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Beilage zu Nr. 68. Sonnabend, 19. Juni 1909. Betrachtung für 2. Sonntag nach Trinitatis Hebr. 5, 7-9. Die Krone auf Jesu Haupt ist, daß er Gehorsam gelernt hat. Das Blut ist nur das Sinnbild davon, der Gehorsam ist das wahre und eigentliche Wesen. Und das ist auch seine Vollendung. Wie hat sich trotz allem, was uns hier am Kreuze niederdrückt, seine Herrlichkeit und Größe herausgestellt! Jesus am Kreuz, das ist das höchste Bild menschlicher Vollendung, das wir kennen. Oder wer weiß etwas, was er darüber stellte? Wir haben den Eindruck des ganz festen und ganz bewährten Charakters, wie er so nur ein Letten werden kann Auf dich, Jesus, kann man sich verlassen. Da ist eine innerliche Kraft, die uns zum Aufsehen nötigt, die uns in ihre Ba n bring-. Und das kommt her von der großen Höhe, die er einnimmt. Er hat fest an seinem Gott ge halten. Er hat damit die Gemeinschaft mit hm bewahrt. Und diese Gemein chaft mit Gott ist auch unser Glück und ist unsre Seligkeit. Darum aber, weil Jesus so fest in dieser Gemeinschaft mit Gott steht, hat Gott ihn zum Vermittler dieser Gemeinschaft mit ihm gemacht. Jesus ist der Erzieher der Menschheit geworden, der sie zu Gott führen soll. Wenn wir so sagen dürfen: Fast könnte es aussehen, als läge ein leises Lächeln auf dem Antlitz des Ewigen: durch einen Toten macht er lebendig; durch einen, der der Sünde zum Opfer fiel, überwindet er die Sünde; durch einen, der in Schande gestorben Ul, gibt er uns Vergebung und seine höchste Ehre; durch einen, der in Ohnmacht am Kreuze hing, macht er uns zu starken Männern und sichren Frauen. Das kommt daher, daß Je us gleichsam die Prüfung zum Herzog der Menschheit bestanden Hai, die er hinaufführen soll in die Welt Gottes. So hat er für uns gelitten und ist für uns gestorben. Jene Welt Gottes besteht darin, daß wir uns Gottes ganz freuen sollen, Das ist bloß da möglich, wo uns die Schuld vergeben ist und die ganze Kraft eines neuen gufin Geistes offen steht. Das -st dein Heil, mein Christ, wie es an Jesus hängt: das böse Gewissen soll schweigen und die Lustj an allem Guten stark werden! Darnach sehnt sich etwas in der Tiefe unsrer Seele. Wir wollen in diese Welt des Heils, in diesen Frieden mit Gott, in eine tiefe, feile, innige Gemeinschaft mit dem ewigen Vater. Dann wären i wir uns selbst los. Und wieviel Sorgen machen wir uns doch immer selbst! Wir wären fester gegen Versuchungen! gefeit, wir hätten einen stärkeren Stand in allem, was gut und heilig ist. Das möchten wir; und darum erheben wir, die schwachen Menschen, zu dem starken Gekreuzigten die Hände und bitten: „Verlaffe uns doch nicht, sondern führe uns! Wir wollen es mit dir wagen und geben uns dir hin, ganz hin, soweit es unser geteiltes Herz erlaubt. Wir wollen heim in deine Welt u- d in die Gemeinschaft mit deinem und unserem Vater!" Und vor allem wollen wir em Stück dieses Heils haben, den Gehorsam, also die freudige Einwilligung in den Willen Gottes, sei es, daß er uns schwere Aufgaben der Selbstverleugnung stellt oder uns auferlegt, was wir nicht mögen. Tarum senden wir unsere Bitten zu Jesus ans Kreuz empor und sprechen zu ihm: O Lamm Gottes, unschuldig Am Stamm des Kreuzes geschlachtet; Erfunden stets geduldig, Wie wohl du warst verachtet. All Sünd hast du getragen, Sonst müßten wir verzagen. Gieb uns deinen Frieden, O Jesu! Aur Sachsen. Wilsdruff, den 18. Juni. Ein heiteres Erlebnis des Herzogs Johann SUbrecht zu Mecklenburg. Während der Hauptversammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft in Dresden in der ver gangenen Woche hat sich ein heit res Intermezzo zugetrugen. Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg, Regent des Herzogtums Braunschweig, der bekanntlich die Verhand lungen der Deutschen Kolonialgesellschaft leitete, hatte im königlichen Residenzschlosse Wohnung genommen. Da aber die Verhandlungen am zweiten Tage sich bis in die späten Nachmittagöstunden hinzogen, zog es der Herzog vor, anstatt im Rcsidenzschloffe in einem bekannten vornehmen Weinrestaurant das Mittagsmahl einzunehmen. Mit einigen anderen Herren der Deutschen Kolonialgeseüschast zusammen ließ der Herzog sich in Gegenwart vieler anderer Gäste ein Diner servieren, hatte aber vorher nach dem Residenzschlosse Rachricht gelangen lassen, daß er gegen 6 Uhr abends abreisen werde und um Stellung eines Wagens ersuche. Das Marschallamt rief, um noch näheres über die Abfahrt des Herzogs zu erfahren, das betreffende Weinrestaurant telephonisch an und fragte, ob dort der Herzog ?och anwesend sei. Weder Wirt noch Kellner aber hatten den Herzog-Regenten erka-nt und nun, rief der servierende Kellner laut in das Loial hinein: „Ist hi r ein Herr Herzog?" Herzog Johann Albrecht erhob sich sofort und fragte den Kellner, was er solle. „Sie sollen ans Telephon kommen, Herr Herzog", antwortete der Ganymed, der noch immer nicht wußte, daß er den Regenten von Braunschweig vor sich hatte. Lachend be- guemte sich der Herzog nach dem engen Telephonstübchen und gab selbst dem Marschallamte die gewünschte Aus kunft Als Sann gegen 6 Uhr plötzlich zwei Hofequipagen mit Dienern und Leibjägern vor dem Restaurant vorfuhren, verloren Wirt und Kellner vor Ueberraschung fast die Sprache. Nun erst kamen sie dahinter, daß der Herzog Regent von Braunschw ig ihr Gast gewesen war. Diesen aber hatte das heitere Intermezzo aufs höchste belustigt. Er verabschiedete sich in liebenswürdigster Weise von d m Wirte und drückte dem wie eine Bildsäule dastehenden Kellner ein Geldstück in di: Hand. Unter den übrigen Gästen hatte die lustige Szene die größte Heiterkeit her vorgerufen. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft war am 19 Mai d. I. der Herausgeber der Leipziger Halbmonate- ss rift „Deutscher Kampf", Dr. jur. Artur Pleißner ver haftet worden. Die Verhaftung erregte seinerzeit das größte Aufsehen, da sie im engsten Zusammenhänge mit der noch immer unaufgeklärten Friedrichschen Mordtat stand. Sie erfolgte in der Hauptsache wegen Kollusions gefahr, außerdem sollte Dr. Pleißner bei der Verfolgung von Spuren, die sich auf den Doppelmord bezogen, seine Befugnisse überschritten und sich des Hausfriedensbruchs, der Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung schuldig ge- ma't haben. Die 1. Strafkammer des Leipziger Land gerichts, der am Montag die Untersuchungsakten zugingen, verfügte die sofortige Entlassung Dr. Pleißners ohne Kautionsstellung, da ihr die Kollusionsgefahr beseitigt erschien. In welch frevelhafter Weise Kinder mit den Gefahren der Straß- spulen zeigte dieser Tage in Stollberg ein zwölfjähriger Knabe, indem er sich etwa 15 Meter vor einem dahersausenden Automobil platt auf die Straße warf. Der Beagel wäre unfehlbar überfahren worden, wenn der Führer des Automobils nicht energisch gebremst hätte, freilich zum Nachteil seines Wagens, der