Volltext Seite (XML)
wen > m soa scheu nicht nuslachen, wenn er ncorgen kam. Sie wiirde nicht an Hermann telegraphie ren, sie wiirde ... ja, was würde sie denn eigentlich? Ihr großes, zartes, ahnungs loses Kind ans Herz nehmen, ihm leise, behutsam erzählen, wer seine Mutter gewe- sen, wer sein Vater, und daß es nun das Meer sehen sollte . . ., die schöne^, weite Welt, auch in ein schönes Haus, auch zu Geschwistern käme . . . barmherziger Gott, was konnte das für ein Haus sein, daS die ser Mann, an dessen Willkür ihre arme Freundin gestorben war, sich im fremden tzande gegründet hatte? Da . . . ein Kinderlachen . . . das war Hilde, die den Jungen gewiß wieder die steile Wendeltreppe in dem alten Patrizier- Hause heruntertrug. „Da hast du den Langschläfer, Mama chen. Er wollte sich natürlich mal wieder nicht vom Mädchen waschen lassen." „Nun hast du's getan und auch wieder den schweren Jungen die Treppen hinunter- getragen, das sollst du doch nicht, Kind!" Hilde lachte, obwohl ihr der Atem schwer ging, und in dem schmalen, seinen Gesichtchen heiße, rote Flecke waren. „Solch Knirps, den spür' ich gar nicht! Was . . . was hast du denn, Mamachen, hast du geweint?" Hilde flog ganz erschreckt aus die Mut ter zu. „Wie siehst du denn aus . . . Ivas . . . ist denn?" „N . . . nichts," lächelte Frau Melanie, indem sich ihre Finger krampfhaft um den knisternden Brief in ihrer Kleidertasche Preßten. „Ein bissel Kopfweh, der Sturm heut' Nacht hat mich aufgeregt, weil Papa nicht da ist" . . . „Er bleibt ja diesmal nur acht Tage, Mamachen!" Die blasse Mädchenhand glitt liebkosend über die Frauenwangc. „Ich kann mir's ja denken, wie froh er immer ist, wieder heimzufahren. Mein hal bes Jahr in der Pension . . . Mamachen ... ich bin rein umgekommen vor Sehn sucht. Ich glaube, wenn ich wirklich ein ganzes Jahr hätte wegblciben müssen, wäre ich gestorben. Es war ja ost' sehr hübsch und lustig. . . ja . . . aber das waren alles Mädchen, die keine Mutter Mehr hatten, oder kein richtiges Zuhause, die wissen ja nicht, was Heimweh ist. Das lind die Aermsten trotz aller Lustigkeit . . . Sagtest du was, Mamachen?" „N . . . nein," flüsterte Frau Melanie haltlos. „Geh' heut' lieber nicht zur Kla- vicrstunde, Hilde, der Sturm ist zu stark, ich glaube, sogar Ostwind. . ." /Aber Mamachen, wenn die Kinder zur Schule sind, kann ich doch auch zur Stunde." „I . . . ja . . . aber du hast in der ätzten Zeit gehustet . . ., du bist doch so heiß" . . . Frau Melanie stotterte ganz jämmerlich Hilde wollte sich totlachen, und der Kleine kreischte vergnügt mit. „Ich bin gar nicht heiß, fühl mal . . . beinah kalt" . . . ^nd sie preßte die Wange so dicht gegen die der Mutter, daß Frau Melanie unwill- kürlich zugriff und das Mädchen festhielt, als könne nran cs nimmer von ihr reißen. „Du bist hxj^ Mamachen, armes Gelieb tes, nächste Nacht schlafe ich in Papas Bett neben dir . . . ju . dann fürchtest du dich doch nicht mehr?" Und lachend, glücklich, lief sie fort zur Klavierstunde. Als Hilde Wiederkain und sich nicht so fort im Wohnzimmer blicken ließ, wollte sie rufen, klingeln, sie konnte nicht. Hundert Pläne nahm sie sich vor, holde, süße, er klärende Worte, die dem Kinde nicht Weh tun konnten . . . keines schien ihr richtig, keines gut genug. Die Kinder kamen aus der Schule, Hilde lachte und tollte mit ihnen, alles war wie sonst . . . man saß bei Tisch, die Kleinen schwatzten wie immer, und doch, und doch ... es war alles, alles verändert vor den brennenden Augen der Hausfrau. „Nach Tisch sagst du's", nahm sie sich vor, „nach Tisch, wenn der Kleine schläft, und die andern oben in den Räumen ihre Schularbeiten machen, rufst du Hilde. Nimmst sie fest in den Arm dabei, ganz so, wie früher das zarte, zärtliche Kind auf den Schoß und sagst es ihr . . . Nun war es nach Tisch. Nun hatte sie Hilde gerufen, hatte sie dicht bei sich sitzen in der traulichen Fensterecke, die rote Son nenlichter freundlich schmückte, und sagte doch nichts. Hilde schien müde zu sein. Sie hatte so ein liebes, träumerisches Lächeln um den jungen Mund, und erzählte flüsternd vom Tanzstundenball und vom kommenden Sommer, der nun die langen, Hellen Tage bringen sollte. Und ... du lieber Gott, was war denn das . . . von einem Walter sprach sie, der Name Walter kam fortwäh rend in ihren Erzählungen vor, der beim Tanzstundcnball ihr liebster Tänzer gewe sen, und der im Sommer mit ihr Tennis spielen wollte, und . . . und der heute morgen am