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No. 14. PAPIER-ZEITUNG. 329 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Die Stereotypie der Gegenwart. Von Carl Kempe in Nürnberg. Die Anwendung der Stereotypie ist in keinem Lande der Welt so verbreitet, wie in Deutschland. Der siebente Theil aller vorhan denen Buchdruckereien arbeitet bei uns mit Hilfe der Stereotypie. Fragen wir, welche Druckereien sich dieses Hilfsmittels bedienen, so finden wir, dass in erster Linie die mittleren Geschäfte die Vortheile der Hilfstechnik ausnützen, und ausnützen müssen, um dem Drucke von oben und unten gewachsen zu sein. Der beste Freund dieses »mittleren Buchdruckers«, wenn ich die Bezeichnung anwenden darf, ist ohne Zweifel die Stereotypie. Wäre sie nicht seit vielen Jahren da, sie müsste für ihn besonders erfunden werden. Freilich giebt es noch manchen Fachgenossen, dem sie ein Buch mit sieben Siegeln ist, und der ohne Bedenken antwortet, für ihn »sei die Stereotypie nichts«, obgleich ihm die richtige Ver- werthung derselben manchen Vortheil, den er bisher nicht kannte, bringen würde. Wenn man weiss, dass es im Osten Deutsch lands noch grosse Druckereien giebt, — selbst Druckereien mit Re- gierungs- und kirchlichen, ständig wiederkehrenden Arbeiten, deren Satz oft Jahrzehnte lang steht, — welche von der Stereotypie nichts wissen wollen, so kann man es dem kleinen Buchdruckereibesitzer nicht mehr übel nehmen, wenn dieser sie als Luxus betrachtet. Im ersten Augenblick ist auch mancher kundige Fachgenosse hierzu geneigt, und es giebt Arbeiten genug, auf welche der Stereotypie- guss nicht angewendet werden kann; weit mehr Arbeiten aber giebt es, die ihn zulassen, wenn nicht gar fordern. Der Hauptgrund für die Anwendung der Stereotypie bleibt immer die Konkurrenzfähig keit, ohne welche Stillstand sicher, Rückschritt sehr oft eintritt. Um ein Beispiel herauszugreifen, wollen wir uns einen Auftrag ansehen, der im Preise anscheinend auf dem niedrigsten Maass der Berechnung angelangt ist. Ich meine die Prospekte von Heilmitteln aller Art. Diese Prospekte sind meist zweiseitig in gross Quart- Format und auf demjenigen billigsten Papier gedruckt, das überhaupt noch anlege- und druckfähig ist. Ich weiss aus Erfahrung, dass solche Prospekte das Tausend um 80 Pfennig gedruckt werden. Dieser Preis ist verblüffend, und doch lässt sich über ihn sprechen. Er ist möglich geworden durch die Rotationsmaschine, die ihre Bezahlung durch den Zeitungsdruck finden soll, aber nicht immer für Zeitungszwecke allein verwendet wird, denn die Verführung liegt vielen Verlegern zu nahe, in der freien Zeit eine lukrative Verzinsung durch Massendruck auf der Rotationsmaschine zu suchen und herbeizuführen, als dass sie der selben ausweichen sollten. Die Zeitschrift »Fürs Haus« in Dresden bezahlte für ihre vier seitige Propagandanummer im vorigen Jahre 80 Pf. und in diesem Jahre 90 Pf. fürs Tausend Druck. Das sind, auf unsern vorhin citirten Prospektdruck umgerechnet, fürs Tausend 45 Pf. Dieser Preis wäre für Flachdruck — selbstverständlich über all ohne Papier — einfach unmöglich, und der Herr Rotationsdrucker wird auch keine Seide dabei gesponnen haben, obgleich die dies jährige Druckerei mit dem Geschäft nicht ganz unzufrieden sein soll. Viel und gut steht in dem vorliegenden Falle auch nicht immer bei einander, denn der sogenannte Massendruck auf widerhaariges Papier lässt sehr oft viel zu wünschen übrig. Doch nicht allein die Bewältigung des Massendrucks soll durch die Stereotypie herbeigeführt werden. Die Flachstereotypie, — und mit dieser allein haben etwa 97. pCt. aller Buchdruckereien zu rechnen — dient auch noch anderen Aufgaben, als jenen, die Preise herabzudrücken und nur für Maschinenstoff zu sorgen. Die Flach stereotypie ist in erster Linie berufen, den Buchdrucker zum Ver leger zu machen. Wie viele kleine Verlagsanstalten haben sich in den letzten Jahren herausgebildet; sie sind aus kleinsten Anfängen entstanden und eben so zahlreich draussen in den Ideinen Landstädten zu finden, wie an grossen Plätzen. Der Eine wandte sich religiösen Schriften zu, der Andere dem Kalenderverlag. Hier wurden billige Volksbücher verlegt, dort kam die böse Ramschliteratur zur Geltung. In Dresden allein sind etwa zehn Geschäfte entstanden, die nur den Kolportageroman pflegen. Ob nun in gutem oder bösem Sinne, — auf jeden Fall wäre die grösste Zahl aller dieser Betriebe ohne An wendung der Stereotypie entweder nicht so schnell emporgekommen oder überhaupt nicht entstanden. Für den kleinen wie für den grossen Verleger ist die Stereotypie das einzige Mittel, grosse Auflagen schnell zu bewältigen und eine Massenpropaganda nachhaltig