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764 PAPIER-ZEITUNG. N* 21 Sonntagsarbeit. Vom Rhein, 7. Mai 1885. Der redaktionelle Nachsatz bei meinem Artikel in Nr. 14 der Papier-Zeitung vom 2. April, so wie die Aeusserung der Offenbacher Handels kammer in Nr. 19, veranlassen mich zu noch maliger Entgegnung. Zuerst auf die redaktionelle Nachschrift zurück kommend, dass es ein volkswirthschaftlicher Ver lust sei, wenn inan die Wasserkräfte Sonntags ganz unbenützt liesse, um damit den Fabriken zu helfen, die keine Wasserkraft hätten, — so er widere ich darauf, dass in Amerika, wo Herr Hofmann lange selbst Fabrikdirektor gewesen ist, viel bedeutendere Wasserkräfte für die Papier fabrikation in Benutzung sind, als in Deutschland, und doch des Sonntags volle 24 Stunden ruhen. Ebenso in ganz England, sowie in der Rhein provinz, wo es doch auch viele Wasserkräfte giebt. In England, wo Schreiber dieses sich längere Zeit aufgehalten hat, wird sogar Sonnabends nicht einmal voll gearbeitet, sondern in London und Umgegend (und auch wohl in vielen anderen Städten) wird schon Sonnabends um 3 Uhr Nach mittags geschlossen, weil es da heisst: »Saturday half holidayl« Es ist übrigens ebensogut auch ein Verlust für die Fabriken, die mit Dampfkraft arbeiten, wenn sie Sonntags feiern, weil die Dampfkessel und Maschinen abkühlen, und da durch mehr Kohlen gebraucht werden, auch die Zinsen der Fabrikanlagen an diesem Tage nicht verdient werden können. Wenn man auf diese Weise einen volkswirthschaftlichen Verlust her ausrechnen wollte, so könnte man Hunderte von Millionen erhalten, weil überhaupt gefeiert wird und nicht alle Fabriken und Handwerker an Sonntagen arbeiten. Die Papierfabriken mit Dampfkraft verlangen durchaus keine Hilfe von ihren Kollegen, die mit der billigeren Wasserkraft arbeiten, sondern nur, dass diesen kein Vorrecht eingeräumt werde, welches sic in den Stand setzt, neben dem Vor theil der nichts kostenden Wasserkraft und bil ligerer Arbeitslöhne auch noch mit demselben Anlagekapital ein Siebentel mehr zu produziren. Hierdurch wird eine Schleuderei hervorgerufen, welcher die Fabriken in der Rheinprovinz, in England und Amerika nicht folgen können, so dass sie schliesslich lahm gelegt und werthlos gemacht werden, was ebenfalls ein volkswirth schaftlicher Verlust ist. Ausserdem aber ruft dies Verhalten im Auslande eine Agitation für Ein führung von Schutzzöllen ins Leben, um die dortige Industrie gegen vollständigen Ruin zu schützen, denn zu solchen Schleuderpreisen, wie sie für Druckpapier, Packpapier und Holzpappen von Schlesien und Sachsen aus gestellt werden, können weder in der Rheinprovinz, noch in Eng land und Amerika, diese Fabrikate hergestellt werden. Die englische Regierung wird zuletzt durch die Verhältnisse gezwungen werden, einen Einfuhrzoll auf diese Fabrikate zu legen, um die inländischen Fabriken vor vollständigem Ruin zu schützen. In einem englischen Papierfach Blatt ist schon eine Agitation für Einführung von Schutzzoll im Gange, wobei mit vollem Rechte auf das schreiende Unrecht hingewiesen wurde, dass alle Welt Papier und Pappen zollfrei nach England werfen könne, die englischen Fabrikanten aber, wenn sic ihre Fabrikate diesen Ländern zuführen wollten, überall hohe Zölle entrichten müssten. Wer dem Rechte nicht absichtlich ent gegentreten will, der muss zugeben, dass diese Agitation vollkommen berechtigt ist und schliess lich durchdringen muss, wenn die jetzige Schleu derei in London fortdauert, wie sie die Welt wohl noch niemals erlebt hat. Der redaktionelle Nachsatz »an Einführung von Zöllen in England glauben wir nicht, weil sie nicht im Interesse Grossbritanniens liegen« ist mir von dieser Seite kommend ganz unbegreiflich, weil dann ja Alles, was der von dem Herrn Hofmann so hochverehrte Herr Reichskanzler und der Deutsche Bundesrath zur Begründung der Einführung