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WeM K MlMH Sonnabend, 6. November 1909 Beilage zu Nr. 128. M Anrze Lhvstttk. I« de« Tod gegangen. In einem Hotel in Bremen hat sich, wie erst jetzt bekannt wird, bereits am 22. Oktober der Borsteher der Pariser Generalagentur des Norddeutschen LloydS, Pawlowski, erschossen. Ueber die Motive der Tat wird von der Direktion des Nord deutschen Lloyds folgendes mitgeteilt: Pawlowski, der anscheinend einen leichten Lebenswandel geführt hat, hat in Paris ca. eine halbe Million Franken Schulden ge macht. Außerdem hat er das Vermögen seiner Stief tochter durchgebracht. Im Juni d. I. hat sich seine Stieftochter verheiratet, und Pawlowski sollte mit der Mitgift hrrausrückcn. ES ist ihm nicht gelungen, die veruntreuten Gelder aufzutreiben. Dies und die hohe Schuldenlast haben ihn in den Tod getrieben. Der Norddeutsche Lloyd erleidet durch Pawlowski keinerlei Verluste. Die Kaffe des Lloyds ist in vollkommener Ordnung. Pawlowski hat in Paris im Autoklub allein 100000 Franken Schulden hinterlassen. Ein Ltebesdrama? Aus Preußisch-Stargard wird berichtet: Vorgestern morgen wurde in der Nähe des Landgestütes die 19jährige Arbeiterin Sprengler mit einem Schuß unterhalb der Schläfe aufgefunden. Später wurde der Unteroffizier Schubert im 72. Feldartillerie regiment tot mit einem Herzschuß aufgefunden. Maffenflucht von Fürsorgezöglingen. Bei der Erziehungsanstalt Seehof find acht Fürsorgezöglinge entflohen. Sie haben sich sämtlich nach Berlin gewandt. Von den Flüchtlingen konnte bis jetzt nur einer, ein 16 jähriger junger Meusch, eingefangen werden. Sittlichkeitsverbrechen. Der bisher Unbescholtene wurde festgenommen. . Vor dem Gericht in Pla«-« fand am Montag eme Verhandlung statt, wie sie erfreulicherweise eine große Seltenheit ist. Der 33 Jahre alte Stricker Otto Stuben- Höfer in Reusa hatte sich nicht gescheut, gegen seine eigene Mutter Beleidigungen auszustoßen, die geeignet waren, das Scham- und Ehrgefühl einer Mutter auf das aller schwerste zu verletzen. Da er sich weigerte, seiner tief- gekränkten Mutter volle Genugtuung zu geben, blieb ihr nichts weiter übrig, als den Weg der Prioatklage zu be schreiten. Gerichtlicherseits wurde den Parteien anheim gegeben, den Skandal durch gütliche Vereinbarung auS der Welt zu schaffen, und die Mutter war auch dazu bereit. An der Hartnäckigkeit des Sohnes, der Abbitte leisten und 25 Mark zu einem wohltätigen Zwecke leisten sollte, scheiterten indes die Vergleichsverhandlungen. Selbst auf die Bemerkung des Richters, daß die Beleidigungen so ekelhaft seien, daß er sich beinahe geniere, darüber zu verhandeln, war er nicht zu bewegen, seiner Mutter die Hand zur Versöhnung zu reichen. Während der Ver handlung wurde wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Oeffentlichkeit ausgeschlossen. Die beleidigte und tief gekränkte Mutter ging aus dem widerlichen Rechtsstreite völlig gerechtfertigt hervor. Der Sohn aber wurde in Anbetracht der Schwere der Beleidigungen, wie sie im Schöffengerichtssaale in dieser Art wohl noch nie zur Spiache gekommen sind, zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Aus» Sachsen. Wilsdruff, den 5. November. Die Warenhaussteuer in Dresde« ist, wie sie vom Rat und den Stadtverordneten beschlossen worden war, nunmehr auch von dem Ministerium des Innern abgelehnt worden, das sich auf das gegen den Entscheid der Kreis hauptmannschaft eingelegte Rechtsmittel mit der Steuer ordnung für die Warenhäuser und Zweiggeschäfte der Stadt Dresden zu beschäftigen hatte. Nach einem