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No. 12. PAPIER-ZEITUNG. 279 wurde. Die wichtigsten Stellen der Patentbeschreibung haben folgenden Wortlaut: »Die betreffende wässrige Lösung des doppeltschwefligsauren Kalkes wird auf die Weise hergestellt, dass über nicht zu kleine Stücke von kohlen saurem Kalk, welcher sich in einem Thurme befindet, gleichzeitig und zwar von oben Wasser und von unten ein Strom schwefliger Säure geleitet wird. Diese schweflige Säure wird theils durch Verbrennen von Schwefel oder Schwefelmetallen bereitet, theils resultirt sie beim Abkochen der wie unten beschrieben gewonnenen Fabrikationsflüssigkeit Der Inhalt des Kessels wird nun zum Sieden, und zwar solange erhitzt, als die Dämpfe, welche in dem oben gedachten Thurm in die Kalkstücke geleitet werden, noch stärker nach schwefliger Säure riechen.« Der Patentanspruch erhielt folgende Fassung: »Die Bereitung der Lösung des sogenannten doppeltschwefligsauren Kalkes unter Wiederbenutzung der ausgetriebenen schwefligen Säure.« Als im Oktober 1884 die theilweise Umstossung des Patent anspruchs I (Zellstoffbereitung) des Mitscherlich’schen Patentes gelang, war für Diejenigen, welche sich die hierdurch geschaffene Situation zu Nutzen machen wollten, der bestehen gebliebene Patentanspruch II ein unbequemes Hinderniss, um erfolgreich zu konkurriren. Denn es ist selbstverständlich, dass die ganze Sulfitzellstoff-Industrie zu ihrer Lebensfähigkeit unbedingt eines Verfahrens zur billigen fabrik mässigen Herstellung der Sulfitlauge bedurfte. Es wurde deshalb aller Scharfsinn aufgeboten, um das Mitscherlich’sche Patent so gut oder so schlecht wie möglich zu umgehen, und um Abweichungen zu ersinnen, welche der Sache den Anschein geben sollten, als sei keine Patentverletzung vorhanden. Vor allem wurde versucht, den Apparat, in welchem das patentirte Verfahren vor sich ging, abzu ändern, indem der eine, etwa 30 Meter hohe Mitscherlich’sche Thurm in 5—6 niedere Thürme von 6 Meter Höhe zerlegt und in diesem System von Thürmen die Bereitung der Lauge nach dem Gegen stromprinzip vorgenommen wurde. Dabei waren dann natürlich eine Reihe von Nebenapparaten, insbesondere Pumpen, Dampfstrahlinjek toren und anderes mehr erforderlich, was die Kosten erhöhte, aber dem Verfahren noch mehr den Anstrich der Unabhängigkeit vom Mitscherlich’schen Patent gab. In der Folge wurden dann auch noch andere Abänderungen getroffen, z. B. die, dass der Thurm statt mit kohlensaurem Kalk mit Basaltkieseln gefüllt und nun von unten schweflige Säure, von oben Kalkmilch eingeleitet wurde. Die Kalkmilch überzog durch die darin befindliche und sich aufspeichernde Kohlensäure die Oberfläche der Basaltkiesel binnen kurzem mit einer Schicht von kohlensaurem Kalk, und auf diese Weise fand genau dieselbe chemische Reaktion statt, wie wenn der Thurm mit Stücken von kohlensaurem Kalk ge füllt gewesen wäre. _ Ferner hat man flüssige schweflige Säure gleichzeitig mit dem Wasser am oberen Ende des mit Stücken von kohlensaurem Kalk gefüllten Thurmes eintreten lassen. Die Säure wurde alsbald vom Wasser absorbirt, und nun erfolgte die Einwirkung auf den kohlen sauren Kalk. Ein in letzter Zeit bekannt gewordenes Verfahren endlich bestand darin, dass in einer Anzahl von terrassenförmig übereinander auf- gestellten verschlossenen, durch geeignete Röhren mit einander kommunizirenden, mit Wasser gefüllten Bütten Stücke von kohlen saurem Kalk