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No. 47. PAPIER-ZEITUNG. 1211 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme; Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Kleinverläge. Unter der Ueberschrift Kleinverläge« erschien in den Nrn. 34 und 35 eine Abhandlung, welche nicht durchaus zu billigen ist. Was der Herr Verfasser über die Neugründung von Zeitschriften und Druckerei-Einrichtungen sagt, mag richtig sein, was er dagegen über den Verlag sagt, entspricht nicht in allen Theilen der Wirklich keit. Wäre der Verlag thatsächlich ein so harmloses, glattes Ge schäftchen, so zählten die Verleger gewiss zu den glücklichsten Menschen. Schreiber dieses war einmal ähnlicher Meinung; nachdem er indessen den Verlagsbuchhandel gründlich kennen gelernt, schwanden diese optimistischen Anschauungen, und die rauhe Wirklichkeit zeigte ihr ernstes Gesicht. Zum Verlegen gehört mehr als das Drucken der Werke auf eigne Rechnung. Es handelt sich erstens darum, gangbare und gute Werke zu wählen und zweitens diese Werke auch, zu verkaufen. Die verlockenden Beispiele, welche im erwähnten Aufsatz ange führt sind, können das Urtheil eines ruhig prüfenden Geschäftsmannes gewiss nicht beeinflussen. In der Lotterie wird auch regelmässig ein grosses Loos neben vielen tausend Nieten gezogen. Der hervor ragendste unter den genannten erfolgreichen Drucker-Verlegern, der K. K. Hofbuchhändler Karl Prochaska in Teschen, nimmt allerdings unter den österreichischen Buchhändlern einen hohen Rang ein. Er ist aber auch ein hochge bildeten, kenntnissreicher Mann, und seine grossen Erfolge sind doch wohl nur in jenen seltenen persönlichen Eigen schaften zu suchen. Wie viel Buchdrucker mag es geben, welche gleiche persönliche Vorzüge als Hauptbedingung eines erfolgreich zu betreibenden Verlagsgeschäfts besitzen? Der Sitz des Verlagsgeschäfts wirkt zwar auf das Gedeihen desselben nicht ausschlaggebend ein, verdient indessen immerhin Be rücksichtigung. Ein Verlagsgeschäft, welches sich in Guben oder Teschen befindet, arbeitet mit mehr Versandtspesen, als ein solches, welches seinen Sitz in Leipzig hat. Dagegen ist allerdings zu er wägen, dass in kleinen Städten Miethe und Arbeitskräfte billiger sind, was bei einem Buchdrucker ins Gewicht fallen mag. Nehmen wir an, ein mittelmässig begabter, nicht dummer und auch nicht allzu intelligenter Buchdrucker findet, dass der Rath des Herrn □ gut sei und beschliesst ihn zu befolgen. Er schafft sich die empfohlene Werkdruckereieinrichtung an, und nachdem Schrift regale, Satzkästen und Handpresse in der neuen Druckerei friedlich beisammen stehen, sieht sich nun der neue Druckverleger in der ihm bisher fremden Welt um. Herr □ erzählte ihm, dass am deutschen Literaturknochen 16 000 Schriftsteller nagen, und von diesen hat ver- muthlich der eine oder andere ein abgelagertes Manuskript im Pulte, welches er für 200 M. Honorar losschlagen wird. Vielleicht ist auch einer der Herren geneigt, gegen Geld und gute Worte Rath zu er- theilen und einige der eingesendeten Manuskripte zu lesen und zu beurtheilen. Der hübsche, zierliche gebundene Literaturkalender wird bestellt und kommt an. Hier stehen nun die IG 000 Schriftstelleradressen fein säuberlich nach dem Alphabet geordnet, doch was helfen sie ihm, dem Unerfahrenen, dem mit der neuesten Literaturbewegung wenig Bekannten? Sie sind ihm nichts als blosse Namen, und er hat nicht die leiseste Ahnung, was hinter jedem dieser Namen für ein Mensch verborgen sein mag. Er hat auch keine Kenntniss davon, dass diese 16 000 Namen zumeist alten und jungen Gelehrten, alten und jungen Blaustrümpfen, politischen Redakteuren, Lehrern und Fachschriftstellern angehören und nur geringeren Theiles wirkliche Berufsschriftsteller als Träger haben. Der deutsche Schriftsteller-Verband, dem die meisten Berufsschriftsteller angehören, zählt ungefähr 700 Mitglieder. Doch woher sollte das der neue Verleger wissen? Er wird bald einsehen, dass der Schriftstellerkalender sowie auch die andern angeführten Lexika für seine Zwecke den Nutzen nicht gewähren, den er erwartet hatte. Vielleicht hofft er auch auf gut Glück und wählt einen Namen aus, den er schon öfter gelesen hat. Dann schreibt er wohl ein gönnerhaft abgefasstes Brieflein an den armen Teufel, den er für würdig hält, einige Mark zu verdienen. Ist er zufällig an einen gut eingeführten Schriftsteller gerathen, so wird dessen Antwort — wenn eine solche überhaupt erfolgt, — etwa folgendermaassen lauten: »Ich schreibe keinen Roman für unbekannte Verleger und bin gewöhnt, Honorare zu erhalten, welche das zwanzig fache Ihres Gebotes betragen!