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WeMM für WilskH Beilage zu Nr. 66. Dienstag, 15. Juni 1909. Aus Sachsen. Wilsdru ff, den 14. Juni. Zu einem schweren Exzeß kam es in einer Verhäng lung vor der 3. Strafkammer des Landgerichts in Dresden, in der sich der 1872 in Chemnitz geborene Kellner Theodor Otto Hohenstein wegen Diebstahls im Rückfalle verantworten sollte. Der Angeklagte ist schwer mit Zuchthaus vorbestraft und verbüßt gegenwärtiq in Waldheim eine sechsjährige Zuchthausstrafe. Vor einigen Wochen ließ er sich vor dem Amtsgericht Waldheim vor führen und gab einem Referendar zu Protokoll, daß er in Bayern vier noch nicht gesühnte Diebstähle begangen habe und ein umfassendes Geständnis Megen wolle. Dieses Geständnis wiederholte er auch später vor einem Amtsrichter. Nun wurde das Verfahren gegen Hohenstein vor dem Landgericht eingeleitet und der betreffende Re ferendar als Zeuge geladen. In der Verhandlung vor der 3. Strafkammer widerrief H. das frühere Zugeständ nis und wurde sofort ausfällig gegen den als Zeugen auftretenden Referendar, dem er vorwarf, das Ver nehmungsprotokoll gefälscht zu haben. Der Vorsitzende des Gerichtshofes verwies in ruhiger Weise dem An geklagten sein ungehöriges Benehmen, das bei der Straf- ausmefsung strafschärfend in Betracht gezogen werden könne. H. antwortete mit der Bemerkung: „Sie sind Richter und haben Recht zu sprechen und nicht das Recht zu beugen. Ihr seid überhaupt nicht zuständig; ich will in Bayern abgeurteilt werden!" Als sich der Staats anwalt zu einer Bemerkung oder einem Anträge erhob, warf ihm Hohenstein die zusammengeballte Termin vorladung entgegen und rief: „Du bist ruhig; Dich hat niemand gefragt; Du wartest, bis Du gefragt wirst!" Jetzt beauftragte der Vorsitzende einen Gerichtsdiener, das Schließzeug herbeizuholen. Nun wurde H. erst recht ausfällig, beschuldigte die Richter perverser Neigungen und äußerte u. a.: „Eulenburgen laßt Ihr lausen und einen armen Hund wollt Ihr verknacken!" spuckte den zurückgebliebenen Saaldiener an und sprang mit einem Satze über die Barriere der Anklagebank nach dem Podium des Richtertisches, warf das Schreibzeug Les Gerichtsschreibers um, so daß die Akten mit Tinte überschätzt wurden und schleuderte den Deckel des Schreib zeuges nach dem Vorsitzenden, der zum Glück nicht ge troffen wurde. Im nächsten Augenblick hatte Hohenstein einen Stuhl ei griffen und drang unter dem Rufe: „Ich schlage Euch alle tot!" auf die Richter ein. Einer der Richter griff zu, und der Saaldiener packte den rabiaten Patron von hinten, so daß der den Richtern zugedachte Schlag fehlging und die Wand traf. Dabei ging der Stuhl in Trümmern. Von zwei Saaldienern wurde H. überwältigt und aus dem Saale gedrängt. Die Ver handlung mußte unter diesen Umständen abgebrochen werden. Für Hohenstein wird der Exzeß wahrscheinlich eine Anklage wegen versuchten Totschlags zur Folge haben. In dem Polizeihund „Prinz von Kaditz" besitzt die Dresdner Kriminalpolizei einen hervorragend dressierten Polizeihund, der kürzlich eine treffliche Leistung vollbracht hat. Am 6. Juni vormittags befand sich ein Stadt gendarm auf dem ihm zugewiesmen Patrouillengange. Der Beamte hörte auf eine Entfernung von etwa 300 Meter einen Schuß fallen, ging der Richtung nach und traf in einem Kartoffelfelde einen Mann, der aber in Ab rede stellte, geschossen zu haben und bei dem auch nichts vorgefunden wurde, auf Grund dessen er hätte überführt werden können. Der Polizeihund „Prinz von Kaditz", der in Begleitung des Gendarmes war, verfolgte aber die Spur des