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No. 52. PAPIER-ZEITUNG. 1345 Verdeutschung von Fachausdrcken. Die in Nr. 37 abgedruckte Zuschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins regte in der Papier-Zeitung einen interessanten Meinungs austausch über die Verdeutschung von Fachausdrücken an. Aehnliche Vereinigungen, die zielbewusst die Verdeutschung der Fremdwörter anstrebten, gab es auch schon in früheren Jahrhunderten. Die erste derselben wurde am 24. August 1617 auf Anregung des weimarischen Geheimraths und Hofmarschalls Casp. v. Teutleben im alten Residenzschloss Hornstein zu Weimar mit dem Vorsatz gestiftet, »auch in Deutschland eine solche Gesellschaft zu erwecken, darin man gut rein Deutsch zu reden, schreiben sich befleissige und dasjenige thäte, was zur Erhebung der Muttersprache dienlich«. Sie führte den Namen »Palmenorden« oder »die fruchtbringende Ge sellschaft«. Auf sie folgten: »die aufrichtige Tannengesellschaft« in Strassburg 1633; »die deutschgesinnte Genossenschaft« oder »Rosen orden«, 1643 von Philipp von Zesen zu Hamburg errichtet. Diese letztere Vereinigung hielt sich bis zu Anfang des 18. Jahrhunderts, vermochte aber keine besondere Bedeutung zu erlangen. Dann kam »der gekrönte Blumenorden an der Pegnitz« oder »die Gesellschaft der Pegnitzschäfer«, die 1644 von Harsdörffer und Klaj in Nürnberg ge gründet und nach dem Fluss, an welchem die Stadt liegt, benannt wurde. Die Glanzzeit dieser Vereinigung, welche durch Schottel, der in seiner »ausführlichen Arbeit von der teutschen Haubt Sprache« 1663 für Reinheit der Sprache mit warmer Begeisterung eintrat, auch in Norddeutschland zur Geltung gelangte, fiel in das 17. Jahrhundert; im 18. Jahrhundert schrumpfte sie mit dem gesammten politischen und geistigen Leben von Nürnberg zusammen, obschon sie dem Namen nach, in eine einfache literarische Gesellschaft verwandelt, bis heute bestehen blieb. Endlich ist noch der von Johann Rist 1656 gestiftete »Schwanenorden an der Elbe« zu nennen, der aber nach Rist’s Tode 1667 wieder zerfiel. »Der fruchtbringenden Gesellschaft« gehörten bis zum Jahre 1688 als Mitglieder an: 1 König, 3 Kurfürsten, 49 Herzöge, 4 Markgrafen, 10 Landgrafen, 8 Pfalzgrafen, 19 Fürsten, 16 Grafen, 35 Freiherren und 600 Adelige und Gelehrte. Heber den von ihr gestifteten Nutzen gehen die Meinungen der Sprachgelehrten auseinander. Während Jakob Grimm ihn gering an schlägt, da sie gleich den anderen Gesellschaften wenig Bleibendes geschaffen habe, hält Gervinus ihn für bedeutend. Bestimmte That- Sachen geben auch davon Zeugniss, dass diese Sprachgesellschaften nicht ohne Nutzen gewirkt haben. So berichtet Campe in seinem »Verdeutschungs-Wörterbuch« unter dem Stichwort »rangieren«, dass bei der römischen Königswahl 1658 Kurbrandenburg bemerkt habe: »es befänden sich in einem gewissen Entwürfe eines Artikels die Wörter Rang und Posten, welche weder lateinisch noch deutsch wären; und weil die Kaiser nun auf die lateinische und deutsche Sprache schwören müssten, so müssten die Wörter geändert werden«. Dies geschah auch wirklich, es wurde das Wort Stelle dafür einge setzt. Ohne den Einfluss der Sprachgesellschaften wäre eine solche Anregung wahrscheinlich unterblieben; der brandenburgische Grosse Kurfürst war nämlich ebenfalls Mitglied des Palmenordens. Seinem Einfluss ist es