Hinbrüten gesenkt hatte. (Fortsetzung folgt.)