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Nr 40 PAPIER-ZEITUNG. 1511 Erfindung des Holzschleifens. Bei Gelegenheit eines Aufenthalts in der sächsischen Schweiz stattete Schreiber Ds. dem Erfinder der Holzschleiferei am 2. August 1884 einen Besuch ab. Herr F. G. Keller wohnt in dem malerisch an der Elbe gelegenen Dorf Krippen, welches man von Schandau aus durch Uebersetzen mit der Fähre und einem Gang von einigen Hundert Schritten längs der Elbe erreicht. Jedes Kind kennt dort den Mechaniker Keller, denn man hatte nur irgend Jemanden zu fragen, um bereitwilligst nach seiner Wohnung gewiesen zu werden, die weit hinten im Gebirgs thai liegt. Wir fanden sie in einem freundlichen 2. Stockwerke hohen Hause, welches sein Eigen thum ist und von dem hinten vorbeifliessenden Gebirgsbach eine kleine Wasserkraft, erhält, die er zum Betrieb der im nehmen, und wie sehr man sich dann für die | Geschichte desselben interessiren wird. Jetzt, wo die Hauptbetheiligten noch unter uns weilen, ist es möglich, dieselbe richtig niederzuschreiben, und die Papier-Zeitung erfüllt daher nur ihre Pflicht als Fach-Organ, indem sie dies unter nimmt. Nachstehendes Brustbild Kellers haben wir nach einer 1884 von L. Steinmann in Braun schweig (Besitzer einer Holzschleiferei im Okerthale und der Centralstelle für Holzstoff in Berlin) aufgenommenen Photographie in Holz schneiden lassen. Die Geschichte der Erfindung ist so eng mit Keller’s Thun verflochten, dass sie in ihrem ersten Theil mit seiner Lebensbeschreibung I zusammenfallt. Er hat selbst schon den Anfang ! einer solchen ausgearbeitet und uns freundlichst leien, d. h. zur Anfertigung von Linealen, Winkeln, u. drgl., die ich an meine Schulkameraden ver kaufte und deren Erlös ich zum Anschaffen kleiner Werkzeuge verwendete. Als ich die Volksschule verliess, war es mein lebhaftester Wunsch, eine Gewerbeschule zu besuchen, um mich der Mechanik widmen zu können. Meine Eltern waren jedoch nicht in der Lage, mir eine derartige Ausbildung angedeihen lassen zu können, und ich sah auch ein, dass meine Vorkenntnisse, die sich nicht viel weiter als auf den gewöhnlichen Elementarunterricht erstreckten, nicht dazu ausreichten. Ich entsprach daher dem Wunsch meines Vaters und wurde, um ihn bald in seinem Geschäft unterstützen zu können, Weber und Blattbinder wie er. Wie früher schon pästelte ich in meinen freien Stunden weiter und verwendete den daraus erzielten Gewinn sowie mein spärlich zugemessenes Taschengeld zur Anschaffung von Büchern und Zeichen- untern Stockwerk befind lichen Arbeitsmaschinen verwendet. In diesen unte ren Werkstatträumen be schäftigt er 2 Gesellen und 1 Lehrling ausschliesslich mit Anfertigung eiserner Messkluppen zum Aus messen roher Holzstämme, wie der dortige Holzhandel sie braucht, und für die er in Sachsen Absatz findet. Im oberen Stockwerk des Hauses wohnt und arbeitet Herr Keller selbst, meistens an neuen Erfindungen, auf die er zum Theil schon Patente erhalten hat und noch nachzusuchen beab sichtigt. Er empfing uns in liebenswürdigster Weise, und wir waren erstaunt, in dem 68jährigen Manne keinen gebrechlichen Greis, sondern — wie die beschrie bene Thätigkeit schon er kennen lässt — einen rüstigen, geistig frischen Mann zu finden, der es an Lebhaftigkeit mit manchem Jüngling aufnehmen könnte. Nur ein Fussleiden, welches ihn seit beinahe 2 Jahren an's Haus fesselt, erinnert daran, dass er doch im Abend des Lebens steht. Mit der grössten Bereit willigkeit und Offenheit theilte er uns alle Ereignisse seines Lebens mit, die für die Fachgenossen 1 von In teresse sein könnten, ohne, trotz mancher schlimmen Erfahrung, gegen irgend Jemanden einen Tadel aus zusprechen. Es war rührend, mit welch ängstlicher Für sorge er sich bemühte, jeden Schein zu meiden, als ob er Andere für seine Misserfolge mitver antwortlich machen wolle, und er sprach wieder holt den Wunsch aus, dass nichts