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Beilage zn Nr. 57. Sonnabend 22. Mai 1909. Betrachtung für den Sonntag Lxaudi. Wer an mich glaubet, wie die Schrift sagt, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen. Joh. 7, 38. Diese Worte hat Jesus am letzten Tage des Laub- hüttenfestes, der der glanzvollste war, im Vorhofe des Tempels nilt lauter Stimme in die Menge der Festbesucher hineingerufen, um sie zu locken, doch endlich zu ihm zu kommen und an ihn zu glauben. Wir wundern uns nicht, daß sie über solches Wort aufs höchste erstaunt, ja entsetzt waren. In jedes anderen Munde wäre es ja auch purer Größenwahn gewesen, aber in Jesu Munde ist es Wahrheit Denn er ist der Fels des Heils, er ist die ewige Quelle der Wah heit und Weisheit, der Gerechtig keit und Seligkeit für alle Menschenkinder. Gewaltiges ists darum auch, was er den an ihn Glaubenden verheißt. Sie sollen nicht bloß selbst volle Genüge finden in dem, was er ihnen gibt, sondern so reich werden an wahr haftigem Leben, daß sie auch anderen dasselbe vermitteln können. Luther hat in seiner drastischen Weise die Worte so ausgelegt: „Wer zu mir kommt, den will ich also zu bereiten, daß er nicht allein für seine Person gelabt und erquicket werde, daß er feinen Durst löschen mag und des Durstes ledig werde, sondern will ihn zu einem starken, steineren Faß machen, ihn den heiligen Geist und Gaben geben, daß er zu anderen Leuten fließe, sie tränke, tröste, stärke, vielen anderen Leuten auch diene, wie ihm durch mich geholfen ist. Also tut St. Petrus am Pfingsttag, da er mit seiner Predigt als mit einem Wasserstrom aus des Teufels Reich ausrottet und ausschwemmt, dreitausend Menschen, die er in einer Stunde erlöste. Er wäscht sic von Sünden, Tod und Teufel." — Doch nicht bloß Petrus, den Luther hier als Beispiel heranzieht, ist ein Beweis für die Wahrheit der Verheißung Jesu, sondern nicht minder Luther selber, dieser gewaltige Prophet unseres deutschen Volkes, der nicht bloß in seinem Glauben an Jesum Christum für sich selbst Frieden und Seligkeit gefunden hat, sondern der auch aus dem reichen Schatz seines gläubigen Herzens und seiner gottgeweihten Weisheit soviel uns gegeben hat, wie kein andrer Diann unseres Volkes. Wer kann die Segensströme ermessen, die von seinem Wort und Werk auf Staat und Kirche, Schule und Haus ausgegangen sind? Wir zehren noch heute von dem geistigen und geistlichen Erbe, das er uns hinterlaßen. Neben Luther könnten wir auf viele andere Hinweisen, an denen das Wort Jesu in herrlicher Weise in Erfüllung gegangen ist. Wir brauchen nur aus ver gangenen Zeiten die Namen Melanchthon, August Hermann Franke, der Stifter des großen Halleschen Waisenhauses, und Philipp Herol Spaners, oder aus neuerer Zeit die Namen Wiecher, Löher, Fliedner, Stöcker, Luthardl und anderer zu nennen. Von ihnen allen sind Ströme leben- digen Wassers ausgeflofsen auf ihre ganze Zeit. Aber bedarfs erst berühmter Namen? Können wir nicht der- gleichen im Kleinen beobachten? Wie mancher fromme Hausvater, wie manches im Glauben festgegründete Mütter lein, wie mancher treue Lehrer und Seelsorger haben mit ihrem schlichten, aber herzandringendem Zeugnis und ihrem vorbildlichen Wandel viele der ihnen anvertrauten Seelen zu Christo Jesu geführt und sie reich gemacht an himm licher Weisheit. Sollte nicht von uns ein ähnlicher Segensstrom ausgehen können? Ganz gewiß, nur eins ist dazu nötig, daß wir der Voraussetzung dazu genügen: Wer an mich glaubet! Nur im lebendigen Glauben kann man Jesum Christum genießen. Nur im Glauben an ihn kann man selbst froh und selig werden und darnach