hierbei beschädigt wurde. Arrrze Ehrsnik. Ein fetter Ersckaftsprozetz. Die Dreißig- millionen-Eibschaft des Millionärs Osiris in Paris ist jetzt nach einem mehr als zweijährigen Prozeß dem Pasteurschen Jnsti ut zugesprochen worden. Der vor zwei Jahren im Alter von 82 Jahren verstorbene Bankier Osiris hatte ein Verinögen von 46 Millionen Franks hinterlassen und das Pasteursche Institut zum Universal erben eingesetzt. Rach Abzug von einigen Legaten belrug die Erbschaft mch 30 Millonen Franks. Tie direkten Erben Osiris laben das Testament aber vor dem Staats rat angeftchten. Jetzt ist die Entscheidung zugunsten des Pasteurschen Instituts gefallen. Die Typhusepidemie in Altwasser. In Alt wasser bei Breslau ist der Typhus in großer Stärke au?gebrochen. Die Zahl der Erkrankungen hat sehr schnell zugenommen. Bis Mittwoch waren bereits gegen 200 Erkrankungen gemeldet. In einzelnen Fällen ist der Typhusverdacht nocb nicht festgcstellt. Die Zahl der Todesfälle hat sich um zwei vermehrt. Die Ortsbehörden haben sich an das Rote Kreuz um Ueberlassung von Barack n gewendet. Aus Bresau sind Krankenschwestern zur Aushilfe beordert worden. Museumediebstahl aus „wissenschaftlichem" Interesse. Aus dem Museum in Lübeck waren durch Einbruch eine Anzahl wertvoller altlübischer Münzen ge stohlen worden. Die Polizei hat jetzt den Täter in einem Mittelschüler en deckt, der als Motiv „wissenschaftliches" Interesse angab. Eine neue Riesenbrücke wurde in New-Jork offiziell eröffnet: Die dritte große Brücke über den „East River", du ch die New-Jork mit Long Island Cfly ver bunden wird. Die Brücke hat eine Länge von 1'/« eng lischen M ilen, und sie besieht aus zwei Bogen, von denen der eine einen Durchmesser von 400 Metern, der andere einen solchen von 330 Metern hat. Die Kosten der neuen Riesenbrücke beziffern sich auf ungefähr 80 Milttonen Mark! Ans dunklen wegen. 36j Roman von E. Wagner. Nachdruck verboten. „Er mußte in Griechenland bleiben. Erst nach langem Bitten ließ er mich reisen Ich ahnte nicht, daß ich Dich hier antreffen würde," flüsterte sie und ihre Wangen wurden glühend heiß. ,Lch reiste zu meiner alten Gouvernante nach Paris, welche mich dem Schutz einer würdigen Frau übergab. Mit dieser kam ich nach England und nach Mont Heron, wo ich hörte, daß die Gesellschafterin der Lady Wolga krank geworden sei. Ich bewarb mich um die Stelle und wurde engagiert." Sie erhob jetzt ibre Augen, die während ihrer Er zählung am Bodeu gehastet hatten und Lord Kingscourt sah durch dieselben in die Tiefe ihrer bekümmerten Seele. Er erfaßte ihre Hand und hielt sie lange in der seinigen. ,Lch verstehe noch immer nicht, Alexa, weshalb Dein Vater Dich von sich lassen konnte," sagte er. „Er vertraute mich der Sorge der Vorsehung an, welche über alle Menschen wacht," erwiderte Alexa. „Es wurde ihm schwer, mich reisen zu lassen, aber er konnte meinen Bitten nicht widerstehen." „Er sagte mir, er könne sich nie von Dir trennen. Nun hat er es doch getan. Du bist eine Fremde im fremden Lande, der Gefahr ausgesetzt, jeden Augenblick ohne Unterkommen zu sein. Ich zittre, wenn ich an die Gefahr denke, deren Du auf der Reise ausgesetzt warst. Deines Vaters Einwendungen gegen unsere Heirat sind nicht mehr stichhaltig. Ich werde morgen an ihn schreiben und ihn um seine Einwilligung zu unserer Verbindung bitten Ich werde Lady Wolga ins Vertrauen ziehen —" Alexa erfaßte rasch seinen Arm. „Du darfst keines