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— ein Schutzbrief. Der alte Köhler in Grumbach hat mir einen geschrieben!" Mit diesen Worten bringt er ein alt vergilbt Blättlein hervor. Rülkers Augen gleiten ungläubig darüberhin. „Haus- und Schutzbrief. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des hlg. Geistes. Amen. L. I. F. K. H. B. K. ll. K. die Buchstaben der Gnade. Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des hlg. Geistes. So wie Christus im Oelgarten stille stand, so soll alles Geschütz stille stehen Wer diesen Brief bei sich trägt, den wird, nichts treffen von des Feindes Geschütz, und er wird vor Dieben gesichert sein. Er darf sich nicht fürchten vor Degen, Gewehren, Pistolen; denn so wie man auf ihn an schlägt, so müssen durch den Tod und Befehl Jesu Christi alle Geschütze stille stehen, ob sichtbar oder unsichtbar. Alles durch den Befehl des Engels Michael Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des hlg. Geistes. Gott sei mit uns! Wer diesen Segen gegen die Feinde bei sich trägt, der wird vor den feindlichen Kugeln geschützt. Wer dieses nicht glauben will, der schreibe ihn ab, hänge ihn einem Hunde um den Hals und schieße auf ihn, so wird er sehen, daß der Hund nicht getroffen wird und daß es wahr ist Auch wird derjenige, der an ihn glaubt, nicht von den Feinden gefangen genommen werden. So wahr es ist, daß Jesus Christus auf Erden gewandelt hat und gen Himmel gefahren ist, so wahr ist es, daß jeder, der an diesen Brief glaubt, von allen Gewehren und Waffen im Namen des lebendigen Gottes des Vaters, des Sohnes und des hlg. Geistes un beschädigt bleiben soll. Ich bitte im Namen unseres Herrn Jesu Christi Blut, daß mich keine Kugel treffen möge, sie sei von Gold, Silber oder Blei. Gott im Himmel halte mich von allem frei. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des hlg. Geistes. Dieser Bries ist vom Himmel gesandt und in Holstein gefunden worden im Jahre 1724 und schwebte über der Taufe Magdalenens. Wie man ihn aber angreifen wollte, wich er zurück bis zum Jahre 1791, bis sich jemand mit dem Gedanken näherte, ihn abzuschreiben." Im selben Augenblicke sprengen 3 Husaren durch die offen stehende Pforte Aufkreischend zerstieben die Mägde in Stall und Scheune, schlotternden Knies steht der Mann mit dem Schutzbrief. Rülker aber tritt unter die Haustür, ihnen den Eingang wehrend. „Wo ist der Bauerd" — „Er steht allhier!" — „Hundert Taler aus der Stell!" — „Nicht einen Pfennig. Habt ihr an Hafer, Brot und Heu noch nicht genug?" — „Her Bauernschädel, oder wir setzen dir den roten Hahn aus Scheune und Schuppen, wie da drüben!" — Sie find vom Pferd gesprungen und dringen auf Rülker ein. „Hat euch der Herzog also heißen handeln!" — Da faßt ihn einer an der Brust, schon hat Rülker ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt. Da zieht der andere die Pistole, hält sie Rülker auf die Brust: „Hundert Taler!" — „Nie!" Ein Schuß, ein heisrer Aufschrei. Wild springen sie in die Sättel, wie der Wind davon. — II. Wilsdruff, am selben Tage. Im Dunkel gehüllt lag der Schloßpark vor ihm Da standen die hohen, uralten Bäume, an denen der Efeu bis ins Gezweig geklettert. Frisch und jung und stark atmete die Natur, fern verhallte der Donner. Von den Zweigen lösten sich leis die Tropfen, und schwer und voll drang der herbe Erdgeruch ihm ins Blut. Da in diesen erleuchteten Zimmern wohnte der Her zog Friedrich Wilhelm von Braunschweig-Oels, der Anführer lener schwarzen Husaren. Würde er ihn anhören, wenn er ihm von den Gewalttaten