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Cellulosefabriksbesitzer zu Böhmisch Krumau, durch Dr. Anton Kastner, Hof- und Gerichts-Advokaten in Wien, vom 21. März 1885 wider Dr. Alexander Mitscherlich, Professor in Freiburg i. B. durch Dr. Julius Popper, Advokaten in Prag, auf Nichtig- bezw. Erlöschungs-Erklärung der dem Dr. Mitscherlich ertheilten Privilegien vom 17. Februar 1882 (mit Prioritätsschutz vom 28. Dezember 1881) für ein Verfahren und einen Apparat zur Herstellung von schwefligsaurem Kalk, und vom 4. Dezember 1883 (mit Prioritäts schutz vom 19. Juni 1883) für Neuerungen an Apparaten und Verfahren zur Herstellung von Cellulose und Nebenprodukten — wegen Mangels der Neuheit, Abganges gesetzlicher Erfordernisse für eine aus dem Auslande eingeführte Erfindung, theilweiser Mangelhaftigkeit der Beschreibung und wegen Unterlassung der gesetzmässigen Ausübung — nach Anhörung des Geklagten und auf Grund der Aussagen der einyernommenen Zeugen, sowie des Gutachtens von Sachverständigen erkannt: dass der Klage im Sinne der Bestimmungen des § 29, la und 1 a bb im Zusammenhalte mit §§1,3 und 5 des Privilegiengesetzes vom 15. August 1852 (R.-G-Bl. Nr. 184) stattgegeben werde, und dass das angefochtene Privilegium vom 17. Februar 1882 wegen Abganges gesetz licher Erfordernisse für eine aus dem Auslande eingeführte, unter Privi- legienschutz gestellte Erfindung, das angefochtene Privilegium vom 4. De zember 1883 aber theils wegen Mangels der Neuheit, theils wegen Ab ganges gesetzlicher Erfordernisse für eine aus dem Auslande eingeführte Erfindung, endlich auch zum Theile wegen Fehlens eines privilegirbaren Gegenstandes ihrem Gesammtinhalte nach null und nichtig erklärt werden. Dem Dr. A. Mitscherlich wird gleichzeitig der Ersatz der Kosten im gemässigten Betrage von 1100 fl. 86 kr. an die Firma Ignaz Spiro & Söhne binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses- Erkenntnisses bei sonstiger Exeku tion auferlegt. Begründung zum Privilegium vom 17. Februar 1882. Der Schwerpunkt der Klage ruht in der Behauptung, dass der Gegen stand der aus l eutschland eingeführten, unterm 17 Februar 1882 privile- girten Erfindung schon vor dem 28. Dezember 1881 als dem Prioritätstage des angefochtenen Privilegiums in Deutschland in Ausübung stand, ohne zu jener Zeit dortselbst durch ein deutsches Patent geschützt gewesen zu sein. Die klägerische Firma beruft sich in dieser Hinsicht vornehmlich auf die Zeugen August Brune, Julius Kisker und A. Salomon in Nestersitz bei Aussig a. E. Die am 24. Februar 1888 vor der Bezirkshauptmannschaft in Aussig stattgefundene Einvernehmung dieser drei Zeugen hat nun ergeben, dass nach den wesentlich übereinstimmenden Aussagen derselben thatsächlich der Gegenstand des angefochtenen Privilegiums schon vor dem 28. Dezember 1881 sowohl in der Cellulose-Fabrik in der Löhnbergerhütte bei Weilburg a. d. Lahn in Nassau, als auch in der Cellulosefabrik zu Münden in Hannover dem Wesen nach zur Ausübung gelangte. Einzelne Abweichungen in den Details konnten, als das Wesen der Sache nicht berührend, nicht in Betracht kommen. Wohl berief sich der Geklagte auf den Umstand, dass die Ausübung in den beiden Fabriken unter strenger Wahrung des Fabriksgeheimnisses erfolgte, allein auf diesen Einwand konnte keine Rücksicht genommen werden, da im Sinne der Bestimmungen des § 3 des Privilegiengesetzes nur die Thatsache der Ausübung in Betracht kommt, und der Umstand des etwa nach aussenhin zu wahrenden Geheimnisses der Fabrikation gleichgiltig erscheint. Ebensowenig vermochte an der Thatsache der statfgefundenen Aus übung der vom Geklagten nachgewiesene Umstand, dass die Ausübung in den beiden erwähnten Fabriken auf einem Vertragsverhältnisse zwischen ihm und den Fabriken beruhte, irgend etwas zu ändern, da das Gesetz bei dem Zwecke, den es verfolgt, die inländische Produktion nicht ungünstiger als die ausländische zu stellen, keinen Unterschied macht, ob die Ausübung durch den Privilegirten