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940 PAPIER-ZEITUNG. No. 37. Versuchsanstalt für Schreibwaaren. Von Osw. Schluttig und Dr. G. S. Neumann. I. Bedeutung. In unserer Schrift über Eisengallustinten haben wir den Wunsch nach Vereinigung von Papier- und Tinten-Prüfungsanstalt zu einer selbständigen Versuchsanstalt für Schreibwaaren ausgesprochen. Wir wollen versuchen, diesen Wunsch nachstehend zu begründen. Die Werthbestimmung eines Gebrauchsartikels hat zu allererst auf dessen Zweck Rücksicht zu nehmen. Der Zweck der Tinte be steht lediglich darin, auf Papier fixirt zu werden, derjenige des Papiers alter in der Hauptsache darin, beschrieben oder bedruckt zu werden. Aus dieser Zusammengehörigkeit ergiebt sich schon die Zweckmässig- keit jenes Wunsches. Dazu kommt, dass die Papierprüfung wie die Tintenprüfung nicht nur chemischer, sondern auch physikalischer Art ist, beide also gleichartige Hilfsmittel fordern. Daher werden die Methoden zur Werthbestimmung am erfolgreichsten ausgearbeitet und am Sachgemässesten durchgeführt werden können, wenn die Tinten untersuchung in derselben Anstalt wie die Papierprüfung vorgenommen wird, denn eine solche Anstalt »wird die dabei gewonnenen, sich gegen seitig beeinflussenden Ergebnisse besser zu verwerthen imstande sein, als zwei getrennte Versuchsanstalten, die der einheitlichen Leitung entbehren«. Auf die Untersuchung von Papier und Tinte würde die Haupt- thätigkeit der Versuchsanstalt zu richten sein. Nebenher sollte aber auch die Beschaffenheit der übrigen Schreibwaaren studirt werden, über deren Werth imd Werthbestimmung man noch allgemein im Un klaren ist. Wir nennen hier zunächst die Schreibfedern. Man ist gewöhnt, die Stahlfeder immer nur nach ihrer Schreibfähigkeit zu beurtheilen, die Tinte aber nach dem Grade, in welchem sie die Feder angreift. Hierbei lässt man nur zu häutig die sehr ungleiche Widerstandsfähig keit der Stahlfedern gegen wirklich gute Tinten äusser Acht, und dann wird manchmal die Schuld der Tinte zugeschoben, wo sie die Feder trifft. Ein anderer Artikel der Schreibwaarenhändler, dessen methodisch geregelte Werthbestimmung noth thäte, sind die Klebstoffe. Heutzu tage kauft fast niemand mehr festen Gummi arabicum, um ihn auf zulösen. Die flüssigen Klebstoffe, die oft unter den abenteuerlichsten Bezeichnungen angepriesen werden, sind viel bequemer und billiger. Leider sind sie aber auch, abgesehen vom Klebvermögen, häufig viel schlechter, insofern sie durch das Papier dringen und die mit Tinte geschriebene Aufschrift angreifen. Wir hatten flüssige Gummis des Handels unter den Händen, welche auf Schriftzüge aus Eisengallus tinten von dokumentarischem Werthe, die auf reinem Papier ihre tiefe Schwärze dauernd behielten, derart wirkten, dass sie in kurzer Zeit braun und gelb wurden. Dass dieser Umstand sehr verhängnissvoll werden kann, wenn es sich um den etikettirten Behälter einer werth- vollen Arznei, eines Giftes, eines seltenen Präparates oder sonstigen Sammlungsstückes handelt, liegt auf der Hand. Heber die Bedeutung einer sachgemässen Untersuchung der Schreibwaaren für behördliche Zwecke sei uns hier ein Wort gestattet, das weniger an Preussen gerichtet ist, wo es hierauf bezügliche Ver ordnungen bereits giebt, als vielmehr an alle diejenigen nichtpreussi- sehen Länder, welche bisher noch keine amtlichen Papier- und Tinten-Normalien erlassen