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WML » MW Beilage zu Nr. 91 Dienstag, 8. August 1911. Jetzt im Sommer ist die Zeitung, so wenig sie gerade um diese Jahreszeit gelesen zu werden pflegt, von besonderer Wichtigkeit für jedermann. Nicht allein, daß dir jetzt zur Erntezeit häufigeren behördlichen Bekanntmachungen ausführlich in ihr enthalten find und dem ständigen eifrigen Leser nicht entgehen können, auch die auswärtigen Nachrichten, speziell solche über den Stand der Ernteausfichten in anderen Gegenden Deutschlands, find gerade für den Landmann von besonderem Interesse. Auch sonst bietet die Zeitung viel neues in politischer und lokaler Hinsicht. Wer bis« her noch nicht Abonnent der „Wochenblatt für WilS- druff" ist, versäume deshalb nicht, unverzüglich ein Probeabonnement für die Monate August und S-Plember zu bestellen. Wir sind überzeugt, daß er einer unserer dauernde» Leser werden wird, wie viele andere vor ihm. Denksprüche für Gemüt und Verstand Wer ist ein unbrauchbarer Mann? Der nicht befehlen und nicht gehorchen kann. ich mich genöthigt dieses aufzuschreiben; durch daß so viele mal erzählen bin ichs überdrüssig und manchmal erlaubt es die Zeit nicht; doch hier auf Kommando gab es Zeit genug zum schreiben, sonach habt ichs der Wahrheit gemäß und so gut ichs kann niedergeschrieben wie folgt: Mein Geburtsort ist Mahlis bei Hubrrtusburg, ich hatte Lust zur Schornsteinfeger-Proveßion und lernte die- selbe in Rshland bei Hoyerswerda im Preußischen hatte 1847 den 6. September ausgelernt und wurde los und zum Gesellen gesprochen ging 1848 in die Fremde nahm meine Reise zunächst in die Sächsische Schweiz und traf Sonnabend den 18. März in dem Stäbchen Königstein ein blieb daselbst im Gasthof zum blauen Stern Übernacht, auf meine Frage ob man auf die Festung dürfe gab man mir zur Antwort, daß diejenigen welche Verwandte oder Bekannte oben hätten herauf dürften, diese hatte ich nicht oben und fragte deshalb auch gar nicht an, des anderen Morgens verließ ich den Gasthof, meinen Reisepaß hatte jedoch der Wirth noch, um mir die Gegend sowie die Festung in der Nähe zu besehen, ich stieg daher den Berg, worauf die Festung stehnt, hinauf, besah mir den Felsen von unten, es wahr dieß auf der Morgenseite dort hatt der Felsen Risse von unten bis an die Brustwehr, diese Risse, dachte ich bei mir, sind wie Schornsteine und es wird nicht schwer sein, darinnen hinauf zu steigen, die Brustwehr sah sehr niedlich aus daß ich glaubte wenn ich bis dahin wäre könnte ich gleich darüber weg langen, ich überlegte mir was die Folgen sein könnten wenn ich hinauf stiege, dachte es wird für einen Spas gehalten werden und als Handwerksbursche wird eS mir keinen Nachtheil bringen, zog meine Stiefeln aus band sie zu- samen und hing dieselben um den Hals, alsdann stieg ich in den mir geeignetsten Riff hinauf, ich hatte mich nicht geirrt es ging so gut wie in einen Schornstein aber oben wo der Riff mit der Brustwehr überwölbt ist, war es bedeutent höher als wies von unten aussah, doch kam mir der ungefähr eine halbe Elle vorstehende Felsen zu statten auf diesen suchte ich auf einen neben den Risse nach der Mittagseite vorstehenden Felsenvorsprung zu kommen, was mir auch gelang doch jetzt war mir der Rück weg abgeschnitten, denn in den Felsenriff hätte ich wieder herunter steigen können, auf diesen Felsenvorsprung hatte früher ein Invalid ein Gärtchen gehabt, wie mir später erzählt wurde, derselbe