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well Iw v I! 0. l)er jüngste Gailenberg. Novelle von W. Belka. ,—, (Schluß.) lS V /ierzehn Tage später, — das junge V H-Ä / Paar weilte gerade auf der Hoch- X/M/ zeitsreise in Venedig — erhielt Mv/ Graf Artur Kaisenberg von dem Ft-M. Konsulat in Nizza die Nachricht, daß sich sein Stiefbruder Axel dort nach Ver übung mehrerer Betrügereien erschossen habe, um sich seiner drohenden Verhaftung zu entziehen. Die amtliche Mitteilung war erst auf verschiedenen Umwegen in des Ma joratsherrn Hände gelangt, und inzwischen mußten die Ueberreste des jüngsten Kaisen berg längst in der Ecke irgend eines Fried hofs bestattet worden sein. Graf Artur war von dieser Kunde völlig niedergeschmettert. Erst langsam begriff er, daß Axel, von dem er seit jenem Briefe zu seiner Hochzeit nichts mehr gehört hatte, ihn in der schändlichsten Weise in dem anscheinend so tiefempfunde nen Schreiben aus Verona belogen haben mußte. Vergebens bot die junge Frau ihre ganze Zärtlichkeit auf, um ihn zu trösten. Der Majoratsherr vermochte den demütigen den Gedanken, daß ein Kaisenberg zum Ver brecher hinabgesunken war, nicht so schnell zu überwinden. Während die beiden Gatten noch traurig und in bedrücktem Schweigen auf. dem Balkon ihres Hotels saßen, wurde Graf Artur von dem Kellner eine Karte überreicht, bei deren Anblick über des Majo ratsherrn verstörtes Gesicht ein Heller Freu denschimmer flog. „Denke dir, Marga, wer sich hier eben an meldet!" sagte er froh erstaunt. „Heinz Hagen ist's, mein alter Heinz. Wir werden ihn doch annehmen, nicht wahr?" setzte er schnell hinzu, als er bemerkte, daß sich ihre Stirn ärgerlich zusammenzog. Die junge Frau bedeutete dem Kellner erst, in dem Sa lon auf Antwort zu warten, bevor sie sehr ernst erwiderte: „Es tut mir leid, Artur, daß ich der schmerzlichen Nachricht über Axels Ende noch eine neue Enttäuschung hinzufügen muß. Der Professor ist jedoch deiner Freundschaft nicht wert. Damals, als ihm angeblich der Wappenring der Borgia aus dem Fenster des Bibliothekzimmers in den Weiher fiel, stand ich so hinter ihm, daß ich sein Profil in dem weit offenen Fensterflügel wie in einem Spiegel ganz deutlich sehen und alles beobachten konnte, was er tat. Und da habe ich leider be merkt, daß er den Ring mit einer hastigen Bewegung in die Westentasche steckte, bevor er sich mit so gut geheuchelter Verlegenheit uns wieder zuwandte. Hagen ist eben einer jener leidenschaftlichen Sammler von Al tertümern, die gegebenen Falles selbst vor einem Diebstahl nicht zurllckschrccken. Nun wirst du dir auch mein veränder tes Benehmen ihm gegenüber erklären kön nen. Und wenn ich bisher geschwiegen habe, so geschah es nur aus Rücksicht auf dein leicht empfindliches Herz. Ich wollte uns eben die Seligkeit der Hochzeit und der Flitterwochen nicht trüben. Hiernach wirst du selber es wohl am richtigsten hal ten, wenn wir auf Hagens Besuch unter irgend einem Vorwand verzichten. Denn daß meine Augen sich damals in dem Bi bliothekzimmer auf Schloß Waldburg ge täuscht haben ist " „ ausgeschlossen, vollkommen aus- geschlossen!" vollendete plötzlich eine tiefe Männerstimme. Zwischen den Portieren dcr Balkontür stand der Professor, Md um seinen Mund spielte ein leises Lächeln. Mit tiefer Verbeugung