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Es war höchste Zeit, denn kurz darauf > stürzte atemlos Karbaul, im Gesicht so blaß wie eine Kalkwand, ins Zimmer. „Herr Direktor, Herr Direktor —" „Nun, nun, was ist's denn?" unter brach ihn jener und zwang sich dabei mit Gewalt zur Ruhe. Er antwortete nicht, sondern war mit einem Satz an seiner Jacke. „Golt sei Dank," seufzte er aus Herzensgrund. „Ich hatte den Schlüssel vergessen. Erst zu Hause fiel mir das ein." „Deswegen brauchten Sie sich doch nicht so aufzuregen." „Herr Direktor, die Pflicht geht über alles. Ich mußte zurückeilen und den Schlüssel holen oder ich hätte die Tage über keine ruhige Stunde mehr gehabt," stieß der Greis hervor. Der Angeredete blickte zur Seite. „Geht dir auch die Pflicht über alles?" wirbelte es durch seine Seele und eine innere Stimme entgegnete barsch: „Schuft, der du bist!" Trotzdem machte er sein letztes Verbrechen nicht auf der Stelle gut. 2c mußte ja das Geld haben, uni seines Kin des Zukunft sichern zu können. „SchuftI" rief's wieder in ihm. Doch er fuhr in Ge- danken fort: „ich selbst will mich an dem Glanz der Festtage berauschen. Mit vollen Händen will ich das Geld ausstreuen und sie selbst, die mir die Ketten angelegt, soll über meine Freigebigkeit staunen. Nie mand soll mir's ansehen, daß ich vor einem Abgrund stehe, der dräuend seinen Rachen, nach mir lechzend, aussperrt. Niemand!" „Guten Abend, Herr Direktor." Km'- baul schickte sich zum Weggehen an. „Ich habe es vorhin versäumt, Ihnen meine besten Wünsche zu der bevorstehen den Hochzeit Ihrer Tochter mit dem Bank- assistenteu Otto Balz auszusprechen. Ich hole es hiermit nach." „Herzinnigen Dank, Herr Direktor. Es hätte mir auch etwas gefehlt, wenn Sie mich nicht mit einer Gratulation beehrt hätten. Nochmals herzlichen Dank!" Bald nach dem Kassierer strebte auch Marschner seinem Hause zu. War das eine Hochzeit. Solchen Prunk und Pomp hatte die biedere Stadt noch nicht gesehen. Hunderte sanden sich vor der Christuskirche ein, um die Anfahrt der Hochzeitsgüste genau beobachten zu können. Nur mit Mühe konnten die Kutscher ihre Wagen durch die Menge bis zum Portal bringen. -Ein kaum glaublicher Toilettenluxus wurde entfaltet. Die auserlesensten Ko stüme, geziert mit den herrlichsten Edel steinen konnte man da schauen. Tas Kleid der Brant war ein ent zückendes Kunstwerk. Es war keineswegs mit Spitzen und dergleichen überladen. Es war vielmehr äußerst einfach gehalten und doch mußte jedem bei seinem Anblick klar werden, daß fein Wert nach Hunderten von Mark zählte. Wie zum Kelch unbedingt die duftige Blüte gehört, so schien euch dies Wunder der Schneiderkunst unbedingt zu seiner Trägerin zu gehören, so voll kommen schloß es sich ihr au. Auf Annalieses Antlitz spiegelte sich etwas von der Ergriffenheit ab, die ihr Inneres erfüllte. Sie war sonst nicht weichmütig, im Gegenteil selbstbewußt und kalt, aber der Ernst der Feier, der sie ent gegenging, hatte das Herz umgestimmt. Sie legte ihren Arm fest auf den Oskars, von der fröhlichen Hoffnung durchdrungen, an seiner Seite in ein zweites Eden einzu. ziehen. Nur wenigen aus der schaulustigen Menge war es möglich, nach dem Hoch zeitspaar in das Gotteshaus zu gelangen Darin hatten schon lange vor Beginn des Gottesdienstes andere Neugierige die Plätze in den Bänken mit Beschlag belegt. Die aber der Trauung mit beiwohnen durften, wußten nachher nicht genug den Gesang der ersten dramatischen Sängerin des Stadttheaters und die Rede des Geist lichen zu loben. Auch von den Tränen Frau Lianens, die ebenso geglitzert hätten wie die Diamanten im Haar und am Hals, be richteten sie, daran die Bemerkung knüp fend, daß der Mutter die Trennung von ihrer einzigen Tochter gewiß recht schwer würde. Der Direktor kam bei der Beur teilung nicht gut weg. Er wurde harther zig gescholten, weil er das Gesicht nicht verzogen hatte. Ani schlechtesten fuhr der alte Kommerzienrat. Ihm nahm man es sehr übel, daß er im Gehrock erschienen war. Das forsche „Ja" des Bräutigams hatte besonderen Eindruck gemacht. Der Segen war erteilt. Die Sängerin oben aus dem Ehor sang noch ein Schluß lied. Die Feier hatte.ihr Ende erreicht. Langsam, die jungen Ehegatten voran, ver ließ der Hochzeitszug das Gotteshaus. Marschner führte eine verheiratete