von beiden tun, Alfred!" rief sie ängstlich. „Du darfst nicht an meinen Vater schreiben und ebensowenig darfst Du Lady Wolga sagen, daß wir uns je zuvor gesehen haben!" „Alexa, hast Du aufgehört, mich zu lieben?" fragte der Graf bewegt. „Nein, nein! Aber es liegt eine Kluft zwischen uns, Alfred, und ehe diese Kluft nicht ausgefüllt ist, werde ich —" Sie hielt erschrocken inne und ihre Augen richteten sich aufs neue flehend auf das Antlitz des Geliebten ,Jich kann, ich darf Dir mein unseliges Geheimnis nicht enthüllen. Aber vertraue mir und schweige," bat sie zitternd vor Erregung. Lord Kingscourt sah ernst in das schöne, vor Auf regung gerötete Antlitz des jungen Mädchens. „Ich kann es Dir nicht sagen was» es ist" fuhr Alexa fort. „Alfred, es würde besser für Dich sein, mir zu entsagen." „Du solltest mich besser kennen und nicht so zu mir sprechen. Ich liebe Dich, Alexa und werde Dich heiraten oder keine." Des Mädchens Gesicht strahlte vor Glück und Freude. „Dann mußt Du Dich gedulden, Alfred," sagte sie „Wenn der Himmel mein Gebet erhört, mag noch alles gut werden. Aber Du mußt mein Geheimnis bewahren; Du darfst zu niemanden über meinen Vater sprechen oder unsere frühere Bekanntschaft erwähnen" ,Zch habe nicht gern etwas mit Geheimnissen zu tun, Alexa. Deine Anwesenheit hier erscheint mir noch immer wie ein Wunder. Erkläre mir das Geheimnis." „Das kann ich nicht. Vertraue mir, Alfred, vertraue mir unbedingt oder gib mich auf. Ich bekenne es Dir, es besteht ein Gebeimnis, aber niemand darf es wissen. Alfred, glaube mir, oder laß uns für immer scheiden." Lord Kingscourt schaute ihr einen Moment in die offenen treuherzigen Augen und in das engelreine Antlitz, inl welchem sich ihr Kummer und ihre Sorgen ausprägtem Er durfte nicht an ihr zweifeln. „Ich vertraue Dir, Alexa," sagte er ernst. „Ich ver traue Dir unbedingt. Ich glaube, daß Du einen tiefereu Grund hast, nach England gekommen zu sein, als um irgend eine Mission auszuführen. Aber Du wirst Hilfe nötig haben, um das Hemmnis zu beseitigen, welches unserer Heirat im Wege steht. Versprich mir nur, mich zu rufen, wenn Du Hilfe gebrauchst." ,Zch verspreche es Dir. O, Alfred, nun ich weiß, daß Du mir vertraust, fühle ich mich nicht mehr so einsam und verlassen. Wäre doch mein armer Vater hier —" Ihre Stimme erstickte im heftigen Schluchzen. Es näherten sich unter lautem Gespräch einige Paare und Lord Kingscourt zog Alexa von der Felsplatte unter den Schatten einer Baumgruppe zurück, wo er ihren Kummer mit Liebkosungen verscheuchte. Sie hatten jedoch keine Zeit zu weiterem Meinungsaustausch, denn sie hörten plötzlich in ihrer Nähe schleichende Tritte, welche sie zum Weitergehen nötigten. Als sie aus dem Dunkel traten, begegneten sie Lady Markham, welche sie mit forschenden Augen betrachtete. „Mein Verdacht wächst!" dacbte Lady Markham, als sie über die Schulter dem Pärchen nachsehend langsam weiterging. „Sie ist nicht, was sie zu sein vorgibt, diese Miß Strange. Ich will ihr Geheimnis ausfindig machen und nicht ruhen, bis ich sie aus dem Hause der Lady Wolga vertrieben habe. Wo mag Lord Kingscourt sie früher gesehen haben? Wer ist sie? Ich werde mich ganz der Aufgabe widmen, dieser Miß Strange, welche so unschuldig scheint und welche ohne Zweifel irgend etwas gegen Lady Wolga im Schilde führt, die Maske zu entreißen Sie soll den Tag bereuen, an welchem sie. in den Dienst der Lady Wolga trat." (Fortsetzung folgt.)