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Sie, daß ich in genau einer Stunde empfan gen werde. Ich bin um ein Uhr wieder h;cr." Sternfeld war sehr ungehalten darüber, daß man ihn weckte, und als er hörte, daß Berner ihn dringend zu sprechen wünsche, richtete sein Unmut sich gegen diesen. Was fiel dem Mann nur ein! Der wurde jetzt wohl zudringlich und anmaßend! Man hatte ihn in der „Gesellschaft" geduldet, seine teilweise recht albernen Späße ertragen und ihn sogar beim Tanz mit Magda zusammen gesehen. Mehr konnte er wahrhaftig nicht verlangen!" Er saß noch beim Frühstück, als der Wa gen des Bankiers schon wieder über den Hof donnerte. Entrüstet rief er dem Diener zu, Berner in das Empfangszimmer zu führen und ihn zu ersuchen, nicht ungeduldig zu werden. (Fortsetzung folgt.) Im 8eedaä. Skizze von Wolfgang Kemter. s war ein herrlicher Augnstmurgcn, Helber am Strande u/H des Nordseebades M. den ersten Spaziergang machte. Am Abend — s zuvor ivar er augekommen. Noch waren die Anlagen und Wege menschenleer. Die fashionablen Badegäste waren noch nicht zu sehen und das eigentliche, inter nationale Kurleben war noch nicht erwacht. Eine erfrischende Kühle kam vom Meere herein, auf dem einige Boote schwam men und in der Ferne die weißen Segel ver schiedener Jachten sichtbar waren. Dr. Helber schritt immer weiter dem Strande entlang bis er die winzigen Häus chen eines Fischdorfes vor sich auftauchen sah. Nun begegnete er dem ersten Menschen auf der langen Strecke, einem hochgewachsenen hühnenhaften Manne. Stumm schritt dieser an ihm vorüber und verfolgte mit wcitaus- holenden Schritten den Weg nach dem Bad. Die Erscheinung des Fremden war im merhin darnach, daß Dr. Helber sich unwill kürlich Wendete und demselben nachsah, zu gleich aber in seiner Erinnerung suchte, wo er ihn schon gesehen hätte. Begegnet war er ihm irgendwo. Aber wo? Dr. Helbers Gedächtnis versagte. Es mochte lange her sein. Das Gesicht mit der Adlernase und den scharfen, blitzenden Augen war ihm bekannt, aber aus näheres konnte er sich nicht besinnen. Langsam kehrte ex nach M. zu rück. Schon in einiger Entfernung klangen ihm die Weisen der Kurkapelle entgegen und, als er das Bad erreicht hatte, wogte eine bunte Menge in den Promenaden auf und ab. Nirgends, auch den ganzen Tag über, sah Dr. Helber den Fremden. Am folgenden Morgen ging Dr. Helber um dieselbe frühe Stunde wieder nach dem Fischerdorfe. Kaum hatte er das Bad ver lassen, sah er in größerer Entfernung den Fremden von gestern vor sich! Einmal blieb derselbe stehen, uni, wie Dr. Helber be merken konnte, sein Pfeifchen änzuzünden. Dann schritt er wieder weiter. Als Dr. Hel ber an diese Stelle kam, sah er am Boden einen Gegenstand blitzen. Er bückte sich da nach und fand eine silberne Zündholzschach tel, die dem Fremden entfallen sein mußte. Mit wenigen Schritten hatte er diesen ein geholt und übergab ihm sein Eigentum. Der Fremde bedankte sich und ging an Dr. Hel bers Seite dem Fischerdörfchen zu. Dabei ' nun fragte der Doktor, ob sie sich nicht schon irgendwo begegnet wären. Der Fremde warf einen kurzen prüfenden Blick auf sei nen Begleiter, meinte dann, er könne sich nicht erinnern. Im weiteren Gespräche kamen die beiden auf das Seebadleben zu sprechen. Dr. Hel ber erzählte, daß er sich dieses vielgerühmte internationale Leben einmal ansehen wollte und, da ihm Heuer nur wenige Tage Ur laub zur Verfügung stünden, wäre er an die Nordsee gereist, anstatt in die Alpen, wo er als leidenschaftlicher Bergsteiger sonst jede Minute seiner alljährlichen Ferien ver brächte. Bei den Worten Bergsteiger und Alpen ging eine merkwürdige Veränderung mit dem Fremden vor. Eine dunkle Blutwelle ergoß sich in sein Gesicht, aus seinen Augen brach ein Leuchten und unter einem tiefen Atemzuge hob sich die mächtige Brust, dann kamen ganz unvermittelt seine Worte: „Ja die Berge, wer kann sie vergessen, wer nur einmal oben war auf den schnee- und eisgekrönten Firnen, wer nur einmal die Herrlichkeit, den herben jungfräulichen Reiz, die unendliche Erhabenheit dieser schweigsamen Hochgebirgsnatur geschaut. Der Zauber packt und man. wird ihn nicht mehr los für sein ganzes Leben Eine unsichtbare Gewalt zieht uns hinauf aus dem lärmenden, ruhelosen Alltag, hinauf in die heilige Stille der Berge." Blitzartig war Dr. Helber eine Erinne rung gekommen. Plötzlich wußte er. daß er seinen Begleiter in den Dolomiten