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8984 Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 132, 4. Juni 1V07. Kaiser-Wilhelms-Universttät, nunmehr auch persönlich zu sammen, der ihm den Antrag stellte, aus Anlaß der Be gründung der Universität eine Filiale seines Londoner Hauses in Straßburg zu errichten; der Oheim aber lehnte ab. Unser Karl I. Trübner griff aber trotz des anfänglichen Widerspruchs des Oheims zu und folgte der Lockung, »in dem neu gewonnenen Reichslande, in der ehrwürdigen deutschen Schicksalsstadt Straßburg, über der der Geist Gutenbergs und Goethes schwebt, nahe der pfälzisch-badischen Heimat, im Anschluß an die neu zu gründende deutsche Universität, eine selbständige Tätigkeit zu entfalten und in der bescheidenen Sphäre eines deutschen Buchhändlers mitzu wirken an der friedlichen Ausgestaltung der Verhältnisse im vaterländischen Sinne.« Er hat diesen Entschluß nie bereut. — Wir wollen diese kurze Würdigung mit der Erzählung der Wiedergewinnung der Heidelberger Manessischen Lieder- Handschrift durch Trübner schließen, die zweimal vergeblich von Frankreich reklamiert worden war und nach der die deutsche Gelehrtenwelt sich sehnte, wie nach einem überaus kostbaren geraubten Schatz. Dieser erfreuliche Handel gelang ihm im Jahre 1888, und er hatte dabei die Befriedigung, daß die von allen Gebildeten der deutschen Nation heiß zurückersehnte Handschrift dank der edlen Gesinnung weiland Kaiser Wilhelms I. wieder in Heidelberg, seiner Vater stadt, ruht. Und das geschah also, wie wir von einem alten Freunde Trübners erfahren: Lord Ashburnham, ein bekannter englischer Hand schriftensammler, schrieb Trübner, daß er ihm den Ankauf seiner Sammlung antrage, in der sich auch die be kannten Diebstähle des französischen Bibliothekars Libri aus der Pariser Nationalbibliothek mit dem kostbaren Evangelienbuch Karls des Kahlen, reich mit Edelsteinen und alten wertvollen Miniaturen geschmückt, befand, ebenso die Handschriften altfranzöstscher Lieder. Er räume .ihm sechs Wochen das Vorkaufsrecht ein. An diesem Evangelienbuch hing nun das gelehrte Frankreich ebensosehr wie Deutschland an der Manessischen Handschrift. Hierauf baute er seinen Plan. Er reiste sofort nach Berlin und forderte die Minister auf, Kaiser Wilhelm I. zu befragen, ob er geneigt sei, die Manessische Handschrift zu kaufen. Der Kaiser sagte zu. Sodann fuhr er nach Paris und verhandelte mit dem Generaldirektor der Bibliotheken Delisle, ob er geneigt sei, ihm die Manessische Handschrift zu verkaufen. Ein »IsniaU« tönte ihm entgegen. Als Delisle aber erfuhr, daß dafür das schwer vermißte Evangelienbuch Karls des Kahlen und anderes feil sein sollte, da stimmten er wie der Minister dem Trübnerschen Vorschläge zu, und unser Vermittler reiste so fort zu Lord Ashburnham und erstand die kostbaren Hand schriften, die er, in zwei Handkoffern verpackt, nach Paris schaffte. Vorher hatte er sich aber vergewissert, daß ihm beim Zurückbringen der gestohlenen Gegenstände in Frank reich keine Schwierigkeiten entständen. Auf der deutschen Botschaft in Paris fand der Austausch statt, und unser Kaiser hatte die Freude, die einst von den Franzosen geraubte Manessische Handschrift der Heidelberger Universität verehren zu können. Das war eine diplomatische und vaterländische Tat, die stets mit dem Namen Trübners ver knüpft sein wird. Dieser kluge gedankenreiche Kopf liegt nun leblos auf dem Totenbett, dieses für Ideale schlagende Herz hat auf gehört zu schlagen, dieser für Wissenschaft und Kunst, für Wahrheit und Schönheit begeisterte Sinn ist erstorben. Wir werden seiner als eines guten Bürgers in Ehren