von dem Manne zurückgelegten Weges und brachte nach einigem Suchen ein Teschin, das er in einer Kartoffelfurche aus der Erde gescharrt hatte, zu seinen: Herrn. Nunmehr gab der Mann zu, nach Tauben ge- schossen und das Teschin beim Anblicke des Beamten ver graben zu haben, um nicht ermittelt zu werden. Das „Steinerne Kanapee" unterhalb der vastet war am Mittwoch die Stätte eines Selbstmordes. Wie man mitteilt, schoß sich daselbst abends in der 9. Stunde der 20jährige Gärtner Richard Schäfer aus Grimma zwei Kugeln in den Kopf und stürzte dann rückwärts in die Steinbrücke im Elbtal. Da man den Vorgang von Rathen aus beobachtele, wurde sofort nach dem Abgestürzten gesucht; die Bergung machte aber größere Schwierigkeiten, da der Leichnam an, einer Kiefer hängen geblieben war. Gegen 8 Uhr hatte der junge Mann auf der Bastei einen Trauerbrief geschrieben, in welchem er mitteilt, daß er wegen einer gerichtlichen Angelegenheit den Tod suche. Er sei wohnhaft bei seinen Stiefeltern in Grimma, wo sich auch sein Lehrmeister, ein Gärtner, befinde. Ferner bat er in dem Briefe, ihn nicht in seiner Heimat zu be- graben. Nachdem Mittwoch abend die Leiche zunächst nach Rathen gebracht worden war, überführte man sie nach dem Friedhöfe zu Königstrin. Die ersten Kirschen. In Riesa sind dieser Tage bereits die ersten reffen Kirschen gepflückt worden, und zwar von einem Baume ffnes Gartens der unteren Göthestraße. Sie stehen ihren südlichen Schwestern, die unter Italiens Sonne gereist sind und bei uns jetzt feilgeboten wirden, in Größe und Geschmack nicht nach In Hainichen war ein Maler mit dem Reinigen von Dielen mit Benzin beschäftigt. Die Arbeit verrichtete er mit brennender Zigarre. Plötzlich entstand eine heftige Explosion, wobei einer Frau die Sachen am Leibe ver brannten. Außerdem trug sie eine Brandwunde am Bein davon. Ein Zimmermann wurde im Gesicht und am Halse schwer verbrannt Das Annaberger „Wochenblatt" hat beim Grafen Zeppelin angefragt, ob er aus seiner geplanten Fahrt nach Dresden auch Annaberg berühren werde. Darauf ist folgende Antwort eingegangen: Friedrichshafen a. B, 9. Juni 1909. An die Redaktion „Annaberger Wochenblatt"' Annaberg i. Erzgeb. Für Ihr wertes Schreiben vom 6. d. M. und die darin zum Ausdruck gebrachten anerkennenden Worte für das vaterländische Wer! Seiner Exzellenz des Herrn Grafen vo» Zeppelin, beehre ich mich hierdurch, Ihnen namens des Grafen bestens zu danken. Wenn es mög lich sein wird, bei der in Frage stehenden Luftreise Ihre Stadt zu berühren, so wird es Seine Exzellenz freuen, wenn er auch der Annaberger Bevölkerung Ge legenheit geben kann, das Luftschiff zu sehen. Bis jetzt sind nähere Einzelheiten über die einzuschlagende Fahrt route noch nicht festgelegt, weshalb ein bestimmtes Ver sprechen leider noch nicht gegeben werden kann. Ein Hauptaugenmerk wird der Luftschiffer stets darauf richten müssen, sein Ziel möglichst auf dem direktesten Weg bezw. der Linie, welche durch fahrtechnische Rücksichten ihm vorgeschrieben ist, zu erreichen. Hochachtend! Ernst Uhland, Bevoll. Sr. Exz. des Herrn Grafen F. v. Zeppelin. Der Kampf mit dem Einbrecher. In der Nacht vom Donnerstag bis Freitag zwischen 12 und 1 Uhr er tappte der Sohn des Gutsbesitzers Günlher in Reichen» brand einen Einbrecher im väterlichen Gute. Dieser stieß ihm ein Messer in den Hals und in die Hand, zwei Finger sind glatt abgeschnitten. Beide Schnitte gingen ganz nahe an der Pulsader vorüber. Auf die Hilferufe des Herrn Günther ergriff der Mordbube die Flucht. In der Nähe des Gutes fiel er jedoch in einen