hatte eine Leiter über die Brust wehr gehabt, diese fehlte mir jetzt allerdings, doch war ich einmal bis hier her so wollte ich auch über die viel leicht drei Ellen hohe Brustwehr, der Felsenvorsprung ist groß, daher konnte ich auch hier die m r geeignetste Stelle zum übersteigen aussuchen, die Brustwehr ist aus grobe» Sandstein-Quatern, der Kalk war zwischen denselben herausgebröckelt, daß zwischen jeden Quater eine wenigstens einhalb Zoll weite Fuge war, nachdem ich meine Stiefeln welche ich um den Hals und zwar erst dieselben nach vorne auf der Brust hängen hatte, jetzt auf den Rücken gehängt, weil mir dieselben bei der Ersteigung der Mauer hinder lich gewesen wären ich wollte sie aber auch gerne mit nehmen um oben nicht barfuß laufen zu müssen, um den Hals auf den Rücken hängend waren sie mir in keiner Weise hinderlich, ich fing also mit den Fingern in die Fugen greifend und mit den Zehen nachfolgend, die Mauer von Stein zu Stein zu ersteigen, kam glücklich bis an den obersten, derselbe ist aber eine halbe Elle breiter als die übrigen und deshalb so viel vorsteht, über diesen hinweg zu kommen war das letzte aber auch das schwierigste, doch auch hier kam mir zu statten daß der Kalk ausgewittert war, ich hielt mich mit der linken Hand in der Fuge fest, mit den Zehen stand ich auch inn einer, gab mir mit der rechten Hand einen Schwung um die innere Kante des nach außen schräg zugearbeiteten Steins, zu erfassen, ich hatte die Kannte ohngefähr einen Zoll breit mit den Fingern erfasst, ich zog sogleich die linke Hand nach erhob alsdann den ganzen Körper um über die Brust wehr zu sehen, was nur einen Augenblick dauerte, ich sah aber mir gegenüber ein Gebende, wie ich später erfuhr ist es das Pulvermagazien, und rechts davon kam ein Ans SschsKN. Wilsdruff, den 7. August. Das wildreiche Jagdrevier bei Ottendorf zeichnet sich besonders dadurch aus, daß sich in ihm schon seit Jahren wüßes Rehwild aufhält. So wurde dieser Tage abermals ein weißer Sechserbock geschossen, der sechste innerhalb weniger Jahre. Da sich im Reviere noch weib liches weißes Rehwild aufhält, dürfte es auch für die Zukunft an Nachwuchs nicht fehlen. In Tafchendorf bet Bischofswerda wurde die 27jährige Arbeiterin Anna Frieda Pinsel unter drm Ver dacht der Kindestötung verhaftet und dem Amtsgerichts gefängnis zugeführt. Sie hat am 16. Juli d. I. einen Knaben geboren, der angeblich im Abort umgekommen sein soll. Die Leiche hat sie dann im Garten ihrer Eltern vergraben. Ein Geisteskranker namens Fuchs in Eisenberg bei Halle stieß auf einem Spaziergange seine neunjährige Tochter in einen Teich. Das Mädchen ertrank. Fuchs sprang ihr nach und ertrank gleichfalls. Der Verband der Metall Industriellen in Leipzig beschloß Freitag abend, den am 28. Juli gefaßten Be schluß auszuführen, nach dem am Sonnabend 60 Prozent der Metallarbeiter ausgesperrt wurden. Es handelt sich um 10000 Arbeiter. Donnerstag nachmittag gegen 4 Uhr stürzte in Chemnitz das Treppenhaus des Neubaues Bernhard- straße 19 bis zum dritten Stockwerk ein, wodurch sechs Arbeiter verschüttet und schwer verletzt wurden. Beim Wäschewaschen wurde eine in Oederan wohnende Frau Hofmann von einem Schwindelanfall be troffen. Sie stürzte dabei in einen Behälter mit kochendem Wasser. Am Kopf und an den Händen wurde sie so schwer verbrüht, daß sie bald nach dem Unfall starb. Von einem „kranken" Motorrad erzählt das „Anna berger Wochenblatt" folgende nicht sehr