aufgeschichtet wurden. In dieses System wurde nun von unten unter Druck schweflige Säure hineingepumpt, welche die verschiedenen Bütten der Reihe nach durchstrich, während gleich zeitig von oben Wasser zugeführt wurde. Auf diese Weise bewegte sich die Säure von unten nach oben, und das Wasser, bezw. die Lösung von doppeitschwefligsaurem Kalk, welche in dem oberen Theil der Bütten erzeugt wurde, von oben nach unten. Bei allen diesen Anwendungen musste nun besonders ein Um stand herhalten, welcher anscheinend jeden Konflikt mit dem Mitscherlich’schen Patent ausschloss, nämlich die Thatsache, dass im Patentanspruch die Worte gebraucht waren: »Unter Wiederbenutzung der ausgetriebenen schwefligen Säure.« Bei den gekennzeichneten Anordnungen war überall vermieden, die beim Kochprozess frei werdende schweflige Säure wieder in den Laugebereitungsapparat zu leiten, und zur anderweitigen Nutzbar machung jener schwefligsauren Dämpfe wurden die verzwicktesten Umwege angewendet, um nur sagen zu können, dass dieses angeblich wichtigste Kriterium des Mitscherlich’schen Patentanspruchs, die Wiederbenutzung der ausgetriebenen schwefligen Säure, nicht vorliege, und deshalb eine Verletzung des Mitscherlich’schen Patents ausgeschlossen sei. Es wird sich im Verlauf dieser Darstellung zeigen, dass die be treffenden Fabriken mit dieser Auslegung des Mitscherlich’schen Patents zwar objektiv kein Glück hatten, insofern als das Patentamt jenes Moment der Wiederbenutzung als nebensächliches, für jeden Techniker selbstverständliches, das Wesen der Erfindung nicht be rührendes bezeichnete, dass ihnen aber ihre sophistische Auslegung des Patents doch insofern zu statten kam, als die Gerichte sehr bereit waren, diese Auslegung als eine mögliche, und den nach dem Gesetz erforderlichen bösen Glauben bei der Patentverletzung ausschliessende gelten zu lassen. Zum Schutze seines geistigen Eigenthums sah sich Professor Mitscherlich genöthtigt, gegen diejenigen Fabriken, welche ihre Sulfit lauge in der oben angegebenen .Weise herstellten — es waren in Deutschland 16 in der Hauptsache nach dem sogenannten Ritter- Kellner'schen Verfahren arbeitende Fabriken, — klagend vorzugehen. Der erste von Professor Mitscherlich angestrengte Patent- Verletzungsprozess war gegen eine nach dem sogenannten Ritter- Kellner’schen Verfahren arbeitende Fabrik in Sachsen (Freiberger Papierfabrik in Weissenborn) gerichtet. Die Klage wurde im No vember 1885 zugestellt, das erstinstanzliche Urtheil erging am 11. November 1886 und wies die Patentverletzungsklage auf Grund eines Sachverständigen-Gutachtens aus dem Grunde ab, weil das Patent durch die Wiederbenutzung der ausgetriebenen schwefligen Säure charakterisirt sei, und dieses Moment von der beklagten Fabrik nicht angewendet werde. Das sächsische Oberlandesgericht Dresden dagegen holte ein Gutachten des Kaiserlichen Patentamtes ein, welches unterm 2. Februar 1888 ertheilt wurde und auf Seite 1673 der Papier-Zeitung, Jahrgang 1888 im Auszuge veröffentlicht ist. In demselben wurde die Anschauung ausgesprochen, 1) dass die Wiedergewinnung der schwefligen Säure keinen wesentlichen Bestand- theil des Patents bilde, 2) dass das im ersten Satze des zweiten Absatzes des Patents Nr. 4179 beschriebene Verfahren zur Zeit der Patentertheilung nicht bekannt gewesen, dass also ein mit Kalkstein stücken gefüllter Thurm zur Darstellung einer Lösung von soge nanntem saurem schwefligsaurem Kalk