Volltext Seite (XML)
WchMM str MW Beilage zu Nr. 134. Dienstag, 23. November 1908. Ans Sachserr. Wilsdruff, den 22. November. Für die deutsche Luftschiffahrt-Aktiengesellschaft sind dis jetzt in Dresden insgesamt 104000 Mark gezeichnet worden. Sie beabsichtigt, in Aussig eine Halle für lenk bare Luftschiffe und einen Ankerplatz zu errichten und er sucht den Stadtrat, zu diesem Zwecke ein möglichst ebenes, freiliegendes, quadratisches Grundstück im Ausmaße von 50000 bis 60000 Quadradmeter zu überlassen. Der Stadtrat hat der genannten Gesellschaft mitgeteilt, daß die Stadtgemeinde Aussig ihr Vorhaben tatkräftig unter stützen wird, sie möge vorläufig einen Vertreter zur persönlichen Aussprache und Auswahl des Platzes nach Aussig entsenden. — Der Rat zu Dresden genehmigte in seiner letzten Sitzung den baldigen Abbruch des Italienische» Dörfchens am Theaterplatze, der mit dem Brückenbau in Verbindung steht und notwendig wird durch die veränderte Gestaltung dieses Platzes. Mit der endgültigen Beschluß fassung über das an dieselbe Stelle nach den Plänen des Stadtbaurats Erlwein zu setzenden Cafö-Restaurants wird sich der Rat demnächst beschäftigen. Die Stadt Zittau befindet sich seit Dienstag nach mittag in einer recht unangenehmen Lage, sie ist infolge Zerstörung ihrer gesamten Leitungsanlagen von allem aus wärtigen Sprechverkehr abgeschnitten. Die gesamte Telephon- und zum großen Teil auch die Telegraphen leitungsanlage in Zittau ist zerstört bez. stark beschädigt. Sie bedarf einer fast völligen Erneuerung. Dort, wo die Drähte nicht direkt zerrissen sind — das ist aber an un zähligen Stellen der Fall — haben sie sich doch überstreckt oder ihre Befestigungen auf den Dächern sind verbogen und hängen tief zur Erde nieder. Was sonst noch intakt ist, muß also zum mindesten nachgezogen werden. Be sonders traurig sieht es in der Augustus-Allee, in der Frauentorstraße, am Park und an der Handwerkerschule aus. Dort sind eiserne Verankerungen auf Häusern, die hundert und mehr Leitungsdrähte zu halten hatten, unter der vermehrten Schnee- und Eislast glatt umgeknickt und die Drähte zu vielen Dutzenden gerissen. In der Neu salzener Straße nach Herwigsdorf zu brachen 18 Leitungs masten um. Im Hauptbahnhof bietet sich ebenfalls ein Bild großer Zerstörung dar. Den Hilfskolonnen, die von der Overpostdircktion Dresden nach dort beordert worden sind, erwächst eine Riesenarbeit, deren Bewältigung zweifellos viele Wochen in Anspruch nehmen wird. Zu nächst ist das Bestreben darauf gerichtet, die Hauptleitungen wieder herzustelleu. Am Mittwoch konnte noch wenig ge- tan werden, weil alle Dächer stark vereist sind und die Masten auf ihnen daher nur mit Lebensgefahr für die Arbeiter erreichbar gewesen wären. Schaden ist übrigens nicht nur an den Drahtleitungen, sondern auch an den Bäumen angerichtet worden. Diese waren vom Regen erst Völlig durchnäßt worden und dann infolge plötzlichen starken Frostes über und über mit einer dicken Eiskruste überzogen worden. Man sah nirgends ein freies Aststück, alles war wie in flüssige Glasmasse getaucht. Schlug man an einen Zweig, so brach dieser klirrend ab. Nach stürmischer Nacht sah es daher geradezu traurig in den Anlagen aus. Alles in allem haben die eigenartigen Wetterzustände am Mittwoch Zittau und der Reichspost schweren Schaden zugefügt, der noch lange in die Er scheinung treten wird. Eine ähnliche Wetterlage soll von dort bis in die Gegend von Neugersdorf-Ebersbach-Herrn- Hut geherrscht haben. Ei» neues militärisches Bild kann man jetzt in S«stzei»hai» beobachten: Die Husaren ziehen mit dem Karabiner auf Wache. Alle