früheren Beschlusse werden die Dresdner städtischen Körper- schäften jetzt eine Warenhaussteuer nach dem Chemnitzer Muster cinführen. Einem Dresdner ist vor wenigen Wochen ein Luftschiff mustergeschützt worden, welches einen neuen Typus darstellt. Es hat, wie in den „Dresdner Nachr." milgeteilt wird, die Form eines umgekehrte Schiffes mit Fallschirmvorrichtung. Diese Konstruktion ist not wendig, da das Flugschiff nicht durch schräggestellte Flächen gehoben und gelenkt wird, sondern ausschließlich durch Propeller. Die Wafferstoffgarfüllung trägt angeblich rund 19/20 des Eigengewichts, einschließlich 12 Personen, während daS restierende Zwanzigstel des Gesamtgewichts durch motorische Kraft gehoben und in den gewünschten Höhenlagen gehalten wird. Eine Gondel sowie ein Flächensteuer ist gleich den Maschinen rechts und links neben diesen in der Mitte des Fahrzeuges eingebaut. Da nun die benötigten vier Maschinen dicht bei einander an geordnet sind, so kann, wie es weiter heißt, deren Be dienung vom Schiffsführer allein bewirkt werden. Die Lenkung durch im vorderen Teile schräg gestellte Propeller wird als von größter Wichtigkeit bezeichnet, da die energische Druckwirkung derselben auch recht starken Wind bekämpfen und ein seitliches Abireiben des Schiffes, wenn es in der Breitseite getroffen, vermieden werde. Am Hinteren Ende befinden sich ferner zwei klüftige Propeller nebeneinander, welche ihre Gewalt direkt gegen den Schwerpunkt des Schiffes richten, um dieses vorwärts zu treiben; hierbei unterstützen es die sogenannten Lenk propeller, wenn sie ihrer speziellen Obliegenheit entbunden sind, als Führung in gerader Linie dienstbar gemacht. Die Bedienung soll sehr einfach und von jedem Maschinen schlosser schnell zu erlernen sein. Hilfskräfte seien weder beim Aufstieg noch bei der Landung erforderlich. In seinen Abmessungen erscheint es als kleinstes und billigstes > Luftfahrzeug, dem starren System angehörig. Der Er- sinder teilt jedoch das LoS vieler, er kann sein Schiff aus eigenen Mitteln nicht bauen. Vielleicht lenken vorstehende Zeilen die Aufmerksamkeit besitzender Klassen auf ein Objekt von weittragender Bedeutung, das voraussichtlich mit hoher Rentabilität verbunden sein dürfte. I» Hermsdorf bei Pirna hat sich am Donnerstag abend ein folgenschweres Familiendrama zugetragen Im Wohnzimmer seines Schwiegervaters, der Postagenten H., schoß der Mühlenarbeiter E. plötzlich aus einem Pistol auf seine Frau, mit der er erst zwei Jahre verheiratet ist, i« letzter Zeit aber in Uneinigkeit lebte. Darauf gab er mehrere Schöffe auf sich ab, die seinen sofortigen Tod zur Folge hatten. Die Frau, aus deren Körper die Kugel entfernt werden konnte, befindet sich außer Lebens- gefahr. Der Tote wurde nach der Langhennersdorfer Totenhalle gebracht. Er hinterläßt außer der Frau noch zwei kleine Kinder. In Gegenwart des Königs Friedrich August und seiner Söhne fand am Montag die Weihe der seit einem halben Jahrhundert erwarteten neuen „Kronprinzen- Brücke", der neuen Spreetalüberbrückung bei Bautzen statt. Die neue Sprectalbrücke ist ein Meisterstück deutscher Steinbaukunst und eine bedeutsame Verkehrsader Bautzens. Sie ist dem Stadtbilde des türmereichen sächsischen Nürnberg angepaßt und mußte ebenfalls aus Stein er richtet werden. DaS Ministerium bewilligte als Beihilfe des Staates zu dem Brückenbau 600000 Mark, während die Stadt Bautzen die fehlenden 500000 Mark zu über nehmen hatte. Vor 1^ Jahren, im März 1908, wurde mit den Ansschachtungsarbeiten begonnen. 