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Redaktioneller Tel!. .V 46, 25. Februar 1916. vielgestaltigen Bau Österreichs kennen zu lernen. Wo können sie bessere Führer finden als in Österreichern selbst, die mit offenen Sinnen und warmem Herzen ihr Vaterland lieben? Zu diesen gehörte Hugo Zuckermann, der seinen glühenden Patriotis mus mit dem Tode auf einem Schlachtfelde Galiziens besiegelte und uns in seinen wundervollen Gedichten eine kostbare Erinne rung an sein kurzes Wirken hinterließ. Ob viele Deutsche im Reich diese Lieder kennen, die in einem kleinen, strebsamen Verlag (R. Löwit) in geschmackvoller Ausgabe erschie nen sind? Auch das von Schroll L Co. in Wien so laut ange.'ündigte Werk Hermine Cloeters: »Häuser und Menschen von Wien« ist ein Führer durch Österreich, denn in Wien, der laut pochenden Seele des Staates, strömt gewisser maßen das ganze Leben Österreichs zusammen. Es darf nicht sein, daß diesem Buche, weil es innerhalb der schwarz-gelben Pfähle gedruckt wurde, die Bahn für weiteste Verbreitung verlegt wird! Die Organisation des deutsch-österreichischen Buchhandels an sich bedeutet bereits die Erfüllung jenes Wunsches, den Friedrich Naumann für das gesamte Gebilde »Mitteleuropa« hegt: eine Vereinigung, die die Grenzen überbrückt und durch ihre innere Stärke imstande ist, eine führende Rolle auf dem Weltmärkte zu spielen. Aber Österreich ist in dieser Verbindung noch zu unselb ständig, man möchte fast sagen, gedrückt; erst wenn es Vertrauen zu seiner Leistungsfähigkeit bekäme und ihm von deutscher Seite das nötige Entgegenkommen bezeigt würde, könnte es ein wirk lich wertvoller Bundesgenosse sein. Ein reger gegenseitiger Austausch im deutsch-österreichischen Buchhandel käme somit bei den Teilen zustatten und würde ihm neue, starke Kräfte zuführen. Schreiben wir diese Hoffnung mit auf den langen Wunsch zettel, mit dem wir den Frieden erwarten, und ihre Erfüllung wird um so sicherer sein, je weniger wir es beim ruhigen Zuwarten be wenden lassen und auf jeder Seite das Unsrige dazu tun, das er strebte Ziel zu erreichen. Karl Pauli. (Zu seinem sechzigsten Geburtstag, am 8. März 1916.) Drcihuuderdreiunddreißig drei Drittel Meter vor Greiffenberg rechts liegt ein Dorf »Niederwiesa«. Es ist nur ein kleines Dorf, wo mein Vater Pastor war, und besteht nur aus einer Kirche, zwei Pfarrhäusern und einem Wassertrog. Dort wurde ich geboren, d. h. nicht in dem Wassertrog, sondern in einem der Pfarrhäuser. Die Sucht, Papier zu entwerten, entwickelte sich bei mir schon sehr früh. Mit sechs Jahren dichtete ich, mit neun Jahren schrieb ich mein erstes Trauerspiel, das von so tragischer Wirkung war, daß meine beiden Schwestern, als ich es ihnen vorlas, davonliefen, weil es ihnen zu gruselig war; ich glaube heute, das; es wirklich zum Davon laufen war, aber ich ließ mich nicht abschrecken und machte Gedichte oder schrieb Räubergeschichten. So ging die erste Jugend dahin; ich kam aufs Gymnasium nach Lauban. Leider an einen Klassenlehrer, der mich nicht leiden konnte, einen- kleinen, nervösen, boshaften Menschen, der mir das Leben ver bitterte, weil ich zu lebhaft war, und der micht kränkte, wo er mich nur kränken konnte. So gab er mir einmal den Satz: »Pastorsöhne und Müllcrküh', wenn's gerät, ist's gut Vieh, aber's gerät nie!« fllnfund- zwanzigmal abzuschreiben. Ich gehorchte, setzte aber dem Spruch noch eine Zeile hinzu, die lautete: »besonders, wenn's einen Lehrer hat wie Sie!« und machte in jedem Worte einen orthographischen Fehler. Diese Untat brachte mir zwei Stunden Karzer ein, aber sie hatte Erfolg, von da an ignorierte er mich vollständig, und weiter wollte ich ja nichts. Nur als er seine letzte Stunde gab — er wurde ver setzt —, sagte er, nachdem er von den andern zusammen Abschied ge nommen hatte: »Aus Ihnen wird nie etwas, Sie werden wohl Schauspieler oder Schriftsteller werden!« und lächelte höhnisch. Nun, wer zuletzt lacht, lacht am besten, er hat ja recht behalten; ich bin beides geworden, aber anders, als er sich gedacht. Fünfund- dreisjig Jahre war ich beim Theater; mein letztes Engagement war am Königlichen Schauspielhaus in Berlin, und als Schriftsteller habe ich achthundert Beiträge: Erzählungen, Novellen und besonders Humo resken geschrieben, die alle in guten Blättern erschienen sind, dabei drei undvierzig Theaterstücke, von denen ein großer Teil aufgeführt ist, und hoffe sagen zu können: »Fortsetzuüg folgt«. 210 Kleine Mitteilungen. Deutsche Briefmarken für das besetzte Polen. — Neue Postwert zeichen mit dem Überdruck »Gen.