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72S PAPIER-ZEITUNG. Nr20 Allein man sieht, wie wenig der Verstand oft einen Sinn ersetzt; Denn fehlt, es dir am letztem nicht, So fiel es dir ja in’s Gesicht.« Die meisten der vorhandenen Papierräthsel deuten, wie das eben angeführte, einerseits auf die Entstehung des Papiers aus Lumpen und andererseits auf den hohen Werth der aus einem so geringen werthlosen Stoff hervorgehen den Erzeugnisse — betrachten also das Papier als Schriftträger im günstigen, Sinn. Dagegen hat der Räthselschriftsteller Mises (Pseudonym für Prof. Fechner in Leipzig) auf den gleichen Grundgedanken einen anderen, und zwar spitzigeren Gegensatz aufgesteckt: »Wer sollte meinen, dass ich sei entstanden Aus Etwas, was so ganz und gar zu Schanden, Wenn man mich sieht so rein, so licht, so klar; Wer meinen, dass ich, ganz befreit von Makel, Alsbald zum Tummelplätze für den Krakel Zu dienen wieder laufe die Gefahr:« Die Skribler sind hier als Verderber und Vernichter des edlen und schönen Papiers ge- geisselt. Einen ähnlichen Hieb theilt derselbe Autor am Schlüsse eines andern Räthsels aus, worin er die Wandlungs ■ Stufenreihe: Flachs — Gani — Leinwand — Lumpen — Papier, schildert. »Wie war mir einst so wohl zu Muth Im grünen Kleid mit blauer Bluth; Doch als verschossen war mein Kleid, Erfuhr ich nichts als Herzeleid. Und wieder ward mir wohl zu Muth In schöner Frauen guter Hut; Doch als ich ward ein altes Wrack, Gerieth ich unters Lumpenpack. Und wieder ward mir wohl zu Muth, Als neugeboren mich die Flutb; Dass mir’s nicht wieder geht so krumm, So schreibt nicht Zeug, was gar so dumm.« Ein niederländisches Räthsel dreht derselben Verwandlungsgeschichte nach anderer Richtung eine ironische Spitze: »Gruen was ik in mijn joenge dagen, toen wert ik van keuningen en prinsen gedragen, maer toen ik niet meer en docht, toen wert ik ter hooger schole gebracht« — d. h. etwa: »Grün war ich in meinen jungen Tagen; Dann würd’ ich von Königen und Prinzen getragen. Doch als ich gar nichts mehr taugte, da Kam ich zur hohen Schule — hurrah!« In nüchtern • ernster Auffassung braucht man dem Schlussvers natürlich nichts weiter zu ent nehmen, als eine Anerkennung dos kulturtra genden Berufs des Papiers. Wohl ein noch älteres Räthsel ist es, dass im Volksmund so lautete; »Ein weiss Feld, darin ist schwarz Saat, Manch’ Mann fürvber gaht, Der nicht weiss, was da staht.« Häufiger als das einfache Wort „Papier“ finden sich Zusammensetzungen desselben als Räthseluntcrlagen. Der Räthseldichter JJr. M. Paul (Pseudonym für Oberschulrath Dr. Paul Möbius in Gotha) behandelt in folgendem Sonett das Wort „Bo gen“ in seinen verschiedenen Bedeutungen: als Triumph-, Regen-, Schiess- und Papierbogen. »Werd' ich auch oft ein Thor geheissen, So fiel mir doch das schöne Loos, Als dauernd Denkmal ihn, der gross Durch kühne Dinge ward, zu preisen. Doch ob ich Schrift und Zahl mag weisen, Ob leere, öde Flächen bloss, Genügt doch schon ein Fingerstoss, Um auseinander mich zu reissen. Dabei kann deinen Blick ich laben Durch meiner Farben Zauberspiel, Wie schöner nie es ward gefunden. Doch, die mich nicht als Spielzeug haben, Sie senden durch mich ihrem Ziel Der Schmerzen Qual und Todeswunden.