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Wochenblatt sm WiNrnss Beilage zu Nr. 77. Sonnabend, 10. Juli 1903. Vetrachtnng für s. Sonntag nach Trinitatir. Religiöses Leben und sittliches Leben, für beides sind die rechten Grundsätze ausgesrochen in den heiligen zehn Geboten, und zwar für das erstere auf der ersten Tafel und für daS letztere auf der zweiten. Während nun aber, was ein sittliches oder sittlich gutes Leben ist, jedermann weiß — diejenigen ausgenommen, die sich selbst allein zum Maßstabe der Sittlichkeit machen oder lieber überhaupt von Sittlichkeit nichts mehr wissen wollen — ist es mit dem religiösen Leben eine andere Sache. Und doch ist die Sache eigentlich einfach genug; religiös wird das Leben, wenn es die rechte Beziehung zu Gott gewinnt, denn Religion heißt: Beziehung oder Verbindung mit Gott. Besonders nun im ersten Gebot, daS unser Herr Christus ja das vornehmste von allen nennt, sind die remten Grundsätze eines religiösen Lebens für alle Zeiten festgestellt. Sie lauten: Gott über alles fürchten, lieben und vertrauen. Bleiben wir jetzt zunächst bei dem zweiten davon: Gott über alles liebens Was heißt denn das eigentlich? Die Frage ist nicht überflüssig, denn es gibt in der Tat viele Mensche», die es sicht anzufangen wissen, wie sie Gott lieben sollen. Manchen ist wohl auch dieses Gott lieben, wie so manches in der Religion, nur ein schönes Phantasiegebilde, ein schöner Traum! Und doch, wenn es wahr ist, daß Gott der Herr auch die Liebe ist, muß es auch unsererseits Liebe zu ihm geben können. Und Liebe ist freilich nur möglich von Person zu Person, d. h. zwischen zwei in gewisser Beziehung gleichgearteten Wesen. Aber Gott ist ja eben die Liebe, nicht sächlich sondern persönlich genommen, die allerhöchste persönliche Liebe. So ergibt sichs hier uns mit absoluter Notwendigkeit, daß wir ihn auch persönlich lieben können und sollen! Hat er sich nicht auch zudem mit d'M allerbedeutsamsten Namen lieber Vater genannt? Gut also, wie Kinder ihren Vater auf Erden lieben, so sollen Christen, nur noch viel mehr, Gott ihren himmlischen Vater lieben. Und wie geschieht das? Erstens: jedes rechte Kind denkt, wenn es seinen Vater eine Zeitlang nicht sieht, an ihn. Denke also an deinen Vater im Himmel, obwohl du ihn nicht stehst. „Wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich, wenn ich erwache, so rede ich von dir." Zweitens: jedes rechte Kind redet mit seinen Eltern, wenn sie da sind: Ist ein Gott der Herr allgegenwärtig, so können wir auch mit ihm reden, d. h. zu ihm beten „Laß dir Wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens, Herr mein Hort und mein Erlöser." Drittens: jedes rechte Kind zieht die Gemeinschaft mit seinen Eltern aller anderen Gemeinschaft vor. Demnach für uns Christen: „Herr, wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde, wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil." Viertens: jedes rechte Kind folgt seinen Eltern, und alle Kindesliebe ist nicht weit, wenn der Gehorsam fehlt. Also weiter: „Das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer." Endlich fünftens: Wie gern schenkt ein rechtes Kind auch seinen Eltern etwas? So spricht Christus, der Sohn Gottes, zu den Seinen: „Was ihr getan habt diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!" Wie leicht wirds also sein, Gott zu lieben, wie er es will. So laßt uns ihn denn lieben, der uns zuerst geliebet hat und lieben will bis in Ewigkeit! A«r Sachsen. Wilsdruff, den 9. Juli. Während auf den staatlichen Erzbergwerken in Freiberg mit der Abrüstung systematisch fortgeschritten wird, nehmen hier und da private Gewerkschaften den :: Jade- oder Me-Dmmmk:: aafdar „DMMlfiirDikdnljst werden mittels Kreuzband. Sendung inner- halb deS Deutschen Reichsgebietes, sowie nach Oesterreich-Ungarn von der unterzeichneten Ge schäftsstelle stets entgegengenommen. Der Be zug kann jeden Tag begonnen werden. Das Abonnement kostet (einschließlich des Portos) :: wöchentlich 25 Pfg. :: GeschästssttUe d. „Wochenblatt für Wilsdruff". Bergbetrieb auf früher stillgelegenen Gruben wieder auf. So hat jetzt auch die Gewerkschaft von der Grube Augustus Vereinigt Feld im nahen Weigmannsdorf den Abbau wieder ausgenommen. Zunächst