-Gouv. Warschau« werden für den Bereich der Deutschen Post- und Telegraphen-Verwaltung in War schau nach Aufbrauch der bisherigen Postwertzeichen mit dem Über druck »Russisch-Polen« ausgegcben. Als erstes der neuen Wertzeichen ist die Antwortkarte zu 5 4- 5 Pfennig erschienen. Die in den Händen des Publikums befindlichen Antwortnoten mit dem Aufdruck »Russisch- Polen« bleiben bis auf weiteres gültig. Die neue Antwortkarte wird zu Sammelzwecken bei der Kolonial-Wertzcichcnstelle des Briefpost amts Berlin, Königstraße 61, zum Verkauf gestellt. Erhöhung der Papierpreise in Schweden. — »Berlingske Tidende« meldet aus Stockholm: Die schwedischen Papierfabriken berichten, daß wegen Verteuerung der Rohstoffe die Papicrpreise wieder um 20"/« erhöht werden müßten, so daß die Preise jetzt 50iiber normal stehen. Fortzahlung des Gehalts an zum Kriegsdienst cinberufene Hand lungsgehilfen. — Die Handelskammer zu Barmen befürwortete in einem Schreiben an den Deutschen Handelstag vom 9. Februar, daß durch Bundesratsverordnung während des Krieges eine Klarstellung der Frage der Fortzahlung des Gehalts an zum Kriegsdienst einbe- rufene Handlungsgehilfen geschaffen werde, dahingehend, daß der Ar beitgeber bei Einberufung der Angestellten von jeder gesetzlichen Ver pflichtung zur Weiterzahlung des Gehalts befreit ist, und daß die Einberufung nicht als »unverschuldetes Unglück« im Sinne der ge nannten gesetzlichen Bestimmungen auzusehen ist. Zur Begründung führte die Kammer aus: »Die Dienstleistung im Heere ist eine staatsbürgerliche Pflicht, die alle Staatsangehörigen gleichmäßig trifft; sie kann daher nicht als unverschuldetes Unglück bezeichnet werden. So erstrebenswert eine anderweitige Regelung der Gehaltsfortzahlung sein mag, so muß doch jedem Versuch, diese Ände rung in der gegenwärtigen Zeit herbeizuführen, eutgegengetreten wer den. Viele selbständige Kaufleute und Unternehmer sind selbst zur Fahne einberufen und haben ihr Geschäft schließen müssen. Es ist nicht angängig, die Angestellten gegenüber dieser großen Zahl von Einberufenen zu bevorzugen und ihnen noch für sechs Wochen nach der Einberufung das volle Gehalt ohne Gegenleistung zuzusprechen. Die Einberufung darf auch nicht von Fall zu Fall unter Berücksichtigung besonderer Umstände als unverschuldetes Unglück angesehen werden. Ties würde dazu führen, mehr unverheiratete als verheiratete Leute anzustellen, ein Ergebnis, das sicherlich nicht im Interesse des Staates liegt. Wir können daher auch den Antrag der Ältesten der Kaufmann schaft von Berlin nicht gutheißen, die Entscheidung nach Lage des Falls, unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Angestellten und des Prin zipals zu treffen.« Otto Ricbickc-Abcnd im »Krebs«. — Der vor einiger Zeit angekün digte Otto Nicbicke-Abend des »Krebs«, Vereins jüngerer Buchhändler zu Berlin, fand am 19. Febr. im »Alten Askanier« statt. Ein Mitglied des Vereins las in ausgezeichneter Weise aus Nicbickes im Börsenblatt ausführlich besprochenem Werkchen »Als Schipper in der Front« ausge wählte Stücke vor, in denen der Reichtum und die Tiefe seiner Ge danken, die furchtbare Tragik, die sich so manchmal auch am stillsten Sonntag an der Front abspielt, die Anforderungen, Nöte und Ent behrungen der Armierungs-Soldaten, ihr Leben und Treiben klar zu tage treten. Aus seinem Spandauer Kascrnenleben hatte der Verfasser zwei bisher unveröffentlichte Abschnitte beigesteuert, die in den feldgrauen Teil des Abends eine heitere Note brachten. Be sonders gefiel allen die kurze inzwischen an dieser Stelle veröffentlichte Skizze »Kurt — 1400 Millimeter«. Im zweiten Teil des Abends trat unser Berufskollege in seiner »lyrischen Harmonie Sonnensommer« den Zuhörern als ein Dichter von Gottes Gnaden entgegen, der eine sprachliche Meisterschaft besitzt, die den zartesten Stimmungen in prächtiger, vorbildlicher Weise gerecht wird. Jedenfalls läßt diese Dichtung noch Großes von Otto Niebicke erwarten. Der Vortragende verstand es auch bei dieser Dichtung, den Zauber, der über der Erinnerung eines herrlich und in Schönheit verlebten Ferienaufenthalts ausgebreitet ist, bei den Zuhörern zu er wecken. Otto Niebicke dankte zum Schluß für die ihm erwiesene Ehre und gab dem Wunsche Ausdruck, auch den zweiten Teil seiner »feld grauen Straße« gut zurücklcgen und bald wieder seine Kräfte voll ständig dem geliebten Buchhandel widmen zu können. Die Beteiligung war eine mäßige zu nennen, trotzdem doch wohl Interesse für diesen Abend in den weitesten Berufskreisen vorausge setzt werden mußte, ein Eintrittsgeld nicht erhoben wurde und der Abend als ein durchaus gelungener bezeichnet werden kann. Karl Pauli.