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WeMM fk UMM Beilage zu Nr. 125. Sonnabend, 30. Oktober 1909. Betrachtung für 2t. Sonntag nach Trinitatir. Npostelgksch, 4, 12: „ES ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden." In der letzten Sonntagsbetrachtung erkannten wir, daß es mit den verschiedenen Fassons, nach welchen die Menschen selig werden wollen, nichts ist. Die, welche die Seligkeit von der Gutmütigkeit des lieben Gotte» hoffen oder den Himmel durch ihre guten Werke sich erwerben wollen, werden einst ebenso sehr erschrecke» wie die, welche sich selbst erlösen wollen, indem sie da« Dasein der Sünde leugnen oder die Sünde sich selbst vergeben. Alle solche menschliche Weisheit wird mundtot gemacht durch die göttliche Weisheit, welche spricht: »Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Raine de« Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden, denn allein der Name Jesus Christus." So bekannte einst der Apostel Paulus vor dem hohen Rat, und der Apostel Paulus schreibt an die Christengemeinde zu Korinth: »Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung." Die Sache liegt -:lso so, daß Gott in seiner Gnade sich selbst ins Mittel geschlagen hat, sonst wäre uns der Himmel in alle Ewigkeit verschlossen. Wer das nun verschmäht, was Gottes Liebe zu unserer Rettung und Erlösung getan hat, dem ist nicht zu helfen. Ais der Kerkermeister von Philippi in seiner Herzensangst den Apostel Paulus anrief: „Was muß ich tun, daß ich selig werde?" — da hat ihm der Apostel nicht eine lange Predigt gehalten, sondern kurzweg gesagt: „Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du selig. Und das ist es in der Tat, worauf alles ankommt. Ist uns doch in Christus alles gegeben, was wir zu unserm ewigen Heil gebrauchen; ist er uns doch von Gott gemacht zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung. Willst du noch ein andres Beispiel dafür, daß nur der Glaube an Christus selig macht, so versetze dich im Geiste ins Augustinerkloster zu Erfurt. Dort liegt mit zergeißeltem, vom Fasten und Wachen ganz ausgemergeltem Leib der Mönch Martin Luther wie tot aus dem kalten Estrich seiner Zelle. Um den Frieden mit Gott zu finden und seines ewigen Heils gewiß zu werden, hat er alles getan, was die Kirche forderte, hatte er sich geübt in allen guten Werken. -Ernster konnte es keiner meinen als Bruder Martinus, aber im ganzen Kloster war auch keiner unglücklicher als er, denn je mehr er sich auf diesem Wege mühete, desto ferner rückte ihm das Ziel, desto trostloser klagte die geängstete Seele: „Es ist zu schwer, ich kann es nimmer mehr, o meine Sünde!" — bis endlich ein Klosterbruder sich ihm nahte mit der Botschaft: Es gibt eine Ver gebung der Sünde! Bruder Martinus, verstehst du das? Du sollst den Himmel nicht erwerben, du sollst dem Herrgott deine Schuld nicht abkaufen, sondern er will sie dir schenken und Gnade vor Recht ergehen lassen. Diese Botschaft war dem armen Mönch ein Licht in dunkler Nacht. Er war mit einem Schlag wie um- gewandelt; er fühlte: o, wenn es so steht, wenn die Gnade Gottes uns der Himmel als ein freies Geschenk darbeut, ja, dann werde ich ruhig und getrost, denn dann brauche ich ja bloß zuzugreifen und habe er nicht nötig, mich ferner nutzlos abzuquälen und mir eine Leiter in de» Himmel zu bauen, die bei jedem Tritte bricht. Aber war es denn auch wahr, was der Klosterbruder ihm verkündet hatte? Mit