« Vielleicht geräth der Kleinverleger auch an einen bescheidneren »Literaturknochennager . der ihm mit Vergnügen sein neuestes Werk zu billigem Preise überlässt. Hat er nun keinen richtigen Blick für den Werth des Angebotenen, so kann er trotz mässigsten Honorars bei dem Unternehmen sein Geld verlieren. Um ein sicheres Urtheil über die geschäftliche Ertragsfähigkeit eines Verlagsunternehmens abgeben zu können, sind folgende Eigen schaften nöthig: Vieljährige, im Verlag gesammelte Erfahrung, gründ liche Kenntniss der Literaturströmungen, ein gewisses Urtheil über die Liebhabereien und Ansprüche der Lesewelt, und geschäftlicher Scharfblick. Wer diese Eigenschaften alle in sich vereinigt, der wird es als Verleger zu etwas bringen, d. h. wenn er dazu noch das nöthige Anlagekapital zur Verfügung hat. Nun giebt es nicht allzuviele Menschen, welche so reichlich mit Gaben gesegnet sind, und daher haben wir auch nicht allzuviel Verleger, welche sich durch eigene Kraft emporarbeiteten. Am allerwenigsten aber wird dies ein Buch druckei’ können, der über jene Eigenschaften nicht verfügt und daher gezwungen ist, nach dem Rath anderer Personen zu handeln. Unter den Schriftstellern giebt es nun auch einige, welche aus dem Buchgewerbe hervorgegangen sind, die demnach die Schwierig keiten des Verlagsgeschäfts kennen und vielleicht auch befähigt wären, sachgemässe Rathschläge zu ertheilen. Hat der Buchdrucker das Glück, sich an einen solchen zu wenden, und denkt dieser Schriftsteller ehrlich und wohlmeinend, so bin ich fest überzeugt, dass er dem Buchdrucker kurz schreiben wird: »Ein Geschäft, welches man nicht versteht, soll man nicht betreiben, da dies niemals zu etwas Gutem führen kann. Sie haben offenbar keine richtige Vorstellung von den Schwierigkeiten des Verlagsgeschäfts, denn sonst würde es Ihnen nicht in den Sinn kommen, ohne alle Vorkenntnisse Bücher verlegen zu wollen.« Die Meinung, dass ein Buchdrucker ohne grosses Vermögen sich an den Verlag wagen kann, widerspricht der Erfahrung. Im Gegen theil: der Verlag erfordert eine grosse Kapitalkraft. Ein unbekannter Verleger ohne Kapital kann keine bekannten Schriftsteller an sein Geschäft fesseln, da diese hohe Honorare fordern, er kann den im Buchhandel üblichen Kredit von Ostermesse zu Ostermesse nicht ge währen, er kann endlich nicht so lange aushalten, bis sich die Verlags werke bezahlt machen und Gewinn abwerfen, was in vielen Fällen erst nach Jahren geschieht. Honorare von 200 M., wie sie im Aufsatz »Kleinverläge« für einen Band von 15 Bogen berechnet sind, gehören, sofern es sich um die noch nicht ausgenutzte Originalarbeit eines bekannten Schrift stellers handelt, heutzutage in das Reich der Illusionen. Für dieses Geld verkauft wohl ein literarischer Anfänger oder ein Blaustrumpf eine Novelle, nicht aber ein bekannter Schriftsteller. Selbst dann, wenn die Novelle bereits in einer Anzahl Zeitungen abgedruckt wurde und in halb Deutschland bekannt ist, wird sie dem letzteren schwerlich um diesen Preis feil sein, und wenn doch, so hat der Verleger von einer bereits ausgenutzten Novelle nicht viel Umsatz mehr zu er warten. Um einen Begriff von heutigen Honorarsätzen zu geben, führe ich einige Beispiele an: Paul Heyse erhielt s. Zt. von einer Zeitung für »Die Kinder der Welt« rund 32 000 M.; Spielhagen's Roman »Noblesse oblige« wurde 1887 gleichzeitig von 15 Zeitungen abge druckt, von denen einzelne bis zu 6000 M. zahlten, so dass der Roman nach einer Berechnung der »Schriftstellerzeitung« ungefähr 45 000 M. durch jene Abdrücke einbrachte. Nun herrscht die Ge pflogenheit, derartig in Zeitungen ausgenutzte Romane später als Buchausgabe erscheinen zu lassen. Obgleich diese nicht den geschäft lichen Werth einer ersten Ausgabe besitzen, werden dafür doch noch Honorare- gezahlt, die ein wenig bemittelter Buchdrucker nicht aus geben könnte, ohne sich in ein gefährliches Geschäfts-Abenteuer zu stürzen. Wenden wir uns von diesen literarischen Grössen zum literarischen Mittelstände, so finden wir gleichfalls Verhältnisse, welche über die Kräfte eines unbemittelten Buchdruckers gehen würden. Eine Schrift stellerin von 31 Jahren, welche vor kurzem in den Hafen der Ehe eingelaufen ist, erhielt von einem bekannten Verleger für ihren jüngsten Roman — allerdings für alle Auflagen und mit allen Rechten er worben — 15 000 M. Der Roman Umfasst zwei Bände, jeder hat un gefähr 20 Bogen Inhalt, so dass also für 20 Bogen 7500 M. Honorar gezahlt wurden. Ein Schriftsteller, welcher als Literarhistoriker bekannt ist, jedoch auf belletristischem Gebiet noch keinen Namen hat, erhielt für eine Novellensammlung von 15 Bogen 1000 M. Honorar' für eine Auflage. Da diese Novellensammlung mit 2 M. Ladenpreis verkauft wird, so müssen, den Rabattsatz an die Sortimenter' berück sichtigt, mindestens 750 Exemplare verkauft werden, bevor das Honorar gedeckt ist. Populärwissenschaftliche Sammelunternehmen, wie z. B. Hartleben’s' chemisch-technische Bibliothek, Weber’s Kate chismen u. dergl. mehr, zahlen in der Regel für die erste Auflage von 1500 bis 2500 Exemplaren Honorare von 30 bis 45 M. auf den Bogen, so dass ein Bändchen von 20 Bogen immerhin 600 bis 900 M. Honorar zu tragen hat.