auch anderen ein Wegweiser und Führer zum wahrhaftigen Leben werden. Aber Glauben kann sich niemand selbst geben, Glauben ist Gabe von oben, Gabe des heiligen Geistes und nur der empfängt sie, der ernstlich darnach sich sehnt, ehrlich darum ringt, inbrünstig darum bittet. So laßt es daran nicht fehlen. Pfingsten steht vor der Tür, das Fest des heiligen Geistes, der Christum verklären will in unserem Herzen. Darum sei es unsere tägliche Bitte in diesen Tagen: „Goldner Himmelsregen schütte deinen Segen auf das Kirchenfeld. Laße Ströme fließen und das Land begießen, wo dein Wort hinfällt und verleih, daß es gedeih; hundertfältig Frucht zu bringen, laß ihm stets gelingen." Wilsdruff, den 21. Mai. Eine moderne Auktion. Der Gerichtsvollzieher des Königl. Amtsgerichts Dresden gibt bekannt, oaß heute vormittag 10 Uhr an Amtsstelle u. a. 98 Flaschen Sekt, ein großer Posten Wein in Flaschen und Punkt 12 Uhr vier Automobile versteigert werden. Eine Verhandlung, die das Interesse weitester Kresse in Anspruch nimmt, fand am Freitag vor der 1. Straf kammer in Bautzen gegen den 43 Jahre alten Porzellan Händler Benno Schneider wegen fortgesetzten Betrugs statt. Er war beswuldigt, seit dem Jahre 1904 fortgesetzt weißes und teilweise dekoriertes Meißner Porzellan in eigener Werkstatt bemalt, gebrannt und vergoldet und dann als echtes Meißner Porzellan aus dec Königlichen Porzellanmanufaktur verkauft zu haben. Seit fünf Jahren hatte Schneider es verstanden, aus Privathand und aus der Meißner Porzellanmanufaktur weiße bezw dekorierte, d. h. unfertige Porzellanwacen sich zu ver schaffen. Diese Gegenstände ließ er durch einen bei ihm beichä tigten Porzellanmaler, einen sehr tüchtigen Fachmann, mit Meißner Spezialfarben nach Mustern der Königlichen Porzellanmanufaktur bemalen, brennen und vergolden, teils auf Bestellung teils auf Vorrat für seinen Laden. So ahmte er das rote, schwarze und gelbe „Drachen muster", das japanische „Tsschchenmuster", das grüne „Laubmuster" und das indische „Purpurmuster" nach und ließ auf d»e Gegenstände mit dem roten Drachenmuster, die im Original seinerzeit nur für die Hofküche des Königs August des Starken in Warschau hergestellt worden waren, die kennzeichnenden Buchstaben L e bezw. L H L, sowie auch auf andere Porzellane den „Marcolinistern" anbringen. Daß diese Gegenstände in seiner Werstatt angefertigt worden waren, verschwieg er seinen Kunden. Nach dem Gutachten der beiden Sach verständigen waren die Malereien und die Vergoldung äußerst sauber und geschickt hergestellt, so daß die Fälschung nicht sofort zu erkennen war. Schneider erhielt fünf Monate Gefängnis und drei Jahre Ehren« rechtsverlust. Ueber die Sächsische Schweiz ging am Montag nachmittag ein starkes Gewitter nieder. In Rathen schlug der Blitz in einen prächtig blühenden Birnbaum mit solcher Gewalt, daß die Holzstücken und Splitter im Umkreise von 100 Meter umherflogen. Eine auf dem Baum fitzende Krähe hatte keinen Schaden genommen. Ueber der Gegend von Königstein entlud sich em heftiges Schloßenwettrr, das Eisstücke über Haselnußgröße in Menge brachte. Wenn auch hierdurch den Fluren noch ^ein Schaden erwachsen ist, so dürften doch die zarten Gartenpflanzen und die blühenden Obstbäume gelitten zaben. Bei Berggießhübel zersplitterte ein Blitzschlag eine Telephonstange, andere trafen wiederholt die Telephon leitung, so daß an mehrfachen Stellen die Sicherungen durchbrannten. Das Gewitter war auch mit ziemlich heftigem Hagelschlag begleitet, hat aber, wie man ver nimmt, keinen wesentlichen Schaden in Fluren und Baumblüte angerichtet. — Aus dem Oberlande wird be richtet, daß über Geising und die Gegend von Börnersdorf und Breitenau ein ziemlich heftiger Hagelschlag nieder ging; die Eisstücke fielen zuerst in Taubeneiergröße und haben an den Bäumen und den jungen Gartenpflanzen mannigfachen Schaden angerichtet. 