Volltext Seite (XML)
PAPIER-ZEITUNG. No. 16. 382 Kulturbewegung morgenländischer Völker wirksam eingreifen. Und diese beiden Kulturträger von einst und jetzt tragen den offenbaren Stempel der Siegesgewalt eines Volkes an sich, das gross in geistigen Eroberungen, energisch in der praktischen Verwerthung derselben, zu dem Aufbau menschlicher Kultur mächtige Quadern geliefert hat, die unvergänglicher als seine Siegeskränze die Jahrhunderte, selbst seines nationalen Lebens, zu überdauern vermochten. die Vorläufer einer Kunstübung zu erblicken vermögen, deren Ursprung man viele Jahrhunderte später auf europäischem Boden gefunden zu haben glaubt. Schreibt doch unser vielgelesener Kunstästhetiker Moriz Carriere in seinem Werke: »Die Kunst im Zusammenhänge der Kulturentwicklung« (IV, 103 f.) wörtlich: »Von entscheidender Wichtigkeit für die deutsche Kunst endlich war, dass mit der Buchdruckerkunst auch die Vervielfältigung der Zeichnungen durch Holzschnitt und Kupferstich in Hebung kam. Schon im Alterthum grub man Zeichnungen in Metallplatten, um Kästchen oder die Rückseite von Spiegeln zu verzieren; in Italien stellte man das Niello her, indem man die vertieften Linien mit einem andersfarbigen Metall ausfüllte; aber sie abzudrucken war der neue Gedanke, und dies ist eine deutsche Erfindung, die zu künstlerischen Zwecken zuerst bei uns verwerthet ward.« Dieser Anschauung steht nun die unleugbare Thatsache gegenüber, dass unter unseren arabischen Modeldrucken auch die ältesten Ver suche der Anwendung von Zeichnungen in zweierlei Farben, schwarz und roth, als Textdrucke vorliegen. Vorerst ornamental, erscheinen sie sowohl in geschriebenen als gedruckten Texten als Eindrücke. So befinden wir uns denn wiederum in der fatalen Lage, die Priorität der einem Kulturvolke zugeschriebenen Erfindung einem andern zu weisen zu müssen. Wir wollen uns über diesen Abzug keineswegs kränken; können wir uns doch vollauf damit begnügen, die bahnbrechende Richtung für den Holzschnitt in Deutschland durch unsern Albrecht Dürer eingeleitet zu sehen. Verweilen wir noch einen kleinen Augenblick bei unsern Model drucken, so fällt noch insbesondere eine merkwürdige Erscheinung an ihnen ins Auge. Bekanntlich leitet man die Entstehung der sogenannten xylo- graphischen Werke, d. h. der Holztafeldrucke zurück auf die Bilder drucke, indem der Entwickelungsgang in folgender Weise angenommen wird: »Beim Fortschreiten der Kunst bekommen die Zeichnungen Andeutung von Schattirung. Auf die einfachen Unterschriften der Bilder folgen ganze Sprüche, gewöhnlich Bibelstellen und Verse, oft in der Form von Devisen aus dem Munde einer Figur hervorgehend. Aus den Sprüchen werden schliesslich ganze Textseiten, die dem Bilde gegenüberstehen. Das Bedürfniss der weltlichen Belehrung »führte schliesslich zu einem Buch ohne Bilder« (Lorck, Handbuch der Geschichte der Buchdruckerkunst 1882. I. S. 18 f.) Sollen wir wirklich an diese Entwicklung glauben? Im Morgenlande wenigstens sehen wir an unsern Beispielen den Textdruck um Jahrhunderte früher zur Vollkommenheit entwickelt, und während man im Abendlande selbst nach Erfindung der beweg lichen Typen den Tafeldruck nicht ganz aufgab, namentlich für Sachen, wozu kleinere Typen erforderlich, deren Guss noch zu schwierig war, zeigen die meisten unserer arabischen Tafeldrucke schon einen ausser ordentlich, hie und da fast mikroskopisch kleinen und zarten Schnitt der Schrifttexte, so dass der Rückschluss auf eine noch längere Kunstübung wohl berechtigt erscheint. Unter solchen Umständen darf es garnicht Wunder nehmen, dass sich dieser arabische Form schnitt sehr bald auch ungeahnten Zwecken höherer Staatsnoth wendigkeit dienstbar zu erweisen vermochte. Denn als in der Bedrängniss des II. Kreuzzuges, 1147, die finanzielle Noth in den muhammedanischen Staaten Nordsyriens am höchsten stieg, indem dort dem Geldmärkte bereits alles gemünzte Edelmetall entzogen worden war, begann man gedruckte Papiergeldnoten mit Zwangs kurs in fabelhafter Menge auszugeben. Im Jahre 1147 Papier geld! Dieses Wort erregt in uns sofort eine Fülle geistiger und materieller Beziehungen, Begriffe und Vorstellungen für die Gegenwart und Vergangenheit: doch was konnten wir in dieser Beziehung bis her unter Vergangenheit verstehen? Wir dachten dabei zurück an unsere Bankozettel, an die Assignaten der ersten französischen Republik, noch weiter zurück an den berüchtigten Schotten John Law zu Anfang des XVIII. Jahrhunderts und führen sodann einen zeitlich wie räumlich gewaltigen Sprung aus zu den Arabern des XII. Jahr hunderts, ja noch weiter zurück in das XI. Jahrhundert zu den Chinesen, welchen hierin der Vorrang gebührt. Die Verbindungsglieder fehlen. Eine Zeitlücke von 700 Jahren gähnt uns entgegen, welche nur noch durch spärliche Angaben noth dürftig ausgefüllt wird. Und so müssen wir uns denn zufrieden geben mit der blossen Erken ntniss, dass es nichts Neues mehr unter