seiner Leute in Limbach- Birkenhain erzählen wollte. Das Herz schlug ihm, dem Limbacher Schullehrer Börner, zum Zerspringen, doch die Not war auch zu groß. Da unten schimmerten matt die Lichter der Niederstadt. Ja, bis in der Hütte heimlich Glück, selbst hier in Wilsdruff war die Kunde vom Morde Rülkers gedrungen Ruhe und Frieden vermißten die Wils druffer ja längst. Aengstlich und verschüchtert waren sie geworden von den gewalttätigen Kriegsbanden, die unauf hörlich durchs heimatliche Städtchen zogen, Geld und Lebens mittel heischend. Aber die heutige Tat war der Grausam keit Krone. Der Herzog mußte ihn hören, das schreiende Unrecht forderte gebieterisch Abhilfe. Lon einem Jüngling wird Börner vor den Herzog geführt. Hoch aufgerichtet steht dieser im Zimmer und mißt mit stechend scharfen Augen unsern Börner. Erst stockend berichtet nun Börner, wie ihm heute ein Husar die Pistole auf die Brust gesetzt mit den Worten: „Schaff du gleich Geld, sonst soll es dir gehen, wie dem Mann da drüben," wie er seinen letzten Spargroschen hingegeben habe, wie die Husaren einen Knecht hatten erschießen wollen, weil er mit zwei guten Pferden aus dem Burkhardtschen Gute hatte fliehen wollen — und endlich, wie eben diese Husaren den Gutsbesitzer Rülker er schossen. — Mit gefurchter Stirn hat der Herzog zugehört. Diese Kunde paßt freilich wenig zu der Botschaft, die er an das gesamte Deutschland eben ergehen lassen will. Doch er verspricht für den kommenden Tag genaue Untersuchung und strenge Bestrafung des Täters. Mit Dankesworten will Börner scheiden, doch hält ihn der Herzog auf, er solle einen Brief niederschreiben, den er ihm vorsagen werde. Also schreibt Börner, und feine Seele wird erfüllt von dem Geiste des Aufrufs: An meine Landsleute! Welcher Deutsche sollte nicht mit mir das Unglück seines Vaterlandes fühlen — welcher ist unter uns, der nicht ver eint zu den Waffen greife! — Jetzt oder nie ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir Deutsche für unsere gesetzliche Freiheit kämpfen können. Wir sehen, daß bereits ein Teil unsrer Landsleute im Kampfe begriffen ist, und wir sollten ruhig diesem zusehen, ohne auch unsrerseits Hand ans Werk zu legen? — Wenn Deutsche früher Schlachten verloren, so lag es daran, daß wir nicht vereint handelten, daß man unter uns Mißverständnisse erhielt und durch Ränke das über uns zu gewinnen wußte, was eine kraftvolle deutsche Nation, vereint, nie gestattet hätte Jetzt trete daher alles zusammen, wir mögen Nord- oder Süddeutsche seyn, ihr möget diesem oder jenem Fürsten untergeordnet seyn, alles greife zu den Waffen! Ich bin bereit, nach nieinen Kräften auch das Aeußerste für mein Vaterland zu unternehmen. Doch da man uns vielleicht nicht die Zeit läßt, uns genug zu sammeln, um in Masse so auf einen Punkt zu wirken, wie unsere Feinde es mit uns machen, so müssen wir in kleineren Abteilungen handeln. — Der kleine Krieg ist derjenige, den ich meinen Lands leuten anempfehle. Ihr könnt mit kleinen Trupps wichtige Dienste leisten, euch auf die Communication des Feindes werfen, Couriers, Rekruten, Transporte, Magazine, Artillerie, mit einem Worte alles, was ihm gehört, wegführen oder vernichten. — So handle jeder, der zu weit entfernt ist, um sich an mich anzuschließen. Alle andern aber fordere ich auf, zu mir zu eilen. Ich werde jeden gern und willig ausnehmen, nur muß keiner auf einen Rang bestehen, insofern er nicht die Verdienste dazu hat oder durch Zuführung von Menschen sich dessen würdig macht. Für meine Truppen fordre ich nichts als