selbst oder durch eine andere Person erfolgte, mag letztere vom Privilegirten hierzu berechtigt worden sein oder nicht. Auch die Bedenken, welche der Geklagte gegen die Zeugen erhoben hat, und die darin bestehen, dass dieselben als Produktionskonkurrenten ein Interesse an der Vernichtung des Privilegiums besitzen, konnten nicht ge- theilt werden, da solche Personen selbst nach der allgemeinen Gerichts ordnung noch zeugnissfälüg sind, die Geschäftskonkurrenz nicht als ein solches Verhältniss angesehen werden kann, durch welches eine beeidete Zeugenschaft in ihrer Wahrhaftigkeit getrübt werden könnte, und weil endlich der Ausschluss von Cellulosefabrikanten und Arbeitern vom Zeugenbeweise mit Rücksicht auf die Sachverständigkeit und vollständige Beherrschung dieses Fabrikationszweiges, welche eine Zeugenschaft in diesem Prozesse voraussetzt, einen Zeugenbeweis überhaupt undurchführbar gestaltet hätte. Wohl wurde dem Geklagten unterm 23. Januar 1878 Nr. 4179 für Neuerungen an dem Verfahren zur Produktion von Gerbstoff unter Aus beutung der Nebenprodukte (Cellulose, Gummi, Essigsäure und doppelt schwefligsaurer Kalk) in Deutschland ein Patent ertheilt, allein dieses Patent stimmt mit dem hier in Rede stehenden österreichischen Privilegium, nach dessen Inhalt die Ausübung im Ausland erfolgte, nur dem Grundgedanken nach überein, giebt dagegen über die in der Beschreibung zu dem öster reichischen Privilegium enthaltenen wichtigen Details keinerlei Aufschluss. Da nun die Ausübung in den beiden Fabriken in der Löhnbergerhütte und zu Münden laut der Zeugenaussagen entsprechend den wesentlichen Detailangaben der Beschreibung zum angefochtenen Privilegium erfolgte, so entbehrte diese Ausübung in Deutschland des Patentschutzes, war sohin zur Zeit des Ansuchens um das österr. Privilegium »auf kein ausschliessendes Privilegium beschränkt«. Dieser Mangel machte aber die Erfindung im Sinne der Bestimmungen des § 3 und § 29 la des Privilegien-Gesetzes ungeeignet, ein österr. Privile gium zu erhalten. Sonach musste, sobald dieser Mangel erwiesen war, die Nichtigkeit des angefochtenen Privilegiums wegen Abganges gesetzlicher Erfordernisse für eine aus dem Auslande eingeführte Erfindung ausgesprochen werden. Bei diesem Sachverhalte entfällt die Nothwendigkeit, jene Klage behauptungen, welche den angeblichen Mangel der Neuheit des ' Erfindungs gegenstandes (§ 1 Priv.-Ges.), die Mangelhaftigkeit der Privilegiums-Be- Schreibung und die Erlöschung des angefochtenen Privilegiums wegen Unter lassung der gesetzmässigen Ausübung betreffen, und die sich übrigens als unbegründet erwiesen haben, hier noch in Erörterung zu ziehen. * * * Zum Privilegium vom 4 Dezember 1883. Auch bei diesem Privilegium legt die Klage den Schwerpunkt auf die Behauptung, dass die Erfindung aus Deutschland eingeführt wurde und dort selbst zur Zeit des Ansuchens um das oesterr Privilegium, d. i. am 19. Juni 1883, in Ausübung stand, ohne zu jener Zeit durch ein deutsches Patent geschützt gewesen zu sein. In dieser Hinsicht beruft sich die klägerische Firma auf die Zeugen August Brune, Julius Kisker und A. Salomon in Nestersitz bei Aussig a. E., dann auf Friedrich Wetz zu Loehnberg in Nassau und auf R. H. F. Wolff in Schweidnitz. Die am 24. Februar 1888 vor der Bezirkshauptmannschaft Aussig statt gefundene Einvernehmung der 3 erstgenannten Zeugen hat nun ergeben, dass nach den wesentlich übereinstimmenden Aussagen derselben thatsächlich der Gegenstand dieses angefochtenen Privilegiums schon vor dem 19. Juni 1883 sowohl in der Cellulosefabrik in der Löhnbergerhütte bei Weilburg a L. in Nassau, als auch in der Cellulosefabrik zu Münden in Hannover dem Wesen nach — jedoch ohne die durch die Patentansprüche 6 und 7 zum Ausdrucke gebrachte Kontrole der Herstellung der Kochlauge von richtiger Zusammensetzung (Beschaffenheit) — in Ausübung stand. Dieser Zeugenbeweis wurde auch durch die allerdings minder bestimmt lautenden Aussagen der einvernommenen Zeugen Wetz