von Schutzzöllen vorgebracht haben, nichts wie Humbug gewesen wäre. Dann würde es ebensogut im Interesse Deutsch lands gelegen haben, für seine Landwirthschaft und Industrie das billigere englische Elisen zollfrei zu behalten und für die Arbeiter und die arbeitende Klasse billiges Korn, wie es im Interesse Eng lands liegen soll, billiges Papier aus Deutschland zu behalten. Es kann nicht im Interesse Englands liegen, seine blühende Papierindustrie durch Schleuderpreise eines fremden Landes vernichten zu lassen, welches diese Preise (die heute kaum noch halb so hoch sind, wie vor 12 Jahren) nur dadurch halten kann, dass die fremden' Fabrikanten Sonntags wie Werktags arbeiten lassen, und Löhne bezah len, die kaum 1/3 des englischen Arbeitslohnes betragen, so dass also dieser Konkurrenz in England niemals in gleicher Weise begegnet werden kann. Ebenso unrichtig ist die Behauptung eines anderen E'achblattes, der volkswirthschaftliche Verlust durch Einstellung der Sonntagsarbeit betrage bei der Papier- und Pappen-Industrie allein 22 oder 28 Millionen per Jahr. Diese Behauptung beruht auf Hirngespinnsten, womit man wohl die Herren Ge- heimräthe und Minister am grünen Tische fangen kann, die von dem Papier- und Pappen Geschäfte nichts kennen, aber keine Fachmänner. Ange nommen, es würde durch Einstellung der Sonn tagsarbeit für 22 oder 28 Millionen weniger er zeugt, so ist der Ausfall doch kein Verlust, weil erstens der verarbeitete Rohstoff auch ohne die Sonntagsarbeit unverarbeitet seinen vollen Werth behält. Zweitens ist aber durch das Siebentel Mehrer zeugung, durch die Sonntagsarbeit, die Ueberpro- duktion so enorm gestiegen, und die Preise sind so fabelhaft geworfen, dass dies ganze Siebentel Mehrerzeugung nicht nur vollständig verschenkt ist, sondern noch mehr dazu. Wären nur 2/3 Pa pier und Pappen erzeugt worden, so hätte man für diese 2/3 denselben Geldbetrag erzielt, wie bei der wahnsinnigen Schleuderei für volle 3/2. Allein an Strohpappen, die durch Ueberproduktion in Holzpappen tief unter Selbstkosten herabgedrückt sind, wird jetzt mehr verloren, oder weniger vom Auslande dafür ins Land gezogen, als der an gebliche ganze volkswirthschaftliche Verlust bei der Einstellung der Sonntagsarbeit ausmachen würde. Wo bleibt da also der Vortheil der Sonntags arbeit im Interesse der Volkswirthschaft? Wie der Schnee vor der Sonne, schmelzen alle vorge brachten Scheingründe zugunsten der Sonn tagsarbeit, wenn man an eine ernste sachgemässe Prüfung geht. Nichts wie schnöde Gewinnsucht und Eigennutz ist es, was zur Sonntagsarbeit treibt. Wenn auch nicht zu rechtfertigen, so wäre die selbe doch noch in etwas zu entschuldigen, wenn wie 1871/72 Mangel an Papier und Pappen vorhan den wäre, und die Kundschaft nicht voll befrie digt werden könnte. Das gerade Gegentheil ist aber bekannt, denn es besteht schon jahrelang eine aller Welt be kannte Ueberproduktion, welche von Monat zu Monat die Preise immer mehr herabdrückte und schliesslich auf einen Punkt gebracht hat, dass ein englisches Fachblatt zu Anfang des Jahres spöttisch frug, wie lange es noch dauern werde, bis man Papier umsonst bekomme. Bei solchen trostlosen Verhältnissen, welche nur durch wahnsinnige, dem mög lichen Konsum keine Rechnung tragende Uebererzeugung aus Sachsen und Schlesien hervorgerufen ist, wollen die Herren noch 362 Tage im Jahre arbeiten, um durch die nichts kostende Wasserkraft und Spott löhne alle Kollegen zu ruiniren, welche eine so günstige Lage nicht haben, oder diese verkappte Sklavenhalterei nichtmit- machen wollen. Nichts Anderes ist es, wenn man dem Arbeiter zumuthet, Sonntags wie Werktags bei kärglichem Lohn und schlechter Kost durchzuarbeiten. Kann der Arbeiter nach früherer Ausführung der Her ren Vertheidiger der Sonntagsarbeit alle 14 Tage einen Sonntag zur Kirche gehen, so kann er es doch nur, wenn er vorher