« „Zu ergänzen möchte ich mir nur erlauben, mit Bezug auf die erste Strophe“, — bemerkt hierzu unser Gewährsmann, Dr. Schranka, — „dass ein Papierbogen oft ein dauernderes Denk mal als ein Triumphbogen sein dürfte; dies hatte wohl auch der alte Dichter im Sinn,“ der das im öffentlichen Leben Deutschlands neuer dings so oft angeführte Wort schuf: »Exegi monumentum aere perennius.« So wenig es Papiercharaden im engern Sinne geben kann, — da das Wort in Silben zerlegt keinen Siim mehr giebt, —- um so näher liegt die charadische Behaudlung der unzähligen Zusammensetzungen mit „Papier“. Hier ein Beispiel: „Goldpapier", von Tb. Hell: »Nimm mich, so ruft die erste Silbe zu, Ich bin der Hebel aller Dinge, Nichts ist, was nicht durch mich gewiss gelinge, Ich mache dich mit Fürsten Du und Du; Und alles, was die Erdengötter haben, Soll dich, du Glücklicher, durch mich auch laben. Nimm mich, verlangt das zweite Silben paar, Ich trug den Himm el oft auf meinem Rücken, Auf mir erscheint, was edel ist und wahr, WasMenschen kann erheben und entzücken. Und weisst du mich gehörig zu behandeln, Kannst du mich selbst in Nummer Eins verwandeln. Der neue Herkules am Scheidewege, Stand ich. Doch als ich mir cs überlege, Da fällt mir ein, die Silben zu vereinen, Das ganze Wort gilt Alles, sollt’ ich meinen. Weg war der Zauber, nichts blieb Beiden nun zusammen, Als nur ein Flitterstaat an Pappen und Programmen.« Der schriftstellerischen, und ganz insbeson dere journalistischen. Verwendung des Papiers kann kaum gedacht werden, ohne dass am Ho rizont des Anfängers auf diesem Gebiet ein Schreckbild auftaucht: der Papierkorb. Ihn feiert eine Charade von Neuffer wie folgt: »Die ersten: tragen schwarz auf weiss Durch alle Lande Müh' und Fleiss, Was man erforscht, was man erdacht, Was man im Geist zur Welt gebracht. Die dritte: Man ärgert sich im Ueberfluss Und kommt darüber zu dem Schluss: Dass man sich doch gedulden muss. Das Ganze: hat einen grossen Magen, Kann das unverdaulichste Zeug vertragen, Nährt sich besonders von Gedichten, Romanen, Spuck- und Mordgeschichten. Wird vollgestopft viel tausendmal In jedem Redaktionslokal.« Der Lehrbraten. In den alten Bütten-Papiermühlen haben sich bekanntlich die interessanten Zunft- oder, wie die Arbeiter selbst sagen, „Kunst“-Gebräuche der Papiermacher forterhalten, wie sie von Jahrhunderten her in Uebung sind. Da die tyrannischen und ungerechten Auswüchse, gegen welche früher oft genug Behörden und Gesetz gebung einschreiten mussten, heute unmöglich geworden sind, so können wir uns an der hübschen Symbolik dieser Sitten rückhaltlos erfreuen. Ein Korrespondent der D. V.-Z. hatte vor kurzem Gelegenheit, in einer Papiermühle der Altmark (Bergmann in Neumühle bei Rohrberg) ein Stück alter Zunftpoesie mit zu erleben, welches wohl geeignet erscheint, die Zusammen gehörigkeit und Freude am Beruf zu befestigen: Jeder Lehrling der in Rede stehenden Papier- Fabrik muss eine 4jährige Lehrzeit hinter sich haben, ehe er zum Gesellen freigesprochen wird. Diese Freisprechung gipfelt nun in dem erwähnten Lehrbraten. Am Vormittage versammeln sich sämmtliche Gesellen und halten unter dem Vor sitze des Prinzipals eine Art Sittengericht über den Freizusprechenden ab. Dieser erscheint im Arbeitsanzuge mit der weissen leinenen Lehrlings schürze angethan (die Gesellen tragen solche von grüner Wolle), hereingeführt von dem jüngsten Gesellen. Nachdem