Ehrenerweisungen erfolgen mit dem Karabiner, nicht mehr mit gezogenem Säbel. Seit dem 1 Oktober ist die Kavallerie mit dem neuen Karabiner 98 ausgerüstet worden, der etwas länger ist als der alte und weiter trägt. Die Ehefrau des in Plaue« wohnhaften, aber bei einem Fabrikneubau in Falkenstein beschäftigten Maurers Bartos ließ ihrem Ehemann telephonisch mitteilen, daß seine drei Kinder am Typhus erkrankt sind, damit er den arbeitsfreien Bußtag dazu benutzte, nach Hause zu kommen. In demselben Augenblick, als der Portier dem ordentlichen, arbeitsamen Manne die trübe Botschaft übermitteln wollte, stürzte dieser aus einer Höhe von vier Metern ab und erlitt einen Schädelbruch, so daß er hoffnungslos dar- niederliegt. In der Nacht zum Dienstag wurde aus dem Konsumvereinslokale in Tckwarzeuberg der sieben Zentner schwere eiserne Geldschrank mit 4600 Mark In halt gestohlen. Auffallend schnell ist es dem eifrigen Nach forschen der dortigen Polizei gelungen, den Geldschrank aufzufinden und zwar im Flußbett des Schwarzwassers unweit der Stadt im sogen. „Rosenthal" bei Erla. Die Spitzbuben haben wahrscheinlich eine günstige Gelegenheit abwarten wollen, um dann den Schrank noch weiter zu transportieren. In einer Bodenkammer eines Hauses der Neefestraße in Chemriitz wurde am Freitag früh das dort bedienstete 22jährige Dienstmädchen Gumbricht und der 18 Jahre alte Kaufmannslehrling Eulitz erschossen aufgefunden. Die Beiden unterhielten, wie aus hinterlassenen Briefen hervorgeht, ein ideales Freundschaftsverhältnis und suchten gemeinsam den Tod, weil das Mädchen von einem andern Manne verführt worden war. Kaum hat der Schnee seine weiße Decke über die Flur gebreitet, so beginnt der Wintersport. Am Bußtage war der Verkehr nach Geifing-Altenberg ziemlich rege. Dort konnte die Rodelbahn schon benutzt werden. Die Schneehöhe betrug 40 Zentimeter. Für Ski und Rodel war die Bahn gut. Wie man von dort meldete, fiel der Schnee ruhig weiter. Unsere Nervenkrafte. Wer mehr von seinen Nervenkräften ausgibt als er einnimmt, der ist auf dem Wege angelangt, der zur Er mattung führt. Unser Nervensystem besteht aus dem Ge hirn und aus dem Rückenmark und d e Nerven sind die Ausläufer. Den besten Begriff von Nervenkräften wird man bekommen, wenn man sie sich als Spannkräfte vor stellt. Wenn ein Mensch gut geschlafen hat, dann ist auch in seinem Nervensystem eine andere Spannung vorhanden, als zu der Zeit, da er sich ermüdet zur Ruhe begibt. Die Tatsache, daß durch die Arbeit eine Spannkraft ver loren wird, und daß die Spannkraft durch den Schlaf wiedergewsnnen werden kann, ist von weittragender Be deutung. So lange wir uns eines guten Schlafes erfreuen, können wir zufrieden sein. Leider aber betrachten viele Menschen, namentlich die Jugend, den Schlaf als ein notwendiges Uebel, doch in der Tatsache, daß der Schlaf immer und immer kommt, und daß er imstande ist, die größte Willenskraft zu brechen, auch darin liegt eine große Bedeutung. Der Schlaf ist aber nicht das einzige Mittel, die Nervenkräfte zu erhöhen, es gibt noch ein Zwischenstadium zwischen Arbeit und Schlaf, das ist die Erholung. Doch mancher, der im Jahr seine vierzehn Tage oder vier Wochen Urlaub erhält, findet nicht die erwartete Erholung. Und warum nicht? Weil der Uebergang von Tätigkeit zur Ruhe ein zu rascher war. Wie die Sachen gehen, ist klar. Da muß erst dies und das noch erledigt werden, dann fährt man ab und gibt sich nun der Ruhe hin. Nur zu rasch kommt der letzte Urlaubstag heran; man tritt wieder ein und ein Berg von Arbeit erwartet uns. Es heißt: „Sechs Tage sollst du arbeiten und am siebenten Tage