veröffentlicht werden möge, was dem Schatten eines Vorwurfs gleichsehen könne. Ueberhaupt war die Unter haltung so interessant und gemüthlich, dass die drei bei Herrn Keller zugebrachten Stunden eine kurze Spanne Zeit schienen. Seine Mit- theilungen zeigten, dass die Geschichte der Entstehung der Holzschleiferei nur in ihren äussersten Umrissen bekannt ist, dass aber viele interessante Thatsachen noch nicht ver öffentlicht sind. Wir beschlossen desshalb, unter Kellers Mitwirkung, eine Geschichte dieser Erfindung zu schreiben, welche ihre Entstehung möglichst genau schildern soll. Wenn man bedenkt, dass es jetzt schon auf der ganzen Erde weit über 500 Holzschleifereien giebt, so kann man ermessen, welchen Umfang dieser junge Industrie-Zweig in späteren Zeiten an- F. G. Keller (1884) Erfinder der Holzschleiferei. zur Benutzung überlassen, und wir glauben nichts Besseres thun zu können, als den grössten Theil möglichst unverändert in seiner lebens frischen Schreibweise wiederzugeben, obwohl wir einen kürzeren Abriss schon 1882 in Nr. 42 brachten. Der Anfang dieser Selbstbiographie ist vom 2. März 1882 datirt, und sie hat folgenden Inhalt: Ich wurde am 27.Juni 1816 in Hay neben geboren, , wo mein Vater Webermeister und Blattbinder war. ’ Meine Eltern waren schlicht und einfach, und I hatten sich durch Fleiss und Sparsamkeit endlich | ein Häuschen erworben. Der Unistand, • dass meine neun Geschwister frühzeitig starben, trug wohl dazu bei, dass ich mt einer gewissen Aengst- lichkeit gehütet wurde, und erst bei Beginn meiner Schulzeit mehr mit anderen Kindern meines Alters in Berührung kam. Während dieser neunjährigen Schulzeit war ich theilweise mit in meines Vaters Geschäft thätig, und benutzte, meiner Neigung folgend, die freien Stunden zu sogenannten Päste- materialien. Mit dem sechszehnten Jahre trat bei mir der für junge Handwerker so wichtige und ersehnte Zeitabschnitt ein, dass ich Geselle wurde, und gleichzeitig regte sich auch bei mir der Trieb, zu wissen, wie es ausserhalb meiner Vaterstadt aussähe, kurz, ich wollte zum Entsetzen meiner Eltern auf die Wanderschaft. Nach längerem Kampfe wurde mein Wunsch gewährt, und Vater tröstete die Mutter mit der Meinung, ich würde mich schon bald genug abkühlen. Nachdem ich in einem halben Jahre einen grossen Theil der österreichischen und preussi schen Staaten durchgewan dert, kehrte ich, ohne irgendwo Arbeit gefunden zu haben, in die Nähe meiner Heimath zurück, wo ich zwar in Chem nitz eine Stelle fand, aber auf Wunsch meiner Eltern bald nach Hause zurückkehrte. Ich that es auch gerne, da ich während meines Wanderns die Leiden und Freuden des Handwerksburschen ohne Reisegeld durchkostet hatte, und manche mit jugendlicher Phantasie erträumte rosen- farbnen Bilder in aschgrau verschwommen waren. Nach dem ich mich zu Hause so zusagen wieder ausgewärmt hatte, machte sich in mir der Drang geltend, neben meinen Berufsarbeiten, zum Vergnügen, mich noch einer andern Thätigkeit zu widmen ; und so kam es, dass ich, wie viele Andere, denen gründliche Kenntniss der Mechanik abgeht, auf den Gedanken verfiel, eine Maschine zu schaffen, die sich von selbst bewegt, und wo möglich noch einen Kraftüberschuss ge währt — mit andern Worten, das Perpetum mobile. Man könnte die Hingabe an einen solchen Ge danken als eine Krankheit bezeichnen, von der Viele erfasst und erst nach vielen vergeblichen Versuchen geheilt werden. So erging es auch mir, ich habe während ziemlich 8 Jahren den grössten Theil meiner freien Zeit darauf verwendet und die verschiedensten Versuche gemacht. Einige Male war ich nahe daran, die Geduld zu verlieren, doch regte sich in mir ein beschämendes Gefühl, wenn ich beobachtete, wie tausende vernunftloser Geschöpfe instinktmässig mit Ausdauer ihr Ziel verfolgen und endlich auch erreichen. Dies er- muthigte mich immer wieder zur Fortsetzung meiner Versuche. Fortsetzung folgt.