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kennst äu äas I^anä ... Eiri Lebensbild von Linn Erhard. l (Forts-bung.) 5 UN faßt Andrea sich doch ein Herz und spricht merkwürdig ruhig: „Sie waren lange in Moskau? War es schön?" „Wie immer Andrea. Aber in Dvmsrück an der Drau ist es schöner, viel schöner, kleine Andrea. Ich kann kaum den Augenblick erwarten, in mein Felsennest zu entfliehen." Andrea nickt, stolz, verständnisvoll und preßt die Augen hinter den Verbänden zu. Ihr Gesicht ist heiß. Ihr Mund stammelt: „Waren Sie bei Mama? Wissen Sie Ws es ü,r geht?" „Nicht schlimm, nicht gut. Die Aerzte können garnichts tun, sie sagen sobald Frau Wcsknw n-chk aufgeregt ist, ist alles gut." „Die arme Mama. Ich Weitz wohl." Andrea faltet die Hände über den Knieen, sie seufzt unbändig tief: „Ich wache manch mal mitten in der Nacht auf und denke und fange an zu grübeln, woher Mama die Mittel nehmen soll, um hier alles zu be zahlen." Nun hatte er doch seinen Stuhl dicht an ihr Lager gezogen, nun streichelte er die weichen, weißen Finger: „Kleine Dea . . liebe Dea — mein törichtes Mägdelein — weüü du nicht -- daß ich soviel Geld habe, daß es mir zuweilen Angst ist, was ich da- mtt aniangen soll . . Alles . . alles Kind was du dir wünscht . . alles . . alles gibt dir von Herzen gern dein . . alter Lebens- sreund." Ihre Gedanken wiederholten das Wort. Die Augen, die armen, kranken Augen brannten in heißen, strömenden Tränen und das Herz schrie auf: Gib mir Liebe . . Hoffnung, daß du mein sein willst, daß ich dir gehören darf. „Ich werde sofort an Mama schreiben," sagte er. „Alles wie ich's meine." „Schreiben Sie — sie soll sich nicht ängstigen ich ich werd' schon — wieder ver—die—nen — recht bald —" „Recht bald gesund sein! Mein kleines, liebes Mädchen. Diese Fingerchen sollen den Bogen nie wieder für die Oeffentlich- keit rühren — nur daß die Aeuglein wie der frisch und blank in die Welt Hinein schauen, daß erbitte ich vom Schicksal. Dok tor Wedding sagt es steht alles gut — nur Ruhe — Ruhe und Geduld." Ihre zuckte, suchte die seine. Ihr Körper zitterte. „Sie weinen doch nicht etwa Dea?" „Nein — o nein." Ihm kieken selber die Tränen in den grauen Bart. Tritte auf dem Flur kündeten die Nähe Doktor Weddings an. „Ich besuche morgen Mama -— nicht aufgeregt sein Dea — nicht weinen — nicht grübeln — und nicht ängstigen." „Nein, mein Lebenssreund." Deutlich und klar erklang das Wort. Sie hielt seine Hand fest und hinter den Druckverbänden quollen unaufhörlich heiße Tränen. — — — — Wie so wundersam ist doch die große, heilige Natur dem, der sie mit Herz und Augen belauscht, aber das Wunder verän dert sich, das steigt, das wächst, wo die Au gen aufgehört haben zu sehen, wo nur die Seele die Töne der Allmacht in sich auf nimmt. Das Empfinden gewöhnt sich an die Stille, fühlt den blauen Himmel, begreift das Säuseln des Windes, das von Leben schwillt und Zeugungskraft. Es war ein warmer Tag, Sonntag, wolkenloser Himmel. Ein Oktobertag wie ein herrliches Gedicht, das fühlende Ge dankenmacht offenbart. In Doktor Weddings Sanatoriumgar- ten gab es viele köstliche Plätze für die, die den Zauber echter Naturstimmung aus kosten wollten. In Doktor Weddings Gar ten wanderten aber auch viele, die nicht zu begreifen verstanden: Daß der Kranke die Pflicht hat, sich sein Leben so zu zimmern, daß sein Empfinden ihn losläßt von har ten, traurigen Gedanken. Unter Doktor Weddings Patienten be fand sich auch eine Frau, die hielt es mit Adolf Wilbrand, der da meinte: „Ich über lege nie, wie groß ein Unglück ist, was mich getroffen hat, ich überlege nur, wie ich am leichtesten darüber hinweg komme." Und diese Frau, sie war keine Studierte, keine Künstlerin, sie hatte ein Mann und Frau gutnährendes Schnittwarengeschäft in einer kleinen Stadt — und sie hatte es Andrea Weskow doch angetan, daß das ein stige Wunderkind ihre Freundschaft, ihre Zuneigung begehrte. Immer, wenn Fräu lein Weskow auf der braunen Liegebank im tiefsten, versteckt dunkelsten Bäumeschat ten ruhte, stand oder saß Frau Marie Adams sehr markante Persönlichkeit neben dem Elfensigllrchen der jungen Violinistin. Es war so schön, so wunderschön, ge meinsam dem Sickern der Tautröpfchen zu lauschen, dem Huschen eines kleinen Vöge leins. Irgendwo fiel eine Eichel auf den Weg . . . eine Birne ... ein Apfel in das. Gras. Und dazu das Schweigen der Natur. Draußen gelassen — erstorben jede Hast des Lebens. Es war wie ein köstliches