näherte er sich dann der Gräfin und streckte ihr freimütig die Hand hin. „Gnädigste Gräfin, schlagen Sie ein! Es ist wirklich nicht die Hand eines Diebes, in die Sie Ihre zarten Finger legen sollen. Gewiß — Sie haben damals richtig gese hen — ich verbarg den Ring in meiner We stentasche. Aber ich hatte meine bestimm ten Gründe dazu, sehr schwerwiegende Gründe, die mich und mein Verhalten recht fertigen werden. Verzeihen Sie auch mein formloses Eintreten hier — Doch ich ahnte, daß Sie mich nicht vorlassen würden, da ich Ihre Worte auf der Terrasse von Wald burg mir sehr gut zu deuten wußte. Und ich war es meiner alten Freundschaft schul dig, endlich einen Vorfall aufzuklären, der in Ihnen berechtigte Zweifel über meine Ehrenhaftigkeit hätte Hervorrufen können." Das alles klang so ungekünstelt wahr und herzlich, daß Marga Kaisenberg ihm jetzt ebenfalls ihre schmale Hand hinreichts und leicht verwirrt den alten Bekannten mit einigen freundlichen Worten begrüßte. Am erfreutesten über diese glückliche Wendung war jedoch Graf Artur, der in seinem In nern auch nicht einen Augenblick an dem Freunde irregeworden war und sofort ir gend ein Mißverständnis vermutet hatte. Und um den Professor sofort zu beweisen, daß er noch das frühere Vertrauen in ihn setze, erzählte er ihm, nachdem sie kaum wieder Platz genommen hatten, das we nige, was er von seines Stiefbruders Tod wußte. „Ich habe schon immer gefürchtet," meinte Hagen dann ernst, „daß es mit Axel ein trauriges Ende nehmen würde. Aber glaube mir, Artur, er ist es nicht wert, auch nur einen Gedanken des Bedauerns seinem verfehlten Leben zu widmen. Denn das, was ich deiner Frau und dir jetzt berich ten will, hängt leider ebenfalls nur zu sehr mit deines Stiefbruders Person zusammen, liefert einen weiteren Beweis, daß er ein gänzlich verdorbener Charakter war. — Bevor ich jedoch beginne, mutz ich für Sie, gnädigste Gräfin, noch einige Bemerkungen vorausschicken, damit Sie das Weitere in seiner ganzen Tragweite verstehen können. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich mich hauptsächlich mit dem Studium des fünf zehnten Jahrhunderts der Geschichte Ita liens beschäftigt, jener Epoche, in der trotz der politischen Zersplitterung auf der Alpe- ninnenhalbinsel Gewerbe und Kunstfleitz sich entfalteten und mitten unter den Wir ren und Kämpfen sich die Kultur der Re naissance zu herrlicher Blüte geistigen Le bens und Schaffens entwickelte, in der aber auch die gegenseitige Eifersucht der Macht haber, Geldgier und Herrschsucht Charak tere bildete, die mit Gift und Dolch ihren Zielen nachstrebten, Charaktere wie z. B. Cesare Borgia, Herzog von Valence, der unter anderen Freveltaten auch seinen eige nen Bruder und seinen Schwager, den Gat ten der ebenso berüchtigten Lucretia Bor- gia, ermordete und für seine Zwecke die teuflischst ersonnenen Mittel und Instru mente benutzte. In meinem umfangrei chen Werk über die Familie Borgia finden Sie nun auch einen Ning erwähnt, den Cesare Borgia nach den Aufzeichnungen des Abtes Feriora, des besten Kenners je nes Abschnittes italienischen Kulturlebens, bei einem Goldschmied in Rom nach eignen Angaben fertigen ließ und der mit einem Mechanismus versehen war, durch den der Träger des Ringes unfehlbar vergiftet wurde. Welche Schandtaten mit