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890 form dienen auch hier ausgeschnittene Zettel, die in hübscher An ordnung auf dunklen Karton geklebt wurden. Das Ankleben von Zetteln an Hauswände ist seitens der Haus- wirthe strengstens verpönt, und wo ein Mauervorsprung gar zu starke Lockung bietet, muss gelegentlich in lesbarer Schrift das Verbot an- Sachbeschädigung strafbar, aber nur sehr selten wird ein Thäter erwischt. An Bauzäunen gedeiht der Umzugs- und Wohnungs- Veränderungs zettel, an Ladenfenstern der Ausverkaufs-Zettel, an den Hausthüren der Wohnungsvermieths-Zettel. Namentlich in der Zeit der Weihnachts-Einkäufe tauchen die An- No. 35. kündigungen »grosser , vollständiger«, gerichtlicher« und »schleuniger Ausverkäufe massenhaft auf. Dieselben finden angeblich statt wegen Aufgabe des Geschäfts, wegen Geschäftsverlegung, wegen »Ausmiethens« durch einen Konkurrenten und aus hundert anderen Gründen, die um die Weihnachtszeit so billig sind wie Brombeeren im Spätsommer. Ist dann das kaufanreizende Fest vorbei, so verschwinden die meist schreiendrothen Zettel allmälig wieder, und der Vorübergehende sagt wohl: »Schau schau, da hat der gute Mann sich doch noch einmal besonnen und betreibt sein Geschäft am alten < )rte weiter. < — Warte bis zur nächsten Weihnacht, Freund, da kannst Du die rothen Auflösungsplakate, die fein säuberlich aufbewahrt werden, in alter Aufdringlichkeit nochmals zu sehen bekommen! — Die Berliner Wohnungszettel, die ebenfalls zu den beweglichen Zetteln gehören und von Zeit zu Zeit zum Leidwesen der Haus besitzer wieder auftauchen, haben mit Irrlichtern die leidige Eigenschaft gemein, dass sie den müden Wanderer auf falsche Pfade locken. Der übliche Inhalt lautet: Hier ist eine Wohuung zu vermiethen. Wie gross die Wohnung ist, wie hoch sie liegt, was sie kostet, wer darüber Auskunft ertheilt, — das sind Angaben, die der Ber liner Vermiether meist für entbehrlich hält. Es zeugt schon von grossem Entgegenkommen, wenn er in die linke oder rechte untere Ecke eine kleine römische Zahl setzt, die das Stockwerk an deuten soll, und die vielleicht Einige an dem hochhängenden Zettel auch ohne Opernglas zu erkennen vermögen. Alles andere muss sich der unglückliche Wohnungsucher vom Hauswart, der hinten im Hofe im Keller wohnt, oder vom Hauswirth im zweiten oder dritten-. Stock erfragen. Was ist gegen den alten Schlendrian der Wohnungszettel- Abfassung nicht schon geschrieben worden! Ein volles Maass von Spott und Hohn wurde in den Zeitungen über den Berliner Hauswirth ausgeschüttet, aber es hat nichts genutzt. Die Zähigkeit, mit der die alte Formel beibehalten wird, ist er staunlich, wenn man bedenkt, wie viel nutzloses Laufen, Fragen und Treppensteigen vermieden werden könnte, wenn auf den Zetteln wenigstens der wichtigste Punkt angegeben wäre, der in erster Linie die Entscheidung des Wohnungsuchenden beeinflusst: — Der Preis. Es ist wahrhaft komisch, dass so überaus selten ein Hauswirth wagt, seine Miethspreise zu nennen. — Sollte er wirklich gleich vielen Ladenbesitzern denken: Wenn der Kunde nur drin ist, wird er dieWaare schon nehmen!«—? Die tägliche Erfahrung lehrt das Gegentheil, denn das Wohnungsbesichtigen geht vor den grossen Zieh terminen Tag für Tag monatelang weiter, zum Ver druss des Wirths und zur Belästigung der gegen wärtigen Miether. Einen grossen Theil der Schuld tragen auch die Verleger und Drucker der käuflichen Wohnungs zettel, die nur das alte nichtssagende Schema vorräthig halten. Hier müsste die Reform einsetzen. Die Zettel für herrschaftliche Vorderhaus-Wohnungen könnten etwa folgende Form erhalten: $ err sc aj t 1 ich e W o 1 ii u ng |H.i Stotf [6] 3immer. [ füdye, Aläddyengelaf;, Gad,ßalkon, Coggia, Goden, feller, ©arten. Preis ... Hark jälvlic. Auskunft: Gegen eine kleine Vergütung könnten die Ver käufer (las Einfügen der vorstehend eingeklammerten Ziffern durch Einkleben von »Patentbuchstaben über nehmen. Nicht vorhandenes Nebengelass wäre zu durchstreichen. Wenn die Ausfüllung den Bestellen! selbst überlassen bliebe, würde die Eintragung der wichtigen Angaben oft in zu kleiner Schrift erfolgen. Die Her stellung solcher Vermiethungsanzeigen von Fall zu Fall könnte auch den Papierwaarenhändlern eine dankbare Aufgabe bieten. Dass die Wohnung zu vermiethen ist, und dass sie hier zu vermiethen ist, weiss Jeder; der betreffende Vermerk ist somit entbehrlich. (Fortsetzung folgt.) PAPIER-ZEITUNG. In den aufgeregten Zeiten der Reichstagswahlkämpfe wird der hauswirthliche Ukas freilich oft genug übertreten, namentlich von Sozialdemokraten, die ihre rothen Zettel unter dem Schleier der Morgendämmerung in rücksichtslosester Weise überall hin kleben, wo sie gelesen werden müssen: an Haus und Ladenthüren, auf Schaufenster, über Firmen schilder usw. Einige Stunden später kommt dann die Polizei und reisst sie wieder ab. Neuerdings werden die Namen sozialistischer Reichstagskandidaten auch vielfach an Mauern und auf die Granitplatten des Bürgersteiges schablonirt. Das ist natürlich als Schulz« ' r9vu । re