haben. Die Papier-Zeitung scheint uns bei ihrer allgemeinen Verbreitung hierfür der geeignetste Platz zu sein. Die Wichtigkeit der Papierprüfung ist nach und nach den inter- essirten Kreisen klar geworden, sodass wir näherer Ausführungen wohl überhoben sind. Von der Tintenprüfung kann man aber, so scheint es, nicht das Gleiche sagen. In manchen Ländern sind zwar Papier-, aber keine Tinten-Normalien eingeführt. Beide sind überhaupt erst den An regungen aus der Praxis zu verdanken. Sie sollen lediglich dem Verbraucher, hauptsächlich den Behörden, eine Gewähr für die Güte der erworbenen Waare verschaffen; dieser und kein andrer ist der für die Landesregierungen in Frage kommende Zweck. Man scheint aber an amtlichen Stellen noch vielfach der Meinung zu sein, dass der Antrag auf Einführung von Tinten-Normalien haupt sächlich dem Sonderinteresse der Fabrikanten entsprungen sei. Das ist ein Irrthum! Dass der Fabrikant dadurch eher Schaden als Nutzen in pekuniärer Beziehung hat, ergiebt sich aus folgender Erwägung: Da, wo es keine amtlichen Tintenprüfungen giebt, kann er geringwerthige Waare zu dokumentarischen Zwecken anpreisen, ohne, wie die Erfahrung geleint hat, befürchten zu müssen, dass der Werth seiner Tinte in allen Fällen von einem Sachverständigen geprüft werde. Derartige geringwerthige Waare kann er aber natürlich viel billiger herstellen als dauerhafte und wird an ihr demzufolge auch mehr ver dienen. In Ländern, welche Tinten-Normalien erlassen haben, muss der Fabrikant stets auf eine Untersuchung gefasst sein und wird dem nach dort von vornherein nur besseres Fabrikat anbieten und absetzen können, welches den gestellten Anforderungen genügt. Da derartiges Produkt ihm aber selbst theurer zu stehen kommt als minderwerthige Waare. so wird er auch weniger daran verdienen können. Das Inter esse für ilie Prüfung liegt also lediglich auf Seite der Verbraucher, nicht der Fabrikanten. Derjenige Staat, welcher Grundsätze für amtliche Tintenprüfung erlässt, handelt zunächst im eigenen Interesse, um sieh gegen Ueber- vortheilung zu schützen, — das scheint von einem grossen Theil der betreffenden Kreise noch nicht genügend in Erwägung gezogen zu sein! Boi der Wichtigkeit, welche der Dauerhaftigkeit der Dokumente zukommt, zeugt es demnach entweder von übertriebener Vertrauens seligkeit gegen die Fabrikanten, oder von Mangel an Einsicht, wenn viele Staaten es bisher unterlassen haben, amtliche Tintenprüfungen einzuführen, selbst dann, wenn ihnen aus der Praxis heraus die nöthige Anregung und Aufklärung zutheil geworden war. Ganz ähnliche, wenn auch im Vergleich hierzu nur nebensächliche Erwägungen gelten für die Untersuchung von Federn und Klebstoffen. Bei ersteren kommt die Dauer der Gebrauchsfähigkeit, also direkt eine Geldfrage, in Betracht, bei letzteren ihr Einfluss auf die Be ständigkeit der Schriftzüge oder Zeichnungen. Die früher fast überall, jetzt noch in vielen Ländern befolgte Praxis, die Wahl der Tinte den einzelnen Aemtern völlig freizustellen, muss als wenig weise bezeichnet werden. Man greife als Beispiel die kleinen Stadt- und Dorfgemeinden heraus, deren Stmdesamtsregister und Grundbücher selbstverständlich ebensogut Jahrhunderte lang er halten bleiben sollen, wie die Akten bei den Oberbehörden der Haupt stadt. Die Vorsteher und Schreiber dieser Gemeindeämter haben in der Regel von der Beschaffenheit der verschiedenen