Hilfe die ses Mordwerkzeugcs begangen sind, hat die Geschichtsforschung nicht mehr Nachweisen können. Der Ning, welcher das in einen Topas eingeschnittene Wappen der Familie Borgia zeigte, blieb dann mehrere Jahr hunderte lang verschwunden. Ich selbst sollte ihn zum erstenmal an jenem Tage sehen, als wir auf Schloß Waldberg die Hochzeitsgeschcnke auspackten, erkannte ihn aber nach Ferioras Beschreibung sofort an der eigenartigen Form und Fassung der Steine wieder. Ich hätte jedoch Wohl kaum irgendeinen Argwohn gehegt, wenn mich nicht schon vorher verschiedene auffällige Umstände stutzig gemacht haben würden. Zunächst enthielt nämlich Axels für mei nen Geschmack viel zu gekünstelter und auf bloßes Stimmungsmachen berechneter Brief eine bewußte Lüge. Denn von Geheimrat Wilmers hatte ich erfahren, daß dein Stief bruder, lieber Artur, in Monte Carlo wie ein Unsinniger gespielt und stets verloren hatte. Und damals schrieb er dir doch mit anscheinend größter Aufrichtigkeit, daß er keine Karte angerührt hätte. Weiter wollte er dann die Truhe und den Ring in Verona gekauft haben, was aber gar nicht zu dem kleinen Firmenschildchen stimmte, das ich am Boden der Truhe aufgeklebt fand und das von Axel sicherlich übersehen worden war. Dieses trug nicht die Adresse eines Veronesers, sondern die eines Antiquitä tenhändlers aus Rom. Durch diese Be obachtungen war bereits ein unbestimmtes Mißtrauen in mir rege geworden. Als ich dann am Fenster des Bibliothekzimmers stand und sah, daß ich tatsächlich den be rüchtigten Giftrina der Borgia in der Hand hielt, reihte sich blitzschnell in meinem Hirn eins lange Kette von Kombinationen an einander. Du hattest mir erzählt, daß Axel die Nachricht von deiner bevorstehenden Heirat mit auffallendem Gleichmut entge gennahm, trotzdem für ihn dadurch jede Hoffnung auf den einstigen Erwerb des Majorats erlosch, zu der er durch deine an fänglich so schwere Erkrankung einigerma ßen berechtigt war. Diese Gelassenheit wollte mir nie ganz echt erscheinen, beson ders da ich seine Charakterveranlagung ge nau kannte, jedenfalls genauer als du selbst, der niemandem so leicht etwas Schlechtes zuzutrauen vermag. Hieran er- innerte ich mich plötzlich, und notwendig sprangen meine Gedanken dann zu jenen Unwahrheiten über, die deines Stiefbruders Brief mir offenbart hatten. Jetzt glaubte ich an seine angebliche Besserung, seine reuevolle Einkehr nicht weiter. Und dem zewissenlosen Lügner, dem, der sein Ehren wort, nicht mehr zu spielen, so leichtsinnig brach, besonders aber dem federgewandtcn Heuchler, der dein Mitleid durch tönende Phrasen Wecken wollte, durfte ich eine noch größere Schurkerei zutrauen — eben den Versuch, dich durch den Giftring noch vor der Hochzeit zu beseitigen und dadurch in den Besitz der Kaisenburg'schen Güter zu gelangen." Aus des Majoratsherrn Gesicht war je der Blutstropfen gewichen. Schwer atmend lohnte er jetzt in dem bequemen Korbstuhl, während seine junge Frau, die neben ihm saß, ihn wie schützend umfangen hielt. „Unmöglich, Heinz, — unmöglich!" stöhnte er auf. „Du mußt dich irren! Denn das — das wäre ja gar nicht auszn- denken — der einzige Bruder — derartige Absichten „Und doch ist eS so!" fuhr Hagen trau rig fort. „Wir, die wir stets aufrechten Hauptes in dem Bewußtsein unserer unta-