ins Werk zu setzen. Ein weiterer schneller Aufschwung des Drucksachen-Verbrauchs ist auf die Stereotypie zurückzuführen, wenn wir die sogenannten Einschlag- oder Einwickelpapiere betrachten. Nicht nur, dass jedes Modegeschäft, jeder Schuhwaarenhändler, jedes Galanteriegeschäft und jeder Kurzwaarenhändler Packpapiere mit seiner Firma bedrucken lässt, auch der Wursthändler und der Bäcker greifen zu bedrucktem Einschlagepapier. Düten und Beutel werden oft in eleganter Aus führung mit Aufdruck versehen, und wo nur irgendwo das Interesse des Käufers an eine Firma gefesselt werden kann, geschieht es. Niemand will zurückstehen, und der Papierwaarenfabriken werden von Monat zu Monat mehr. Ein achtsamer Stereotypeur kann von einer Matrize, je nach Art des Satzes, fünf bis hundert Güsse erzielen. Auf die Art der Matrizenbereitung kommt es dabei allerdings in hervorragendem Maasse an. Das einfachste Klebemittel in der Stereotypie ist ein nach meiner Vorschrift bereitetes Matrizenpulver: Man nehme Roggen- meld und pulverisirte Kreide, siebe letztere durch ein feines Sieb und mische beides zu gleichen Theilen. Wer dann noch 20 pCt. rheinisches gelbes Dextrin und 1 pCt. Borax zugiebt, der erhält ein prächtiges Matrizenpulver, bei dem nm* der Umstand störend ist. dass es in der kleinen Selbstanfertigung theurer zu stehen kommt, als fertig gekauftes. Hier möchte ich einen Uebelstand erwähnen, der mir in meiner' Praxis stets unverständlich geblieben ist, und der darin besteht, dass sich bei uns das Bedürfniss nach einem praktischen Ersatz des Ein- Idopfens nicht geltend machen will. In früheren Jahren wurden allerdings Anläufe nach dieser Richtung hin unternommen. Es wurden auch Matrizenkalander gebaut, welche aber so leicht kon- struirt waren, dass sie ihren Zweck nicht erfüllen konnten. Hierzu trat auch noch der Missstand, dass bei Beginn der Rundstereotypie die Matrizen viel zu stark bereitet wurden. Die Kalander versagten ihren Dienst und wanderten zu Dutzenden ins alte Eisen. Wo mit dünnem Matrizenmaterial gearbeitet wurde, erfüllten die Kalander ihre Aufgabe dennoch, und wenn ich nicht irre, wird im Hamburger Fremdenblatt heute noch kalandrirt. Ein geeigneter Kalander mit Transmissionsbetrieb, der schnell und sicher seine Aufgabe erfüllt, wäre ohne Schwierigkeit von jeder Apparatenbauanstalt herzustellen, und der Preis dürfte den Betrag von 1000 M. kaum übersteigen. Ueber die Papiere für die Matrizenbereitung herrschte bis vor wenigen Jahren noch eine oft von Stadt zu Stadt abweichende Auf fassung. Wer die verschiedenen Gebräuche kennen gelernt und geprüft hat, weiss, dass man schliesslich mit jedem Papier brauchbare Ma trizen herstellen kann. Selbst mit einem Bogen Zeitungsdruckpapier und drei bis vier Seidenbogen lässt sich eine brauchbare Matrize herstellen, ebenso kann das schlechteste Flaschenpapier diesem oder jenem Stereotypeur Freude bereiten, aber als Regel darf man alle solche Ausnahmen nicht betrachten, und im allgemeinen ist jedem Stereotypie-Inhaber beste ungeleimte Waare für die Stereotypie zu empfehlen, dann kann er gute Arbeitsleistung unbedingt verlangen. Unter diesen guten Papieren sind zu verstehen: holzfreies Kupfer- druck-, Lösch- und Filtrirpapier, je nach Wunsch des Stereotypeurs. In Seidenpapier, das ja hauptsächlich zur scharfen und festen Bild- und Bunzenbildung dienen muss, wähle jeder ebenfalls nur beste Waare. Bei dieser Sorte kann die Bogenzahl in der Matrize vermindert werden. Gutes Seidenpapier liefert den wenigsten Ausschuss,' die wenigsten verdorbenen Matrizen in Strich, Schlag und Guss, und die Sicherheit in der Arbeit ist jederzeit gewährleistet. Für die Deck papiere auf dem Rücken der eingeklopften Matrize giebt es auch be stimmte Papiersorten, bei welchen insbesondere auf knotenfreie Arbeit und gleichmässige Stärke Bedacht genommen ist, doch helfen sich viele Stereotypeure bei dieser Arbeit mit gewöhnlicher Zeitungs makulatur, und diese thut im Nothfalle ganz gute Dienste. Die Matrizenbereitung ist stets in der denkbar einfachsten Weise vorzunehmen und zwar: Für Werkstereotypie 1 Bogen Kupferdruckpapi er, 1 ’ Seiden-, 1 Kupferdruck- und 3 Seidenbogen obenauf; für Rundstereotypie gilt die gleiche Zusammensetzung, doch kann zuletzt ein Seidenbogen weniger genommen werden; für Tabellenstereotypie gelten 3 Kupferdruckbogen und 5 Seiden bogen obenauf, das Kupferdruckpapier abwechselnd mit Seiden papier durchschossen. Auf die Technik der Stereotypie in breitem Rahmen näher ein zugehen, würde hier zu weit führen. Das Wie haben wir in kurzen Umrissen gesehen, und es dürfte jetzt nicht ohne Interesse sein, die verschiedenen Systeme des Apparatenbaues näher kennen zu lernen.