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PAPIER-ZEITUNG. 995 N27 den Rath der Dame und zu Weihnachten 1874 gab es schon amerikanische »Christmas cards« in den Familien des Mutterlandes. Diese Karten, mit Blumen auf schwarzem Grund, kamen sofort derart in Aufnahme, dass wir die Nachfrage kaum befriedigen konnten. Im Jahr 1875 führten wir die »Christmas cards« in Amerika ein und fanden damit solchen Anklang, dass das Jahr 1876 die grössten Anforderungen an unsere Leistungs fähigkeit stellte. Die Welle dehnte sich über die ganze Erde aus und lässt sich nur mit der Umwälzung ver gleichen, welche unser erstes 1865 in Boston er- schienes Chromo in unserem Geschäftszweig ver ursachte. Die Fabrik von ‘Tileston & Hollingsworth in Boston lieferte uns vortreffliches Papier zu diesen Kunstdrucken, zu einer Zeit, wo es sogar in Europa schwer erhältlich war. Yucca-Faser. Als die Spanier erobernd in das alte Mexiko eindrangen, waren sie mit Recht erstaunt über die hohe Kultur, die ihnen überall entgegentrat. Sie fanden u. A. ein besonderes Schreibsystem vor; die Manuskripte aber bestanden aus mancher lei Materialien, aus sauber zubereiteten Baumwoll stoffen oder Häuten, aus Kompositionen von Seide und Gummi, grösstentheils aber aus einer feinen Bearbeitung der Yucca- und Aloeblätter. Das daraus gewonnene Papier ähnelte dem ägyptischen Papyrus, der weicher und schöner als Pergament dargestellt wurde. Spätere Reisende, so namentlich v. Humboldt, haben es nicht verabsäumt, auf den schier fabel haften Reichthum der Hochlande von Mexiko und der angrenzenden Länder an den nützlichsten Faser pflanzen , namentlich Kakteen, aufmerksam zu machen; aber leider versteht es die deutsche In - dustric nur noch wenig, ebenso wie ihre Nach baren aus solchen Mittheilungen Nutzen zu ziehen. Der Mangel an Kolonieen, die Nothwendigkeit, zu meist auf Umwegen zu beziehen, mögen wohl bis zur Zeit dazu beigetragen haben, dass man derartige Hinweise eines gelehrten Reisenden nicht genügend beachtet hat; aber jetzt sollte und müsste das besser werden. Gleich früheren Reisenden kann ich aus eigener Anschauung bestätigen, dass sich in Mexiko selbst und nicht minder auch in den an die Vereinigten Staaten gefallenen Provinzen dieses Landes (Süd kalifornien, Neumexiko, Arizona) ausgedehnte, mit allen Arten von Kakteen, Yucca u. s. w. bestan dene Strecken linden. Mit meinen Reisegefährten konnte ich den Gedanken nicht unterdrücken, dass hier das Geld auf der Strasse liege, und ein fast unerschöpflicher Ueberfluss an Faserstoffen und Rohprodukten für die Papierindustrie zu haben sei. Wie brauchbar die Yuccafaser für Papierfabri kation sich gestaltet, darüber hat sich ein Artikel in Nr. 21 der »Papier-Zeitung« vom 21. Mai 1885 verbreitet; welche Wichtigkeit aber man diesem Rohstoffe beilegt, geht ebenfalls aus einer Mitthei- lungandie »Papier-Zeitung« Nr. 25 vom 19.Juli 1884 hervor, nach welcher die mexikanische Regierung einer zur Verarbeitung von Kaktus errichteten Spinnerei oder Papierfabrik im Werthe von min destens 30 000 Pfd. Strlg. eine Prämie von 6000 Pfd. Strlg. und das alleinige Besitzrecht aller auf Regierungsländereien wachsenden Kaktus pflanzen bewilligt. Neueren Nachrichten zufolge lässt die Londoner Times an der Grenze von Süd-Kalifornien und Arizona die Yucca von den (mir bekannten) arbeit samen und gewerbfleissigen Mohave-Indianern sammeln und per Bahn nach New-Orleans ver laden, woselbst der Rohstoff vor der Verschiffung nach Europa auf ein Minimum reduzirt wird. Eine andere englische Gesellschaft hat sich zu diesem Zwecke vereinigt, um in der Nähe der Besitzungen der Times die Gebiete auszubeuten. Und wir Deutschen wollen zurückstehen ? Wir wollen aufs Neue uns von den entschlossenen Amerikanern und Engländern eine günstige Ge legenheit