Volltext Seite (XML)
612 Fabrik-Schornsteine. Ein sehr wichtiger Theil der Bauten bei einer Fabrikanlage ist der Schornstein für die Dampfkessel. Obwohl es nicht an umfangreichen theore tischen Berechnungen mangelt und der Technik viele auf praktischer Erfahrung beruhende Resultate zu Gebote stehen, findet man vor kommenden Falls doch, dass unter den Tech nikern sehr grosse Meinungsverschiedenheit über die zweckmässige Höhe und besonders über die innere Form der Schornsteine herrscht. Der Eine will ihn mit nach oben hin abneh mender Weite, ein Anderer von oben bis unten gleich weit, während der Dritte Schornsteine mit nach oben weiter werdendem Querschnitt für vortheilhafter hält. Diese drei Formen der Schornsteine hatten sich nacheinander im Laufe der Zeit entwickelt, ohne dass die Rechnung den Weg zeigte; in diesem wie in vielen anderen Fällen hat das praktische Gefühl geleitet und, trotz vieler gegentheiligen Behauptungen, auch den rich tigen Weg gefunden. Freistehende Schornsteine wurden zuerst in einer Form, die der Fig. 1 entspricht, erbaut. Fig. 2. Man machte den unteren Theil weit und den oberen enger, einzig um dem Schornstein eine grössere Sicherheit gegen Umwerfen durch Sturm u. s. w. zu verleihen, und auch vielleicht um das Auge des Baumeisters, das in dem Schornstein die Aussenlinien eines ähnlichen bekannteren Bauwerkes, des Obelisken oder einer Säule suchte, zu befriedigen. Die tech nischen Lehrer (z. B. Redtenbacher in seinen Resultaten des Maschinenbaues) begründeten diese kegelförmige Gestalt damit, dass die im Schornstein aufsteigende Luft sich fortwährend abkühle, also immer geringeren Raum einnehme, und dass folglich auch der Schornstein-Quer schnitt immer kleiner weiden muss. Diese Theorie wurde in ein sogen, wissenschaftliches System mit dem üblichen Zubehör von Formeln gebracht und galt dann als Glaubensartikel für die aufwachsenden Techniker. Diese Theorie ist jedoch nur richtig, wenn man annimmt, dass die Feuergase mit unver änderter Geschwindigkeit durch den Schorn stein gehen, also unten mit derselben Ge schwindigkeit ein- wie oben austreten sollen. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie man durch eine einfache Betrachtung leicht findet. Wenn wir, um das Verständniss zu erleichtern, die äussere Luft unberücksichtigt lassen und einen trichterförmigen Schornstein nach Fig. 3 in eine obere und untere Hälfte getheilt denken, so ist der Rauminhalt des oberen Theils erheblich grösser als der des unteren, und dasich das Volu men der Gase beim Aufsteigen durch Abkühlung verringert, so sind sie nicht im Stande, den in der oberen Hälfte verfügbaren Raum sofort auszu- füllen. Man kann sich daher vorstellen, dass in der oberen weiteren Hälfte ein luftverdünnter Raum, ein theilweises Vacuum entsteht, welches die von unten kommenden Gase mit grosser Ge walt auszufüllen suchen, welches also Vergrösse rung der Geschwindigkeit beim Eintritt der Gase veranlasst, d. h. den gewünschten Zug. No 27 PAPIER-ZEITUNG. Je mehr man hiernach den inneren Raum des Schornsteins nach oben hin weiter werden lässt, desto rascher nimmt die Geschwindigkeit der eintretenden Gase zu und, je mehr er nach oben hin verengt wird, desto mehr wird der Zug gehemmt. Wenn diese Ausführung auf wissenschaftliche Gründlichkeit keinen Anspruch hat, so ist sie doch einleuchtend und stimmt mit der Er fahrung überein. Wir geben sie hier wieder, weil wir keine