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1810 N547 Druck-Industrie. Unter dieser Ueberschrift bringen wir Artikel und Mit- theilungen, welche sich auf die vervielfältigenden Künste: Buch-, Stein-, Kupfer-, Licht- etc. -Druck beziehen. Sachliche Mittheilungen finden stets kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiter angemessene Bezahlung. Kalligraphisches Rankenwerk als Ziermaterial im Buchdruck. 1. Geschichtliches. Neben der satzumschliessenden Rahmen-Or namentik hat sich aus der freien kalligraphi schen Kunst noch ein anderer Zweig auf den Boden des Buchdrucks hinübergerettet und dort selbständig ausgebildet: — die Zeilen verzierung durch Rankenwerk. Während die Umrahmung aber schon in der ersten Blüthezeit des Buchdrucks (Finde XV., Anfang XVI. Jahrh.), und zwar zunächst in geschlossener, unzerlegbarer Form auftrat, hat erst das gegenwärtige Jahrhundert den Ver such gemacht, auch die reizvolle, viel bewun derte Ranken- und Faden-Ornamentik der mittel alterlichen Illuminatoren, welche von den Kal ligraphen aller späteren Jahrhunderte sorgfältig gepflegt und von der Lithographie sofort auf genommen wurde, auch auf den Buchdruck zu übertragen. Da in hochgothischer Zeit der Initial der einzige durch Zierrat hervorgehobene Theil des Buches war, so beschränkte sich auch die kalligraphische Rankenverzierung jener Zeit ausschliesslich auf Initial-Ornamentation. Die verschiedenen Arten derselben, die alte, aus romanischer Zeit übernommene Blatt- und Knospen-Ornamentik, das Epheu- und Granat apfel-Muster, die gothisirte Acanthusranke mit eingestreuten naturalistischen Blumen u. s. w. sind dem Bücherfreunde wohl bekannt. Die Prüh-Renaissance hat seltsamerweise wenig kalligraphisches Ornament aufzuweisen, denn die junge Holzschneidekunst war ihrer Technik gemäss mehr auf das Derbe und Kräf tige, als auf das Zarte hingewiesen. Nur sel ten wurden noch in gedruckte Bücher die Ini tialen eingemalt, und wenn von ihnen ein or namentaler Schweif ausgeht, so ist es nicht mehr das flott geschwungene Rankenwerk der spät-mittelalterlichen Ornamentik, sondern ein eigenthümliches, an keltische Vorbilder erinnern des Bandgeflecht. Von der für Initialen dieser Zeit als Regel geltenden Quadrat- oder Recht eckform weicht nur ein aus der Spätgothik übernommener Initialtypus ab, der in höchst grotesker Weise gothische gebrochene Band geschlinge mit Thierbildern und Menschen fratzen verbindet. (Beispiele für diese sehr merkwürdige Art kalligraphischer Ornamentik in „Druckschriften des XV. — XVIII. Jahrh. Berlin. Reichsdruckerei. Heft 1, Tafel VI,“ und „Shaw, Handbook of Mediaeval Alphabets. London, B. Quaritsch.) Die Hochrenaissance brachte wieder mehr echte Kalligraphie und mit ihrer selb ständigen Ausbildung des Buchtitels (siehe d. Verf. .Entwickelung der Buchtitelform“ Papier - Zeitung 1884, S. 1724) auch zum ersten Male eine, wenngleich zunächst nur schüchtern auftretende Zeilen-Ornamentik durch Schwünge und Züge von der Art, wie Dürer sie in seinen Randzeichnungen zum Gebetbuch des Kaisers Maximilian so keck mit Pflanzen- Ornament verbunden hat. Die höchste Entfaltung dieser recht eigent lich kalligraphischen Ornamentik fällt in die dritte Blütheperiode der Kalligraphie selbst, in die Zeit der Spätrenaissance und des Ba- rcco. Die höchst künstlichen, fast unent wirrbaren Verschlingungen, in welchen die Schreibmeister jener Zeit den Buchstaben theils auflösten, theils fortsetzten, sind allgemein be kannt, da eine Modelaune