entziehen lassen ? wir wollen denselben gestatten, jetzt, wo die Konkurrenz noch nicht beachtenswerth ist, geeignete Ländereien zu er werben und einen vorzüglichen Rohstoff zu ge winnen ? Liegt der Industrie wirklich nichts daran, jenes eingangs erwähnte, weiche und dauerhafte, pcrgamentähnliche Papier der alten Azteken wieder aulleben zu lassen, statt des abscheulichen, aus Holzstoff, Espartogras und Abfällen aller Art her gestellten Stoffes? Wollen wir uns von den Ja panern beschämen lassen, deren dauerhafte Papiere unseren Neid und unsere Bewunderung erregen? Man wird mir entgegnen, dass der Transport aus Mexiko und angrenzenden Ländern den Be zug in einem Grade kostspielig mache, dass man sich gezwungen sähe, auf eine sonst wünschens- werthe Errungenschaft zu verzichten. Das ist aller dings bis ganz vor Kurzem der Fall gewesen; jetzt aber liegen die Verhältnisse ganz anders. Die Atlantic- und -Pacificbahn, die Atchison-To- peka- und -Santafe-Bahn, die Mexican Cen tralbahn durchschneiden die hier in Betracht kommenden Ländereien; von New-York oder irgend einem anderen atlantischen Hafenplatz kann man in weniger als acht Tagen im bequemem Palastwagen die mexikanische Hauptstadt erreichen, und ebenso alle Häfen des Stillen Ozeans. Um die Reichthümer des Landes an Rohprodukten zu erschliessen, und für den Handel und die Industrie zugängig zu machen, erbieten sich die Eisenbahnen, die ihnen von der Regierung überwiesenen Länderstrecken billigst an den Markt zu bringen, und die Tarif sätze auf ein Minimum herabzusetzen. So schreibt mir der Einwanderungskommissar der Atchison- Topeka- und -Santafe-Bahn, Herr C. B. Schmidt, dass die Frachtsätze von Los Angeles in Süd kalifornien (was etwas weiter ist, als die in Be tracht kommende Gegend sein würde) nach Chicago vermittels der Atlantic- und Pacific-Eilfracht- Linie über die Atchison-Topeka- und -Santafe-Bahn — eine Entfernung von 2322 engl. Meilen, — 1 Doll. 25 Cts. pro 100oder 250 Doll, für Wagenladungen von 20000 E beträgt; nach New-York und allen östlichen Häfen aber 325 Doll. Nach New-Orleans ganz wesentlich billiger — der viel geringeren Ent fernung wegen. Sendungen von mindestens 15 Waggonladungen können per Extrazug gemacht werden. Ich habe, wie angedeutet, diese Gegenden be reist, und mir dort Freunde und Konnexionen erworben; meine Erfahrungen und meine Ver bindungen möchte ich nach dem Gesagten der deutschen Industrie zu Gute kommen lassen, welche sich von dem Werthe oder Unwerthe des von mir empfohlenen Rohstoffes aus den oben angeführten Aufsätzen in der »Papier-Zeitung« und aus anderen Quellen selbst ein Urtheil bilden kann. Ich bin bereit, für ein Konsortium oder einen Privaten nach Südkalifornien, Arizona, Neumexiko, Mexiko u. s. w. zu gehen, dort, wenn ge wünscht, Probesendungen zu sammeln und auf dem billigst möglichen Wege nach deutschen Häfen zu befördern, den Ankauf von mit Yucca bestandenen Eisenbahn-Ländereien vorzubereiten, Licferungsverträge abzuschliessen u. s. w. Was aber geschehen soll, muss, wie die Verhältnisse liegen, schnell geschehen; sonst wird das Eisen bahnland auch bald vergriffen sein! Richard Oberländer, Redakteur der »Weltpost«, Gohlis-Leipzig. Büttenpapier. Dio Büttenpapier-Fabrikation liegt in England so sehr darnieder, dass ein Fabrikant in einem dortigen Fachblatt kontinentalen Papiermühlen empfiehlt. einige der englischen arbeitslosen Papiermacher zu beschäftigen. Da die englischen Papiermacher nach alter Sitte eine Lehrzeit von 7 Jahren durchmachen, so wäre hier allerdings vielleicht Gelegenheit zur Beschaffung solcher Kräfte — falls deren Ansprüche nicht über die in kontinentalen Mühlen bezahlten Löhne hinaus gehen ?! Londoner Brief. Aus dem Englischen unseres Korrespondenten übersetzt. 