Bach; dadurch wurde es dem hinzueilenden Publikum möglich, ihn festzunehmen. Der Täter, ein großer, kräftiger, junger Mann, der außer der Mordwaffe noch drei andere Messer bei sich trug entpuppte sich als ein gewisser Arno Hofmann aus Gersdorf. Er mußte an Händen und Füßen gefessellt werden, sonst wäre er doch noch entwischt. Das Glück kommt oft über Nacht — oder man erfährt am Stammtisch davon! So kann ein Beamter in Zwickau sagen, dem es bei einer Stammtisch-Unterhaltung über die letzte Ziehung der Völkerschlacht-Denkmal-Lotterie cinfiel, daß er auch ein LoS besitzt. Beim Nachsehen in der Ziehungsliste wurde ihm die freudige Ueberraschung zuteil, daß er der glückliche Gewinner von 25000 Mk. ist. Der berüchtigte Einbrecher und Straßenräuber Pelz aus Steinpleis bei Zwickau, der vor einigen Monaten in Zwickau vom Landgericht zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde wegen einer Reihe schwerer Einbrüche, die er in der Zwickauer Umgebung teils allein, teils mit dem Einbrecher Leistner begangen hatte und dann vom Schwurgericht Zwickau wegen Straßenraubes, räuberischer Erpressung, versuchten Totschlags und Notzucht zu einer Gesamtstrafe von 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, stand wegen eines vor diesen Straftaten begangenen Straßenraubes vor dem Chemnitzer Schwurgericht. Nachdem schon die höchste zeitliche Strafe gegen Pelz erkannt ist, ist er ja für die Strafjustiz ein untaugliches Objekt, denn mehr als 15 Jahre Zuchthaus gibt es nicht. Gegenwärtig befindet er sich, des Mordes dringend ver dächtig, in Leipzig in Untersuchungshaft. Pelz, der persönlich einen guten Eindruck machte, hatte sich zu vei- antworten wegen eines Straßenraubes, den er am Hellen Tage auf dem Wege von Mühlbach nach Frankenberg bei Chemnitz am 23. Mai 1908 an einer Frau Otto aus Mühlbach begangen haben soll. Nach der Anklage hat er die Frau von hinten am Halse gepackt und nieder gedrückt, sie ist dann mit ihn: in den Straßengraben und er auf sie gefallen, dann hat P. in ihrer Schürzentasche nach Geld gesucht und, da er keins gefunden hatte, ihr zugerufen: Luder, gibs Geld her, oder ich ersteche Dich! Dann hat er in ihre Rocktasche gegriffen und ihr das Portemonnaie mit 6 Mark Inhalt und einigen Rabatt- Anf dunklen wegen. 34j Roman von E. Wagner. Nachdruck verboten. „Mylady hat sich ein wenig niedergelegt, ehe sie sich zum Mittagessen ankleidet", antwortete Felice auf eine bezügliche Frage Alexas. „Das Essen wird um sieben Uhr serviert; jetzt ist es beinahe sechs Uhr. Mylady will Sie sehen, sobald sie angekleidet ist und ich werde Sie zu ihr führen. Soll ich Ihnen beim Ankleiden be hilflich sein, Mademoiselle." „Soll ich mit Mylady und ihren Gästen speisend" fragte Alexa. „Gewiß, Mademoiselle", erwiderte die Französin. „Mylady betrachtet ihre Gesellschafterin als gleichstehend mit ihren Gästen. Es ist ihr ausdrücklicher Wunsch, daß Sie mit ihnen speisen." „Ich werde bereit sein", versetzte Alxa, ein wenig zagend zu dem ihr bevorstehenden Urteil. „Bitte kommen Sie zu mir, wenn Lady Wolga meiner begehrt." Felice zog sich mit einer Verbeugung zurück. Alexa besichtigte ihre Zimmer, bestehend in Schlaf- und Ankleidezimmer, beide geräumig und luxuriös und be haglich durchwärmt. Inzwischen waren ihre Koffer heraufgebracht und in das Ankleidezimmer gestellt worden und Alexa begann, sich zum Diner anzukleiden, nach einigen Bedenken das weiße Musselinkleid wählend. Als Felice kam, war sie vollständig fertig. Sie sah aus wie eine Fee. Das Kleid umschloß fest die wohlgeformten Brüste und schlanke Taille, welche