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Wilödrufter Tageblatt 2. Matt zu Nr. 248. Sonnabend, den 22. LN. 1938 Es fallen die Blätter, Der Herbst ist da: Die Bäume lohen rotgolden. Nun spürt man den Winter Schon nah, ganz nah; Verwelkt sind längst Blüten und Dolden. Es winden den Kranz Die Kinder im Park Aus Blättern, die erdwärts schweben, Und was der Sommer an Schönheit barg, Wird noch einmal erweckt hier zum Leben. Nen letzten Sparpsennig dem Ausbau! Aufruf zum Deutschen Spartag 1938. Sämtliche deutschen Kreditinstitute veröffentlichen zum diesjährigen Deutschen Sparlag am 28. Oktober einen Auf ruf, der mit dem Hinweis beginnt, daß seit dem ersten Jahr des nationalsozialistischen Aufbaus sich die jährliche deutsche Ersparnisbildung mehr als verfünffacht hat. Das deutsche Volk, so heißt es dann, das seine Arbeitskraft und seinen Fleiß zu höchster Entfaltung brachte, ist auch zum Volk der Sparer geworden. Daß der schaffende Mensch in Deutschland immer größere Teile seines Arbeits einkommens als Ersparnis zurücklegt, beweist seinen un bändigen Sparwillen und ist Ausdruck seines hohen Verantwort ungsbewußtsei ns. sich selbst, sei ner Familie und seinem Volke gegenüber. So wie im großen die deutsche Ration sich in der Gegenwart Opfer auferlegt, um ihre Zukunft zu sichern, so handelt im kleinen auch das Millioncnheer der Sparer. Es leistet Verzicht auf manche Annehmlichkeit des Lebens, um die Lebensgruud lagen zu verbessern, die Sorgen im Alter fernzuhalten und die Familie vor Not zu bewahren. Der ununterbrochene, steile Aufstieg der deutschen Sparbildung ist aber auch ein Beweis für das unerschütter liche Vertrauen des Sparers in die deutsche Staats- und Wirtschaftsführung. Ein jeder hat erkannt, daß die beste Sicherung seines Sparguts in einer blühenden Wirt schaft liegt. Wir stehen mitten in den großen Aufgaben, die uns unsere Zeit stellt. Jetzt gilt es mehr denn je, auch die letzte Arbeitskraft einzuspannen, zugleich aber auch die letzte Sparmark, ja den letzten Sparpfennig dem Aufbau des Großdeutfchen Reiches dienstbar zu machen. Die Japaner in Kanton Vorhut in den Vorstädten Die Vorhut der japanischen Armeen in Südchina hat bereits die Außenbezirke von Kanton erreicht. Nach Be richten des japanischen Hauptquartiers haben die Truppen, ohne ernsten, Widerstand zu finden, den Feind in westlicher Richtung vor sich hcrgetrieüen und dabei große Gebiets teile erobert. Panzerwagen drangen als erste in Kan ton ein. Die Stadt Kanton ist verödet. Nur ein kleiner Bruch teil der Bevölkerung ist zurückgeblieben; weit über eine Million Einwohner sind vor den hcrannahcndcn Japanern geflüchtet. Die öffentlichen Werke, vor allem die Kraft werke, sollen zur Sprengung vorbereitet sein. Die Japaner rücken in zwei Heeresgruppen gegen Kanton vor. Die eine verfolgt den geschlagenen Gegner am Nordufer des Ostflusses, während eine zweite längs der Eisenbahn Kaulun—Kanton in schnellem Vormarsch ist. Die zurückflutenden chinesischen Truppen werden durch heftige Fliegerangriffe zermürbt. Größies Eisenerzlager Chinas erobert Auch an der Yangtsefront machten die Japaner große Fortschritte. Sie haben die Tayeh-Eisengru ben, das größte Eisenerzlager Zentralchinas, erobert. Das Erzlager liegt 80 Kilometer östlich von Han kau. Seine Industrieanlagen sind bereits 1904 in japanischen Besitz übergegangen und bis zum Ausbruch des Chinakonflikts bezog