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66, 20. März. Nichtamtlicher Thcil. 1059 können? — Freilich, wenn cs nach den Ideen einiger liberaler Re former ginge, wäre das 'Kunststück leicht zu Stande gebracht. In Preußen hat man in schlimmen Tagen der Vergangenheit das an sich unverfängliche und aus der Natur öffentlichen Strafverfahrens sich von selbst ergebende Beschlagnahmcrecht verdächtigerPreßerzcugnisse zu einem höchst schädlichen System von Willkürmaßrcgeln entwickelt, das sich die Verfasser des Prcßgesetzes vom 12. Mai 1851 schwerlich haben träumen lassen. Zumal die periodische Presse war damit auf Tod und Leben dem politischen Fanatismus, der Laune, den thörich- ten Einfällen jedes Polzcichess schutzlos preisgegebcn, und die Staats anwaltschaft mit ihr. Denn es ist ja zur Genüge bekannt, wie die letztere noch heute kraft allgemeiner Ordonnanz ihres höchsten Vor gesetzten, des Justizministers, verpflichtet ist, jede vorläufige polizei liche Beschlagnahme durch Uebcrnahme der weiteren strafgerichtlichen Verfolgung zu lcgalisircn. Nun wohl, so erklärten schon in der Landtagsscsston 1868/69 die Berliner Abgeordneten Duncker und Eberty und so wiederholen heute die gekränkten Berliner Zei tungen : das ganze vorläufige Beschlagnahmerecht muß aufgehoben werden! Das heißt in der That, sich die Sache bequem machen. Warum stellt man nicht lieber gleich als neues deutsches Grundrecht die Forderung auf, das gedruckte Wort ist unverletzbar und darf schlechterdings in keiner Art zum Gegenstände einer Verfolgung ge macht werden? Soll es fortan das hohe Privilegium der Drucker schwärze sein, jeder Beleidigung und Verleumdung, jeder Obscönität und Schamlosigkeit, jeder öffentlichen Aufforderung zu den ruchlosesten Verbrechen den geweihten, saerosancten Charakter der Unbcrührbar- kcit zu verleihen, es weit herauszuheben aus dem gemeinen Bereich der vorläufigen Saisirungen, denen in unserem Strafverfahren tau senderlei Personen und Sachen, alle möglichen anderen Erzeugnisse der menschlichen Hand, als vermeintliche oorporn llolioti unterliegen? Nein! in dieser Faqon wird der Teufel nicht durch Beelzebub aus- getrieben werden, daß man ein polizeiliches Willkürregiment durch eine gemüthliche Anarchie ersetzt. Man mag cs versuchen, die vor läufigen Beschlagnahmen einzuschränken, zu Gunsten der Tagespresse auf weitere Garantien gegen den Mißbrauch zu sinnen. So, wie die öffentlichen Dinge aber in der Gegenwart liegen, ist die Befugniß der Criminalbchördcn zur vorläufigen Beschlagnahme prima taeis verdächtiger Gegenstände gemeinen Rechtens, und die Presse schädigt ihre eigenen Interessen durch übertriebene Ansprüche aus Eremtionen, denen jeder Rechtsboden abgesprochen werden muß. Woran die deutsche Presse leidet, das sind immer nur in gerin gem Maße die Preßgesetze, und wodurch ihr geholfen werden kann, wird nicht die „Prcßgesetzgebung" sein. Woran wir Alle zu leiden haben und die Presse mit uns, das sind in erster Reihe die kleinen beschränkten Anschauungen und die verdorbenen abgenutzten Einrichtungen des alten absoluten Staates, der unter allem modernen Constitutivnalismus unverdrossen sein Wesen forttreibt. Es ist ein Unterschied in der Methode und den Mitteln, kein Unterschied im Geist und in der bewußten Absicht zwischen der heutigen Preßpolizei und der Censur von ehedem. So lange es uns nicht gelungen ist, gründlich aufzuräumen mit den Landespolizeibehörden, ihrer über wuchernden Machtstellung, ihren aller rechtlichen Schranken entbeh renden Befugnissen, diese ganze landesherrliche Polizeigewalt aufzu lösen in ihre Bestandthcilc, davon der Gemeinde zu geben, was ihr von Rechts wegen zukommt, der Justiz, was ihres Amtes ist, den rcgenerirten staatlichen Verwaltungsbehörden, was mit einer gesetz lichen Administration untrennbar zusammeuhängt, so lange wird die Willkür immer offene Thüren finden. Früher wird es auch nicht gelingen, die deutsche Staatsanwaltschaft aus den Umschlingungen polizeilich-bureaukratischcr