Adagio. Adrea Weskow kamen manchmal Rückerinnerungen. Bitternisse wollten auf- steigen, aber sie kehrte sich rasch ab von ihnen, sie genoß die Weihe der Umgebung und die Lebensphilosophie der reifen, Künst lerkreisen sehr fern stehenden Bürgersfrau. Diese empfand das nicht etwa als Stolz, daß die erstklassige Patientin, der drittklassigen ihre Gunst schenkt. Frau Adam liebte das blonde, lieb liche Mädchen, das nun schon so viele Wochen mit vergitterten Augen umherlau fen mußte. Sie unterstützte Andrea, sie verstand zu Plaudern mit ihr, sie verstand zu schweigen, immer am rechten Platz. Andreas Gesicht glänzte, sobald sie die Stimme dieser Frau hörte, sür ihr Leben gern hätte sie sie einmal von Angesicht zu Angesicht gesehen, aber im Garten trug An drea den Verband und im Zimmer durste Fräulein Weskow keine Besuche empfangen. Aber es ging ihr gut. Doktor Wedding sagte zwar nichts, aber sie fühlte es an seinem ganzen Wesen, wie zufrieden er war mit seinem „Sorgenkind." Andrea Weskow und Frau Marie Adam feierten eine stille Stunde. Die Sonne starrte durch die Bäume, sie sahen aus wie gelbes Gold. Frau Adam sagte auf einmal liebenswürdig: „Fränzel, ww geht's denn heute?" Andrea wußte, die Stimme, die jetzt antwortete, gehörte einem jungen Polen an: Andrea kannte alle Stim men aller Patienten und doch kein einziges Gesicht von allen. Andrea Weskow lauschte und fragte: „Woher kommt's, daß ich jede Stimme sofort wiedererkenne, wenn ich sie nur ei» einziges Mal gehört habe in meinen' Leben." Frau Adam wollte das gerade bezwei' feln, da sagte im Vorbeischreiten jemand freundlich, aber fremd: „Guten Tag . . Sie dankten beide mit demselben Wort und gleich danach fragte Andrea: „Wer war's?" — „Ich weiß nicht, ich habe de» Herrn noch nicht hier gesehen — vielleicht ist's irgend ein Besuch.", Andrea schwieg eine ganze Weile, dan» sagte sie: „Jetzt weiß ich's bestimmt, diese Stimme habe ich früher schon einmal ge- hört — ich Weitz auch ganz genau wo es war in Elberfeld — ich spielte an dieser» Abend die Mozarllsche Andante aus der» Konzert Opus 121." Frau Marie Adam waren das unec- schloss'ne Begriffe, aber ihre Kur war sehr s gut gelungen. „Ich sehe ja jetzt durch zehn Bretter" war ihre Preisreds und so bohrte s sie ihre Augen durch die Baumpartien und neigte dann den Mund Andrea zu: „Es sprechen zwei fremde Herren mit unserer Lieblingsschwester. Schade, Fräulein Wes kow, daß Ihre Augen verbunden sind.. ' I Wunderhübsch sieht Schwester Edith» aus ohne Ordenstracht, sie geht gewiß aus sie hat eine reizende Tüllbluse an mit lau ter schmalen Stüfchen." „Ach wenn ich doch noch ein einziges! Mal wieder gut sehen lernte!" „Das werden Sie sehr bald wieder ler nen. Wie war's denn bei mir. Wisse» Sie noch, Fräulein Weskow, wie ich das erste Mal die Latten am Spalier entdeckte?" Frau Adams hübsches, gutmütiges Gesicht zeigte in jeder Linie das damalige jubelnde Begreifen, dabei schaute sie unaufhörlich zu dem Wegsaum hin, wo zwei elegant geklei dete Herren und Editha Frankenthal eine Plaudergruppe bildeten. „Es sind keine Patientenbesucher, Fräu lein Weskow," flüsterte Frau Adam „es scheinen Bekannte von Schwester Edi tha zu sein — sie kommen jetzt wieder aus uns zu . Sie biegen in den Weiden weg ein ." Andrea hörte ein Rieseln, ein Raunen, eine Kraftprobe der milden tätigen Lust Ein Früchteniederfallen auf den Rasen mit dumpfem Laut. „Wie sonderlich schön das klingt, Fra» Adam — —." „Ja," sagte sie ganz feierlich. „In meinem ganzen Leben hab' ich noch nicht Zeit gehabt, auf so etwas zu lauschen — „Ich auch nicht — —." „Sie schon! Sie sind doch Künstlerin -- Sie haben Zeit und Weile, haben keine Tätigkeit, wenigstens keine gewaltsame, der sie widerstandslos gehorchen müssen —" „Das denken Tausende. Und doch —. Künstler müssen ingrimmig arbeiten, sogar oft ohne die Gewißheit eines Lohnes." Andreas rechte Hand fühlte Plötzlich de» Bogen, sie sagte lebhaft: „Dennoch, ich spiele sehr gern, bloß die Nervenangst war immer so schrecklich, wenn bei der Orchester probe ein Fehler vorkam und Mama davon erfuhr. Sie hatte immer solche Furcht, daß ich bei einem großen Konzert einmal schlecht spielen, daß ich mir selber eine Niederlage bereiten könnte und da griff ich immecs wieder, ich gestehe es ganz offen, mit manch mal recht tiefseufzendem Atem, nach meiner Geige und übte und übte und wurde ängst lich, wenn der Ton mir nicht sieghaft ge lang, der Ansatz der Passagen verwischt et' schien,