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Vtll I« VI1S. v^^>vv<v0'vr>^v^v^2^»»2^2^L^.V^22^2^2^2^ Rentier Bauchkloß, ein Mitglied des Auf sichtsrates am Hüttenwerk, dem Marschner Vorstand, und klopfte ihm jovial auf die Schulter, „wie sind die Aussichten? Wird's wieder 10 Prozent abwerfen?" Marschner wurde durch diese Frage un angenehm berührt. Sie traf einen Wun den Fleck in seinem Gewissen. Sehr gern hätte er schlankweg erwidert: „Was geht's dich an?" aber er mußte gute Miene zum bösen Spiel machen, denn die Stimme von Bauchkloß zählte bei der Generalvcrsamm- lung auch mit. Da mußte man Och ihn wohl oder übel warm halten. So entgeg nete er denn höflich: „Vielleicht 10t." „Direktorchen, Direktorchen!" juchzte der Dicke und schnappte nach jedem Wort Luft, „ich hab's immer gesagt: Sie sind ein Prachtmensch. Einen besseren konnten wir wirklich für unser Werk nicht kriegen." Zum Zeichen, daß dieses Lob ernst ge- meint war, klatschte er sich mit seiner schwammigen Rechten aufs Knie, dabei meckernd wie ein Ziegenbock. „Wenn die Aktien so großartig stehen, Marschner, können wir ja ein bißchen po kern," schlug ein Zahnarzt vor, der als passionierter Spieler bekannt war. „Um Himmelswillen, lassen Sie das nicht unsern Oberstaatsanwalt hören. Er wäre fähig, uns in kurzem auf die An klagebank zu bringen," bemerkte ein Che miker. „Staatsanwältchen," schlug der Herr Rentier Bauchkloß vor, „die Geschichte ist höchst einfach. Sie spielen mit. Dann ist Pokern als Glücksspiel nicht mehr anzu sehen." Die Korona brach in tosendes Gelächter aus, so daß auch die Herren an den Nach- bartischcn unwillkürlich aufmerkten. „Bauchkloß, das war famos. Sie sind ein Genie!" Dergleichen Beifall erntete der Dicke noch mehr. Der Herr Staatsanwalt hatte in das Gelächter mit eingestimmt. Nachdem es sich gemildert hatte, erklärte er: „Werter Herr Bauchkloß, ich werde mich hüten zu pokern, denn dann sitze ich zuerst im Salat." „Sie werden sich doch nicht selbst an- zeigcn?!" „Nein, das nicht, aber ich zöge aus meinem Spiel die einzig richtige Folge und legte mein Amt nieder." „Hut ab! Wenn doch jeder so denken wollte! Wir trinken auf das Wohl un seres lieben Staatsanwältchens," trompe tete der Dicke und hob sein Glas hoch. Sämtliche Herren folgten aus innerstem Drang seinem Beispiel, worauf sich der also Geehrte tausendmal bedankte. „Aber ein Skätchen könnten wir ma chen," meinte der Zahnarzt. „Herr Zahnarzt, ich bin dabei." „So ist es recht, Herr Staatsanwalt. Na und der dritte Mann?" „Hierl" meldete sich ein Hauptmann a. D. und tippte sich auf seine besternte Brust. „Und der vierte?" Auf diese Frage des Zahnarztes meldete sich niemand. Die meisten Herren entschul digten sich damit, daß sie nach ihren Damen im Saal sehen müßten. Auch der Hütten direktor schützte das vor, aber das Aufsichts ratsmitglied sagte schmunzelnd: „Direk torchen, die hohen Tantiemen müssen doch in Umlauf gesetzt werden. Bleiben Sie nur getrost hier. Ich werde mit Ihrer gütigen Erlaubnis Ihrer verehrten Frau Gemahlin und Ihrem werten Töchterchen Ritterdienste leisten." „Gönnen Sie ihm das harmlose Ver gnügen und spielen Sie als vierter Mann," bat der Zahnarzt. „Gut, ich öleibe," entgegnete der Direk tor, wenn auch widerwillig. Den „Fett molch" durfte er ja aus gewissen Gründen nicht vor den Kopf stoßen. Leider, leider! Er hatte seit mehr als einem Jahre keine Karte angerührt, war auch nie ein leiden schaftlicher Spieler gewesen, aber als das Glück ihm jetzt Gewinn auf Gewinn zu- wandte, noch dazu verhältnismäßig hohe Gewinne, kam er in Geschmack. Nicht we nig trug dazu ein Bild bei, das sich ihm hartnäckig in die Seele drängte. Er sah Fortuna vor sich, wie sie ihm winkte und ihm lächelnd ein Bankbillet nach dem an deren zuwarf. „Soll ich etwa auf dem Wege des Spiels die Tausende zurück . . ." Ein heftiges: „Sie geben, Herr Direk tor," ließ ihn den Gedanken nicht völlig ausdenken. Die Herren hörten bald mit deni Skat spiel auf, denn draußen wurde als Kehraus Galopp getanzt. Marschner glühten die sechzig Mark in der Hand, die ihm als Gewinn zugefallen waren. Doch er verstand es, seine Freude völlig zu verbergen. Nachlässig steckte er die drei Goldfüchse in seine Westentasche. Man verabschiedete sich voneinander. „Hören Sie, Herr Direktor," flüsterte der Zahnarzt Marschner beim Abgehen ins Ohr. „Müßten öfters mal in der Woche .hier erscheinen. So nach zehn findet sich hier immer eine gediegene Tafelrunde zu sammen. Zu einem Spielchen ist da her vorragende Gelegenheit. Sind selbstver ständlich