gedenken. S. v. Die Reform der französischen Orthographie und der Verlagsbuchhandel. Seit einiger Zeit hat in Frankreich eine Reform bewegung eingesetzt, die, wenn sie Erfolg hätte, unabsehbare Folgen mit sich bringen würde. Es ist die Bewegung, eine Reform der französischen Rechtschreibung durchzuführen, und zwar derartig, daß man dabei dem Prinzip huldigt, zu chreiben wie man spricht, also eine Übereinstimmung von Ton und Buchstabe herbeiführen will. Glücklicherweise sind ich bis jetzt die in Betracht kommenden Herren über die Reform noch nicht einig und macht man auch von der beteiligten Industrie aus genügend Stimmung dagegen. Was eine Reform der französischen Rechtschreibung nicht nur für Frankreich, sondern für die vielen Länder bedeuten würde, in denen diese Sprache als Sprache der Diplomatie in den Schulen gelehrt wird, in denen man unzählige fran zösische Grammatiken, Wörterbücher, Zeitschriften und Bücher herausgibt, ist leicht einzusehen, da mit dem Tage der Em- ührung einer neuen Orthographie alle diese Druckwerke wertlos sein würden. In nachstehendem sei in kurzem ein Überblick gegeben, wie diese Reform entstand, was sie an- trebt und wie man sich ihr gegenüber im offiziellen Frank reich verhält. Ohne in diese Debatte einzugreifen, sei er wähnt, daß sicher kein Ding endgiltig abgeschlossen ist, andern ab und zu dem Zug der Zeit folgen muß. Dies haben wir, was die Schreibweise von Sprachen anlangt, auch in Deutschland zur Genüge erfahren. Die jetzige französische Schreibweise stammt eigentlich aus dem fünfzehnten Jahrhundert, wurde im sechzehnten Jahrhundert durch die Gelehrten kompliziert gemacht und präsentierte sich im siebzehnten Jahrhundert mit so viel Variationen, daß ihre Festlegung gegen 1672 eine Haupt aufgabe der neugegründeten französischen Akademie wurde. So erschien 1740 die Reform von Olivet, die die Grundlage der jetzigen Schreibweise bildet. Die weiteren Verbesserungen der Schreibweise wurden durch die Akademie in den von dieser herausgegebenen Diktionären 1762, 1798, 1835 und 1878 programmmäßig festgelegt. Wäre man so weiter gegangen und hätte große Linguisten, wie Firmin Didot, de Littrs, de Sainte-Beuve gehört, so hätte man sich auch weiter mit derartigen Reformen befreundet. So sagt auch der berühmte Grammatiker Dussouchet 1890, daß um drohende Utopien zu vermeiden, nur die Akademie dazu berufen sei, ein vereinfachtes, nicht entstelltes Wörter buch zu schaffen. Leider schliefen die Arbeiten dieses Instituts lange Zeit, so daß die Reformisten reichlich Gelegen heit hatten, immer bedrohlicher ihre Wünsche zu formulieren und diese besonders in drei Blättern öffentlich zur Diskussion zu stellen. Dies veranlaßt? 1891 den Minister des öffent lichen Unterrichts zu der Verfügung, daß eine gewisse Toleranz in der Schreibweise bei der Prüfung stattzufinden habe. Auf diese Weise wollte er den Freunden der Reform bewegung die Hand bieten, ohne ihre Ansichten zu stützen, da auch er der Meinung war, daß deren Reformen eher größere Fehler mit sich bringen würden, als diejenigen be deuten, die man ausmerzen wollte. Die eigentliche Gefahr der Reform trat erst ein, als das Unterrichtsministerium eine Kommission mit der Aus arbeitung eines Gutachtens über die neuen Schreibweisen beauftragte. Berichterstatter war Professor F. Brunot, dessen Meinung in der »ksvus äs ksrik« vom 1. und 15. No vember 1906 abgedruckt wurde. Dieser tritt voll und ganz dafür ein mit der Motivierung: »Neue Zeiten — neue Sitten«, überzeugt, daß viele sich dagegen sträuben würden. Da die heutige Welt viel lese, würde man sich bald mit der Vereinfachung der Schreibweise vertraut machen, um so