Japan aus den Gruben von Tayeh seinen Eisenerzbedarf. Auf dem Dangtse sind japanische Schiffsein heiten bis in die Nähe von Otscheng, 70 Kilometer unterhalb von Hanka», vorgedrungen. Chinesische Trup pen leisten den vorrückenden Japanern heftigen Wider stand. Die Chinesen schaffen alle Verwundeten und Kriegs waisen aus Hankau fort. Sämtliche Zeitungen haben ihren Betrieb eingestellt. Wegen Kohlenmangels arbeiten die Wasserwerke nur noch beschränkt. Die Zivilbevölkerung und die chinesischen Behörden schaffen alles Hab und Gut fort. Wie Kantm eiiMlwmmen wurde Japanische motorisierte Abteilungen in der Stadt Chinesen sprengten Brücken nnd Bauten Japanische Truppen haben am Freitag um Mitter nacht nach Ortszeit den größten Teil Kantons be setzt. Nachdem am Nachmittag die ersten Panzerwagen die Stadt erreichten, ergossen sich motorisierte Abteilun gen in ununterbrochener Folge in die Stadt und dehnten ihre Stellungen innerhalb der Straßen ständig weiter aus. Freitag früh wurde von den Chinesen die große Brücke über den Pcrlflutz gesprengt. Die Chine sen sollen noch andere Bauten gesprengt haben, das Aus maß der Zerstörungen ist jedoch noch nicht genau bekannt. Der schnelle Fall Kantons ist für die ganze Welt des Fernen Ostens völlig überraschend gekommen. Es war bekannt, daß sich große Massen der Provinzial truppen sowie der Miliz der Kwangtung-Provinz in Kan ton gesammelt hatten, um so unverständlicher ist es, daß sie nicht zum Einsatz kamen und so gut wie gar keinen Widerstand leisteten. Es sind daher zahlreiche Ver mutungen über die Gründe dr fast kampflosen Aufgabe Kantons in Umlauf. Wie aus Hongkong gemeldet wird, hat sich T s ch i a n g k a i s ch e k von Hankau nach Tschang- tschau begeben. Man nimmt an, daß er weiter süd wärts reisen wird, um die Lage in Südchina wie der berzultellen. London unter dem Eindruck des Falls von Kanton Sämtliche Londoner Blätter melden in großer Aufmachung die Eroberung Kantons durch die japanischen Truppen, die nunmehr durchgeführt ist. „Evening Standard" bezeichnet den 150 Kilometer langen Ge waltmarsch der-Japaner von der Biasbucht bis Kanton innerhalb von zehn Tagen als das größte militärische Er eignis des Fernostkrieges. ' Der Fall Kantons sei — Die Stadt völlig verödet Chinas größte Niederlage seit dem Verlust Pekings mW Schanghais. Weiter berichtet das Blatt, die britischen und französischen Konzessionen auf der Insel Schameen in der Nähe von Kanton bereiteten sich auf die Aufnahme zahl reicher Flüchtlinge vor und hätten ihre Stellungen durch Schützengräben, Maschinengewehrnester und Sandsäcke gesichert. „S1 a r" hebt hervor, daß sich jetzt eine Million chine sischer Truppen auf dem Rückzüge befänden. Von der Kan- toner Bevölkerung befänden sich nur noch 100 000 in der Stadt. „Evening News" unterstreicht den Zusam menbruch des chinesischen Widerstandes und hebt hervor, daß die Chinesen vor ihrem Rückzug u. a. die Brücke über den Perlflutz, die einen Wert von 425 000 Pfund darstelle, in die Luft gesprengt hätten. Amtliche chinesische Kreise machten Tschiangkaischek für den Zusammenbruch der mili- tärischen Operationen bei Kanton verantwortlich, da er bedeutende Truppenabteilungen von Kanton zur Verteidi gung Hankaus herangezogen habe. Die japanischen Truppen m Kanton. (Eisner-Wagenborg-M) Abfuhr für -en Kriegshetzer Churchill „Das amerikanische Volk will keinen Krieg!" Senator Reynolds