11 Queen Victoria Street, EC., 21. Juni 1885. Die Leser der Papier-Zeitung werden sich kaum darüber wundern, wenn ich versichere, dass wir Engländer uns lebhaft für sie und ihre Geschäfte interessiren. Dies Interesse dürfte mit der ersten Sendung von deutschem Papier nach England er wacht sein, und da sich die Sendungen vergrössert und vermehrt haben, so ist unser Interesse in demselben Verhältniss gewachsen. Obwohl mancher englische Papierfabrikant der Einfuhr deutschen Papiers seinen Untergang zu schreibt, so können wir doch Niemand darum tadeln, dass er die von unsern Gesetzen gebotene Gelegenheit ausbeutet, wenn auch nur einseitig, ohne Gegenleistung. Wir erkennen auch an, dass wir mit den deutschen Fabriken in den billigeren Sorten nicht konkurriren können. Unsere Arbeiter erhalten hohe Löhne, sie sind verhältnissmässig unabhängig und wollen nicht mehr als 10 Stunden den Tag thätig sein; in Deutschland dagegen wird für ein Drittel der englischen Löhne gear beitet. Viele deutsche Papierfabriken bleiben Tag und Nacht und Sonntags im Betrieb, während die unsrigen jeden Sonnabend um 6 Uhr Nachmittags aufhören. Wir haben erkannt, dass unter diesen Umständen innerhalb ziemlich weiter Grenzen die Wettbewerbung für uns unmöglich ist. Wir sind zwar eigensinnig, aber wir rennen doch nicht mit dem Kopf gegen die Wand. Viele unserer Fa brikanten sind zu besseren Sorten übergegangen; anstatt schlechten Esparto und billige Lumpen zu kaufen und mit Holzmehl zu mischen, verwen den sie fast ausschliesslich Lumpen und erzeugen die feinsten, besten, thierisch geleimten Papiere und finden dafür hier wie im Auslande einen lohnenden Markt. Diese Politik hat sich als rich tig und weise erwiesen. Betrachten wir andererseits die gegenwärtigen und kommenden Verhältnisse des deutschen Pa piergeschäfts! Der einst so gute englische Markt ist unfruchtbar geworden, die deutschen Papier fabrikanten sind bemüht, sich gegenseitig den Hals abzuschneiden. Blinde verzweifelte Wettbe werbung, ohne Rücksicht auf die Folgen, scheint ihre Geschäftspolitik zu sein; der Londoner Kauf mann oder Agent braucht nur zu winken, um ein Dutzend deutscher Papierfabrikanten zu gegensei tigem Unterbieten zu veranlassen. Um hierbei noch mit Vortheil zu fabriziren, müssen sie ihre Erzeugung vergrössern. Wohin soll dies führen? Der englische Markt ist nicht endlos, er muss überfliessen und läuft vielleicht jetzt schon über. Deutschland mag sein Papier nach Australien schicken, wird aber finden, dass auch dort der Bedarf begrenzt ist und dass man lange auf Zahlung warten muss. Unsere eng lischen Häuser können deutsches Papier billiger dorthin verkaufen, als es den Deutschen selbst möglich ist; sie kaufen es gegen baar, haben die besten Versandt - Gelegenheiten, geben sechs bis zwölf Monat Kredit und nehmen dann noch Wechsel! Es ist Thatsache, dass von England aus mehr deutsches Papier nach überseeischen Plätzen verschifft wird, als von Deutschland selbst. Die Aussichten sind für die deutsche Papierfabri kation nicht ermunternd, sie hängt absolut vom englischen Markt ab und geht vor, als wenn der selbe unerschöpflich wäre, — wird aber bald ihren Irrthum erkennen. Früher gab es eine Vereinigung deutscher Papierfabrikanten, auf welche dieselben stolz sein konnten und die unsern Neid erregte. Wo ist sie geblieben? — Eine Anzahl hungriger Gesellen reiste einst friedlich und freundlich zusammen, bis sie ein Roastbeef entdeckten, sich darum zankten und einander beinahe erdrosselten. Es giebt ein Mittel, um den schlechten Ver hältnissen, welche den kontinentalen Papierfabri kanten scheinbar bevorstehen, entgegenzutreten. Dasselbe würde hier freudig begrüsst werden, da das Gedeihen der deutschen Papierfabrikanten eine Garantie für das der englischen bietet. Man müsste uns in Ruhe lassen! Wettbewerbung mit