und Wolff unterstützt. Auch hier kamen einzelne abweichende Details, als das Wesen der Sache nicht berührend, nicht in Betracht. Von der Berufung des Geklagten auf das bestandene Fabriksgeheimnis und auf die Vertragsmässigkeit der Ausübung gilt das Gleiche wie hinsichtlich des 1882er Privilegiums, nämlich dass diese beiden Umstände die Thatsache der Ausübung nicht zu alteriren vermögen. Auch von den gegen die Zeugen erhobenen Verwerflichkeits- und Be denklichkeitsgründen gilt hier dasselbe wie bei dem 1882er Privilegium. Auch diese in den beiden obgenannten Fabriken stattgefundene Aus übung suchte der Geklagte mit dem ihm am 23. Januar 1878 unter Nr. 4179 in Deutschland ertheilten Patente (Zusatzpatente) zu decken. Es ist nun allerdings richtig, dass dieses deutsche Patent mit dem ange fochtenen österr. Privilegium, nach welchem die Ausübung in Deutschland er folgte, manche Uebereinstimmung aufweist, die sich auf die Anwendung von Kochapparaten, die im Innern mit einem Ueberzuge zum Schutz gegen gewisse metallangreifende Säuren und mit Heizrohren versehen sind, dann auf die Dämpfung des Holzes und auf den Kochprozess erstreckt; allein diese Ueber einstimmung wird dadurch aufgehoben, dass jenes deutsche Patent, sofern es sich auf die Gewinnung der Cellulose bezieht, durch Erkenntniss des deutschen Reichsgerichtes vom 28. Oktober 1884 nichtig erklärt wurde, sodass das nunmehr nur auf die Bereitung von Gerbstoffen und Essigsäure abzielende deutsche Patent mit den die Herstellung von Cellulose mit Nebenprodukten bezweckenden österr. Privilegien keine Berührungspunkte aufweist. Uebrigens kann aber — ganz abgesehen von der theil weisen Annullirung des deutschen Patentes — von einer Identität der beiden im Vergleich stehenden Patente nicht die Rede sein, da die jüngere österr. Entscheidung sich durch eine eingehende Schilderung einzelner Vorrichtungen, sowie einzelner Phasen der Prozesse ausgezeichnet und mit Rücksicht auf das im Laufe der Zeit geänderte Hauptziel der Operation (Gewinnung von Cellulose als Haupt produkt, nicht als Nebenprodukt) auch einen von der älteren deutschen Patentbeschreibung verschiedenen Gesammt-Charakter trägt. Da nun die Ausübung in den beiden deutschen Fabriken, entsprechend den Detailangaben der fünf ersten Patentansprüche der Beschreibung zum angefochtenen Privilegium, vom Jahre 1883 erfolgte, so entbehrte diese Aus übung in Deutschland des entsprechenden Patentschutzes, war sohin zur Zeit des Ansuchens um das österr. Privilegium auf kein ausschliessendes Privilegium beschränkt. Es musste daher auch das 1883er Privilegium, soweit es den Zeugen aussagen zufolge in Deutschland vorzeitig ausgeübt worden, d. i. in seinen Patentansprüchen 1 bis einschliesslich 5, im Sinne der Bestimmungen des § 3 des Privilegiengesetzes, wegen Abganges der gesetzlichen Erfordernisse für eine aus dem Auslande eingeführte Erfindung aufgehoben werden. Im Hinblick auf die aus diesem Grunde erfolgte Nichtigerklärung der genannten Patentansprüche entfällt die Nothwendigkeit, auf die von den Klägern weiter behauptete Nullität eben derselben Ansprüche wegen Neuheits mangels (§ 1 Priv.-Ges.) hier näher einzugehen. Es genügt die Bemerkung, dass durch die übereinstimmende Aussage der früher genannten Zeugen Brune, Kisker und Salomon erwiesen wurde, dass die durch jene 5 Patentansprüche geschützte Erfindung bereits vor dem 19. Juni 1883 in der Cellulosefabrik der Firma Brune & Kisker zu Nester sitz in Böhmen in Ausübung stand und durch die Ausübung trotz des for mell bestandenen, aber nicht eingehaltenen, übrigens auch hier ganz belang losen Fabriksgeheimnisses bekannt geworden ist. Hinsichtlich des noch erübrigenden Theiles des 1883er Privilegiums des Dr. A. Mitscherlich ist Folgendes zu bemerken: Wie die Zeugen Herm. Schulte in Wien und J. Mahnert in' Gmunden in übereinstimmender Weise konstatirten, stand in der Cellulosefabrik der Papierfabriks- und Verlagsgesellschaft »Steyrermühl« zu Aichberg bei Gmunden