zitternder Hand suchte Luther in der Bibel, auf die ihn jener gewiesen, und richtig, da stand», da schrieb der Apostel Paulus: „So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werk, allein durch den Glauben", und abermals: „Aus Gnade seid ihr selig geworden, durch den Glauben, und dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand rühme." Jetzt hatte ers gewiß und nun atmete er auf, nun hob sich da» geängstete und zerschlagene Herz und faßte einen fröhlichen Mut zu Gott, nun war er wie aus dem Grabe zu einem neuen Leben auferstanden. Und nun konnte ers nicht lassen, er mußte das selige Geheimnis auch andern sagen, der ganzen Welt sagen. Er tat seinen Mund auf zum Zeugnis, und die die neue Mähr v:r- nahmen, o wie die horchten. Durch die ganze Christenheit gings wie das Rauschen einer neuen Zeit. Die Herzen erlabten sich an der fröhlichen Kunde: Ihr sollt den Himmel geschenkt bekommen, glaubt nur an die Gnade Gottes in Christo Jesu, dann ist euch die Seligkeit gewiß. Durch den Glauben an Christus werden wir selig, — ists nicht eigen, daß dennoch so viele nichts von ihm wissen u ollen? Wenn jemand ins Wasser gefallen ist, und vom Ufer streckt ihm jemand die Hand zur Rettung entgegen, ist denn das eine zu Harke Zumutung an ihn, daß er diese Hand ergreift und sich retten läßt? Gibt es denn für uns Menschenkinder eine fröhlichere und seligere Botschaft als die Botschaft von Christo? Es mögen verschiedene Gründe für solche Abneigung gegen den Herrn vorhanden sein, Gründe, die entweder aus dem verirrten Verstand oder aus dem verdorbenen Herzen kommen; aber nichtig sind sie alle miteinander, das ist klar. Wir müssen jeden beklagen, der sich durch diese Gründe abhalten läßt, zu Jesu zu kommen, denn es bleibt nun einmal dabei: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen sie sollen selig werdcn. Unterschreibst du das, lieber Leser? Wohl dir, wenn du jenes Wort als eine Lüge des Satans erkannt hast: Jeder kann nach seiner Fasson selig werden; wohl dir, wenn dein innerstes Herz spricht: Es gibt nur iinen Namen, darinnen wir können selig werden, es gibt nur einen Weg zum Himmel; dreimal aber wohl dir, wenn du dann mit allem Ernst hinzusetzest: Diesen Weg, den will ich auch gehen. In meines Herzens Grunde Dein Nam', Herr Christ, allein Funkelt all' Zeit und Stund?, Des will ich fröhlich sein. Ans Sachsen. Wilsdruff, den 29. Oktober. Der außerordentliche Bedarf der Stadt Dresden im Jahre 1909 bezifferte sich insgesamt auf die hohe Summe von 12500000 Mark. 1200000 M«rk werden für den RathauSneubau, 800000 Mark als erste Rate für die Ausstattung de» neuen Rathauses, 3000000 Mar! für den Schlachthofneubau gefordert, und «Is Kaufpreis für Helbigs Etablissement anläßlich deS Neubaues der Augustusbrücke 500000 Mark. Die gesetzliche Vormundschaft über uneheliche Kinder war vom Rate zu Dresden — zunächst versuchsweise — vom 1. Januar 1907 auf drei Jahre eingeführt worden. Da sie sich in dieser Zeit durchaus bewährt hat, so hat der Rat beschlossen, diese Vormundschaft vom 1. Januar 1910 ab endgültig einzuführrn. Sie soll in Zukunft auch auf die außerhalb Dresdens geborenen unehelichen Kin er erstreckt werden, sowie für diejenigen Kinder in Kraft bleiben, die auf Kosten der Dresdner Armenkasse in auswärtige Pflege gebracht werden. Was die Ergeb nisse der bisherigen gesetzlichen Vormundschaft betrifft, so sei erwähnt, daß im Jahre 1907 von 132 Vätern un