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1058 Nichtamtlicher Theil. Parteilichkeit bleibt für die gesetzliche Auseinandersetzung zwischen den Forderungen der Staatsordnung und den Ansprüchen individueller Freihcir in Rede und Schrift immerhin einigermaßen wünschens wert!). Die Traditionen der Hinkeldcy'schcn Aera können wir füg lich um des lieben Friedens willen hier bei Seite lassen. Hätte in dessen das Berliner Polizei-Präsidium auch nach jenen schlimmen Tagen nicht fortgesetzt die unzweideutigsten Beweise einer unge wöhnlich befangenen und feindseligen Stimmung in Handhabung der Prcßconlrolvorschriftcn zum besten gegeben — vielleicht hätte es sich die ganze Gcsetzgebungsarbeit sparen können. Die Berliner Presse und die Berliner Landtags-Abgeordneten fortschrittlicher Fraction Würden mindestens geringeren Anlaß gehabt haben, den Schmer zensschrei nicht verklingen zu lassen, oder es hätte durch eine Novelle zum preußischenPrcßgesetz in glatterer Weise ihnen geholfen werden können. So hat cs uns denn auch gar nicht überrascht, zu vernehmen, daß Las vorliegende Elaborat eines Rcichspreßgesetzes getreulich in den bequemen Geleisen des preußischen Preßgesetzes vom 12. Mai 1851 den freiheitlichen Idealen entgegenwandelt. Ihm schmiegt es sich an in Anordnung des Stoffes, Geist und Gedanken der Aus führung. Die Cautionspflichtigkeit der politischen periodischen Presse wird allerdings dem Liberalismus zu Liebe selbstlos geopfert, und, Was sich bezüglich der Preß-G ewerbe-Polizei mit der norddeut schen Gewerbe-Ordnung nicht mehr verträgt, mußte wohl bei Seite bleiben. Was sich im Uebrigen aber conserviren ließ in Ansehung der eigentlich polizeilichen Preßcontrolvorschriften, der Pflichtexem plare u. dergl., in Ansehung der verantwortlichen Personen, Verle ger, Drucker, Redactcur, Verfasser u. s. f., in Ansehung endlich der möglichen Confiscationen, vorläufigen Beschlagnahmen, des Verbots ausländischer Zeitschriften, soll thunlichst hinübergerettet sein in den neuen Entwurf. Wo bisher der preußische Minister des Innern mit bcdcnklichenPrärogativen auftrat, wird der Reichskanzler mit einigen entsprechenden Attributen versehen. Wo bisher zwischen gewissen, mehr vorsichtigen, als muthigenRedacteurenviclverfolgter Zeitungen und ihren Verfolgern nicht gerade sehr anständige Erörterungen über die Frage stattfanben, ob ein Redacteur den Inhalt der von ihm re- digirtcn Zeitung zu kennen verpflichtet sei, wird durch eine kräftige Präsumtion zu Ungunsten des beliebten Jgnoranz-Einwandes abge hoben. Als Glanzseiten des Entwurfes berichtet uns schließlich unser Gewährsmann von erheblichen Verbesserungen des Beschlagnahme- Verfahrens. Die Polizei will künftig das Kind im Mutterleibe schonen, und wegen eines incriminirtcn Wortes in einem Zeitungs blatt nicht mehr sämmtliche Beiblätter der Gesellschaft halber mit einsperren. Auch soll der Grund der Beschlagnahm fortan dem wißbegierigen Vertreter der saisirten Druckschrift nicht mehr vorent- haltcn werden. Und für die Entschließungen der Staatsanwälte wie der Gerichte über Bestätigung der Beschlagnahme sollen die Fristen des preußischen Preßgesetzes in der That merklich verkürzt worden sein. Täuscht uns unsere Erinnerung nicht, so ist der Staatsanwalt auf 12 Stunden, die Rathskammcr auf drei Tage Deliberationszeit reducirt. — Wohlwollender kann man wirklich vom polizeilichen Standpunkte nicht über die böse Presse denken. Ob der vorliegende Entwurf nun Aussicht hat, der weiteren legislativen Behandlung zu Grunde gelegt zu werden, darüber mögen Emgeweihtere voraus uriheilen. Anscheinend hat selbst die preu ßische Regierung zu der Vorlage noch keine bestimmte Stellung ge nommen, will erst die Anschauungen der Bundesgenossen über die Frage sondiren. Leicht wird cs nicht gerade gelingen, die hohen ver- büuteten Regierungen zu einer erträglichen Concordanz der Presse gegenüber zu vereinigen. Handelt es sich doch um eminent poli- tischeJnteresscn, und um recht mannigfaltige Schatlirungen liberaler oder conservativer Ansichten, die hier von deutschen Staatsmännern zum Austrage gebracht werden sollen. Zudem hat