der Sonne giebt. Aus diesen von mir angeführten ältesten Beispielen von Erzeug nissen des Holzmodel- oder Plattendruckes, welcher die Etappe zum Druck mittels beweglicher Lettern bildete, geht also augenscheinlich hervor, dass der Druck hauptsächlich für solche Objekte Anwendung fand, welche in Massenhaftigkeit erzeugt, in die Massen des Volkes einzudringen bestimmt waren. So sehen wir denn schon in sehr früher Zeit, fast genau sieben hundert Jahre vor dem Erscheinen unserer ersten europäischen Tafel drucke in Buchform, Papier und Druck als wichtige Hebel in die Berichte unserer Korrespondenten. Aus Brasilien. St. Paulo, Januar 1891. Ein sonderbares Jahr liegt hinter Brasilien, besonders dem Staate S. Paulo. Gründungen über Gründungen tauchten auf, worüber ich bereits berichtet habe. Man fühlte das Bedürfniss nach Industrie; aber statt kleinerer Kommanditgesellschaften, die unter sich das nöthige Kapital zusammenschiessen, posaunte man grossartige Compagnieen mit noch grossartigeren Namen aus. Da gab es eine Companhia Predial, Industrial e Mercantil, eine Companhia Progresso Paulistano und so weiter. Im grossartigsten Maassstabe wurde gegründet, aber das Volk war nicht so dumm; die Aktien wurden nicht gekauft, und das grosse stolze Heer von Companhias verlief im Sande. Auch auf den Arbeitergeldbeutel spekulirte man durch den Gründungsversuch einer Companhia zum Bau von Arbeiterhäusern. Glücklicherweise kam kein Krach vor, weil keine dieser Companhias zu Stande kam. Die einzigen, die dabei gewannen, waren die Zeitungen, da die Anzeigen und Bekanntmachungen dieser Gesellschaften in der Regel die ganze vierte Seite der betreffenden Zeitungen einnahmen. Kennzeichnend für die hiesigen Hanswurstereien und das herr schende Gründungsfieber war die »Gründung« einer Ausstellung für das Jahr 1892, auf der vielleicht alle die 1890 gegründeten Fabriken ihre Produkte vorlegen sollten. Mit Begeisterung wurde diese Idee aufgenommen, und auch in Rio de Janeiro fand sie Beifall. Aber noch bevor das Komitee zusammengetreten war, begann der Streit um den Platz. Die Männer, welche die erste Anregung ge geben hatten, wählten einen grossen freien Raum zwischen der Alt stadt und der Vorstadt Braz, günstig zwischen den Bahnhöfen nach Rio de Janeiro, Santos und Campinas gelegen, mit dem Plan, die Ausstellungsgebäude so aufzuführen, dass sie zu späteren Benützungen geeignet wären. Da bildete sich eine Gegenpartei, die sagte: »Wozu haben wir das Ipirancadenkmal? — die Ausstellung muss dorthin.« Mit dem Ipirancadenkmal hat es nun seine eigene Bewandtniss. Ungefähr zwei Stunden vor S. Paulo befand sich ein Gedenkstein an der Stelle, an welcher sich die Führer der Unabhängigkeitspartei am 7. September 1822 versammelten und Brasilien für unabhängig vom Königreich Portugal erklärten. An Stelle dieses 1822 gesetzten Steines wurde vor ungefähr 5 Jahren ein Monumentalbau begonnen und nach dem Hügel, auf dem er steht, Monumento de Ipiranca benannt. Der Bau ist jedoch selbstverständlich bis heute noch nicht fertig; aber bereits die ganze Zeit zerbrachen sich die Gelehrten die Köpfe, zu was er eigentlich dienen soll, wenn er einmal fertig ist. Das Problem ist ja jetzt wohl gelöst: — die Ausstellung kommt hin, wenn etwas daraus wird, oder wenn der Bau bis dahin fertig ist, was beides als »nicht ganz sicher« gelten kann. Um beiden Parteien gerecht zu werden, beschloss man die Aus stellung zu theilen und beide Punkte zu bedenken. Es ergingen nun Einladungen zur Feier der Grundsteinlegungen an beiden Plätzen. Sogar Präsident Marschall Deodoro versprach sein Erscheinen, liess sich aber in letzter Stunde nach Schauspieler art krank melden. Dafür erschien mit Extrazug von Rio de Janeiro eine Batterie Artillerie, und die Garnison S. Paulo erhielt den Befehl der Feier in vollem Staat beizuwohnen. Minister, Journalisten und amtliche Personen erschienen, und die Feier der Grundsteinlegung auf dem ersten Platze vollzog sich unter dem Donner der Salut schüsse der Artillerie von Rio. Darauf ordnete sich der Festzug nach dem Ipiranca-Denkmal. Die Begeisterung liess bei dem Hinaus marsch die Strapazen nicht fühlbar werden, aber als die Feier wie am ersten Orte beendet war, fühlte man Hunger, Durst und Müdigkeit. An Befriedigung der Leibesnothdurft hatte das Komitee nicht gedacht und auch nicht daran, wie man nach Hause kommen sollte. Der Schienenstrang der Linie Santos-S. Paulo geht dicht vorbei, und von der Direktion der Bahn ist eine Station an dieser Stelle längst »projektirt«, auch eine Dampfstrassenbahn ist im Bau begriffen. Aber nichts war fertig. Wagen waren auch nicht genügend vorhanden, und so musste der grösste Theil der armen faulen Brasilianer zu Fusse wieder nach S. Paulo zurück. Voll Entrüstung schilderten danach die auswärtigen Zeitungen die Kopflosigkeit des Komitees, und jetzt ist auch diese unter mili tärischer Begleitung gegründete Ausstellung — eingeschlafen.