jedenfalls auch zuzuschreiben, wenn die Berliner Bau ordnung vom Jahre 1641 in 54 Abschnitten kein einziges Fremdwort enthält (Preuss. Jahrbücher Nr. 23, Seite 360). Der Reinigungseifer dieser Sprachgesellschaft war oft übertrieben. Die fremdsprachlichen Ausdrücke sollten nicht bloss verbannt, sondern auch durch deutsche ersetzt werden. Lehnwörter, wie Natur, Kaiser, Echo, Vers wurden übersetzt in: Zeugemutter, Grossherr, Thal- munde, Reimband. Sogar Eigennamen mussten sich die Uebertragung gefallen lassen; so sagt Zesen für Venus »Liebinne« oder »Fräue« - »Röthin« für Aurora — »Heldreich« für Mars usw. Es lässt sich aber anderseits nicht in Abrede stellen, dass in jener Zeit, wo doch die Sprachwissenschaft noch auf recht niedriger Stufe stand, viele glückliche Neubildungen entstanden sind, die sich einen dauernden Platz im Wortschatz der deutschen Sprache errungen haben. So stammen von Zesen die Ausdrücke »lustwandeln« für spazieren, »selb ständig« (Eigenschaftswort von Seibstand = Person), »Vollmacht« für Pienipotenz, »Vertrag« für - Kontrakt, »Letzter Wille« für Testament usw. Der »fruchtbringenden Gesellschaft« dagegen verdanken wir »Gegenstand« für Objekt. Der als Schulmann wie als Jugendschriftsteller hochverdiente Joachim Heinrich Campe veröffentlichte 1801 sein »Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke«, von welchem 1813 eine zweite Auflage heraus gegeben wurde. Er verficht den Grundsatz, dass alle Fremdwörter, welche der Sprachähnlichkeit (Analogie) unserer Sprache widerstreben, verbannt werden müssen. Daher verwirft er z. B. Wörter, wie »Genius« und »Genie«, weil es im Deutschen weder eine Endung »ius«, noch den französischen Zischlaut »ge« gebe. So wenig auch Campe sich von einer gewissen Uebertreibung in seinen Bestrebungen freisprechen lässt, so muss ihm doch jedermann das Verdienst lassen, dass er das Fremdwörterunwesen zum ersten Mal in seinem ganzen Umfange blos gelegt und in seinen Verdeutschungen auch die Mittel zur Heilung geboten hat. Die deutsche Sprache verdankt ihm eine beträchtliche Anzahl von Neubildungen, die jetzt vollständig in unseren Sprach schatz übergegangen sind. Zu ihnen gehören: ist eine solche Vermehrung der Sprache ein grosses alterthümlich Kunststrasse Stelldichein Umwälzung sich eignen geeignet verwirklichen Feingefühl handlich Hochschule Empfindeiei Beweggrund Eigenname Gewiss für antik prickelnd für pikant „ Chaussee Zerrbild „ Karikatur „ Rendezvous Oeffentlichkeit „ Publizität „ Revolution Brüderlichkeit „ Fraternität „ sieh qualifiziren Gefallsucht „ Koketterie „ qualifiziert Fallbeil „ Guillotine ., realisiren Zartgefühl „ Delikatesse „ Takt Flugschrift „ Pamphlet „ traktable folgerecht „ konsequent „ Universität folgewidrig „ inkonsequent „ Sentimentalität Tondichter „ Komponist „ Motiv herkömmlich „ konventionell „ nomen proprium Hellseher „ Clairvoyant. Verdienst. Manches der hier genannten Wörter von jetzt allgemeiner Geltung wurde damals arg angefochten. Für »prickelnd« z. B. wurde Campe, wie er selbst sagt, »nach Gebühr verhöhnt« und »Zerrbi Id« nannte die Jenaische Literaturzeitung seinerzeit »eine der unaussteh lichsten Bildungen«. Ein Jahr vor Campe's Tode (1817) stifteten die Gelehrten Krause und Wolke die »Berlinische Gesellschaft für deutsche Sprache und Alterthumskunde«, die regen Eifer für die Reinigung