sich seit Aufhebung 66, 20. März. der Censur neben der deutschen Particular-Gesetzgebung in den ver schiedenen Einzelstaatcn eine so bunte Musterkarte besonderer Prak tiken der Presse gegenüber entwickelt, daß an mancher Stelle ein großer Entschluß erforderlich sein wird, die alten lieb gewordenen Gewohnheiten dem neuen Reichsgesetz zu accommodiren. Die Ge richtsverfassung, die Organisation der Staatsanwaltschaft, vor allem ihr Verhältniß zu den diseretionären Machtvollkommenheiten der Polizeibehörden, dies alles trägt ein so öcrschiedeues Antlitz in Ber lin, Leipzig, München, Darmstadt, Stuttgart oder Carlsruhc, und dies alles soll vorweg unter den einheitlichen Hut eines speciellen Reichsstatuts gebracht werden! Wie viel hängt beispielsweise für die materielle Bedeutung prcßgesetzlicher Bestimmungen davon ab, ob die gerichtliche Polizei der Staatsanwaltschaft untergeordnet ist, oder nicht, ob die Preßprozesse vor Geschwornengerichten, Schöffengerich ten oder einer vorsorglich ausgewähltcn Preß-Deputation verhandelt werden! Der Entwurf muß selbstverständlich diese Fragen, als den künftigen Organisations - und Prozeßgesetzcn des Reichs anheim fallend, unberührt lassen. Und doch hängt von der Art ihrer Lösung so ziemlich alles ab. Es ist überhaupt ein eigen Ding mit solch einem Preßgesetz. Was es bisher zu bedeuten hatte im Sinne conservativer Staats männer, wußte man wohl. Es sollte eine Art von Ersatz darbieten für die Aushebung der Censur, und allerlei Schutzwchren aufrichten, damit die entfesselten Elemente der Preßfreiheit die Gesellschaft nicht umstürzten. Wie ein entlassener Sträfling, so meinte man, müsse die Presse unter strenge Polizeiaufsicht gestellt werden, und in dieser polizeilichen Eontrole lag der eigentliche Kern dessen, was man die gesetzliche „Ordnung" der Presse nannte. Das Mehr oder Weniger davon unterschied ein Preßgesetz von dem andern, gab ihm die mehr oder weniger liberale Farbe. Hmte sind wir wohl meist in unserer politischen Einsicht zu der Erkenntniß durchgedrungen, daß das allein vernünftige Postulat lediglich in der Unterordnung der Presse unter das gemeine Recht des Landes gesucht werden kann. Anscheinend haben die Verhältnisse für die Erreichung solchen Zieles in Deutsch land nie günstiger gelegen, als gerade jetzt. Der Segen einer starken und »olksthümlichen Reichsgewalt entrückt dieselbe weit allen Ver suchungen, in der freimüthigen öffentlichen Kritik ihrer Personen und Handlungen irgend eine Gefahr für Bestand und Ansehen ihres Regiments zu fürchten. Wenn die Dynastien der Einzelstaaten Grund haben, darin ängstlicher zu sein, so liegen diese particularen Be ängstigungen außerhalb des Reichsinteresses. In Preußen hat die Regierung seit 1866 trotz des Preßgesetzes die Presse im Ganzen an der freien Bewegung so wenig genirt, daß mau glauben könnte, sie lege nur noch'geringes Gewicht auf ihre Ncprcssionsbcfugnisse. Die jüngsten Berliner Vorkommnisse, welche die Presse in Harnisch ge bracht haben, sind eigentlich mehr komischer, als ernsthafter Natur, bekunden weniger bösen Willen, als grobe Ungeschicklichkeit der Ne gierungsorgane. Was sollen wir also mit einem neuen Spccial- gesetz für die Presse, wenn es sich nur auf eine verbesserte Auflage der alten abgenutzten Reglements beschränkt? In gewissen liberalen Kreisen läuft die Vorstellung von dem zukünftigen Ncichs-Preßgesetz etwa darauf hinaus, daß man ihm eigentlick, den Titel geben müßte: „Gesetz zur Beseitigung aller in Behandlung der Presse eingerissenen Mißbräuche." Das ist gewiß eine ganz löbliche Absicht und gar kein unverständiger Gedanke. Nur bleibt cs unklar, wie man im Wege der Specialgesetzgebung derartige Radicalcur zu gedeihlichem Ende führen will. Wo liegt die Quelle der Mißbräuche, über die man klagt? Doch Wohl in der an- maßlichcn, alle Garantien des Reichsschutzcs illusorisch machenden Souverainetät unserer Polizeibehörden einerseits, und in der jedem Partciregimcnt gefügigen Organisation unserer Staatsanwaltschaft andererseits. Glaubt man jene Quelle des Unrechts und der Will kür durch irgend ein Preßgesetz in der Welt einfach zuschütten zu