wird der Richtersche Kunst- und Treibeschacht wieder ausgebaut und nach Säuberung der Strecke soll das Gezeug- streckenort in nördlicher Richtung weiter ins Feld ge trieben werden. In diesem Gange sind in der Teufe sowohl als auch in der Sohle rückwärts reiche Erze angetroffen worden. Wegen Unterschlagung im Amte hatte sich vor der Strafkammer Zwickau der bisherige Gemeindediener A. I. Otto aus Stenn bei Zwickau zu verantworten. Er hatte seit etwa sechs Jahren fortgesetzt Gelder, insgesamt etwa 5000 Mark, unterschlagen. Diese Veruntreuungen verübte er, als er Steurrbeträge bei den Einwohnern seiner Gemeinde kassierte. Vor Gericht suchte er die Sache so darzustellen, als ob ibm das Geld nach und nach aus einem im Gemeindeamte stehenden Geldschranke gestohlen worden sei. Das Urteil lautet auf 1 Jahr 9 Monate Gefängnis und 5 Jahre Ehrverlust. 3 Mo nate der Untersuchungshaft wurden auf die Strafe an- gerechnet. Der Ort Wickersdorf bei Waldenburg ist zum Teil sächsisch, zum Teil altenburgisch. Beide Teile erhalten nun getrennt die Wettervoraussagen, und zwar der erstere von der Königl. Landeswetterwarte in Dresden, der zweite aus Ilmenau. Es ist leicht erklärlich, daß die beiden Prognosen oft nicht übereinstimmen; ist für den einen Teil Regen angekündigt, so ist für den andern Sonnenschein in Aussicht gestellt und umgekehrt. In diesem Falle trifft dann wenigstens eine von den beiden Voraussagen zu. Der Gemeindevorstand Pirnbaum in Ottendorf» Moritzdorf ist auf Anordnung der Königlichen Amts hauptmannschaft Dresden.Neustadt seines Amtes enthoben worden. Es hat sich herausgestellt, daß der Genannte eine Hypothek von 2000 Mark, die er für die Sparkasse auszuzahlen hatte, in seinem Nutzen verwendet hat. In den Nachrichten für Bautzen steht in Form eines Inserates folgende Erklärung: „Die Ortsgruppe H. erklärt hiermit ihren Austritt aus dem „Bunde der Land wirte", weil sich dieselbe nicht mit der Bundesleitung überein fühlt, welche durch Ablehnung der Erbanfallst uer nur die Beutel der Großgrundbesitzer schützt, ungeachtet dessen, daß sie damit das Vaterland dem Verderben ent gegentreibt. Eine Abwälzung sämtlicher Reichslasten auf die Verbrauchssteuern muß für Deutschland verderbend wirken. Eine Besteuerung der Wertpapiere usw. kann wohl neben der Erbanfallsteuer, aber nicht als Ersatz für diese gelten. I. S. Durch eine edle Tat wurde auf dem Regimentstage anläßlich der 200 jährigen Jubelfeier des 103. Infanterie regiments in Bautze» ein ehemaliger Angehöriger des Regiments hoch erfreut. Wie man mitteilt, saßen beim Kommerse am Festabend die Kompagnie bez. die ehe maligen Angehörigen derselben beieinander. Das war ein Grüßen und ein Händeschlag, als sich die alten Be kannten, die dereinst Freud und Leid des Dienstes gemeinsam trugen, die einst so manche frohe und so manche trübe Stunde verlebten, wiederfanden. An einem Tische saß ein alt^r Herr, ein ehemaliger Einjähriger, der es im Leben bis zum Kommerzienrat gebracht hat, mit seinen beiden Söhnen, die gleich ihm, bei demselben Regiment standen. Sie sehen an der Tafel einen älteren, verhärmten Mann, der ihnen bekannt vorkam. „Das muß doch unser Putzer F. sein", meinte der eine von beiden und geht auf den Mann zu, fragt ihn nach dem Namen und erhält auch die Auskunft. Freudig begrüßen die beiden ehemaligen Angehörigen den ehemaligen Putzer, der ihnen so manche unangenehme Stunde ersparte. Er mußte mit zum „alten Herrn", zum Vater,, der den treuen Menschen schon längst aus den Erzählungen der Söhne kannte. Der alte Herr fragte nach den Lebensschicksalcn des Mannes und erfuhr, daß es diesem nicht glänzend ging. Er arbeite im Stein- bruch um geringe Lohn, die linke Hand sei fast gelähmt Auf dunklen wegen. 44) Roman von E. Wagner. Nachdruck verboten. Der Marquis kämpfte einen furchtbaren Kampf. Die Aufgabe, welche Lady Wolga ihm gestellt hatte, war ihm zu unerwartet gekommen. Wie ein düsterer Schatten aus ferner Zeit stieg es vor seinem Auge auf und ließ ihn bis in das Innerste seiner Seele erzittern. 