Tintensorten und ihrer Dauerhaftigkeit keine Ahnung. Werden sie nicht durch amtliche Vorschriften an bestimmte Sorten gebunden, dann ist die Verwendung von Theerfarbentinten anstelle der Eisengallustinten eine ganz ge wöhnliche Erscheinung. Auf das Urtheil von Sachverständigen aus Privatkreisen geben die Herren Beamten erfahrungsgemäss nur sehr wenig. Solange nicht Entsprechendes von oben verordnet wird, glauben sie, dass die Warnungen des Privatmannes übertrieben, viel leicht durch Sonderinteressen veranlasst seien. Denn wenn die Ver gänglichkeit der so schön und angenehm fliessenden Tinten wirklich so gross wäre, wie die Privatperson behauptet, dann wäre doch sicher lich schon von oben herunter die nöthige Anordnung erfolgt! Oben« scheint es aber manchmal auch nicht besser auszusehen, denn sonst könnte, wie nur ein Beispiel zeigen mag, in einer Königlichen Haupt- und Residenzstadt noch heute ein Büreauvorsteher (bis vor kurzem auch ein Minister) nicht Theerfarbentinte bei den Eintragungen in seine Akten gebrauchen. Die Wahl der Tinte steht ihm frei, den Aus führungen eines Sachverständigen hat er einfach nicht geglaubt und ihm entgegengehalten: so lange er amtire, wäre die Tinte ja noch nicht verblichen, daher würde er sie auch ferner behalten. Wenn aber einst unsere Enkelkinder in jenen Registern nach schlagen, um nach Geburts- und Todesjahr, Rechtsverhältnissen, Be sitzstand ii. dgl. ihrer Vorfahren aus dem 19. Jahrhundert zu forschen, und die Schrift unleserlich finden, dann bitten wir, die sachver ständigen Privatleute, sie höflichst, die Schuld nicht auf den Fabri kanten der Tinte schieben zu wollen, sondern auf jenen waekern Büreauvorsteher, richtiger aber noch auf die zuständige, vorgesetzte Behörde, deren Pflicht es gewesen wäre, auf die Vorstellungen der Fachleute hin die geeigneten Verordnungen zu erlassen. Denn erstens muss der Tintenfabrikant der Nachfrage wegen auch billige, minder dauerhafte Waare fertigen, die für den täglichen Ver kehr genügt, und zweitens hat er auf deren geeignete Verwendung infolge des Vertriebs durch Zwischenhändler nicht immer den ge wünschten Einfluss. Gegen reklamehafte Anpreisungen geringwerthiger Waare für behördliche Zwecke seitens gewissenloser Fabrikanten kann sich aber der Staat eben nur durch den Erlass sachgemässer Be stimmungen und durch Vornahme entsprechender Prüfungen schützen. Man kann und wird auch garnicht verlangen, dass der Nichtfach mann, auch wenn er im übrigen noch so gelehrt ist, im Stande sein müsse, den Werth von Papier und Tinte selbst sicher zu beurtheilen. Die Blauholz- und Anilintinten sind erst seit etwa .30 Jahren allge mein im Gebrauch. Das ist ein verschwindender Zeitraum gegenüber demjenigen, den viele Akten überdauern sollen. Dem Fachmanne, der rationelle und scharfe Beobachtungen anstellt, hat er allerdings bereits genügt, um ihm die Vergänglichkeit der genannten Tintensorten zu beweisen, der Laie aber zieht nicht selten aus seinen einseitigen, oft auch mangelhaften Beobachtungen mit ungenügendem Material falsche Schlüsse. Die Eintragungen des erwähnten BüteauVorstehers z. B. sollen doch wohl länger dauern, als er im Amte ist; stellt es sich aber nach ein oder zwei Menschenaltern heraus, dass die von ihm verwendete Tinte für seine Zwecke doch nichts taugte, dann ist es schon zu spät. Hier bleibt eben dem Laien nichts übrig, als dem Sachverständigen