ehelicher Kinder 22 655 M., 1908 von 439 Vätern 72 417 M. und im laufenden Jahre bis jetzt von über 700 Vätern rund 88000 M. an Unterhaltungsbeiträgen eingezogen wurden. Eine dunkle Angelegenheit beschäftigte gegenwärtig die Polizeiorgane. Ein in Rabrnau geborener, gegen wärtig in Hannover wohnhafter Arbeiter namens Pretzsch hatte seiner Ehefrau erzählt, er habe im Jahre 1907 in der Nähe von Rabenau einen Mann namens Johann Wolterek erwürgt. Als jetzt Pretzsch mit seiner Ehefrau in Unfrieden geriet und diese die Scheidung begehrte, er stattete dieselbe der Staatsanwaltschaft Anzeige davon, was ihr Mann früher begangen haben wollte. Pretzsch stellte die Sache aber als unwahr hin, er wollte nur seine Frau gruselig gemacht haben. Die angestellten Er örterungen haben jedoch ergeben, daß tatsächlich im Jahre 1907 in der Nähe von Rabenau (in Ortsflur Spechtritz) ein unbekannter Toter aufgefunden worden ist, der wegen vorgeschrittener Verwesung an Ort und Stelle begraben worden sei. Man darf auf das weitere Ergebnis der Untersuch ng gespannt sein. Auf der Salzstraße in Chemnitz entstand am Dienstag abend ein großer Menschenauflauf. Ein 13- jähriger Knabe, dem der Mund verbunden war, wurde mit einem Strick gefesselt auf dem Hausflur seiner . Wohnung aufgefunden. Er erzählte, zwei größere Knaben ! hätten ihn, während sich seine Eltern auf Arbeit befanden, in der Wohnung überfallen und gefesselt. Die Eltern des Knaben vermißten 30 Mark Bargeld, und man glaubte daher einen Ueberfall in der von dem Knaben geschilderten Weise. Die Kriminalpolizei ermittelte indeß, daß das hoffnungsvolle Bürschchen selbst das Geld ge stohlen uns in der Wohnung versteckt hatte, worauf ftch der jugendliche Uebeltäter selbst fesselte. Eine Räuberhöhle hat man vor den Toren der Stadt Chemnitz entdeckt. Nicht das erste Mal ist es, daß im Dickicht des Zeißigwaldes eia Räuberlager ausgehoben wurde. Bor zwei Jahren erst wurde der berüchtigte Auch dieses Gelaß war leer. In einem anderen Raumes Essen und für den Hofrat den Speisezettel aus der „Krone" des Hauses hatte sich der alte Herr niemals aufgehalten, zu holen. Die letzte Nacht 2j Josef konnte sich ihn jetzt also nur außerhalb des Hauses Es war ziemlich finster im Zimmer, denn nur ein halber Spaletladen war ein wenig aufgestoßen: durch diese Lücke hatte nachts der Mond geschaut, hatte das Bett des Hofrates und den darin Schlafenden beleuchtet. Jetzt war ein nebliger Wintermorgen. Josef stieß die Holzladen auf, dann tat er einen Blick nach der Tiefe des Zimmers. Es war ein zögernder, scheuer, angst voller Blick. Josef blieb dabei dicht am Fenster stehen. Er ahnte, daß er Gräßliches sehen würde, und er wollte es von dorther sehen, wo er der Außenwelt am nächsten war. Sein zögernder, scheuer, angstvoller Blick verwandelte sich bald in einen Blick der höchsten Verwunderung. Er hatte einen Toten zu finden erwartet, er hatte an einen Schlaganfall, an einen Mord gedacht, er sah von alldem nichts. Er sah aber auch seinen Herrn nicht. Jetzt trat Josef schier starr vor Erstaunen an das Bett heran. Hatte er sich denn heute Nacht geirrt? Nein! Er hatte sich nicht geirrt. In diesem Bett da hatte sein Herr gelegen. Noch war im Kopfkissen der Eindruck seines Hauptes, deutlich waren die leichten Falten im Leintuche zu sehen und die Decke war unordentlich zurückgeschlagen und halb nach vorne über den Bettrand gesunken. Josef stand lange mit ineinander gepreßten