bessere Erklärung kennen und anerkannte technische Autoritäten uns nichts darüber zu sagen wussten. Viele Praktiker erkannten bald, dass die nach oben enger werdenden kegelförmigen Schornsteine, trotz der Vorschriften der Lehr bücher und Autoritäten keine befriedigenden Leistungen aufweisen und gingen daher zu der in Fig. 2 dargestellten Form über, bei welcher der innere Querschnitt von unten bis oben unverändert bleibt. Bei dieser Form entstehen, um im Sinne unserer obigen Erklärung zu sprechen, in den oberen Theilen luftleere Räume dadurch, dass die mehr und mehr abgekühlten Gase weniger Raum einnehmen. Schornsteine dieser Art wurden auch dadurch beliebt, dass man sie mit sehr wenig Material herstellen konnte. Man baute nämlich einen cyindrischen Schorn stein mit kegelförmigem Mantel, Fig. 4, beide von unten bis oben nur in 1/2 Stein Stärke, und erhielt damit nicht nur einen Schornstein, der allen Anforderungen entsprach, sondern der auch durch die Luft schicht zwischen Kegel und Cy- linder die Gase in dem letzteren möglichst vor Abkühlung schützte und bei sonst gleichen Verhält nissen dadurch eine Zugverbesse rung bewirkte. Der Erfolg dieser Konstruktion, Fig. 2, führte nothwendig zu der trichterförmigen, welche in Fig. 3 angedeutet ist. In England findet man viele Fig. 4. Schornsteine mit nach oben grösser werdendem Durchmesser, in Ame rika sind sie fast ausschliesslich so gebaut, bei uns in Deutschland hat aber diese Form noch wenig Eingang gefunden Die Autorität der Professoren und Lehrbücher hat jedenfalls gegen die in den genannten Ländern schon längst heimische Konstruktion gewirkt, denn Lehrsätze, wenn auch unbewiesene, waren bei uns stets mächtiger, als die zuverlässigsten Erfahrungen anderer Völker. Wie gewöhnlich, hat sich die Theorie auch in diesem Falle bereits der Er fahrung angepasst, die früheren Lehrsätze sind beseitigt, und wer sich an die theoretische Be rechnung allein halten will, wird auch hierin kein Hinderniss mehr finden. Die bisher aufgestellten Berechnungsweisen sind ohne Ausnahme complicirt, oder gewähren doch keinen guten Ueberblick und haben in der Praxis nur wenig Freunde gefunden. Eine einfachere Methode zur Berechnung der Schornsteinhöhe unter gleichzeitigem Vergleich der drei unter Fig. 1—3 angegebenen Schorn steinformen gab Prof. L. Pinzger im Oktober heft 1876 der Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. Obwohl diese, von Prof. Pinzger aufgestellten Formeln, einfacher sind als z. B. die von Gras hof in seiner mech. Wärmetheorie entwickelten, so sind sie doch immer noch von ziemlicher Ausdehnung und bedürfen zu ihrer Erklärung einer Reihe von anderen Formeln. Wir müssen es uns daher versagen, diese Formeln hier wiederzugeben und wollen uns darauf beschrän ken, das Ergebniss eines daselbst ausgeführten Zahlenbeispiels vorzulegen, welches zeigt, in welchem Verhältniss die drei Schornsteinsysteme nach diesen Formeln zu einander stehen. Es sind hier Zahlen gewählt, wie sie in der Praxis öfters vorkommen. Es handelt sich nämlich um einen gemauer ten Schornstein, der zu drei Dampfkesseln ge hören soll. Jeder Kessel ist zu GO •m Heiz fläche, angenommen mit einem stündlichen Kohlenaufwand von je 100 k. Die Länge der Züge sei 30 m, ihr Querschnitt 0,2 •m. Die Ausflussgeschwindigkeit der Gase betrage G m, und auch daun noch ungefähr 2 m, wenn nur ein Kessel gefeuert wird. Die betreffende For- mel ergiebt einen