Gliederung zu befreien, und aus der Un abhängigkeit, der Unparteilichkeit, der Gerechtigkeit aller Organe der Gerichtsverfassung Wahrheit zu machen. Die künftige Straf prozeß-Ordnung des Reiches wird für den Rechtsschutz der Presse mehr leisten, als alle der Presse speciell gewidmete Gesetzgebung. Wie die Dinge in der Gegenwart liegen, wird das Reichs-Preßge- setz den Makel eines verfrühten und verfehlten Daseins mit sich Herumschleppen. Es wird den Eltern nicht viel Freude machen, und Anderen nicht viel nützen. Form und Bildung werden recht allge meine und unbestimmte Umrisse au sich tragen, vieldeutig wird sein Gehalt, problematisch und wechselvoll seine Lebensführung in den verschiedenen Gauen des Vaterlandes sein. Es wird viel au ihm herumgedoctert und gequacksalbcrt werden, und bald wird eine Ra- dicalcur von neuem für unumgänglich erachtet werden. Dabei wird der Wcchselbalg leicht die Aufmerksamkeit abziehen von dem mühe vollen Tagewerk organischer Reformarbeit, und Uebelstände ver gessen machen, die nicht weniger gefährlich sind, weil sie tiefer liegen. Deshalb würden wir es für kein Unglück ansehen, wenn der Ent wurf des Reichs-Preßgesctzes noch eine Weile bliebe, was er ist. Besser, er kommt etwas später zur Welt, unter geordneteren Ver hältnissen, gesunderer Lebenslust, lichterer Durchsichtigkeit der Um gebung, als jetzt, wo unser nationales Hauswesen noch so viel krausen Wirrwarr in seinen Räumen birgt. Am Ende ist die Ge burtsschmerzen, die sich hier und da bereits fühlbar machen, das ganze Geschöpf nicht Werth, das zu Tage gefördert werden soll. Mistellen. Aus Berlin, 15. März schreibt man der Dtsch. Allg. Ztg.: „Die Rückäußerungen der einzelnen Bundesstaaten über den ihnen zur Begutachtung zugcgangencn Entwurf eines Re ich s-Pre ßg e- setzes liegen noch nicht sämmtlich vor; inzwischen verlautet, daß von Seiten einzelner Regierungen bereits nicht unerhebliche Einwen dungen gegen den Entwurf erhoben worden sind. Daß eine derartige Bemängelung auch von Preußen ausgegangen sei, ist in diesem Um fange nicht anzunehmen; allerdings ist cs richtig, daß der Entwurf im Reichskanzleramte aufgestellt und Preußen nicht früher als den übrigen Bundesregierungen zugegangen ist, sodaß also die Möglich keit einer Rückäußerung auch von Seiten der preußischen Regierung nicht ausgeschlossen wäre." Leipzig, 17. März. Die Buchhändler-Lehranstalt feierte heute Len Schluß des Schuljahres durch einen Redcactus, wozu mittelst ausführlichen Berichtes über das Biennium von Ostern 1870 bis Ostern 1872 eingeladen war. Hr- Director 1)r. A. Bräutigam eröffnete denselben, indem er zunächst einem edlen Manne, Hrn. Buchhändler Voerster, den wärmsten Dank für die Stiftung zweier Freistellen an der Anstalt für würdige, bedürftige Zöglinge aussprach, sodann in trefflicher Rede ein kurzgedrängtcs Bild davon gab, wie die Tugenden unseres Volkes in unserer un vergleichlichen Literatur sich wiederspiegeltcn. Dem folgten Reden der Schüler in deutscher, französischer und englischer Sprache. Hier auf dankte der Vorsitzende des hiesigen Buchhändlcrvereins, Hr. Stadtältcster Raymund Härtel dem Director und Lehrercollegium für ihr Wirken zum Wohle der Anstalt und wendete sich dann an die Abgchendcn, denen er insbesondere zu bedenken gab, wie der Buch händler berufen sei, an der Bildung des deutschen Volkes mitzuwir ken. Nach dieser Ansprache verkündete Redner, daß Reifezeugnisse nach erfolgter mündlicher und schriftlicher Prüfung erhielten: H. B. Neff, Ernst Mansch, Otto Franke, Carl Grassau, Aug. Wallmann, Carlos Häring, Alfred Palmer, Paul Meyer, Paul Dietrich, Herm. Hering, Emil Hofmann, Ludw. Westhauser, Herm. Heunig, Paul Rocder, Otto Rech, Johannes Nebe, P. Schreiber; und daß prämiirt wurden: Aug. Wallmann, Paul Dietrich, H-B. Neff, Carl Graffau, Otto Rech, Emil Böhme, Herm. Bickhardt, Herm. Hering, Gustav Grassau. vr. Samosh. Darmstadt, 10. März. Vor einigen Wochen wurde in den hiesigen Zeitungen auf zwei Leute aufmerksam gemacht, die unter 141*