ganz unter uns." Marschner hatte schon ein: „Ich komme morgen!" aus den Lippen, doch er unter drückte es noch zur rechten Zeit und sagte achselzuckend: „Ich kann nichts versprechen." Hätte der Versucher seinen wirklichen Entschluß gehört, er hätte keinesfalls mit leidig die Aeußcrung hingeworfcn: „Jeder nach seinem Geschmack." Als der Direktor den Saal betrat, spielte die Musik gerade den letzten Takt. So wurde er Zeuge, wie sein Töchterchen leicht beschwingt durch den Saal zu Herrn Enders junior eilte und her vorsprudelte: „Wie du mir, so ich dir." „Gnädiges Fräulein, ich gratuliere. Sie haben mich vollständig überrumpelt. „Jawohl, mit meinem Anning ist schlecht Kirschen essen," wurde hinter ihnen der volle Baß des Vaters laut. „Schlecht, Herr Direktor? Ich möchte das gerade Gegenteil behaupten." „Wer weiß?" fragte schelmisch Annaliese Marschner und dieselben Grübchen gruben sich ihr in die Wangen, die der Mutter Ant litz so verschönten. „Auf Ehrenwort." „Dann muß es ja wahr sein." Frau Marschner trat in diesem Moment zu ihnen. „Nun, ist das entscheidende Wort schon gefallen?" fragte sie mit gut geheuchelter, erwartungsvoller Miene, obschon sie kurz zuvor selbst die Tochter an das Vielliebchen erinnert hatte. „Gnädige Frau, habe nur den zweiten Sieg landen können," erwiderte sich verbeu gend Enders. „Mein aufrichtiges Bedauern, Sie Aermster!" Sie reichte ihm lachend die Hand, die er sogleich an den Mund führte. Die Damen rüsteten zum Aufbruch. En ders hielt es daher für angebracht, sich zu empfehlen. „Ich bitte gütigst zu entschul digen, daß ich die Herrschaften nicht zum Wagen begleiten kann. Mein Vater. . ." „Bedarf Ihrer Hilfe," unterbrach ihn freundlich Marschner, „Ihr Bleiben hat keine Entschuldigung nötig." „Aber ich werde selbstverständlich nicht versäumen, mich morgen nach dem Befinden der Damen zu erkundigen, vorausgesetzt, daß mein Besuch nicht ungelegen kommt." „Das bedarf keiner langen Versicherung, Herr Enders, daß Sie uns zu jeder Zeit willkommen sind." „Zu jeder!" bestätigte Frau Liane. Dann schritt sie auf den Kommerzienrat zu, der trotz der langen Dauer des Vergnü gens noch ganz munter aussah und etwas abseits stand, und sagte ihm herzlichst: „Gute Nacht." Nachdem dies auch Ler Direktor und seine Tochter besorgt hatten, geleitete sie der junge Enders bis zum Vorsaal. Nach dem Austausch der üblichen Abschiedsredens arten zog er sich ein paar Schritt zurück und musterte hierauf raschen Blickes noch einmal die nach dem Ausgang sich Drän genden. Als er das Gesuchte nicht fand, drehte er sich geschwind um und forschte mit dem Auge im Saal weiter. „Infam," murmelte er zwischen den Zähnen, „sie ist weg und vermutlich mit dem Mediziner, der ihr in der Nase zu stecken scheint. Nur gut, daß sie beide Habenichtse sind. Da kann er mir wenigstens nicht ins Gehege kommen. Fünf Minuten später rollte das Gefährt des Großkaufmanns und Kommerzienrats Enders als letztes nach Hause. In so rosiger Laune war Frau Liane lange nicht erwacht. Sie reckte wohlig auf den Weichen Kissen ihre Glieder, als der Gongschlag der Stunduhr auf dem Kamin die neunte Stunde am andern Morgen an kündigte. „Erst neun," hauchte sie und hef tete ihren Blick auf eine Marmorfigur, die sie, einer ihrer zahlreichen Einfälle nach gebend, vor etlichen Tagen aus dem Salon in ihr Schlafzimmer hatte bringen lassen. Diese stellte Amor mit gespanntem Bogen dar. „Ja, ja, du kleiner Liebesgott," sprach die selbstsüchtige Frau, den einen Arm zur Stütze unter den Nacken schiebend und die Finger der freien Hand in die schwarze Lockenfülle vergrabend, „bis jetzt hast du deine Sache gut gemacht. Schmiede Oskar und Annaliese fest aneinander, ganz un zertrennlich, damit der Ehegott bald dein Werk krönen kann. Dir allein sei das Ge heimnis anvertraut, das ich Ivie ein Klei nod in der Brust getragen und keinem Men schen bisher entschleiert habe: ich fange mich an vor meiner Tochter zu fürchten. Was sie an Reiz besitzt, muß ich mir künstlich erst verschaffen. Die scharfen Linien, die das Alter gräbt, lassen sich nicht mehr lange vcr- tuschen. Noch stehe ich auf der Höhe. Ich ertrüge es nicht, wenn ich durch die, die ich geboren, gestürzt würde. Mein Stern muß leuchten oder verlöschen. Halbdunkel ist meiner Natur zuwider. Deshalb muß Annaliese unschädlich gemacht werden, ehe sie, wenn auch unbewußt, meinem Glanz den Sarg zimmert. Eine Heirat mit En ders ist das beste Mittel, das zum Ziele führt. Drum sei's gewählt, koste es, was es wolle! Der Zweck heiligt die Mittel!" lForlpvung folgt.)