3900 Kubik meter Boden, darunter 600 Kubikmeter Felsen und 250 Kubikmeter felsartige Masse war fortzuschaffen. Gegen 1750 Kubikmeter Beton werden für die breiten Pfeiler fundamente verwendet. Binnen wenigen WoHen erstanden dann die gewältigen hölzernen Bogengerüste, wozu 165 Pfühle stärkster Dimension in die Spree eingerammt wurden, etwa 1000 Kubikmeter Holz, 1200 Hartholzteile und 7700 Schraubenbolzen (in einer Gesamtlänge von 3'/, Kilometer) notwendig waren. Zusehends strebten nun die gewaltigen Pfeiler für die vier 35 bez. 27 Meter weiten und 25 Meter hohen Bogen in die Höhe, sodaß noch vor Eintritt des Winters am 24. Oktober 1908 der Bogenschluß der steinernen Bogengewölbe erfolgte. In folge des langen Winters konnten die Arbeiten erst im März 1909 wieder fortgesetzt und zunächst die Stütz oder Flügelmauern zwischen den einzelnen Boge» hoch geführt werden. Hierauf wurde mit der Lüftung des Leer gerüstes begonnen. Da die Brücke aufFelsen gebaut ist, haben sich die Bögen nach vollständiger Entfernung fast gar nicht gesenkt. Inzwischen waren auch die von einem Dresdner Hofbildhauer in Stein ausgeführten sächsischen Wappen in der Mitte der beiden mittleren Bögen beider seits der Brücke beendet und so konnte an die Heran bringung der Erdmaffen für den Brückenoberbau usw. herangegangen werden. Insgesamt sind etwa 11000 Kubikmeter Mauerwerk und 90 Eisenbahnwaggons Zement verarbeitet worden. Die Brücke hat eine lichte Weite von 11 Metern, wovon 8 Meter auf die Fahrbahn und je i ff, Meter auf die beiderseitigen Fußsteige zu rechnen sind. Lon weitgehendster wirtschaftlicher Bedeutung ist die neue Spreetalüberbrückung, die jetzige Kronprinzen brücke. Sie erleichtert in hervorragender Weise den Verkehr und ist die denkbar günstige Verkehrsader für den westlich der Spree erschlossenen Stadtteil, die Vorstadt Bautzen-Neustadt. Ein seit Jahrzehnten gehegter Wunsch der Bevölkerung ist damit in Erfüllung gegangen. Den Erbauern dieses Meisterwerkes deutscher Bauwerker ge bührt volles Lob. Herr» Finanzminister Dr. v. Rüger wurde i« Würdigung seiner Verdienste um das Zustande kommen der Spreetalbrücke das Ehrenbürgerrecht der Stadt Bautzen verliehen. Ein zirka zehn Jahre alter Knabe aus Zwickau hat seinem Vater gegen 200 Mark gestohlen und damit das Weite gesucht. In Reichenbach verübte ein 28 Jahre alter Bäcker- gehilfe an einem vierjährigen Mädchen ein schweres Die letzte Nacht dem „Wer hat denn gleich so ost wie wir mit Innersten des Menschenherzens zu tun?" sagte er. „Schlechter Menschenherzen!" „Verfolgter, in Angst und Leid zitternder!" „Wie Sie sich nur so viel Herz bewahren konnten!' meinte lächelnd der Beamte. Reiner lächelte auch. Er nimmt ein Paar der Stiefeln nach dem andern in die Hand. Er besieht ihre Sohlen. Die Stiefeln sind alle getragen worden. Natürlich der Reihe nach getragen. Sie sind keine hiesige Ware. In die schwarzen, rotgeränderten Strupfen ist der Name des Schuhmachers eingewirkt. Es ist eine Firma der Provinzhauptstadt, die dem Herrn Hofrat die hochgewölbten, bequemen Stiefel besorgte, und er trug sie abwechselnd, damit sie immer fein weich und brauchbar bleiben sollten. So wollten es die Vernunft, die Erfahrung und vermutlich auch die Pedanterie des alten Herrn, und letztere hielt sich vermutlich auch an eine genaue Reihenfolge. Und nun fehlte mitten aus der Reihe ein Paar. Noch eins war an den Stiefeln zu bemerken. Sie hatten alle kreisrunde, drehbare Stöckel. Reiner stellte sie wieder genau so hin, wie er sie gefunden. Einen Stiefel in die Ecke, dann war die Lücke, und dann kamen die fünf anderen