Schwester des alten Enders. Er blickte starr vor sich hin. So wurde er auch nicht gewahr, wie zwei Augen, in denen der Triumph glühte, ihm aus dem Publikum folgten. Er hätte die Augen sicher sofort wieder erkannt. Vier andere Augen schauten sehnsüchtig nach dem Neuvermählten. „Ach, wenn wir doch schon so weit wä ren," flüsterte Elsbeth Wörling ihrem Bräutigam zu. „Warte nur, mein Lieb, das Glück blüht, so Gott will, auch uns bald," gab er zurück und drückte zärtlich ihre Hand. Sie blieben in der Bank sitzen, denn sie wollten auch die nächste Trauung mit ansehen. Lotte Karbaul und Otto Balz waren diejenigen, die sich zu einer Gemeinschaft zusammenschließen wollten. Ehe sie eintrafen, wurde der kostbare Teppich, der durch das ganze Schiff lief, zu sammengerollt und hiuausgeschafft. Eben so wurde die Dekoration im Altarraum eilfertig entfernt. Bei der Trauung sang keine Künstle rin unb strahlten auch nicht die Kronleuch ter eine schier überirdische Lichtfülle aus, rauschten und knisterten keine Seidenröcke und nahm der Glanz der Edelsteine den Kampf mit den Strahlen der Kronleuch ter au der Decke nicht auf, war die Kirche nicht bis auf den letzten Platz mit Neugie rigen besetzt und trugen keine befrackten Diener die Schleppe der Braut und den noch war die kleine Gemeinde viel andäch tiger und viel mehr bei der Sache wie jene, die sich schon bei Tisch amüsierte. Schlicht war der Verlauf der heiligen Feier und in seiner Schlichtheit weihevoll und darum ergreifend. Der Odem des le bendigen Gottes zog wie einst über das Urchaos bei der Schöpfung durch das Got teshaus und segenwirkend auch durch die Seelen der beiden Liebenden und ihrer An gehörigen. Elsbeth raunte ihrem Verlobten zu: „Schatz, so muß auch unsere Trauung sein." Er sah ihr glückselig ins Auge und nickte. — — — — Die Küche im Hotel zum Elefanten war berühmt. Der Wirt legte auch bei der Ta fel zur Feier der Enders - Marschnerschen Hochzeit mit den Gerichten alle Ehren ein. „Auf das Geld kommt es nicht an," hatte Frau Liane bei der Bestellung zu, ihm ge sagt, „vor allem muß das Essen selbst deni verwöhntesten Gourmet munden. Danach bitte zu richten." Das Wort war ihm ein höchst lieber Befehl gewesen. ' (Fortsetzung so'gM Sv Ki« Karcheswa. Von A Andrea. (Schluh) in Pochen an der Tür unterbrach den Präfekt. Seine Miene wurde sofort wieder amtsmäßig ernst, und hastig öffnete er selber dein erwar teten Boten. „Was für einen Bescheid bringen Sie von der „Queen?" fragte er diesen. Ter Beamte warf einen verstohlenen Blick der Teilnahme auf die junge Frau und antwortete zögernd. „Sie hat einen kranken Passagier an Bord: Den Marchese d'Alcani aus Pa- lermo." „Allmächtiger!" seufzte Grazia auf und verhüllte das Gesicht. „Weiter!" sagte der Präfekt mit er zwungener Gelassenheit. „Der Kapitän der „Queen" hat sich je doch bereit erklärt, einen Eid auf die Aus sage des Schiffsarztes zu leisten, welcher versichert, daß der Marchese während der Fahrt nicht die geringsten Symptome der gefürchteten Seuche verraten habe, sondern nur — an einem starken Lungenkatarrh lei tend— durch den natürlichen Verlauf der Seekrankheit aufs äußerste angegriffen worden sei, und er im Interesse der Mar chese dringend wünsche, ihn — wenn sonst nicht die übrigen Passagiere — wenigstens ausschifsen zu dürfen." Mit einem unterdrückten Schrei stürzte Grazia nach der Tür, aber der Präfekt hielt sie zurück: „Fassung, Marchesina, sonst ist unsere Sache rettungslos verloren. — Und wie verhalten sich die Leute?" fragte er den Be amten weiter. „Aeußerst unruhig, Herr Präfekt! Es ist leider schon unter sie ausgesprengt wor den, das; sich ein Kranker an Bord der „Queen" befindet, und der Kapitän alles aufbietet, ihn ans Land schaffen zu lassen. Als ob sie gegen die Cholera selbst zu Felde zögen, strömen sie wütend zum .^afen und schreien aus, daß sie das Schiff in Brand stecken wollen, sofern es nicht mit seiner sämtlichen Mannschaft und Ladung augen blicklich zur Abfahrt auslege." Der Präfekt machte dem Beamten ein Zeichen, abzutreten, und wandte sich dann zn Grazia: „Lassen Sie uns überlegen, Marchesina." „Ueberlegung geht ini Schneckengang nnd das Unglück hat Flügel!" rief diese be bend dazwischen. — „Geben Sie mir die Vollmacht, mir meinen Gatten von Bord der „Queen" -^sen!"