mit dem gediegenen alten Gold der Renaissance auch dieses Katzen gold wieder ausgegraben hat. Auch in den folgenden Stilperioden blieben die Schreibzüge das Hauptelement der kalli graphischen Ornamentik, nur wurden sie ein facher und dürftiger; schliesslich ging sogar ihre eigentliche stilistische Bedeutung verloren, und sie wurden nicht mehr mit kühnem Schwünge geschrieben, sondern, meist mit falscher Anbringung der Druckstellen, ge zeichnet. Im diesem Zustand führte Derriey, der erste namhafte typographische Ornamentist, sie in den Buchdruck ein, und er fand ein so grosses Gefallen an dieser Verzierungsweise, dass er in seinem bekannten Specimen-Album an allen passenden und unpassenden Stellen jene — übrigens mit grossem technischen Geschick aus geführten — Traits-de-plume anbrachte. Die Einführung der Schreibzüge in den Buch druck lässt bereits deutlich den Einfluss der Lithographie erkennen, welche sich damals an schickte, das Erbe der alten Kalligraphie an zutreten und einen neuen, allerdings im Treib hause künstlicher Steingravirung gezüchteten, Spross aus derselben zu entwickeln. Dem Zeit geschmack entsprechend, verwendete sie neben den überwuchernden Schreibzügen als Zeilen schmuck auch schon gern zarte, natura listisch gezeichnete Blüthenranken, welche oft noch mit dem Muschel- und Netzwerk der letzten Zopfperiode verbunden wurden. Derriey’s Beispiel wurde bald auch in Deutsch land nachgeahmt, und namentlich war es eine Serie von Schreibzügen aus der Giesserei Hänel-Berlin (jetzt Wilh. Gronau), die sehr viel Anklang fand, und die auch heut noch hier und da zum Vorschein kommt. Einen andern, und, wie sich später zeigte, viel gefährlicheren Weg beschritt Dressler-Frank furt, indem er anfangs der sechziger Jahre seine „Epheuranken" herausgab. Das waren naturalistisch gezeichnete Epheu- und andere Blätter, welche, an verschieden geformte Stiele angesetzt und entsprechend gruppirt, als Kränze, Laubgehänge und Zweige bedeutungsvolle Zei len zu umschliessen bestimmt waren. Dies Material war damals weit verbreitet, fast jede Druckerei besass ihre Epheuranken, und es galt als Prüfstein eines tüchtigen Accidenz- setzers, aus ihnen etwas Ordentliches „bauen“ zu können. Dabei kam es nicht allzusehr darauf an ob einmal der Stiel an der Spitze des Blattes an setzte, ob einzelne Blätter ineinander hinein wuchsen, — wenn nur im Allgemeinen eine leidliche Gruppirung herauskam. Das Gefühl für Ornamentik war ja in jener Zeit bei den Buchdruckern wie beim Publikum nahezu erstorben. Nicht viel besser waren die „Renaissance- Ornamente“ jener Zeit, von denen nur eine Kollektion, welche pflanzliche Motive mit Schreibzügen zu verbinden suchte, einen ge wissen künstlerischen Werth hatte. Beinahe ein Jahrzehnt verging, ehe ein neues und geeigneteres Material zur Zeilen verzierung, begünstigt durch die steigende Ver breitung systematischer Messinglinien, auf tauchte. Dieses Material kam aus derselben Giesserei, welche die Welt s. Z. mit den Epheuranken beschenkt hatte, aus der Offizin von Flinsch, vorm. Dressler. Es waren jedoch diesmal stilisirte Or namente von ziemlich strenger und steifer Zeichnung, bestimmt zum Ansetzen an Viertel - petit feine Linien, da die Achtelpetit-Linie damals noch nicht als unentbehrliches Hilfs mittel beim Accidenzsatz galt. Dieses Verzierungsmaterial , obgleich noch immer schwerfällig und noch lange nicht allen Anforderungen genügend, bedeutete doch einen grossen Fortschritt gegenüber den Epheuranken, denn es war