damals nirgends in Anwendung gewesen sei, 3) dass die von den Beklagten behaupteten Abweichungen vom Mitscherlich’schen Verfahren zwar vorhanden, aber unerheblich seien und in das Patent Nr. 4179 eingriffen. Auf Grund dieses Gutachtens wurde nun die beklagte Fabrik durch Urtheil vom 28. März 1888 (also fast 21/2 Jahre nach der Klageerhebung) verurtheilt, das Verfahren zur Bereitung des so genannten doppeltschwefligsauren Kalks einzustellen und bei Vermeidung einer Geldstrafe von 500 M. für jeden einzelnen Fall der Zuwider handlung bis zum Ablauf der Giltigkeit des erwähnten Patents zu unterlassen. Auch wurde dieses Urtheil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30 000 Mark für vorläufig vollstreckbar erldärt. Dagegen wurde der Kläger mit seinem Anspruch auf Schadenersatz abgewiesen und nicht einmal der Erhebung der Klage die Bedeutung beigemessen, dass sie den Patentverletzer ohne weiteres in bösen Glauben versetze. Die Entscheidungsgründe führen mit Bezug hierauf aus: »Der Einwand des Klägers, dass jeder loyale Techniker ohne weiteres habe erkennen müssen, dass das Patent trotz seines Wortlautes nicht in dem von der Beklagten im gegenwärtigen Prozess vertretenen Sinn verstanden werden könne, wird dadurch hinfällig, dass ein unbefangener Sachverständiger von der Bedeutung des in der I. Instanz vernommenen Experten sich zu der entgegengesetzten Auffassung bekannt hat Wenn die Beklagte aber, wie hiernach bei dem Mangel entgegenstehender Indizien angenommen werden muss, in dem guten Glauben war und sein konnte, dass nur eine Fabrikation der Kalksalzlösung, welche unter Wiederbenutzung der beim Kochprozess des Sulfitverfahrens ausgetriebenen schwefligen Säure erfolgt, gegen das Patent des Klägers verstosse, so sind auch die Thatsachen, dass der letztere wegen Patentverletzung Strafantrag stellte und Klage gegen sie erhob, nicht geeignet, diesen guten Glauben ohne weiteres zu zerstören, denn es handelte sich hierbei um einseitige Behauptungen des Klägers, die für die Beklagte mit Rücksicht auf die Befangenheit, die sie bei dem Kläger wegen seines dabei mitwirkenden erheblichen pekuniären Interesses voraussetzen durfte, nicht schlechthin maassgebend zu sein brauchten.« Der Prozess wurde noch in die Revisions-Instanz gebracht, und das Reichsgericht hat sich dabei der rechtlichen Auffassung des Ober landesgerichts angeschlossen. Nachdem so der Kläger nach fast dreijähriger Prozessdauer eine erste maassgebende Entscheidung erwirkt hatte, versandte er Abdrücke des oben erwähnten patentamtlichen Gutachtens an alle Zellstoff fabriken, bei welchen er Grund zu der Annahme hatte, dass sie sein Patent mit mehr oder weniger wesentlichen Abweichungen benutzten. Da diese Fabriken theils jede Patentverletzung in Abrede stellten, theils sich über die zu zahlende Entschädigungssumme mit Professor Mitscherlich nicht einigen konnten, so war letzterer genöthigt, gegen alle diese Fabriken Prozesse wegen Patentverletzung anzustrengen. Die meisten derselben vereinigten sich nun, um auf gemeinschaft liche Rechnung das Nichtigkeitsverfahren gegen das Patent einzuleiten. Dies geschah mit Klage vom 6. September 1888 und hatte zur Folge, dass jene Patent Verletzungsprozesse fast ohne Ausnahme sistirt wurden, ohne dass auch nur zu erreichen gewesen wäre, dass einst- weilen das Verfahren, welches die betreffenden Fabriken thatsächlich in Benutzung hatten, prozessualisch festgestellt wurde.