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180 PAPIER-ZEITUNG. No. 8. Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Reform des Accidenzsatzes. Die Redaktion der Papier-Zeitung hat meinem Artikel in Nr. 101 vorigen Jahrgangs einen Nachsatz gegeben, der mich zu folgender Klarstellung zwingt. Ich will der Redaktion das Recht einer eigenen Meinung durchaus nicht verkümmern, doch muss ich die Form, in welcher die Redaktion sich ausdrückte, umsomehr bedauern, als eine Meinungsverschieden heit in dem angenommenen Sinne eigentlich garnicht besteht. Bei aufmerksamer Betrachtung des Satzes: »Man muss gesehen haben, wie prachtvoll solche- Schriften grosse Räume füllen, um ein aufrichtiger Verehrer derselben zu werden« konnte der Redaktion nicht entgehen, dass mein »Entzücken« über die Muster 16 und 17 auf Seite 2486 lediglich praktischer Herkunft war. Zu allem Ueberfluss will ich hier noch einmal betheuern, dass ich sämmtliche Proben amerika nischen Zeitschriften entnommen habe und also an den Formen der selben keine Schuld tragen kann. Will man anfangen, diese aben teuerlichen Schriftarten zu kritisiren, dann bleibt eben nichts Gutes übrig, als der Gedanke, der zur Bildung derselben geführt hat, und diesen nur wollte ich hervorheben. Was nun die von der Redaktion angeführte »schöne Regel mässigkeit« senkrechter aufeinanderfolgender Züge im Schrift-System betrifft, so muss ich doch bemerken, dass sich Eines nicht für Alles schickt. Die Phantasie, deren Reichthum die Redaktion an den ameri kanischen Schriften lobt, kann man nicht in einen Schnürleib zwängen. Die Forderung, sich entweder in der Horizontal- oder Vertikal-Rich- tung vorwiegend zu bethätigen, ist eine lästige Beigabe für Den, der eine wirklich packende, eine »aufregende« Schrift zeichnen soll. Nun allerdings trennen sich unsere Wege. Die Redaktion scheint für den »Stil« in der Schrift ohne Einschränkung zu sein, ich aber muss gestehen, dass ich nur so lange ein Freund desselben bin, als ich ihn brauchen kann. Gesetzt, mir würde die Aufgabe gestellt, eine Seite Quart mit .zwei kurzen Worten zu füllen, und es sei Bedingung, dass der Auf druck einfach, auffällig, aber nicht leer aussehe. Dann müsste ich so viel Eigenart, so viel Leben, — wie sage ich nur: — so viel Stil- losigkeit in die Schrift hineinlegen, um den Leser zu beschäftigen und ihn über die eigentliche Leere so hinwegzutäuschen, dass jeder einzelne Buchstabe -mehr spräche als ein Kapitel. Dieser Aufgabe könnte ich mit einer Stilschrift nimmermehr genügen. Ich will also dem Schriftzeichner die Freiheit wahren, gelegentlich, wie man so sagt, über den Strang schlagen zu können. Er soll, allen Regeln zum Trotz, hin und wieder den Pinsel in die Finger nehmen dürfen, um irgend eine Tollheit hinzumalen, von der ich nichts ver lange, als dass sie gut aussehe und eben noch gelesen werden könne. Eine Stilschrift, sie sei noch so schön, kann den prickelnden Reiz nicht erzeugen, welcher von manchen Titelblättern unserer Geschenk- Literatur ausgeht, wo Meister im Schönen ihrer Unkenntniss im Schrift - Stil oft köstlichen Ausdruck gegeben haben. Die Umschläge der »Daheim«-Monatshefte, von Fritz Reiss entworfen, sind fortgesetzte Vergehen gegen gedachten »Stil«. Man A betrachte z. B. die nebenstehende verklei- e P A nerte Wiedergabe eines solchen Titels. Wer K f AAc p A7 wollte gegen diese wunderbar schönen Blätter 0 E>wTN E‘» ein Verbot ergehen lassen, lediglich aus mun eisgrauen Bedenken heraus? cAA—-9,g‘ Wohl muss Ordnung sein, und der m{SING Anarchismus in der Schrift könnte leicht le * ebenso verhängnissvoll wirken wie anderswo. * Wenn aber der Stil die Rgel ist, dann soll gm -.m® er es hauptsächlich sein für die grosse Masse “262Aaqe der Brod- und gewöhnlichen Titel-Schriften. lOjMrl I । Diese ziehen so'viele gerade Strassen durch 4 63, -= das Schrift-Gebiet, dass es dem, der bis- U FA_ weilen davon abweicht, leicht ist, zurückzu- ntF’F finden. SW Ich kann also die Muster 13—17inNr.l01 vor. Jgs. nur bedingungsweise verdammen. In Rücksicht auf die. Stil-Polizei, und dass man sagen könnte: »Siehe/ hie ist ein Stil-Verächter«, werde ich solchen missrathenen Kindern vielleicht von vorn das Haus verschliessen, um die Hinterthür desto weiter