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8186 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel Nichtamtlicher Teil. ^ 176. 31. Juli 1S08 Rudolf Oldenbourgs »Erinnerungen«. Es gewährt immer einen seltenen Genuß, den Spuren eines hervorragenden Berufsgenossen folgen und sein all mähliches Hineinwachsen in den Beruf beobachten zu können. Besonderen Reiz erhält dieser Genuß aber, wenn die Schilderung aus selbst ausgezeichneten Erinnerungen besteht; denn so tritt der Verfasser in geistigen Kontakt mit dem Leser, er bietet ihm frischen, unmittelbaren Eindruck der Erlebnisse, Persönlichkeiten und Zustände, die dem Erzähler im Rückblick auf die Vergangenheit wieder aufleben. Dieser Gedanke wird sich jedem Leser des Bändchens aufdrängen, das — wohl aus Anlaß des fünfzigjährigen Geschäfts jubiläums — unter folgendem Titel soeben erschien: Erinnerungen aus Lehr- und Wanderjahren von Rudolf Oldcnbourg. 8°. 78 S- mit einem Porträt. München, Druck von R. Oldenbourg Dem Gedanken wird sich bald das Bedauern darüber beigesellen, daß das schön ausgestattete und mit einem vor züglich gestochenen Bildnis Rudolf von Oldenbourgs ge schmückte Buch eine Lücke zeigt. Immerhin bietet es des Anziehenden genug, um hier in Kürze näher auf den Inhalt einzugehen. Als Sohn eines Großkaufmanns 1811 in Leipzig ge boren, trat Rudolf Oldenbourg — nach dem Besuch der altbekannten Nikolaischule bis zu seinem sechzehnten Lebens jahre — im Mai 1827 bei Friedrich Asschenfeldt in Lübeck in die Lehre, die nach damaligem Brauche auf fünf Jahre bemessen war. Den Prinzipal schildert der Erzähler nicht ohne Satire als das Urbild eines behäbigen Handelsherrn, der zum Verdruß der Betroffenen die Lehrlinge duzte, was übrigens noch lange Zeit Sitte war und auch keineswegs schadete. Die anfänglich wenig erfreulichen Verhältnisse, Beschränkung der persönlichen Freiheit und dadurch ver stärktes Heimweh wurden in Erinnerung an die Lehren des Elternhauses tapfer überwunden. Das Auspacken der Ballen und das Ordnen der Bücher führte ihn dazu, sich mit ihrem Inhalte bekannt zu machen, wobei er bald darauf kam, daß dieser meist in der Vorrede gekennzeichnet war. Nach dem Austritt des älteren Lehrlings, der mit ihm das gesamte Personal vorstellte, erhielt Oldenbourg einen jüngeren Kol legen, namens Schlüter aus Altona — der sich später durch den Ankauf der Aueschen Buchhandlung in seiner Heimat selbständig machte. Nun fielen ihm die Arbeiten des älteren Lehrlings, Bedienung im Laden, Notieren der Ver käufe und Ansichtssendungen, Ausschreiben der Jahres rechnungen zu, während seine Hauptbeschäftigung bis dahin in der eines Packers und Ausläufers bestanden hatte. Der Prinzipal ließ sich im Laden fast nie sehen, legte dafür als ehemaliger Kaufmann auf eine schöne Schrift in den Geschäftsbüchern großes Gewicht und besorgte die Über tragungen auf die Kundenkonten, wie die ganze übrige Buch haltung selbst. Der eben ausgelernte Gehilfe war daher nicht einmal zum Abschluß der Verlegerkonten gelangt; einen Begriff von der eigentlichen Buchhaltung besaß er noch weniger. Allerdings wurde, wie Oldenbourg offen bekennt, seiner Neigung zu sorgloser Arbeit durch strengste Forde rung peinlicher Genauigkeit gründlich entgegengewirkt. Irgendwelche Anleitung oder Belehrung durch den Prinzipal wurde dem Lehrling nicht zu teil. Er durfte daher mit Recht das Ergebnis seiner fünfjährigen Lehrzeit als ein mangelhaftes empfinden. Neben der wenig anstrengenden Arbeit versäumte Oldenbourg nicht, seine Fortbildung durch Sprachstunden, namentlich englische, zu fördern und fand gleichzeitig durch gleichaltrige Freunde und seine musikalische Anlage Zutritt in den besten Familien Lübecks. Der beste Kunde der Asschenfeldtschen