ruhen." Damit ist die Sonntagsruhe gemeint, und die kleinen Schulden, die die Woche mit sich bringt, lassen sich auch viel eher am Ende derselben ausgleichen, als wenn wir ein ganzes Jahr warten. Es gibt noch eine Quelle, unsere Nervenkräfte zn vermehren. „Das ist die Uebung." Die Uebung ist eine wunderbare Einrichtung unseres Organismus, mit jeder Wiederholung wird eine Arbeit leichter und schließlich gewinnen wir eine Leistungsfähigkeit, welche wir gar nicht geahnt haben. Durch die Arbeit werden nicht nur die Muskeln kräftiger, sondern auch die Bewegungsnerven und die höheren Nerven. Die Uebung ist die eigentliche Grundlage für die Erziehungsfähigkeit des Menschen, gerade bei der Erziehung unserer Jugend ist diese Fähigkeit vor allem zu beachten. Die Uebung erstreckt sich weniger auf das Wissen, als auf gewisse Fertigkeiten. Wir können unser Gedächtnis üben und uns Wissen aneignen. Das ist aber etwas ganz anderes, als wenn man meint, die Erziehung und Bildung bestehe darin, ein junges Hirn mit einer Menge von Wissen in mechanischer Weise anzufüllen. Wie kommt es nun, daß in unserer Zeit so viele Nervenübel existieren? Unsere Vorfahren haben auch ganze Nächte durchwacht und sich ebenfalls oft sehr an gestrengt, aber man hat von diesem Heer von Nervenübel nichts gehört. Sind die Menschen leichtsinniger geworden? Nein, durchaus nicht! Viele kommen ohne ihr Verschulden durch die Verhältnisse zur Erschöpfung ihres Nervensystems. Schuld daran ist unsere Zeit, das ist die ungeheure Steigerung der Population, das Zusammenleben von so und so vielen Tausenden von Menschen in den Groß städten, die enormen Verkehrsverhältnisse, welche unbedingt notwendig sind, um diesen Menschenmassen das Leben zu gestatten. Das ganze moderne Leben ist mit Nerven ausgaben verbunden, die Beziehung zu anderen Menschen haben sich in den letzten Jahren mtnvestens verzehnfacht, jeder einzelne ist bedeutend mehr in Anspruch genommen als früher. In diesen Verhältnissen liegt der Grund unserer heutigen Nervenübel. Km verkriMk. Originalroman von Hans Wachenhusen. 5 „Papa," sagte sie in kindlichem Ton, „da die Zache nun scbon so weil gediehen ist, verspreche ich Dir, sie recht liebenswürdig zu empfangen, und Robert wird dies auch tun. Vielleicht mag dies ja ein Glück für Klaus sein, der, je älter er wird, immer unerträglicher gewor den. Hübsch soll sie ja sein; wenn sie also nur klug ist und ihn zu behandeln versteht." „Das Gefrage in der Kaserne, sobald es bekannt wird! murmelte Robert vor sich hin. „Was wird Leutnant von Aellenthin sagen, der ganz verschossen in sie ist!« Der Diener meldete eben, daß Klaus mit einer Dame vngekommen. „Na, dann nur Wut!" brummte Robert vo rsich hin. Der Kommerzienrat richtete sich auf und zupfte an seiner weißen Weste. Kränzchen beobachtete ihn besorgt. „Also vorwärts, Kinder, empfangt sie! Ich folge Euch gleich!" bat er umherblickend. „Seid lieb gegen sie." Aränzchen warf noch einen Blick in den Spiegel, ordnete die Spitzen auf ihrer Brust, holte tief Atem und ging Robert voran. „Ein netter Geburtstag!" Er folgte ihr in das Spei sezimmer, durch das Wohngemach, entschlossen, die Sache von der besten Leite zu nehmen. In der Tür trat Aränzchen bereits die Verlobte des Bruders entgegen, mit einem großen Bouquet der schöns ten Rosen in der Hand, eine durch Schönheit, Iugend und Toilette glänzende Erscheinung, vor der das junge Mädchen eine Sekunde lang in Überraschung und Bewun derung dastand, in ihrer Verwirrung kaum verstehend, was der Gast ihr Verbindliches sprach. „Seien Sie uns herzlich willkommen st' brachte sie endlich hervor, die kleine Hand