Fourage, Essen und Trinken. Keine Geldpressungen oder Miß handlungen der Untertanen finden statt, sondern ich verspreche vielmehr, den Untertanen Abgaben zu erlassen, niemand aus seinem Amte zu setzen, und dies bleibt dem rechtmäßigen Besitzer der einzelnen deutschen Provinzen überlassen. Auf denn zu den Waffen! Laßt uns zeigen, daß wir Deutsche sind, die für ihre Gesetze, Verfassung und gegen Bedrückung kämpfen. Welchen Deutschen kann es unbekannt seyn, wie meine Familie ungerechterweise aus den Besitzungen meiner Voreltern vertrieben worden; wer kann mehr Ursach finden, sich mit aller Wärme an euch anzuschließen und euch um Beistand aufzufordern. Hauptquartier Wilsdruff, den 12. Juny 1809. Friedrich Wilhelm. Herzog von Braunschweig und Oels. III. Der Morgen graut, der Morgen des 13. Juni. Welch Leben schon in den Gassen des sonst so verschlafenen Städtchens! Am Brunnen am Untermarkt raunt man sich geheimnisvoll ins Ohr, der Bürgermeister und ein Ratsmann seien von den Husaren ins Lager geholt worden, um ihnen dort das Urteil zu sprechen. Allenthalben laute Aufregung, harte Verwünschungen gegen die „schwarze Schar". Ja, sie waren ins Lager gebeten worden, um Zeuge der Bestrafung des Mörders zu sein. In langer Reihe standen die schwarzen Gesellen, lauter kräftige, geschmeidige Gestalten, die Mütze mit dem Totenkopf paßte zu den ver wegenen Gesichtern mit dem struppigen Bart. Vor ihnen hielt der Herzog und forderte, daß der Uebeltäter sich melde. Trotz und Verschlagenheit war in den Gesichtern zu lesen. Der Dorfglaser wurde geholt. Kreidebleich kam er herbei und atmete erst auf, als ihm gesagt wurde, er solle den Täter aussuchen. Er ging die Reihen durch, suchend, von Mann zu Mann irrend, ohne Erfolg, vom Täter keine Spur. Schon wollte der Herzog mißmutig die Leute weg treten lassen, als sich der Bürgermeister an ihn wandte: „Halten zu Gnaden, die Posten!" — Ja, richtig, die Posten wurden herbeibefohlen. Der Dorfglafer schützte die Augen mit der Hand gegen die grelle Mittagssonne: der dort von der Struth herbeikam, der wars, kein Zweifel. Vom Her zog um die Tat befragt, leugnete er sie anfangs. Als ihn aber sogar seine Kameraden Preisgaben und da der Glaser in seinen Behauptungen so fest blieb, gab er endlich zu. Die Hände wurden ihm auf den Rücken gebunden. Der Herzog sprach ihn des Todes schuldig, und zwar sollte das Urteil außerhalb des Lagers vollzogen werden. Unheim lichen Auges, mit stierem Blick hatte er zugehört. Er be teuerte, die Tat im Zustande der Betrunkenheit ausgeführt zu haben. Der Herzog erwiderte: „Dann ist es recht und billig, sie im Zustand der Nüchternheit zu büßen!" Durch Wilsdruff bewegte sich der Zug zur Höhndorfer Höhe. Beim Anblick des Gefesfelten beruhigten sich die Bürger der Stadt, also wars der Hallunle, und ein danken der Blick traf den Herzog. Nach kurzem Aufenthalt vor der Pfarre setzte sich der Zug wieder in Bewegung, an der Seite des Verurteilten schritt der Geistliche. Auf der Höhe angekommen, sprach er ein kurzes Gebet. Dann wurde dem Husaren, dessen Mut ganz gebrochen, eine Binde vor die Augen gelegt. Eine kurze Gewehrsalve, hinterrücks stürzte er zusammen. Des Mordes Sühnung war vollbracht. A. Kühne. Hunger und Liebe. Beobachtungen an der heimischen Kierwelt. II. Hierzulande gibt es ein allbekanntes Sprichwort über Hunger und Liebe, nämlich: „Die Liebe geht durch den Magen". Wenn wir das auf moderne Verhältnisse zu schneiden wollen, so würden wir einfach sagen: Die Liebe richtet sich nach den Dimensionen des Mitgistsackes. Und viele