von Nordkarolina, Mitglied des Militärausschusses des amerikanischen Senats, nahm in ungewöhnlicher Schärfe gegen die vielfach als Ein mischung in amerikanische Angelegenheiten empfundene Rundfunkansprache des englischen Kriegshetzers Churchill an Amerika Stellung. „Churchill hat", so sagt Reynolds, „das amerikanisch« Volk zu einem Weltkrieg gegen Deutschland aufgefordert, um wieder einmal die Demokratie zu retten. Als ich das hörte, mußte ich an 1917 denken. Auch heute sei diese Phrase nur wieder ein Vorwand, um andere für den an allen Ecken und Enden bedrohten britischen Imperialismus die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen. In Wahrheit werde das britische Volk von 2000 Familien regiert." Reynolds schloß mit den Worten: ,Zch kenne das amerikanische Volk; es ist hundertprozentig dagegen, daß die Vereinigten Staaten in internationale Situationen verwickelt werden, die uns in einen Krieg hineinziehen könnten." <3. Fortsetzung.) Es war ein ziemlich ausgedehntes Dorf, dessen von strohbedcckten Häusern umrahmten Platz er mit einer unerklärlichen Scheu betrat, die dadurch nicht gemindert wurde, daß das Dorf wie ausgestorben schien. Da war ja auch der Krug. Lose hing die beschädigte Tür in den Angeln. Er trat in den Flur. Ein altes Weiblein mit zahnlosem Mund trat ihm entgegen. Sonst sah er nichts. Die Empfindung konnte er nicht los werden, daß er von Leuten beobachtet wurde, die sich irgendwo verborgen hielten. „Kommen Sie, feiner Herr/' murmelte das zahnlose Weib. „Bei Meische Silberstein sind Sie gut aufge hoben. Ja, gut aufgehoben " Das Weitere verlor sich in einem unverständlichen Murmeln. Linker Hand! Hier mutzte es sein! Er trat in einen Raum, der leer und nach Art russischer Bauernstuben mit dem grotzcn Ofen und den dazu gehörenden Bänken ausgestattet war. Ein schmutziger Tisch, einige wackelige Stühle, das war alles. Er schob den mächtigen Holz riegel vor und lietz sich ermüdet auf einen Stuhl fallen. Die Alte mußte wohl Bescheid gesagt haben. Im Augenblick wurde der Holzriegel zu seinem Erstaunen von außen zurückgeschoben, und ein junges Mädchen, offenbar die Sonia, trat ein. Jüdin, dunkelhaarig, flackernde Augen, die dem vollen Gesicht einen unstoten Ausdruck gaben. „Wie kommen Sie herein? Ich habe doch zugeriegelt!" Sie wies auf eine Art Schlüssel, mit dem sie von üußen den Riegel zurückgeschoben hatte. Den habe jeder, der hier — sie wies auf den Raum — bekannt sei. .. Er bat um Essen und erhielt im Augenblick Schwarz ¬ brot, etwas Fleisch und eine Schüssel Milch, wozu noch ein Glas Tee kam. Auf die Frage nach dem Preise schüttelte das Mädchen mit dem Kopf. Er erfuhr, daß der Jude Silberstein von Beruf Gastwirt und Pferde händler sei. Früher, als die Zeiten noch gut waren, sei er weit umhergekommen, auch nach Deutschland, und habe gut verdient, sehr gut. Heute seien die Zeiten mies, sehr mies. Mit einem Blick, in dem sich Mißtrauen mit aufdringlicher Freundlichkeit und Lüsternheit paarte, verließ sie den Raum, indem sie bat, den Riegel wieder vorzuschieben. Die Sonnenstrahlen fielen bereits schräg durch die blindgewordenen Fensterscheiben. Er mußte warten, bis die Sonne untergegangen war. In einer Ecke hing, verstaubt und beschmiert, eine russische Litewka und eine verschlissene Feldmütze. Das war gerade das Rechte für ihn. Er vertauschte seinen deutschen feldgrauen Rock mit den russischen Uniformstücken. Das