nehmend, dis sich ihr fast stürmisch bot. „Papa wird sogleich erscheinen. Robert, mein Bruder", deutete sie auf diesen. Der war in militärischer Haltung soeben neben sie getreten, mit frühzeitiger Kennermiene forschte und prüfte er vergebens nach Puderipur auf dem Antlitz, sah diese großen, tief liegenden, feurig dunklen Augen, aus denen es wie Raketen leuchtete, die klare, auf den Schläfen von dunkelbraunen Löckchen bedeckte Stirn, die frichen, roten Lippen und dann erst das seltsame, phantastische, kleine Sommerhükchen, mit den einfachsten Blümchen garniert, die klassisch geformte,, schöne Gestalt und die pfirsichfarbene Sommerrobe, welche diese umschloß. Auch er kam eben erst dazu, ihr möglichst im Offiziers- ton ein Kompliment zu sagen, als ihr Zurückireten und Forlblicken ihm sagte, daß der Vater eingelreten war. Er war über die erste Schwierigkeit hinaus, denn Laurette Wandel eilte auf den alten Herrn zu, ihm das Bouquet reichend und ihm mit ihrer klangreichen Stim me, einem Mezzosopran, eine Anrede haltend, die den alten Herrn im ersten Moment betroffen machte, denn er erlag unwillkürlich dem Effekt dieser überraschenden Erscheinung, an welcher alles zusammen wirkte, um seine Sinne zu befangen. Er war allerdings auf den Empfang einer Künstlerin vorbereitet gewesen, aber er, der seinen so prosaischen Sohn kannte, war auf eine solche kükne Wahl nichi gefaßt. Der Glanz in ihren lebhaften Augen wirkte wie Zauber auf ihn, der Duft des Bouquets, das sie ihm gereicht, betäubte ihn fast, der Klang ihrer Stimme war melodisch, die vornehme Atmosphäre, die sie verbreitete, tat das ihrige hinzu, und als jetzt diese stolze Salon dame seine Hand ergriff und sie in kindlicher Ehrfurcht an äie schönen roten Lappen führen wollte, hinderte er dies gewaltsam, beugte sich zu ihr und drückte einen Kuß auf ihre Stirn. Er war gefangen, sein ganzes Empfinden war nül Bewunderung. Er reichte schweigend Klaus die HanL der, stolz auf diese Szene, neben sie getreten, währen! Aränzchen ihm aufmerksam das schwere Bouquet ab nahm und Robert, mit Schweigen zuschauend, das klein« Schnurb ärkchen zwischen seine Finger nahm, worin el durch das Eintreten eines von ihm geladenen Schub freundes und Kameraden gestört wurde. Der Kommerzienrat machte jetzt der Empfangsszen« ein Ende. Er nahm den Arm der zukünftigen Zchw-is gertochker und führte sie unter galanten Worten zu« Tafel, ihr den Platz neben ihm bietend. Der Bank war damit gebrochen, Laurette Wandel als Familien glied eingeführk. Klaus war nie so heiter und zufrieden gewesen, wll heute; die Unterhaltung war eine sehr rege, Lauretb wußte sie zu führen; der alte Herr beobachtete sie da bei ost heimlich und dann war's zuweilen doch, als leg« üch ein Wölkchen über seine heitere Stirn. Er suchb in den Zügen des schönen Geschöpfs und vielleicht mochb er gesunden haben, was ihn trüber stimme. Mehrmals Halle er auch Gelegenheit gesucht, mit ihi über ihre Familienverhältnisse zu sprechen, aber es er schien ihm taktlos, dies gewaltsam herbeizuführen; da« konnte ja im Garten geschehen, wo man den Kaffo einnehmen wollte. Alles ging allo gut, Robert hakte sich mit seinem Kameraden Otto von Schimmelpfennig im Ehampagnez -inen kleinen Spitz angetrunken und der begeisterte ihi zu einer Rede. Aränzchen hatte sich beim Dessert neben ihre zukünftige Schwägerin gesetzt und plauderte mit ihr aus's Intimste; Klaus blieb in der gehobensten Stimmung, gegen den Vater liebenswürdiger als je, und so wurd« denn die Tafel dadurch aufgehoben, daß Aränzchen Arm in Arm mit Laurette über den Balkon, den Anderen voran, in den Garten Hinabstieg. -