stilistisch korrekt, es war typo ¬ graphischer als jene. Die einzelnen Stücke waren gross genug und in ihrer Zeichnung hin reichend geschlossen, um ihre Bestimmung deutlich erkennen zu lassen; sie konnten wohl ungeschickt und geschmacklos, aber kaum falsch angewendet werden. Die gerade Linie, welche als „rother Faden“ durch das ganze Ornament läuft, schloss an der Grenze des einzelnen Stückes sehr zweckmässig mit einem Knötchen oder Knopf, sodass die Lücke, welche beim Aneinanderstossen zweier feiner Linien so leicht entsteht, gut maskirt wurde. Fast alle späteren Ornament-Serien haben dies praktische Aus kunftsmittel adoptirt. Und sie liessen nicht auf sich warten, diese Nachfolger. Rasch nach einander erschien eine grössere Anzahl von Ornament - Serien, deren wichtigste wir nachstehend aufzählen: 1. die Friebel’sche Serie, von welcher fast alle deutschen Giessereien Abschläge be sitzen ; 2. die Weisert'schen Linienornamente, Se rie 1 und 2 (hell und dunkel); 3. die Wo el Im er'sehen Linien • Ornamente, gleichzeitig zum Ansetzen an Initialen bet stimmt; 4. die Ludwig’schen Ornamente (Ludwig & Mayer, Frankfurt a. M.); 5. Scheiter &Giesecke’s Renaissance-Orna mente, Serie LIX und 63 (hell und dunkel); ß. Genzsch & Heyse‘s Neue Ornamente; 7. Scheiter & Giesecke, Federzüge zu den altgothischen Initialen. (Die vom Verf. hierzu geschriebene Beur- theilung lassen wir, unseren Grundsätzen ge mäss, weg. D. Iled) Dies wären die in den deutschen Druckereien gegenwärtig am meisten verbreiteten Ornament- Serien. Da eine Besprechung all er viel zu weit füh ren würde, soll zur Darstellung der jetzt üb lichen typographischen Zeilen-Ornamentik die jenige Serie herausgegriffen werden, welche ohne Widerspruch allgemein als die vielseitigste und verwendbarste anerkannt wird; — das ist die Friebel’sche. Auch sie weist noch em pfindliche Lücken auf, die jeder Accidenzsetzer kennt, und es ist eigentlich zu verwundern, dass noch keine Giesserei die unzweifelhaft sehr lohnende Ergänzung dieser weit verbrei teten Serie unternommen hat. Sie ist aber für die Praxis am werthvollsten , — in manchen Druckereien geradezu das einzige Ornament material, — und muss zu Umschlägen und Brief köpfen , zu Kopfleisten und Schlussvignetten, zu Adresskarten und Zierlinien gleichmässig herhalten. Sehr gut kann sie mit Nr. 2 und 6 unserer Aufzählung kombinirt werden und genügt dann billigen Anforderungen für den in Rede stehenden Zweck vollkommen. Fortsetzung folgt. Kleine Notizen. Das Holz, auf welches fast alle unsere Buch- und Zeitungs-Illustrationen geschnitten werden, wird infolge des ungeheuren Verbrauchs von Tag zu Tage seltener. Der grösste Theil kommt, nach dem „Cosmos“, von den Ufern des Schwar zen Meeres. Poti (am Ausfluss des Rion im Kaukausus) schickt bedeutende Mengen nach England; 5—6000 Tonnen Holz bester Qua lität nehmen jährlich ihren Weg aus dem süd lichen Russland nach Konstantinopel; eben dahin wandern 1500 Tonnen geringerer Qualität aus Samsoun. In der Türkei sind die Wal dungen jetzt vollständig zerstört, und man kann nicht mehr hoffen, aus ihnen noch irgend welche werthvolle Produkte zu ernten. In Russland, wo die Verwaltung sorgsamer ist. ist die Lage besser; dennoch muss man jetzt schon das Holz im Innern suchen; die Küstenpro vinzen sind vollständig erschöpft. Dadurch wird der Preis erheblich gesteigert. Früher wurde das Geschäft von den Griechen betrieben, jetzt ist der Handel vollständig in die Hände der Engländer übergegangen, die äusser den