Dorf, das bisher ausgestorben schien, wurde auf einmal lebendig. Man hörte Glocken klingen. Was gab es denn nur? Durch die Fensterscheiben konnte er un deutlich erkennen, daß die Leute, junge wie alte, ver mutlich von einer Versammlung kommen mochtet?. In der Ferne war Kanonendonner vernehmbar, der sich an scheinend näherte, obwohl die Front sehr weit entfernt sein mußte. Die Leute waren alle aufgeregt. Er hörte Rufe: „Die Deutschen kommen! Wir müssen alle weg!" Ein altes, tanbes Mütterchen, das dicht vor dem Fenster stand, ließ sich die Schreckenskunde ins Ohr schreien. Sie schimpfte fürchterlich. Alle Menschen schimpften. Dann liefen die Leute mit ihren Habseligkeiten, mit kleinen Kindern und Vieh wild durcheinander. Auf dem Dorf platz standen Wagen, die bestimmt waren, die Habselig, keilen, die alten Leute und Kinder aufzunehmen, wäh rend man das Vieh an die Wagen band. Merkwürdig! Die Leute, die doch bestimmt über reichlich Acker ver fügen mutzten, hatten so wenig Vieh. Arneburg überlegte, was zu tun sei. Fliehen? Wo hin? Zwischen ihm und der Front lag ein fast un durchdringlicher Feuerwall. Zudem fluteten die Russen heere unaufhaltsam zurück. Er mußte die Dunkelheit abwarten. Hier konnte er unmöglich bleiben. In der beginnenden Dämmerung schlich er langsam hinaus. Auf der Straße standen aufgeregte Menschen, Soldaten mit und ohne Waffen. Dahin ging es nicht. Das Haus muhte aber noch einen zweiten Ausgang haben. Er tastete sich, nach allen Seiten lauschend, durch den Flur auf den Hof. Niemand war zu sehen. Als er eben das Hoftor aufstoßen wollte, hörte er Stimmen, die sich eilig näherten. Er sprang, um nicht gesehen zu werden, in ein halb zerfallenes Gebäude, das wohl einen Stall dar- stellen sollte. Die Leute kamen rasch heran. Es mochten etwa zwölf Personen sein. Zu seinem Erstaunen be merkte er, daß sich nebenan, nur durch eine Bretter wand getrennt, eine Art Versammlungsraum mit Bänken und Tischen befand. Mehrere Stallaternen wurden entzündet und dienten als Beleuchtung, wäh rend nach außen hin alles sorgfältig abgedichtet wurde. Durch einen Spalt in der Bretterwand vermochte er den Raum zu übersehen. Juden im Kaftan, mit ihren Ringellocken, Männer in Uniform, mit und ohne Waf fen, und andere Individuen, denen man im Walde ohne Waffen nicht gerne begegnet, setzten sich um die Tische. Die Leute sprachen zum Teil deutsch, zum Teil jüdisch, zum Teil russisch oder auch polnisch. Es war ihm schwer, zu verstehen, was da im einzelnen verhandelt wurde, zumal sämtliche Teilnehmer außerordentlich aufgeregt waren. Zu Beginn sprachen alle zusammen und durch einander. Schließlich aber gelang es einem Mann im Kaftan, sich Gehör zu verschaffen. Der Lauscher konnte dem Durcheinander entnehmen, daß die Versammlung, die er soeben im Dorf hatte aus einandergehen sehen, der Frage der Unterbringung deS Viehes gegolten hatte. Man war übereingekommen, das gesamte Vieh seitwärts von der Straße in einen Bruch zu treiben, der schwer zugänglich war, um es für den Fall eines weiteren deutschen Vormarsches in Sicherheit zu bringen. „Sie werden nicht kommen, die Deutschen! Der Zar ist an die Front gegangen. Unsere Soldaten werden di« Deutschen hinaustreiben aus Rußland. Ich habe es ge hört!" Mit leidenschaftlichen Worten erwiderte ein Jude; „Sie werden kommen! Sie werden kommen, wie tz« immer und überall gekommen sind!" ^Fortsetzung folgt.«