Stiefeln. Reiner schüttelte den Kopf, als er langsam aus dem Zimmer ging. Er war schon im Begriffe, das Haus zu verlassen, da kehrte er noch einmal um. „Ich werde alt," sagte er seufzend. Er schüttelte jetzt unmutig, ungeduldig den Kops. Ueber seine Wangen war ein Helles Rot gehuscht. Er war ob einer unbe greiflichen Vergeßlichkeit errötet. Er stieg wieder die Stufen hinan. Er blieb am ersten Stiegenabsatze stehen. Da hatte er früher einen Wandschrank bemerkt und ihn geöffnet. Es standen Flaschen in den schmalen Fächern. Auch sie waren schön geordnet. Oben war eine Reihe Mineral-Flaschen, weiter unten reihte sich Weinflasche an Weinflasche. Alle waren sie leer. Alle hatten sie eine Form und Größe und dieselben Etiketten. Er achtete sehr genau „Sie haben recht, und ich will Ihrem Rate folgen. Unser guter Doktor hat ja zudem die Hand auf seinen Patienten gelegt, so kann also ich noch ein Weilchen zusehen." „Und ich habe also die Bewilligung, das Haus in Augenschein zu nehmen." „Die haben Sie, und wenn Sie suchen, finden Sie auch. Die Behörde hat uns einen großen Dienst geleistet, da man Sie hierher dirigierte." „Man interessierte sich eben für diesen Fall; überdies war Reutemann einst ein Intimus meines Chefs, darum willfahrte man Herr Hembergers Bitte sofort." Noch einige Worte fielen, und die Herren trennten sich. In den ersten Nachmittagsstunden befand sich Reiner im Hause des Vermißten. Wir finden ihn eben in des Hofrats sehr beschei denem Garderobezimmer. Einige hohe, alte Kästen ent halten die ein wenig altmodischen, aber peinlich sauber gehaltenen Kleidungsstücke des alten Herrn. Die Kästen sind unversperrt; natürlich, das Haus ist ja stets versperrt, und Josef mußte ja all das, was dieses Zimmerchen enthält, zugänglich sein. An einer offenen Stelle stehen der Reihe nach glänzend geputzte Stiefel, unter diesen auf niedrigerem Bord befinden sich Hausschuhe, Pantoffel und Gummischuhe. Sie stehen dicht aneinander gereiht. Oben aber zwischen den Stiefeln ist eine Lücke. Auf dieser Lücke haften nachdenklich die Augen des Detektivs. „O, dort könnten Sie mir sicherlich noch manche Frage beantworten, die ich eben nur dort an Sie stellen könnte," entgegenete der Detektiv auf seine bange Frage. Josef richtete sich auf. „Vielleicht geht es. Vielleicht kann ich aufstehen." Es ging jedoch nicht, matt sank er wieder in die Kissen zurück. Er war seit dem Feldzuge, seit seiner Verwundung niemals wieder gesund und kräftig geworden, das zeigte sich ganz besonders jetzt, da zur leiblichen Kränklichkeit noch Kummer und Angst gekommen waren; der Doktor hatte recht, der Klatsch hatte Josef niedergeworfen. Reiner dachte nicht mehr daran, ihn zum Aufstehen ver anlassen zu wollen. Er aber erhob sich. „Heute noch werde ich mir das Haus ansehen," sagte er, „und wenn ich wieder komme, hoffe ich Sre Wohler, als Sie heute sind, zu finden". Er ging. Im Städtchen begegnete er dem Polizei kommissar. — Er zog den Hut. Sie waren in einem engen, menschenleeren Gäßchen. Dennoch wurde Reiners Gruß nicht sogleich «widert. Der Herr Kommissar war in tieft Gedanken verloren. Erst als Reiner stehen blieb, sah jener auf. „Ah, Sie sinds! Nun, waren Sie draußen?" sagte er, freundlich, Reinern die Hand entgegenstreckend. „Halten Sre dafür, daß die öffentliche Meinung diesmal recht hat? setzte er dann leise hinzu. Der Detektiv schüttelte den Kopf. Der Mann ist kein Mörder," sagte er mit Bestimmt heit. „Vermeiden Sie es so lange es angeht, Herr Kom missar, ihn zu behelligen. Er würde vielleicht daran zu Grunde gehen.