26 Prozent Wasser in der Butter'. Als Butterfälscher hatten sich jetzt vor der Berufungskammer deS Chemnitzer Landgerichts die Butterhändlerin Minna Sühnel und deren Ehemann, der Viehhändler Paul Sühnel aus Buchholz zu verantworten. Gegen ein Urteil des Schöffengerichts Annaberg, das sie mit 100 Mark bezw. 30 Mark Geld strafe wegen Vergehens gegen das Nahrungsmittelgesetz belegte, hatten sie sich mit der Berufung gewendet. Die Sübnel betreibt einen Butterhandel im großen Sie be zieht ungesalzene Butter aus Bayern, wäscht sie aus, salzt und formt sie und setzt sie an ihre Kundschaft ab. Butterproben, die in Konsumvereinen und bei der An geklagten entnommen wurden, ergaben bei der chemischen Untersuchung einen Wassergehalt von 19 bis 26 Prozent (mehr als den vierten Teil!). Mehr als 16 Prozent darf aber die zum Verkauf bestimmte Butter laut gesetzlicher Vorschrift nicht enthalten. Nach dem Gutachten deS Nahrungsmittelchemikers Trübsbach, der als Sachver ständiger vernommen wurde, nimmt Butter bei normaler Temperatur auch nicht mehr Wasser aus als 16 Prozent, wohl aber bei Behandlung der Butter mit warmen Wasser oder bei Erwärmung der Butter. Die Sühnel bezw. ihr Mann, bei dem man nur Fahrlässigkeit annahm, machten aus 26 Pfund Butter auf diese Weise etwa 77 bis 78 Stücken, gleich 38'/» bis 39 Pfund! Das Gericht erkannte auf Grund des Sachverständigen-Gutachtens auf Ver werfung der Berufung. Ein aufregender Vorgang spielte sich am Sonnabend abend in Barums Menagerie ab, die zurzeit auf dem Mittrltrichplatze in Mittweida aufgestellt ist. Eben hatte die Dompteuse Frl. Cora die Vorführung ihrer Löwengruppe beendet, als der Dresseur Mr. William mit einem braunen Bären den großen Zentralkäfig betrat. Auf dunklen wegen. 25j Roman von E. Wagner. Nachdruck verboten. Du siehst, Alexa, die Kette der Ueberführungen war vollständig; doch zum Ueberfluß sagte noch ein Parkarbeiter aus, daß er zu später Stunde ein Mädchen des Schlosses aus dem Dorfe heimgebracht habe und die Uhr gerade zwei schlug, als er sich von ihr trennte. Er eilte zurück nach seinem Hause, blieb aber an der Ecke des Parkes stehen und blickte noch einmal nach dem Schlosse. Da sah er beim schwachen Schein eines Nachtlichtes in des Marquis Schlafzimmer einen Mann ans Fenster treten, welcher jedoch fast in demselben Augenblick wieder ver schwand. Der Arbeiter befand sich in einiger Entfernung, auch hatte er den Mann nur flüchtig gesehen, aber er be hauptete, daß die Gestalt des Mannes der meinigen gleich sei. Diese scheinbaren Beweise, wenn auch nur aus teil weise unwesentlichen Umständen hergeleitet, überzeugten alle, die es hörten, von meiner Schuld. Meine Gattin kam nicht zu mir, sie schrieb mir nicht einmal; mein Kind wurde auf mein Verlangen nicht zu mir gebracht; mein Verteidiger riet mir, mich schuldig zu bekennen. Niemand glaubte meinen heiligen Beteuerungen meiner Unschuld. Mein Bitten um Nachforschung nach dem wirklichen Mörder wurde nicht beachtet oder bald aufgegeben. Die Geschichte machte ungeheures Aufsehen Bei der Hauptverhandlung war der Gerichtssaal von Zuhörern gefüllt. Die Geschworenen waren nur eine halbe Stunde abwesend und brachten den Ausspruch des „Schuldig. Zufolge dieses Ausspruches erkannte das Gericht auf Todesstrafe auszuführen durch den Strang. Eme furchtbare Kette von Beweisen," sagte Alexa gedankenvoll; ihr