der Lehrherr ihn auf die Bedeutung des Tages hingewiesen, hält er ihm das ganze Sündenregister der verflossenen vier Lehrjahre, daran väterliche Ermahnungen knüpfend, vor. Hat der Lehrling sich tadellos geführt, wird natürlich auch dieses Umstandes in lobender Weise erwähnt. Dem Beispiele des Chefs folgen dann die Gesellen, dem Dienstalter entsprechend. Jeder richtet einige ermahnende oder anerkennende Worte an den neuen Kollegen. Namentlich wurde, wie wir hörten, neben der Tugend der Arbeitsamkeit ihm ganz besonders die der Wohlanständigkeit von seinen Kollegen warm ans Herz gelegt. Es wurde ihm in schlichten ernsten Worten bedeutet, dass Letztere sich von ihm zurückziehen würden, sobald er ihnen Schande mache. Dass dies nicht eine leere Drohung sei, hörten wir; denn in Fällen, wo ein Mitglied der Gesellenschaft vom Wege des Rechtes abweicht und Ermahnungen nicht mehr helfen' wollen, halten seine Kollegen ein förmliches Ehrengericht über ihn ab, stossen ihn aus ihrer Gemeinschaft aus, und seines Bleibens ist in der bisherigen Fabrik nicht mehr! Nach Beendigung der vorerwähnten Ceremonic gelobt der Lehrling dem Prinzipal und den Ge sellen mit Handschlag, ihren Ermahnungen zu folgen, und ein tüchtiges Mitglied ihrer Genossen schaft zu werden. Hierauf erfolgt die Frei sprechung. Unmittelbar darauf macht der Jung geselle mit allen seinen Kollegen Brüderschaft, und nun begeben sich Alle zum gemeinsamen Schmause, den der Lehrherr ausrichtet. Der Freigesprochene legt inzwischen seinen, ihm gleichfalls vom Prinzipal geschenkten, Fest anzug an, lässt sich von der jüngsten Tochter des Hauses ein Blumensträusschen mit Schleife an die Brust heften, und empfängt aus ihren Händen den mit Grün und Blumen geschmückten Lehrbraten, Mit diesem tritt er in die Tafelrunde der Ge sellen, welche mit der Familie des Chefs gemein sam bereits beim festlichen Mahle sitzen. Dem Lehrherrn gegenüber macht er Halt und sagt folgendes Sprüchlein her: Euch Allen, die Ihr hier zu Hauf, Euch trag ich meinen Braten auf Nach guter alter Sitte. Nachdem ich ausgelernt wie Brauch Vier Jahr’ und vierzehn Tage auch, Tret’ ich in Eure Mitte. Vor allen Dingen danke ich Herr N. N. Ihnen, dass Sic mich Stets freundlich unterwiesen, Euch Allen danke ich aufs Best', Dass Ihr bis zu dem heut’gen Fest Nur Freundschaft mir bewiesen. So lasst sie denn auch fortbesteh’n. Von mir soll sicher nichts gescheh’n. Sic jemals aufzuheben. So lasst es Euch nun schmecken auch Und stimmet ein nach altem Brauch Herr N. N., der soll leben! Nachdem ihm sein Lehrbraten nun abgenommen, nimmt auch der Junggeselle Platz und zwar neben seinem gleichfalls eingeladenen Vater. Ein Trink spruch auf den »Freigesprochenen« vom Chef, ein Hoch auf diesen und dessen Gemahlin vom ältesten Gesellen ausgebracht, endet dann die Festlichkeit. Abends schliesst sich ein Tanzver gnügen an, und bis zum frühen Morgen herrscht allgemeiner Frohsinn. — Dann aber geht die ernste Arbeit wieder ihren gewohnten Gang. Der junge Geselle steht an seiner Bütte, jetzt aber in nagelneuer, grüner Schürze, und sucht durch emsigen Fleiss sich das Wohlwollen seines Prin zipals und seiner Kollegen auch in seiner neuen Stellung zu gewinnen. Kein missmuthiges Ge sicht sehen wir hier und in den Werkstätten, zu friedene, lebensfrische Gesichter blicken uns ent gegen.