Bürgerwall eine ganze Viertel stunde lang neben ihr hergegangen wäre. Bis zur Klavierstunde. . ob er das wohl dürfe . . ob Mamachen das wohl erlaube? Und das ganze glühende, lächelnde Kind zitterte bei dieser Frage und sah die Mut ter an, als hinge an dieser Antwort eine Welt voll Seligkeit . . . Und sprang gleich darauf aus, als Frau Melanie gütig genickt hatte, und lief aus dem Zimmer, als hätte sie jemand gerufen, als müsse sie allein sein mit dem großen Glück nach diesem gewährenden Kopfneigen. Also hatte Frau Melanie noch nichts gesagt. Der Zeiger der Uhr rückte unbarmher- zig Weiter, und der Sturm brauste bis zum Abend um das Haus, mischte sich mit dem Kinderjubel in dem Kaufmannshause und trieb das Grün aus den braunen Knospen der Weinranken, die es umsäumten. Frau Melanie war geflüchtet. Zuerst planlos die Straßen entlang in der Däm merstunde, dann mit scheuen Schritten um den Dom am Marktplatz herum, zuletzt in die menschenleeren Anlagen des Bürger- Walls hinein. Wie lange sie da herumlief wußte sic garnicht. Es wurde ganz dunkel, ein paar blasse, frühe Sterne erwachten über ihrem Haupte, die sahen wie Kindcr- augen aus, die noch nicht wissen, wie's aus- schaut in der Welt . . . „Beten," dachte Melanie, „beten ist das beste. Gott wird schon, Gott muß einen Ausweg finden, der mir das Kind läßt, der den Vater bewegt, Hilde ahnungslos zu lassen in ihrer jungen Seligkeit und ihrem Glauben an rechtmäßige Eltern und Ge schwister . . ." Sonderbar, wie leicht das Beten war! Sie hatte es eigentlich noch nie so empfun den wie heute. Hatte cs beinah verlernt im Gleichmaß ihres -reichen, guten Ledeno, beten! . . Viel rascher, Ivie sie hergegangen war, kehrte sie heim. Zu Hause war Besuch. Die Kinder wurden von den Damstbotcn ins Bett gebracht, und Hilde, die sich auf das gemeinsame Zimmer mit der Blutter freute, machte so müde Augen, daß Me lanie sie ebenfalls früher wie sonsi zur Ruhe schickte. Der Besuch saß noch eine ganze Weile und verabschiedete sich dann von der unge wohnt stillen Hausfrau mit großer Herz lichkeit. Es war spät geworden,, und Frau Me lanie fühlte erst jetzt, wo sie wieder allein war, wie elend sie dieser eine Tag gemacht hatte. Sie las den Brief, der alles verschuldet, noch einmal, und ging daun, sich gewaltsam aufrafsend, in ihr Schlafzimmer. „Sie soll noch ruhig schlafen, diese eine glückliche Nacht daheim," dachte sie »nt- schlossen, „morgen früh, wenn sic neben dir erwacht, ist Zeit genug zum Sprellen . ." Hilde schlief aber nicht ruhig. Sir lag mit offenen, heißen Augen im Bett, hielt die Zähne aufeinander gepreßt und schüt telte sich vor Husten. Frau Melanie erschrak heftig. „Hilde," rief sie Der junge Mund wollte sprechen und konnte nicht. Es waren nur heisere Laute, ein kurzes, erkennendes Lächeln „Mama chen" . . . Die Köchin, die noch auf war, lief mit ten in der Nacht zum Arzt. Als der endlich kam, erkannte Hilde den alten Freund des Hauses nicht mehr. „Lungenentzündung," sagte er kopfschüt telnd, „kein Wunder bei dem scharfen Ost wind der letzten Tage. Sie ist ohnedies nicht die stärkste, ganz aus der Art der Wil- manns geschlagen . . . seltsam . . ." Melanie stand regungslos und zerbiß sich die Lippen vor Qual. Und dennoch, es war plötzlich eine wesengroße Hoffnung in ihr. Wenn Hilde wirklich sehr krank war, Tage, Wochen. . . wenn der Mann, der sich die Tochter holen wollte, wieder ohne sie abreisen mußte, vielleicht wiirde dann alles noch gut, vielleicht verzichtete er dann ganz auf das zarte Kind. Sie würde es sich mit ihrer Liebe bald wieder gesund und kräftig pflegen, würde es noch mehr wie vorher behüten vor jedem Sturm ... ach Gott, Gott, vielleicht hast du's doch gehört, als ich betete . . ." Er hatte es wohl auch gehört. Nur half er anders, wie Frau Melanie hoffte und wünschte, er hieß das lachende, ahnungslose Kind einfach fortgehen, mitten aus dieser lachenden Seligkeit heraus. Hilde durste ihre Henuat, und Vater und Mutter be halten . . . Als dec Deutsch-Amerikaner das alte Patrizierhaus betrat, lebte seine Tochter nicht mehr. „Es ist wohl noch ein Herzschlag hinzu- gekommen," erklärte ihm der Arzt, „und sie hat die tückische Krankheit Wohl lange mit sich herum getragen . . ." Keiner in der ganzen Stadt begriff das Antlitz von Frau Melanie, als ihr Kind be graben wurde. Trotz der im Schmerz er starrten Augen war ein Zug um den Mund, der fast an ein Lächeln erinnerte, an ein tot- wundes Lächeln innerster Befreiung . . ,