Händen vor dem zerwühlten Lager. Wohin war sein Herr zu so früher Stunde gegangen? und so heimlich! Obne ihn zum Dienst zu rufen, ohne Hm Aufträge zu geben! Daß der Hofrat fortgegangen war, daran war nicht A zweifeln, denn es fehlten auch sein Hut, sein Ueberrock, sein Schirm. Davon überzeugte sich Josef sofort. , Er tat noch einen Blick in Reutemanns Arbeits- Kmmer. Es war vom Schlafzimmer her zu erreichen. ' Lange wagte er sich nicht aus dem Hause. Er hatte ja den Torschlüssel, welchen sein Herr stets mitzunehmen denken. Er eilte über die Treppe hinab. Da fand er denn auch, daß Reutemann das Haus verlassen haben mußte. Das Tor war aufgesperrt. Der Herr war hinausgegangen und hatte es, auch ganz gegen seine sonstige Gewohnheit und Vorsicht, nur zugeklmkt. Ratlos stand nun Josef vor dem Tore. Unwillkürlich schaute er auf den Schnee nieder. Aber da waren heute schon gar manche Leute gegangen. Nach rechts und nach links führten die Spuren kleiner und großer Füße. Dennoch schaute Josef genau und aufmerksam auf den Boden. Sein Herr hatte ja ganz andere Absätze an seinen Schuhen, als sie die Leute hier in dem alten Provinzstädtchen trugen; der Hofrat hatte seinen Schuh macher in der Provinzhauptstadt und der gab ihm sogenannte amerikanische Absätze an die Schuhe. Es waren kreisrunde, drehbare Absätze, gut gegen das Ueber- treten. Keiner als der Hofrat benützte hier diese kleine, praktische Neuerung. Deshalb suchte Josef so eifrig nach dem Abdruck der kreisrunden Absätze, sie hätten ihm wenigstens die Richtung angegeben, in welcher sich sein Herr vom Hause entfernt hatte. Beunruhigt ging der Diener wieder in das Haus. Endlich mußte ja sein Herr doch zurückkommen. Josef fand aber bei keiner Arbeit Ruhe, wie sehr er sich auch darein vertiefte, wie ganz besonders genau er auch heute alles besorgte. Endlich, es war darüber fast Mittag geworden, waren sämtliche Zimmer aufgeräumt, uud es trat jene Pause ein, welche Josef sonst immer dazu benützte, um sich sein pflegte, auf dessen Nachtkästchen gefunden. Der Hofrat konnte also nicht ins Haus, wenn er es verließ. Endlich fand Josef einen Ausweg. Er übergab des Hofrats Hausschlüssel dem Kauf- manne von nebenan, der versprach, schon darauf zu achten, falls der Herr nach Hause käme. Nun ging Josef zur „Krone". Dort erfuhr er, daß der Herr Hofrat nachts etwas nach 12 Uhr sortgegangen sei. Auch habe er sich noch eine Flasche Rotwein mit genommen. Er war ganz wohl und heiter gewesen und habe für heute seinen Lieblingsbraten bestellt, der denn auch schon im Rohre brate. Das also erfuhr Josef von der Kronenwirtin, die höchsteigenhändig dem Diener ihres alten Stammgastes die gewohnten, guten Bissen herrichtere Daraufhin erfuhr sie von dem Bekümmerten das. sonderbare Vorkommnis des Morgens. Auch die Frau schüttelte den Kopf. „Warten S', Josef. Da hole ich den Herrn Gerichts adjunkten. Mit dem hat der Herr Hofrat gestern so viel besprochen, vielleicht weiß er, was Jhr'n gnädig'n Herrn zu dem eiligen Fortgeh'n veranlaßt hat." Im nächsten Augenblick war die lebhafte Frau verschwunden, und wieder einige Augenblicke und sie kam in Begleitung eines älteren Herrn zurück. Es war ein ebenso Pedant aussehender, peinlich sauber gekleideter Herr, wie es der Hofrat war. Es war sein langjähriger Freund, der GerichtSadjunkt Heinberger. Auch er wichte nichts von des Hofrates seltsamen Vorhaben. Er zeigte sich ängstlich und herzlich besorgt.