Gesicht war totenbleich, als sie die Schwierigkeit der Aufgabe erkannte,die sie übernommen hatte „Ja. Seitdem meine Gemahlin und ihr Vater meine Flucht bewerkstelligten, habe ich bis jetzt nicht die geringste Hoffnung gehabt, daß das ungerechte Urteil aufgehoben und mein guter ehrlicher Name wieder hergestellt werden würde. Ich floh, um meiner Gattin und Dir den Schimpf meines schmachvollen Todes zu ersparen. Der Gefangen wärter entkam nach Amerika und ist nicht ergriffen worden. Er hatte für seine Hilse eine ansehnliche Summe erhalten und ist hoffentlich wohlhabend und glücklich. Meine Gattin hält mich für tot und wird bald wieder heiraten; der Fluch des Mordes lastet hauptsächlich auf mir und auf Dir, Alexa Das Geheimnis zu erforschen steht nicht in meiner Macht. Wer tötete meinen Bruder? War es ein Einbrecher, der die Juwelen stahl oder einer der ge nannten fünf Männer? War es sonst jemand auf den der Verdacht fallen konnte? Eins ist gewiß: In dem Moment, als ich an der Tür meines Bruders stand, lag dieser schon ermordet in seinem Bette oder doch in den letzten Zügen. Während ich vor der Tür stand, war der -Mörder im Zimmer, lauschend, den blutigen Dolch in der Hand. Bedenke — nur eine schwache Wand zwischen ihm und mir!" „Hattest Du einen Feind, Vater?" „Nicht daß ich es wüßte. Das zerissene Taschentuch, welches sich im Kamin meines Zimmers fand und von welchem ein Stückchen die Hand meines Bruders hielt, war mir gestohlen worden, ebenso der Dolch, um den Ver dacht auf mich zu lenken. Es schien mir, als sei das Ganze das wohlgeplante Werk eines Feindes, aber ich konnte gegen niemanden Verdacht schöpfen, — nur, daß ich manchmal leise dachte, Renard könnte die Tat verübt haben. Diesen mochte ich nicht leiden und er wußte es." „Ich muß mir das alles ins Gedächtnis einprägen," > sagte Aexa, „denn zu Papier bringen darf ich es nicht. ! Der Schein war allerdings stark gegen Dich und ich kann mich nicht wundern, daß Fremde Dich schuldig glaubten; aber daß die Frau, welche Dich liebte, auch an Deine Schuld glauben konnte, scheint mir unglaublich. Sie kannte Dich so gut, sie mußte wissen, daß Du zu einem Mord unfähig warst. Ich könnte Dich einer schlechten Handlung nicht für fähig halten, Vater Wie ist es möglich, daß ihr Vertrauen und ihre Liebe in dieser Zeit der Prüfung wankend werden konnten?" „Ich weiß es nicht. Sie war sehr stolz und besaß eine große Ehrfurcht vor ihrem Vater. Ich denke, er muß sie von meiner Schuld überzeugt haben. Ich werde sie nie Wiedersehen, Alexa, aber ich wünschte um ihret wegen, daß ich von dem schrecklichen Verdacht frei würde. Denn ich kann es nicht ertragen, daß sie mich bis zu ihrem Tode schuldig glaubt. Sie wird Jngestre, den gegenwärtigen Marquis heiraten, aber wenn sie einst wissen könnte, daß ihr erster Gatte ihrer nicht unwürdig war, würde ich glücklich sterben." „Sic soll es wissen. Deine Frau soll Dir Gerechtig keit erweisen —" „Du nennst Sie nicht Mutter, Alexa?" „Ich kann es nicht. Sie hat aufgehört, Deine Frau zu sein; sie wandte sich von Dir in Deiner Bedrängnis; sie ist die Verlobte eines anderen — wie kann ich sie da Mutter nennen?" „Ungeachtet ihres Mangels an Vertrauen zu mir, war sie rein, edel und liebenswürdig, sowohl wie stolz im höchsten Grade. Sie ist Deiner zärtlichen Zuneigung wert. Ich verehre sie, obwohl sie an mir zweifelte und sich von mir wandte. Wenn Du sie sehen solltest, Alexa, schreibe mir wie sie aussieht — beschreibe mir sie recht ausführlich. Teile mir auch mit, ob sie den jetzigen Marquis von Montheron zu lieben scheint." „Und wo wirst Du bleiben, während ich abwesend bin?"