aufzumachen. Wessen Geldbeutel ihm eine andere Stellung erlaubt, der wird bei mir die Duldung finden, die ich auch für mich und meinesgleichen in Anspruch nehme. Hermann Hoffmann. Phantasie-Schriften. Da unser geschätzter Mitarbeiter Hermann Hoffmann redaktio nelle Nachworte nicht liebt, wollen wir das, was wir zu dem an geregten Thema noch zu sagen haben, diesmal lieber in die Form einer selbständigen Aeusserung kleiden. Man muss bei Beurtheilung der Zulässigkeit von Phantasie schriften zwei Fälle auseinanderhalten: 1) die Herstellung der Zeile aus Einzeltypen; 2) die Herstellung der Zeile als Ganzes. Herr Hermann Hoffmann will Wege zur Reform des deutschen Accidenzsatzes weisen, und sein Aufsatz in Nr. 101 hatte offenbar den Zweck, zunächst den deutschen Schriftgiessern zu zeigen, wie sie, unter Beachtung amerikanischer Vorbilder, die Titelschriftformen freier und flotter gestalten können. Bei solchen Schriftschöpfungen, welche den Buchdruckern in Gestalt von einzelnen Typen in die Hände gegeben werden sollen, müssen mit Bezug auf Abweichung von der Normalform zweifellos engere Grenzen gezogen werden als bei zusammenhängend gezeich neten, als etwas Ganzes gewissermaassen »komponirten« Schrift-Zeilen. Bei einer im Zusammenhang komponirten Zeile, wie z. B. Fritz Reiss sie oft bietet, ist die Art der Formveränderung eines Buchstabens haupt sächlich von Form und Stellung der Nachbar-Buchstaben abhängig. Wo beim Nachbar eine Lücke ist, kann ein Zug verlängert und hinübergeführt werden, ein Buchstabe kann mit dem andern gelegentlich verschlungen werden, kalligraphische Schnörkel können die einzelnen Buchstaben eines Worts mit einander verbinden. Es handelt sich also hier um ein vollständiges, in sich geschlossenes Zeilenbild, bei dem man um der günstigen Gesammtwirkung willen manche Keckheit gern verzeiht. Anders ist es bei der Wortbildung aus Einzeltypen, die Herr Hoffmann doch, wenn er von Reform des Accidenzsatzes spricht, vorzugsweise im Auge haben musste. Durch Aneinanderreihung flott und phantastisch gezeichneter Buchstaben entsteht nicht ohne weiteres ein flott und angenehm wirkendes Zeilenbild. Vom Anpassen an den Nebenmann, wodurch mancher schräge, regelwidrige Zug verdeckt wird und sogar zweckvoll und schön erscheinen kann, ist nicht mehr die Rede; die Buchstabenfolge ist dem Zufall überlassen, und die Abweichung von der »schönen Regelmässigkeit senkrechter aufein anderfolgender Züge« muss, weil sie durch Beziehungen zum Nachbar buchstaben nicht begründet ist, unangenehm auffallen; Advetures Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, die Abweichung von der Normalform nicht allzuweit zu treiben, denn je grösser diese Ab weichung ist, desto geringer wird die Anwendungsmöglichkeit der Schrift. Man kann solche Schriften zu einzelnen Zeilen meist nur einmal auf einer Seite verwenden, und sie brauchen, wie Herr Her mann Hoffmann sagt, «Platz um sich her.« Mit Rücksicht auf diesen Umstand werden daher deutsche Schriftgiesser zögern, stark manierirte Schriften schneiden zu lassen, weil die hohen Kosten der Ausführung mehrerer Grade nicht durch entsprechende Bestellungen gedeckt werden würden. Mit Bezug auf die günstige Wirkung eigens komponirter, flott gezeichneter Zeilen stimmen wir dem Verfasser vollkommen zu. Dabei mag der Schriftzeichner, sofern die Bestimmung der Drucksache dies zulässt, seiner Phantasie die Zügel schiessen lassen. Redaktion der Papier-Zeitung. Kombinationslinien, (Schluss zu No. 7.) Aus all den bisher gezeigten Mustern geht hervor,-dass die Bertholdschen Kombinationslinien eine reiche Auswahl von Formen für das wichtigste innere Glied der Umrahmung, das sogenannte »Band« bieten. Sie enthalten aber auch eine hinreichende Menge von Motiven für die äussern und innern Begleitformen des Bandes: die »Borte« und die »Naht«. Zum Verständniss dieser, der kunstgewerblichen Formensprache entlehnten, im Buchdruck auf Veranlassung des Schreibers dieser Zeilen seit Jahren angenommenen Bezeichnungen vergegenwärtige man sich das Aussehen einer stilgemäss zusammengesetzten Umrahmung: e -1111111111111111111111111111111 b ( m 4 n , t . .-r-r-r-.-; .rrr, r-.-r a -6660060606060666 w a ist das Band, begleitet von einfachen Zierformen untergeordneter