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Nähe, daß ich nicht ganz die Fühlung mit Berlin verloren habe." Des Dieners Meldung: „es ist angerich. tet", unterbrach die Unterhaltung. Der Oberst bot seiner Wirtin den Arm. und sie betraten das mäßig große Speise zimmer, das mit Hellen Eichenholzmöbeln aüsgestattet war. Ueber den runden Speise, tisch in der Mitte, der die Gedecke trug, warf ein sechsarmiger hoher Leuchter, auf dem dunkelgelbe Wachskerzen unter rosa Schirmen brannten, ein gedämpftes Licht. Vor dem Kamin, in dem ein gewaltiges Buchenholzfeuer brannte, erhob sich eine kleine, ältliche Dame: „Meine liebe Haus genossin und Freundin Fräulein Wester- ling", wie die Hausfrau sagte. Und während der Oberst ganz selbstver- stündlich nun zunächst von seiner Reise nach Damstedt und dem festgefahrenen Au tomobil sprach, dem er das Obdach auf dem Sonnenhof verdankte, kam ihm die ganze Situation wieder ganz märchenhaft vor. Anstatt auf Damstedt in lustigem Voller- abendkreise, aus dem übermorgen der Hoch, zeitskreis werden sollte, saß er in dem stil len Speisezimmer des abgelegenen Sonnen- hvfs. „Weshalb heißt das Gut der Sonnen- Hof?" fragte der Gast. Therese lächelte: „Darüber gibt es ver- schiedene Lesarten, die einen behaupten von den Sonnenblumen, die zur Hochsommer und Frühherbstzeit rund um den ganzen Hof blühen und, oft vernichtet, alljährlich neu in reicherer Fülle wiederkommen, an- dere, weil über dem Tor der größten Scheune eine Sonne abgebildet ist. büchst primitiv in Gips und kläglich gelb anas- malt, nach dritter Ansicht, weil der Hof ! nach Süden, also der Sonne zugewandt j liegt." „Darf ich Ihnen morgen — wir wer den gutes Wetter haben — den ganzen Son nenhof zeigen, Herr Oberst?" fragte The- rese. „Sie werden kaum glauben, daß ich eine ganz gute Landwirtin geworden bin Mein Stellmacher und der Schmied können ja morgen gleich sehen, ob ihre Künste dein Automobil aufhelfen, wenn nicht, lasse ich Sie mit dem meinigen oder auch mit dem Wagen nach Damstedt bringen. Wir haben eine halbe Stunde Landweg, dann noch eine halbe Stunde Chaussee bis dort. Uebrigens kenne ich Damstedt, ich habe neu lich ein Paar schöne Ackerpferde dort kaufen lassen." „Weshalb begmben Sie sich in diese Einsamkeit, gnädige Frau?" fragte der Oberst. Die Frage war ihm so jäh entschlüpft, es tat ihm leid, sie gestellt zu haben, als er Therese ansah; ihr feines Gesicht war er bleicht, und der Schmerzenszug um den Mund schien vertieft. „Ich war da draußen in der Welt nie mand nötig," sagte sie mit leise verschleier ter Stimme, „und hier bin ich unersetzlich." Es entstand eine Pause; die Hunde drau- ßen zogen rasselnd an der Kette, der Nacht- wind rauschte in den Bäumen auf. Ihr Bild stieg vor dem geistigen Auge Lüsemanns auf, als er sie damals in Berlin gesehen hatte, er war beim General Sollen, der ihr Vetter war, manchmal ihr Tisch nachbar gewesen. Und er wunderte sich jetzt, daß sie damals so gar keinen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Sollen hatte — er hatte das fast vergessen gehabt — ihn ein mal gefragt: „Nun, wie gefällt dir Frau von Hodding — sie ist Wllwe und unab- hängig — das wäre doch eine Frau für dich." - Doch der Regierungsrat Sterner, der in allen schönen Künsten, als Maler, als Dich- ter, als Geigenspieler glänzte, und dem alle berühmten und schönen Frauen huldig- ten, hatte ihm scherzend auf die Schulter geklopft und gesagt: „Um Gott, lieber Ma jor, das ist ja etwas ganz Unberühmtes — ohne alle Talente, schreibt nicht, malt nicht, singt nicht, macht nicht in Wohltätigkeit, solche Dutzenddame werden Sie sich doch nicht erkiesen!" Heute erschien sie ihm anders — mehr hoheitsvoll — oder machte das nur die an dere Umgebung? Irn filcbci-koi-b ani 3lnsncl. Las hat sich der alte Fischerkorb auch nicht träumen lassen, daß er auf seine alten Tage noch eine so sonderbare Ladung erhält, liier muntere Scekabben haben sich in ihm eingenistet und schauen keck in die Well hinein. Gekeilt in drangvoll fürchterliche Enge, scheint sich nur der kleine Bursche nicht ganz wohl zu fühlen. Viel leicht glaubte er aber auch nur, das Photo graphieren tut weh. „Sie werden