wahrscheinliche, lustige Geschichte aus Jöhstadtr Besteigt da kürz- lich ein Motorradfahrer aus einer benachbarten Gemeinde sein Fahrzeug, um auswärts eine dringende Angelegenheit zur Erledigung zu bringen. Beim Passieren des nächsten Ortes bemerkte der Lenker des Kraftfahrzeuges, daß das Benzin zu Ende ging. Rasch entschlossen wird zur Er langung resp. Füllung dieser für die Fortbewegung des Motorrades unentbehrlichen Flüssigkeit geschritten, was auch gar bald im Nachbarorte geschehen war. „Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten .." Bet Vornahme einiger kleiner Reparaturen, nach deren Erledigung das Fahrzeug wieder in Bewegung treten sollte, stellte sich heraus, daß in der E le nicht Benzin, sondern Hoffmanns Tropfen in den Behälter ge- füllt worden waren. Die Hoffmanns Tropfen sollen freilich ihre Wirkung bei dem Rade ganz und gar ver fehlt haben, während Benzin enschieden bessere Erfolge Zeitigte. Der 43 Jahre alte, nach Kastatteugrün bei Eger zuständige Kutscher Johann Fritsch soll mit seiner eigenen, jetzt 16 Jahre alten Tochter Marie seit nahezu zwei Jahren ein sträfliches Verhältnis unterhalten haben. Vater und Tochter, die beide geständig sind, wurden wegen Verbrechens der Blutschande verhaftet. Ersteigung -er Festung Aonigstein Von Sebastian Urbratzky selbst erzählt und geschrieben. Da ich sehr oft erzählen soll wie ich die Festung Königstein erstiegen und was mich dazu bewog so sehe Um ein Erve. Novelle von Karl Meisner. (Nachdruck verboten.) Binchen begann, verwirrt durch den stillen, ruhigen Vuck dessen, den man ihr als geistesgestört geschildert hatte, schüchtern die Unterhaltung. „Ich habe es gestern Abend schon sehr bedauert, Sie aus Ihrer Wohnung verdrängt und in Ihrer Nachtruhe gestört zu haben. Jetzt ist dies mir doppelt peinlich, da ich sehe, daß Sie nicht einmal in der Schutzhütte ein Unter kommen fanden. Es regnete gewiß zu stark und deshalb zogen Sie es vor, in dem alten Torweg draußen ein kaltes Nachtquartier zu suchen." „Nein, das war es nicht, Fräulein. Mich quälte der Gedanke, eine junge Dame womöglich Gefahren, schein baren wenigstens, die sich nicht voraussehen ließen, oder Be ängstigungen in dieser fremden, ungewohnten Umgebung ausgesetzt zu wissen. Haben mir selbst doch sogar schon einmal Wilddiebe, oder was es sonst für ein Gesindel war, nächtlicherweile einen Besuch abgestattet, den ich allerdings etwas unsanft verkürzte. Ich hielt es daher für eine selbst verständlich weitere Pflicht — als Hausherr," fügte er lächelnd hinzu „meinen Gast auch zu bewachen und ihn vor etwaigen unholden Störungen der Ruhe zu bewahren. Ich tat dies um so lieber, als ich sonst leider nicht in der Lage war, chm irgendeine Annehmlichkeit bieten zu können. Daß nun das Eulengeschrei Sie dennoch im Schlafe störte, bedaure ich lebhaft." Binchen war gerührt von dieser zarten Aufmerksamkeit des „tollen Einsiedlers." Dieses häßliche Wort fiel ihr ein und brannte wie Feuer auf ihrer Seele, als ob sie es selbst Kunden hätte. Sie schämte sich, schämte sich ihrer Mit menschen, die so oberflächlich, so herzlos urteilten. Sie wollt, sprechen, aber eS schnürte ihr etwas die Kehle zu. reichte sie ihm wortlos, mit schüchternem Aufblick der Augen, die kleine Hand. Er faßte sie mit leisem Druck, ließ sie aber sofort wieder los. „Überlassen Sie sich jetzt, soweit dies möglich ist, unbe sorgt der Ruhe. Die Eule hat aufgehört zu schreien, andere Tiere stören hier