27. Kapitel. Kin Bekenntnis. Mit entsetzlichen Augen starrte der Marquis die Lady an, und der Schreck, der sich auf seinem Gesicht malte, zeigte deutlich, einen wie furchtbaren Schlag ihm Lady Wolgas Worte versetzt hatten. „Das ist unmöglich", rief er endlich. „Sie stellen mir ein Hindernis in den Weg, welches unüberwindlich für mich ist. Es ist töricht, an eine Reinigung des Namens Lord Stratford Herons zu denken!" „Weshalb?" fragte Lady Wolga erregt. „Weil diesen Namen keine Macht der Erde zu reinigen vermag!" „Aber ich sage Ihnen, daß er unschuldig ist. Die Wahrheit wird an das Tageslicht kommen; seine Unschuld würde bewiesen werden, wenn nur jemand sich mit der Sache befassen wollte." „Niemand außer Ihnen glaubt an seine Unschuld. Verzeihen Sie, liebe Wolga, aber ich muß Ihnen die Wahrheit sagen; Sie zwingen mich dazu. Jedermann in England, selbst seine besten Freunde, hält Lord Strat ford Heron schuldig, den Mord an seinem Bruder begangen zu haben. Er wurde vom Gericht überführt und zum Tode verurteilt." „Es wurden schon vor ihm viele wegen Verbrechen verurteilt, die sie nicht begangen hatten." „Wolga, ich habe nie geahnt, daß Sie solche törichte Ideen hegten!" rief der Marquis. „Ihr Urteil ist ein durchaus irriges. Denken Sie an die Zeugenaussagen. Seine treuesten Freunde waren gezwungen gegen ihn zu zeugen. Er ist schuldig!" „Ich sage aber, er ist es nicht!" rief dagegen Lady Wolga in heftigster Erregung. „Haben Sie Beweise seiner Unschuld?" „Beweise? Nein. Wenn ich Beweise hätte, glauben Sie, daß ich damit nicht vor alle Welt hintreten und Gerechtigkeit verlangen würde? Beweise habe ich nicht, aber ich weiß, daß er unschuldig ist, — daß er nie ein Unrecht tun konnte. Er war Ihr Verwandter. Sie sagen, daß Sie mich lieben, wohlan, helfen Sie mir, seinen Namen zu reinigen und ich will Ihnen dankbar sein für mein ganzes Leben!" Der Marquis von Montheron blickte eine Weile schweigend vor sich nieder, dann sagte er ruhig: „Ich kann Ihre irrigen Begriffe nicht unterstützen, Wolga, obwohl ich alles für Sie tun würde. Wie aber könnte ich Sie in der Meinung bestärken, daß Stratford unschuldig war, da alle Tatsachen gegen ihn sprachen! Es sind seit jenem Drama so viele Jahre verflossen, daß Sie vielleicht manche der Beweise vergessen haben, viel leicht haben Sie gar nicht alles gelesen. Ich will mit Ihnen alles, Punkt für Punkt, durchgehen und Ihnen Stratfords Schuld beweisen und wenn ich Sie überzeuge, wollen Sie dann meine Gemahlin werden?" Lady Wolga zögerte. „Ich könnte ,nein' sagen", antwortete sie dann; „denn wenn ich von Stratfords Schuld überzeugt würde, könnte ich nie wieder einen Menschen vertrauen. Ihn, die edelste, reinste Seele sollte ich eines solchen Ver- btechens schuldig glauben? Dann würde mein Glaube an Treue, mein Vertrauen zu der ganzen Menschheit zerstört sein für immer! Aber da ich weiß, daß Sie mich niemals von Stratfords Schuld überzeugen können, gebe ich Ihnen mein Versprechen Sie zu heiraten, wenn ich das Vertrauen zu Stratfords Unschuld verliere." Des Marquis Gesicht hellte sich auf. „Ich werde ohne Aufschub an meine Ausgabe gehen", sagte er sichtlich erleichtert. „Ich habe ein ge drucktes Werk, welches die ganze Geschichte, einschließlich der Gerichtsverhandlung, ausführlich behandelt. Dieses will ich durchsehen und die wichtigsten Punkte der Ueber- führung anzeichnen. Lesen Sie dieselben aufmerksam durch und Sie werden zweifellos anderer Ansicht werden." „Und wenn ich dadurch nur in meinem Glauben bestärkt würde?" „Ich werde im stände sein, unsere Verlobung in einer Woche veröffentlichen zu können, Wolga", fuhr der Lord fort im Tone der Ueberzeugung. „Ich will nach Hause gehen und die Protokolle der Gerichtsverhandlung durchsehen. Wenn Sie den alten Kellermeister und einige andere einem Verhör unterwerfen wollten, würden Sie sich vielleicht von der Wahrheit überzeugen können. Soll ich Ihnen einen jener alten Zeugen herüberschicken?" „Noch nicht. Vielleicht werde ich sie später verhören." Der Marquis erhob sich. Er sprach von der Anordnung weiterer Festlichkeiten und entfernte sich dann. Lady Wolga sah ihm, als er über den Rasenplatz ging und sich zu den Spielenden gesellte, mit jenem seltsamen Ausdruck ihres Gesichts nach, der schon am Tage vorher Alexa so erschreckt hatte. Eine Weile später sah sie ihn sein Pferd besteigen und die Allee hinab reiten. Sie ging ins Haus und schloß sich in ihrem Zimmer ein.