Menschen tun damit noch nicht das Gemeinste in ihrem Leben. Rechte Liebe ist eine Jmponderabilie, sie wiegt zu leicht, um Wert zu haben im praktischen Leben. Träumer mögen immerhin lieben, der praktische Mann rechnet. Das Fazit ist allerdings hinten hinaus im Winter des Lebens oft ein recht erbärmliches. Doch halt, wir wollen lieber von der Liebe der Tiere sprechen, dort gibts dieselben Verhältnisse. Es ist in der Natur tatsächlich so, wie unser angeführtes Sprichwort besagt: Die Liebe ist im Magen geboren worden. Ursprünglich hatten die niedrig entwickelten Tiere keine Geschlechtsapparate. Im warmen Meer schwammen sie umher, freuten sich ihres Leben und taten gar vielerlei: sie fraßen, fraßen und fraßen. Das gute Leben machte sie dick und rund wie unsere Feiertage so manches schlaffe Bäuchlein. Die Haut, die sie umspannte, mochte nicht mehr zureichen. Was tun? Die liebe, wunderbare, allgewaltige Natur hat immer Rat gewußt bisher; so auch hier lieber die Mitte der kugeligen Tiersorm bildete sich eine Ein schnürung, die tiefer und tiefer wurde bis schließlich — zwei Kugeln auseinanderfielen. Eine jede der beiden Kügelchen war Tochter und Blutter zugleich von der anderen Wir haben diese Art der „Fortpflanzung" als ein notwendiges liebel anzusehen und als allererste Form der Liebe. Wie himmelweit entfernt ist sie noch von jener Form, die wir Elternliebe nennen, die soviel tausendfache Entbehrungen trägt, sich sorgt und müht ein ganzes Leben lang um die Kinder und um gar keinen Dank, ja die oft, ach so oft nichts als Undank erntet. Bald traten auf der Erde Formen auf, bei denen nicht mehr das Tier in zwei Tiere sich spaltete, sondern kleinere Auswüchse sich bildeten, ähnlich wie an Kartoffeln zuweilen kleine Kartöffelchen hängen Diese Knospen oder Sprossen fielen ab und bildeten neue Tiere. Hier ist das alte Tier stets größer als die Knospen und somit deutlich das Muttertier, die kleinen die Kinder. Weiterhin finden wir die erste Andeutung von Geschlechtsakt bei solchen abgetrennten Knospen. Die im Meere umherschwimmenden Tierchen sind verschieden kräftig. So kommts, daß die Stärkeren die Schwächeren mit Stumpf und Stiel vertilgen und dadurch zu einem großen Muttertier anschwellen. Das stärkere Tier stellt gewissermaßen das Weibchen, das fchwächere das Männchen dar. So ist auch hier noch die Liebe nichts anderes als Freßgier. Noch später lagern sich bei den Tieren Zellen ab, die eigens dazu bestimmt find, der Fortpflanzung zu dienen. Aus ihnen entwickeln sich nun selbständig die Jungen, die wiederum dieselben Geschlechtszellen tragen. Die Ent wickelung des Geschlechtsapparates schreitet fort, bis wir Tiere haben, die getrennt Ei- und Samendrüsen besitzen. Auch bei diesen bedürfen einige keiner Begattung, sie Pflanzen sich durch sogenannte „Jungfernzeugung" fort. Endlich ist eine regelrechte Begattung nötig, zur Er zeugung lebensfähiger Embryonen Aber immer hat jedes Tier männliche und weibliche Geschlechtsorgane, jedes also Eier und Samentierchen. Da die Begattung gewissermaßen eine Verschleuderung und Vergeudung der besten Lebenskraft bedeutet, die Tiere nach dem Geschlechtsakt merklich erschöpft sind, so würden sie ohne weiteres diesen Akt nicht ausführen, wenn die Natur sie nicht mit besonders empfindlichen Nervenpartien ausgestattet hätte, die bei Annäherung der Geschlechter einen unbezwingbaren Reiz auslösen, den wir als Wollust bezeichnen. Wie weit diese Reizmittel ausgebaut sind, schon bei ziemlich tiefstehenden Tieren, möge der Liebesatt der Schnecken illustrieren.