Buchhandlung war der Vater Emanuel Geibels, der Pastor der reformierten Gemeinde und ein fein gebildeter Literaturkenner war; seine Jahresrechnung bewegte sich in der Regel zwischen 800 und 1000 Talern. Mit seinem vier Jahre jüngeren Sohne, den er schon damals kennen lernte, verknüpften Oldenbourg später in München geschäft liche und freundschaftliche Beziehungen. Als er 1832 aus gelernt hatte, blieb er noch ein halbes Jahr als Gehilfe im Geschäft und sah sich gleichzeitig nach einer andern Stelle um, wobei ihm der eine der beiden Besitzer der von Rohden- chen Buchhandlung, Bruhn — der später in Braunschweig einen Verlag gründete — mit seinem Rat zur Seite stand. Bei Friedrich Frommann in Jena, einem Freunde seines Vaters, fand er im Herbst andere Stellung. Asschen- eldt hatte pedantisch die kaufmännische Einrichtung einer Großhandlung auf einen buchhändlerischen Kleinbetrieb über tragen und mit der Kundschaft keinerlei persönlichen Verkehr unterhalten. Das Geschäft ging infolgedessen nach und nach zurück und geriet später, unter seinem Sohne, gänzlich in Verfall. In Jena ging dem jungen Gehilfen ein neues Leben auf. In der Familie Frommann als Hausgenosse, ja als Hausfreund ausgenommen, trat er in die angenehmsten gesell schaftlichen Verhältnisse ein und nahm eifrig die Gelegenheit wahr, seine bescheidenen Fachkenntnisse zu bereichern und seinen Wissensdurst zu stillen. Der geschäftliche und wissenschaftliche Verkehr mit den akademischen Lehrern bot ihm hierzu reichlich Gelegenheit, und durch das Hören von Vorlesungen und fleißiges Privatstudium erweiterte er seinen geistigen Horizont. Von besonderem Interesse ist in diesem Abschnitt die Schilde rung der beiden Hauptpersonen des Frommannschen Hauses. Friedrich Frommann, der sogenannte »alte Frommann«, war — bereits ein hoher Sechziger — ein kleiner, dicker Herr, meist heiter lächelnd und stets aufs sorgfältigste gekleidet, in seiner Lebensweise etwas Epikuräer. Sein Auftreten war würdevoll, vornehm und gelassen. Seine reichlich bemessenen Mußestunden wurden mit Lektüre ausgefüllt. Dazu bot ihm seine eigene gut gewählte Bibliothek in der namentlich die Goetheliteratur reich vertreten war, gute Gelegenheit. Er war von außergewöhnlicher Belesenheit und besaß die Gabe, eine literarische Idee leicht in ein buchhändlerisches Unternehmen umzusetzen, eine Gabe, deren Früchte den Wohlstand seines Hauses begründet hatten. Ganz im Gegensatz zum Vater war der Sohn eine magere Gestalt in Mittelgröße mit kräftigem Knochenbau. Mit seinem blassen Gesicht er weckte er den Eindruck eines kränklichen Menschen, der er indessen keineswegs war. Dabei war er meist einsilbig, zu zeiten verschlossen, sein Gang hastig, zuweilen stürmisch. Er war von seiner Burschenschafterzeit her, ein tüch tiger Turner und Fußgänger, der — während sein Vater mit Extrapost zur Ostermesse nach Leipzig fuhr — die Meßreise gewöhnlich zu Fuß machte. Seiner Feder ent stammt das »Taschenbuch für Fußreisende«, das später von Ratzel neu bearbeitet wurde. Er besaß eine für Buch händler damals seltene Bildung. Nach dem Besuche des Gymnasiums hatte er in Jena und Berlin studiert, längere Reisen durch Deutschland, Oberitalien und Frankreich ge macht und sich dann bei Perthes L Besser in Hamburg auf den väterlichen Beruf vorbereitet. In das Ge schäft seines Vaters eingetreten, verband er mit dem bis dahin reinen Verlagsgeschäft ein Sortiment. Und — merkwürdig: trotz seiner Reisen im Auslande verhielt er sich allem Fremdartigen gegenüber durchaus ab lehnend. Dagegen besaß er ein lebendiges Gefühl für Freundschaft und persönliche Treue, worauf auch sein um fangreicher Briefwechsel mit den Freunden aus seiner Studien zeit hinweist. Schon damals hatte das Frommannsche Ge-