der Sprache entfaltete Sie führte Neubildungen ein, wie »Gottinnigkeit« für Religiosität, »Gliedbau« für System, »Lehrgang« für Methode. Dann wurde erst wieder 1848 ein kräftiger, aber weniger glück licher Versuch zur Bekämpfung alles »Fremdwortkrams« im Sinne von Campe, durch den deutsch-katholischen Prediger Dr. (oder, wie er sich verdeutschend nannte: »Wissmeister«) J. D. C. Brugger in Heidelberg gemacht. Derselbe gründete in dem genannten Jahre, nachdem er schon 1844 einen Aufruf an das deutsche Volk zur Be kämpfung der Wortmengerei erlassen hatte, einen »Verein für deutsche Reinsprache«, der bald 2400 Mitglieder zählte, worunter sich angesehene Gelehrte, wie von Hammer-Purgstall, befanden. 1850 gab der Verein eine eigene Zeitschrift heraus: »Die deutsche Eiche«, die aber nach anderthalbjährigem Bestehen einging, worauf sich die ganze Sache im Sande verlief. 1855 brachte Brugger noch sein »Fremdwörterbuch für das deutsche Volk mit 14 000 Fremdwörtern«. Dasselbe enthält die wunderlichsten Verdeutschungen, z. B.: »Tierblitz stoff« für Galvanismus, »Hochwissanstalt« für Universität, »Sende« für Post, Gewaltei« für Polizei usw. Diese letzte Verdeutschung hat vielleicht dem durch sein »Verdeutschungswörterbuch der deutschen Heeres-Ausdrücke« (Berlin, Verlag von Ad. Reinicke) bekannten Oberst Pfizer vorgeschwebt, als er für das Geschäftshaus der Firma Schimmel- pfeng in Berlin das Wort »Auskunftei«, (statt Auskunftsbüreau) schuf. Ohne Zweifel gebührt Brugger das Verdienst, die Sache der Sprachreinigung aufs neue angeregt zu haben. Auf sein Betreiben entstanden in Darmstadt, Frankfurt, Berlin, Karlsruhe, Freienwalde Zweigvereine des »Vereins für deutsche Reinsprache«. In derselben Zeit bildete sich in Nürnberg unter der Leitung von J. Kruger eine »Junggermanische Gesellschaft«, die auch eine eigene Zeitschrift unter dem Namen »Teut« herausgab, von der jedoch nur zwei Jahrgänge erschienen. Dann gründete J. F. Keil den »Potsdamer Sprachverein«, welcher von Zeit zu Zeit Ermahnungen zur Sprachreinheit in öffentlichen Blättern erscheinen liess. Auch die von Max Moltke in Leipzig herausgegebene Zeitschrift »Sprachwart« verdient insofern Erwähnung, als sie das Fremdwörterunwesen von verschiedenen Seiten beleuchtet und mit Nachdruck bekämpft hat. Zum Schluss mögen noch einige recht hässliche Fremdwörter aus den Geschäftszweigen, welche in der »Papier-Zeitung« mit ver treten sind, festgenagelt werden. Es sind: »Zinkographie« (halb la teinisch-deutsch, halb griechisch), »Autorschaft« (lateinisch mit deutscher Endung), »Abonnent« (französisch mit lateinischer Endung; der Franzose sagt: abonn), »Journalisticum« (französisch mit lateinischer Endung), neben dem nicht minder albernen »Lesekabinet« (deutsch und fran zösisch), wofür man jetzt erfreulicherweise ziemlich allgemein »Lese halle« oder »Lesekränzchen« hört. Das schauerlichste Wort aber dürfte wohl, neben der Husnik’schen »Leimtypie«, das in den Nach trägen der neuesten Auflage des Heyse’schen Fremdwörterbuchs auf geführte Wort »Abreibographie« sein, welches eine Art Uebertrag- verfahren durch Abreiben bezeichnet. (Die »Abreibographie« erinnert an die in deutschen Buchdruckereien vorkommenden scherzhaften Bezeichnungen für Hilfswerkzeuge, wie »Schlagometer für den Linienschlagapparat, »Feilometer« für den Feil kloben usw. D. Red.) _