Schornsteinquerschnitt von 0,405 •]m für je einen Kessel und später eine Schornsteinhöhe von 48 m. für einen Schornstein nach Fig. 1. Ist das Verhältniss der Geschwindigkeiten im oberen und unteren Schornsteinquerschnitt = 0,54, so ist die Ge- schwindigkeitder Gase unten = 0,54 x 6 = 3,24m und sie vergrössert sich bis auf 6 m beim Austritt. Wollte man den Schornstein oben und uuten gleich weit machen, wobei die Ausströmungs- geschwindigkeit = 0.94 X 3,24 = 3,046 m ist, so könnte man die Schornsteinhöhe auf 42 m reduciren. Endlich bei dem nach oben hin er weiterten Schornstein, Fig. 3, wo sich die Aus flussgeschwindigkeit zu 0,63 X 3,24 = 2,04 in ergiebt, wird die Höhe etwa 40,5 m. Die Höhe des Schornsteins, Fig. 2, ist be deutend geringer, als die nach Fig l, der nach oben erweiterte Schornstein ist jedoch nur wenig niedriger, als der zweite. Die Höhenreduktion bei Schornsteinen nach Fig. 2 und 3 beläuft sich also in diesem Bei spiel auf 6 bezw. 71/2 m, die Geschwindigkeit der ausströmenden Gase wird aber von 6 m auf 3 m, bezw. 2 m gebracht. Ist nur ein einziger Kessel im Betriebe, so wird die Geschwindigkeit entsprechend noch geringer, also nur 2/3 m, und es kann der Fall eintreten, dass bei schräg abwärts wehenden Winden eine Störung des Zugs eintritt, wenn gegen solche nicht besondere Vorkehrung ge troffen wird. Das einfachste und beste Mittel besteht darin, die Mündung des Schornsteins mit einem Aufsatze zu versehen, der die Wind- ströme ableitet. Dies Mittel, wenn passend ausgeführt, genügt in der Regel, nur unter be sonders ungünstigen Verhältnissen, d. h. also wenn der Schornstein für eine grosse Anzahl von Kesseln angelegt war und zeitweise nur für einen einzigen benutzt wird, kann der Fall eintreten, dass auch dies nicht ganz ausreicht. Dann leistet ein kleines Dampfstrahlgebläse, welches Luft unter den Rost treibt für die bald vorübergehende aussergewöhnliche Art des Betriebs stets gute Dienste. Der Bau von Schornsteinen nach Fig. 2 und 3 bietet keinerlei Schwierigkeiten. Nachdem man über die Höhe und dem entsprechend über das Gewicht des Schornsteins schlüssig gewor den ist, berechnet man die Grösse des Funda ments, die sich nach der jedesmaligen Boden beschaffenheit richtet. Will mau einen vier eckigen Schornstein bauen, so gilt für die Ge wichtsberechnung, dass mau die Gesammthöhe in Theile von etwa 5 bis G in zerlege, den obersten 1/2 Stein stark und jeden folgenden 1/2 Stein stärker annimmt, der Sockel ist nach Erforderniss zu verstärken. Für runde Schorn steine mag man oben einen halben Stein an- nehmen und für je 3 m 3 cm in der Stärke zulegen, wenn man besonders geformte Ziegel zur Verfügung hat, oder wie vorhin verfahren. Nachstehender Holzschnitt giebt einen Schorn stein von viereckigem Querschnitt wieder, bei dem die wichtigsten Details zu erkennen sind. Dass ein runder Schornstein vollkommener wirkt, als ein viereckiger, braucht nicht beson ders begründet zu werden, der günstigste Querschnitt ist eben der, welcher bei gleicher Grösse den geringsten Umfang hat. Sind die Schornsteine sehr hoch, so dass also viele Ab stufungen entstehen, so macht man die Aussen linien etwas konisch, wodurch das Aussehen der Schornsteine auch etwas gebessert wird Man findet auch Schornsteine, bei denen die Aussenlinie nicht ungebrochen gerade ist, de ren einzelne Theile ein wenig von aussen nach innen abgesetzt sind, so das sie telescopartig aussehen.