ein hellblaues Band umschlang, und fiel dann in schweren Falten zur Erde nieder. Die Puffen, Schleifen und der weiche Besatz gaben dem ganzen ein duftiges Ansehen. Ihr blondes Haar war von der Stirn zurückgekämmt und in Flechten über den Kopf fest gesteckt und mit einer Rose geziert, welche sie einem der in Vasen, die auf dem Kamingesims standen, befindlichen Bukett frischer Blumen entnommen hatte. Felice stand eine Weile sprachlos vor Staunen über die geschmackvolle Toilette und die jetzt erst recht zu Tage tretende Schönheit des Mädchens und konnte nicht genug Worte des Ruhmes finden. „Mylady wird sich freuen", sagte sie. Es kommt Gesellschaft zu Tisch, — die Gäste von Mont Heron." „Wird der Marquis von Montheron zugegen sein?" fragte Alexa und eine leichte Blässe überzog ihr Gesicht. ,Za, Mademoiselle, Pierre Renard, sein Kammer diener, ist bereits angekommen, um ihm aufzuwarten", sagte Felice. „Aber bitte kommen Sie; Mylady hat^ Toilette gemacht und erwartet Sie." Alexa folgte der Dienerin; im Boudoir der Lady Wolga wartete sie, bis diese aus ihrem Ankleidezimmer kam. Sie trug ein Kleid von pfirsichfarbigem Sammet und einen Diamantenschmuck. Die lebhaften Augen des Mädchens sprachen ihre Freude aus über die strahlende Schönheit der Frau, welche ihre Blutter war, die aber keine Ahnung hatte von der Blutsverwandtschaft zwischen ihnen. Zum ersten Male stieg in ihr der Wunsch auf, daß ihres Vaters Name von dem auf ihm lastenden Fluch rechtzeitig gereinigt werden und eine Wiedervereinigung beider stattfinden möge; aber der Ge danke an die vollzogene Scheidung, an den Mangel von Glauben der Frau an die Unschuld ihres Gatten und daran, baß sie sich in der Not von ihm abgewendet habe, ließen ihren Wunsch als trügerisch erscheinen. Lady Wolga lächelte beifällig ihrer jungen Ge sellschafterin zu und sagte: „Seien Sie willkommen in Ihrer neuen Heimat, Miß Strang. Es war meine Absicht, Sie bei Ihrer! Ankunft zu empfangen, aber ich hatte mich niedergelegt und war so müde, daß ich nicht aufstehen konnte. Die Fahrt auf der bewegten See hat meine Kräfte mehr erschöpft, als ich anfangs glaubte." „Aber Sie sehen jetzt wieder wohl aus", sagte Alexa höflich. ,Zch sehe nie leidend aus", erwiderte Lady Wolga mit schwachem, bitteren Lächeln. „Hat Felice Ihnen ge sagt, daß wir heute Tischgesellschaft haben? Es sind unsere Nachbarn von Mont Heron. Sie sind bereits angekommen und in die Garderobezimmer geführt. Wir wollen in den Salon gehen, um sie dort zu empfangen." Sie ging voran und Alexa folgte ihr die breite Treppe hinunter in den Salon, welcher jetzt in einem Lichtmeer prangte. Als sie eintraten, erhob sich am nächsten Kamin ein Mann und kam ihnen entgegen. „Marquis von Montheron!" sagte Lady Wolga leicht, ihre Hand ausstreckend. Der Marquis erfaßte ihre Hand und hielt sie lange 1n der seinigen. „Es freut mich, Sie wohl zu sehen, Wolga", sagte er. ,Zch fürchtete fchon, daß die stürmische Fahrt Ihnen geschadet habe" „Nein, wie Sie sehen", entgegnete Lady Wolga kühl, aber mit vollkommener Höflichkeit. „Miß Strange, erlauben Sie mir, Sie dem Marquis von Montheron vorzustellen. Marquis, diese junge Dame ist meine neue Gesellschafterin." Der Marquis verbeugte sich, und Alexa, mit Auf bietung ihrer ganzen Willenskraft, erhob ihre Augen und heftete sie fest auf das Gesicht des Mannes, welcher die Stellung einnahm, welche rechtmäßig ihrem Vater gehörte. Ihr Herz war zum Zerspringen voll, und doch mußte sie ruhig erscheinen. Nur mit äußerster Gewalt gelang es ihr, ihre Empfindungen zu verbergen und den durch-