gese hen hatte. Freilich in größerer Gesellschaft. Der Fremde aber fuhr fort: „Auch ich wanderte Jahr für Jahr seit den Studentenjahren in die Alpen, wochen lang vor Anbruch der Ferien fieberte ich vor Sehnsucht nach den Bergen und immer kehrte ich neugestärkt zurück, immer wieder trank ich dort oben in der von keinem un reinen Hauche durchwehten Bergesluft neue Daseinsfreude. Dann kamen die Fahrten mit meiner jungen Frau und, als sie nicht mehr war, die mit meinem Sohne und mei ner Tochter. Es war mir eine hohe Freude sie in jene ewige, unendliche Bergeswelt ein- zusühren und das Staunen und Jauchzen der beiden war mir die lieblichste Musik, schien mir Erfüllung des hienieden Wünsch- und Erreichbaren. Jahre vergingen und es gesellte sich als vierter im Bunde der Ver lobte meiner Tochter zu uns. ein junger vielversprechender Arzt und prächtiger Mensch. Wundervolle, unvergeßliche Zei ten." Dr. Helber und der Fremde hatten, nachdem sie das Fischerdörfchen erreicht, sich Wieder gewendet und gingen nach dem Bade zurück. „Vor elf Jahren," sprach Dr. Helbers Begleiter weiter, „waren wir im Berner- Oberland. Eine größere Tour war ge- llant, der Führer bestellt und alle Vorberei- ungen getroffen. Auf einer früheren Par tie halte ich mich heftig verkühlt, es war die erste Mahnung des Alters. Meine Kinder drangen darauf, daß ich mich schonen und sür diesesmal im Tale bleiben sollte. Ich wollte nichts davon wissen, aber mein Schwiegersohn malte die Folgen der Ver- gleichgültigung solcher Verkühlungen in den schwärzesten Farben, so müßte ich mich be scheiden und sie gingen ohne mich. Gegen Abend machte im Dorse plötzlich die Nachricht die Runde, am T-Horn sei eine Partie Touristen durch Steinschlag ver unglückt. Die Kunde drang zu mir und jäher Schrecken erfaßte mich, denn auch dis Meinen waren auf dem L-Hom. Hastig zog ich nähere Erkundigungen ein, im Dorfe wußte man nur von der einen Partie, die heute diesen Gipfel besteigen wollte und nun gab's für mich kein Halten mehr. In denkbar kürzester Zeit war ich bereit, mit der Hilfsmannschaft aufzusteigen. Vergessen waren die Schmerzen in meinem Fuß. Schweigend schritt ich den Männern voran, die biederen Aelpler machten hin und wieder den Versuch mich zu trösten, es könnte ja eine Partie vom Nachbardorfe sein. Gegen Mitternacht kamen wir auf der T-Hornalpe an und erfuhren, daß man die Verunglück ten bereits zur Alpe herabgebracht habe ... Bald darauf stand ich vor drei Leichen . . . es waren meine Kinder, der Führer, schwer verletzt lebte noch. Da lagen sie im blühend sten Alter vom unbarmherzigen Schnitter hingemäht." Tiefster Schmerz prägte sich in den Zü gen des alten Herrn. „Die furchtbarsten Vorwürfe habe ich mir gemacht, Laß ich meinen Kindern diese unselige Leidenschaft einpflanzte, an der sie so jung zu Grunde gehen mußten. In jenen schrecklichen Stunden habe ich geschworen, nie mehr die Berge zu besteigen, nie mehr die Alpen zu sehen . . . Zehn lange, einsame Jahre sind seitdem vergangen und ich habe dm Schwur gehal ten. Nie mehr habe ich das Gebiet der Alpen betreten. Die Sehnsucht nach ihnen hat mich freilich nicht verlassen. Um die Zeit, in der ich sonst auszuziehen Pflegte, wird sie übermächtig. In all dieser langen Zeit hat mich aber keine Stunde die peini gende Reue verlassen, daß ich gerade an je nem Tage nicht bei meinen Kindern war." Der Fremde schwieg und Dr. Helber fragte: „Glauben Sie. daß Unvorsichtigkeit oder Unkenntnis der Gefahren des Stein schlages die Schuld des Unglückes war und. daß dasselbe in Ihrer Anwesenheit vermie den hätte werden können?" Heftig wehrte der alte Herr ab. „Nein, das nicht. Sie hatten einen guten Führer und dann waren mein Sohn und Schwieger sohn zwei Bergsteiger, wie es wenige geben wird. Viel vorsichtiger, als ich. Wie oft mutzten die Jungen den alten Feuerkopf von einer Waghalsigkeit zurückhalten: aber" und des alten Mannes Stimme zitterte, „die Steinlawine, die vernichtend über die Mei nen niederging, hätte sicherlich auch einen Stein für mich gehabt." Das Bad war erreicht. Der Fremde blieb stehen. „Verzeihen Sie die Ge- schwätzigkeit eines alten Mannes, der Sie mit trüben Erinnerungen behelligte." Be vor Dr. Helber etwas erwidern konnte, war der Fremde rasch davon geschritten, wie wenn es ihn reute, daß er einem Menschen Einblick in sein Leben gewährte. Von diesem Tage an sah Dr. Helber den Fremden nicht mehr.