nicht, soviel ich weiß, den nächtlichen Waldfrieden. Und alle übrigen Geräusche, die Sie etwa vernehmen werden, können Sie sich bei ruhiger Überlegung natürlich erklären, sodaß sie für Sie nichts Schreckenerregen des mehr haben. Das Naturleben eines Waldgebirges oder Gebirgswaldes bringt selbstverständlich allerlei Ungewöhn liches für den mit, der damit nicht vertraut ist. Aber Sie dürfen sich darauf verlassen, Fräulein, die allgütige Natur — soweit rächt entfesselte Elemente in Betracht kommen — scheint wohl zu drohen, aber sie bringt keine Gefahr; sie hat nur für den im Aberglauben verstrickten oder den Schuldbeladenen Schrecknisse, aber sie ist gegen den Menschen liebevoll und dient ihm, wo sie kann, und tut ihm Gutes. Anders hingegen sind die Menschen! Sie drohen nicht, aber sie bringen Gefahr, sie schrecken nicht ihresgleichen, aber sie vernichten, sie sind am furchtbarsten, wenn sie unter der Maske der heuchlerischen Freundschaft ihr verderbliches Merk ungeahnt von dem Betroffenen be ginnen und vollenden." Finster lohte es bei diesen letzten Worten in seinen Augen auf. Das unheimliche Feuer, das darin brannte, ließ Binchen erschaudern. Wieder fiel ihr der böse Ausdruck „der tolle Einsiedler" ein. Dieser schien die unbeabsichtigte Wirkung seiner Worte zubemerken. Er lächelte wehmütig, trübe. „Für Sie liegt gewiß in meinen eigenen Worten eine Mahnung zur Vorsicht mir gegenüber. Aber ich hoffe, diesen Ihren Gedanken dadurch widerlegen zu können, daß ich Sie darauf aufmerksam mache, daß ich hier die weltab geschiedene Einsamkeit aufgesucht habe. Wer seinen Mit menschen Schaden zufügen will, der muß sie aufsuchen, nicht vor ihnen fliehen. Wer aber von ihnen keine Ent täuschungen mehr erleiden will, der meidet sie und sucht die Stille, wie ich. Vor allen Gefahren, die Ihnen von Menschen hier drohen könnten, kann ich Sie wohl schützen, Fräulein, denn ich will den Rest der Nacht auch noch für Sie wachen. Sollte es not tun, so kann ich jederzeit den alten Friedlieb, der rüstig noch seinen Mann steht, herbeirufen. Sie dürfen also ganz beruhigt sein. Versuchen Sie daher nun, noch ein wenig zu schlummern. Mitternacht ist längst vorüber." Ehe Binchen noch ein Wort der Erwiderung oder des Dankes fand, hatte er sich herumgedreht und schritt wieder der Türe zu. An derselben aber drehte er sich noch einmal um und fragte im Tone tiefster Besorgnis und Teilnahme: „Ist es wahr, Sie wollen nach Schloß Liechten» berg?" . " Binchen bejahte beklommen die Frage. Da traf sie wieder ein Blick, so mitleidsvoll und besorgt, daß sie sich mehr wie wundern mußte. Es war ihr, als tun sie ein großes Unrecht, das Schloß zu betreten, und doch war sie sich keiner Schuld bewußt. Seltsam! Der „tolle Einsiedler" aber sagte kein Wort, schüttelte nur unmerklich den Kopf und verließ das Zimmer. Wie fortgeflogen waren alle Schrecknisse der Nacht und der Einsamkeit. Sie dachte nicht einmal daran, die Türe wieder zu verriegeln. Aber den Gedanken an daS sonderbare Benehmen ihres Gastgebers wurde sie schwer los. Wollte er sie warnen vor dem Schloß Liechtenberg und dessen Bewohnern? Lag etwas Ungehöriges darin für eia junges Mädchen, das Schloß überhaupt zu betreten? Sie faltete fromm die Hände und warf alle ihre Sorge im Gebet auf den, der der Menschen Schicksale lenkt, und ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt. Beruhigt fiel sie bald in einen friedlichen, erquickendes Schlaf. 7» . " (Fortsetzung folgt.)