oder nachher die Nacht dafür durcharbeitet, oder dann 24 Stunden nacheinander arbeitet. Da eine dritte Aushilfeschicht nicht besteht, die Maschinen und Holländer aber ununterbrochen durcharbeiten sollen, ist eine andere Sonntagsruhe nicht zu ermöglichen. Bei Gelegenheit der Nürnberger Ausstellung 1882 wurden mir von einem Kollegen aus Sach sen Löhne genannt, die gerade halb so hoch sind, wie die in der Rheinprovinz, und 1/3 so hoch, wie in England; da ist cs erklärlich, dass Arbei ter volle Schichten arbeiten wollen, weil sic sonst nicht leben können. Im Herbste 1885, als die Löhne hier auch noch bei weitem nicht so hoch standen wie heute, aber doch doppelt so hoch als in Schlesien zur Zeit, hatte ich in der Nähe von Breslau Etwa' abzunehmen, und mich da, wegen der in Breslau herrschenden Cholera, mit dem Ingenieur Jakob Maag vom Hause Escher, Wyss & Co. in Zürich beim Direktor einer Papierfabrik in der Nähe Bres laus einquartiert. Derselbe überliess mir einige Leute zur Hülfeleistung, und als ich diese dringend bat, sich doch zu beeilen, damit ich wegen der Cholera weg komme, wurde mir geantwortet »Lieber Herr, für 6 Böhm (6 Sgr.) kann man nicht viel schaffen«; und als ich den Leuten später je 2 Thlr. Trinkgeld extra gab, geberdeten sie sich vor Freude wie Narren. In einer einzigen Nacht wurde aber dem Herrn Direktor von den eigenen Leuten sein ganzes Kartoffelfeld aufgezogen, und die Kartoffeln gestohlen. Als die Thäter ermittelt waren, wurden sie jedoch nicht vor Gericht gezo gen, sondern nur mit je 15 Sgr. bestraft (wofür der Herr Direktor neue Kartoffeln kaufte), aus Rück sicht auf die niedrigen Löhne, von denen die Leute nicht leben konnten. Solche Demoralisation entsteht durch zu niedrige Löhne und Sonntagsarbeit, womit man die Kon- kurenz lahm legen zu können glaubt. Ein Fabrikant, bei dem die Humanität nicht blos in leeren Worten besteht, kann dies aber unmöglich durchführen wollen. Ein armer mittelloser Arbeiter ist eben so gut ein Mensch, wie ein vermögender Fabrikant, und hat denselben Anspruch, auch als Mensch behan delt zu werden. Ich habe einen Arbeiter nie mals seine untergeordnete, abhängige Stellung fühlen lassen, sondern ihn stets als meinen Mit menschen behandelt, und bin gerade nicht schlecht dabei gefahren. Ein Fabrikant aber, der noch ein Herz für seine Arbeiter hat, und dem an der Gesundheit derselben etwas liegt, kann von ihnen nicht ver langen, dass sic ihre dringend nöthige Sonntags ruhe opfern sollen, damit ihr Herr billiger fabri- ziren kann, als seine Kollegen in anderen Pro vinzen des Reiches und des Auslandes. Wenn er diese dadurch ruinirt und ihre Arbeiter brodlos macht, so ist dies doch ebenfalls ein volkswirth schaftlicher grosser Nachtheil, ganz abgesehen von der Unmoralität einer solchen Handlungs weise ! Er giebt den Herren Sozialdemokraten dadurch auch einen Rechtstitel , um auf ihn hin weisen und sagen zu können: »Seht da, Hunderte von Arbeitern sollen einem Lastthier gleich auf jede Sonntagsruhe verzichten, für kärglichen Lohn arbeiten und darben, damit nur ein einzelner Mann mit seiner Familie ein Wohlleben führen kann.« Ein Fabrikant, der sich nicht scheut, allen Forderungen der Humanität und der Religion so offen Hohn zu sprechen, darf sich nicht wundern, wenn die Sozialdemokraten und Anar chisten ebenfalls die Religion verspotten, und auf einen gewaltsamen Umsturz hinwirken, um da durch ihr Loos zu verbessern. Da die Existenz eines mittellosen Arbeiters mit Familie ohnedies hart genug ist, darf man dieselbe durch Beraubung der nöthigen Sonntagsruhe nicht noch unnöthig erschweren. Wenn die Herren, welche die Fest- haltung des bestehenden Rechtes der Sonntags arbeit verfechten, 1 oder 2 Jahre bei der Kost und dem Lohne ihrer Arbeiter 7 volle Schichten in der Woche in den Fabrikräumen arbeiten müssten, würden sie die Sonntagsarbeit wohl nicht