jedenfalls dort auch als unersetzlich, empfunden, gnädige Frau." Sie lachte: „Das glauben Sie selbst nicht, Herr Oberst, Sie wissen so gut wie ich, daß in diesen Kreisen niemand unersetz. lich ist, er mag noch so vergöttert, noch so angebetet sein. Morgen oder übermorgen sind andre da." Sie war ernst geworden. „Ich denke jetzt oft darüber nach," sagte sie, „daß es viel besser ist, wir werden dazu erzogen, uns selbst zu leben, nicht nur Andern. Wis. sen Sie, Herr Oberst, ich war ein sogenann tes Mutterkind. Ich glaube, ich war nie un. artig, ich richtete mich immer nach Beispie len guter folgsamer Kinder, die meine El tern mir anpriesen. Alles, was ich liebte, stellte ich hintenan, ich war nicht so wie ich war, ich war so wie ich sein sollte. Ich wollte so gern Jemand etwas sein, schon als Kind hing ich mit tausend Freundschafts fäden an Mädchen, die ich liebgewann — es schien auch stets, als ob sie sich ein Weil- chen an mich anschlossen aber, wenn sie andre fanden, gaben sie mich auf. Diesem- gen, die sich durchsetzten, die der Mittelpunkt wurden, waren die Ersten. Schließlich suchte ich mir keine Freundin mehr — aber ich freute mich, wenn ich einen Menschen fand, der mir sympathisch war. Mein ein ziger Wunsch war stets, Jemand unersetzlich, Jemand nötig zu sein. Mein viel älterer Mann hatte seinen Beruf; seine Karriere war ihm wichtiger als ich — ich war auch wohl zu jung, sein Wesen zu verstehen — unser Leben war fast nur Geselligkeit. Ge- selligkeit wegen der Karriere und der Be- ziehungen; meinem Knaben, für den die Geselligkeit mir keine Zeit ließ, war seine treue Wärterin nötiger als ich. Und als das Trauerjahr um war, da War es die Macht der Gewohnheit — ich mußte unter Menschen sein. Das war jene Zeit in Ber lin. Und langsam, ganz allmählich kam mir die Ueberzeugung: wie arm und leer dieses Leben war, das ich führte, wie fremd meinem innersten Wesen, wie anerzogen die Art, andern zu Gefallen zu leben. Was Charakter war, was Persönlichkeit — das wutztt ich nicht, die „anderen Leute" be- stimmten über mich. Meine Familie, die Gesellschaft, fast meine Dienerschaft. Es war ein schweres Geschick, das mich zur Einsicht brachte, daß ich ein fremdes Leben lebte. Mein vierzehnjähriger einziger Sohn, den ich seines Vaters Wunsch und letzter Bestimmung gemäß im Kadettenkorps er ziehen ließ, zog sich eine Erkältung zu und wurde schwerkrank. Vom Lazaret ließ ich ihn zu einer lebensgefährlichen Operation in eine Privatklinik bringen — ich war bei ihm Tag und Nacht — ich lernte wieder beten — meine Gebete wurden erhört, mein Hans wurde mir erhalten — aber er blieb an den Füßen ganz, an den Händen halb gelähmt. Und als der Professor mir das gesagt hatte — ich habe standhaft und ohne Tränen seine Worte angehört — da wußte ich, wo ich nötig war — und zum ersten Mal kam es wie ein bewußter Friede in mein Herz: nur da ist noch dein Platz, du mußt sein Fuß, seine Hand sein. Zu dersel ben Zeit kam die Kunde von dem Bankerott des Pächters des Sonnenhofes, auf dem Hans so gern in den Ferien geweilt — ich wollte den Sonnenhof nicht aufgeben — ich wurde auch hier nötig, ur.d der Sonnenhof war das Asyl für meinen Hans, der in der Großstadt verkümmert wäre. Darum bin ich hier, Herr Oberst." Therese war aufgestanden: „Es war eine einfache Geschichte, die Geschichte wie ich auf den Sonnenhof kam, auf dem ich so glücklich bin." Sie reichte ihrem Gast, der sich gleich falls zum Abschied erhoben hatte die Hand, die er ehrfurchtsvoll an seine Lippen zog. Dann verabschiedete er sich von Frau, lein Westerling, die anscheinend aus einem kleinen Schläfchen jäh erwacht war und folgte dann dem mit einer Laterne erschie nenen Diener über den Hof. — — — — „Darf ich Sie nun zu Hans führen, Herr von Lüsemann? Hans freut sich schon, daß ihn jemand besuchen will!" Sie stiegen aus dem hohen und doch so bequemen Wagen, auf dem Kerner Therese und ihren Gast durch die Gemarkung des Sonnenhofes gefahren hatte. Sie öffnete die Tür zu einem großen Hellen Zimmer mit lichter Tapete und lich ten Vorhängen an den drei großen Fenstern. Büchergestelle nahmen zwei Wände ein, kostbare Bilder hingen an den andern, ein