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8520 Börlenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel Nichtamtlicher Teil. 185, 11. August 1SOV langen. Otto Julius Bierbaum bemerkt schon in seiner Vorrede zu dem ersten Jahrgang des »Bunten Vogel« (Weihnachten 1896), daß die Netzätzung immer als eine Art Fremdkörper zwischen dem Typensatz erscheine. Er greift dort zurück auf den Holzschnitt, wie er sich in Felix Valloton heute repräsentiert, dem er zusammen mit Weiß die illu strative Ausgestaltung seines Kalenderbuches anvertraut. Der Holzschnitt selbst — der Originalholzschnitt käme ja überhaupt nur in Betracht — springt doch allzu stark heraus aus dem atemlosen, blitzschnellen und möglichst sparsamen Getriebe der heutigen Bnchindustrie. Für diese Zwecke bleibt ein gewöhnliches aber sehr brauch bares Repcoduktionsoerfahren: die Zinkätzung. Das unan genehme, glatte Kunstdruckpapier erfordert sie nicht und sie fügt sich im Druck ebenso gut unserem Werksatz an wie in früheren Jahrhunderten der Holzstock den damaligen Lettern. Man übersieht meistens nur, daß auch die Zinkätzung ihre eigene Technik hat, daß auch sie bestimmte Ansprüche an die Hand des Entwerfenden zu stellen berechtigt ist. Wenn der Zinkätzung allerlei aufgebürdet wird, was sie kaum zu leisten imstande ist, darf man sich nicht über das Unschein bare, das gewöhnlich - Klischeeartige ihrer Erzeugnisse er regen. Weiß hat gezeigt, wie unendlich viel gerade diese Technik zu geben vermag, welche Erfolge mit diesem gewöhn lichsten Ausdrucksmittel zu erreichen sind; und wenn seine Gestaltungen alle aufgelöst erscheinen in derbe, holzschnitt artige, knöcherne Linien, so zeigen sie sich schließlich gefeit gegen die Zufälligkeiten der mehr oder minder liebevollen Reproduktion. Diese selbstverständliche Sicherheit ist gerade heute außerordentlich wichtig, wo der gestaltende Künstler so fern von dem technischen Fachmann sitzt. Auch hier ist die gesteigerte Sachlichkeit die Urwurzel aller glücklichen Lösungen. Wollte ich hier eine Zusammenstellung all der Druck werke geben, die er für den Insel-Verlag, für Eugen Diederichs, S. Fischer, Schuster L Löffler, Schaffstein, Bard, Marquardt L Co., Julius Bard, Rütten L Loening und wie die Verlagsanstalten alle heißen, ausgestattet hat, so ent stände eine schier unübersehbare Liste, die kaum ab wechslungsreich und vielseitig anregend wäre. Denn die Variationen des Weißschen Ausdrucksvermögens sind nicht gerade groß, und an Überraschungen fehlt es wohl ganz. Er bleibt sich von Buch zu Buch konsequent; ist einmal eine gute, brauchbare Form gefunden, so behält er sie gern bei, um sie zu erweitern und zu vertiefen, bis sie ihr Höchstes hergegeben hat. Die verfehlten und mißglückten Seiten sprünge fehlen dadurch, und er kommt so zu den Hoch leistungen, wie sie im »Broärowos« von Peter Altenberg (Verlag S. Fischer, Berlin), in dem Umschlag zu Karl Freys »UiebslsAviolo Buonarroti« (Julius Bard, Berlin) oder etwa den »Schleswig-Holsteiner Landleuten« von Helene Voigt - Diederichs (Eugen Diederichs, Jena) vorliegen. Ein Buch »Der Wanderer« (jetzt Verlag Julius Bard) ist nicht nur von ihm ausgestattet, sondern auch — ich kann mich nicht anders ausdrücken — von ihm mit Versen versehen worden. Die Gedichte sind vielleicht für die geistige Physio gnomie des Künstlers von einigem Interesse; im übrigen mag diese holzschnittartige Lyrik nicht gegen den Verfasser ins Feld geführt werden. Sie reicht an Qualität nicht an das heran, was der Maler und Zeichner Weiß in seiner eigent lichen Kunst goutiert; auch illustrativ steht der Band nicht auf dieser Höhe und bleibt zweifellos hinter dem Vor züglichsten zurück, was er auf diesem Gebiet geschaffen hat: der Ausstattung von Martin Bubers »Geschichten des Rabbi Nachmann« (Literarische Anstalt Rütten L Loening, Frank furt a/M.) Eine Ornamentik ist in diesem Buch aufge speichert von seltener Kraft und Gewalt, von erstaunlicher, überraschender Frische und einem gelassenen machtvollen Rhythmus. Formelemente, die stark an Frühgermanisches anklingen, sind verschmolzen mit einer archaischen Welle jüdischer Mystik, die aus diesen Geschichten kabbalistisch auf zuckt. Linien sind hier gefügt, deren wuchtige Verschlingung in ihrer Klarheit vom Außersinnlichen und Geheimnis rauschenden spricht. Dieser Geist rieselt durch alle Einzel glieder hindurch, angefangen vom Einbanddeckel oder den Schriftzeichen der Aufschrift bis zur letzten Vignette. Und der Sabbatleuchter mit den wehenden Flammen — das Symbol des jüdischen Geistes — erinnert mich in seiner Ausdruckswucht an eine Vignette von Hans Thoma — sie ist wohl im »Pan« erschienen (?) — wo einem Neugeborenen in den Kanten eines edlen Kristalls sein Weltbezirk abgegrenzt ist... Weiß pflegt im allgemeinen keine Verflechtung mit der literarischen Darstellung zu erstreben. Seine Bildungen sind neutral. Man könnte in der Tat manches Stück auch an einem beliebigen anderen Orte verwenden, ohne den eigent lichen Reiz zu zerstören oder zu gefährden. Daher bedurfte es für ihn keines sonderlichen Abweichens von seiner bewährten Art, als er es übernahm, für die Bauersche Gießerei den sogenannten »Weiß-Schmuck« zu schaffen. Dieselben floralen und vegetabilen Ornamentbildungen, die schon so manches Buch bereichein, sind damit in den Kasten des Akzidenzsetzers übergegangcn und beginnen schon in Briefköpfen, Pro spekten und allen möglichen anderen Druckarbeiten zu einem neuen Leben anderer Art zu erwachen. Jedenfalls gehören sie mit zu den erfreulichsten Erscheinungen, die die deutschen Schriftgießereien in den letzten Jahren her vorgebracht haben. Das ist das Greifbare, das Lösbare und Verpflanzbare in Weiß' Kunst. Fremden Händen ist es möglich, damit zu wirtschaften und Gutes zu wirken. Aber in seinen buch- gewerblicheu Leistungen offenbart sich noch eine zweite, wahr scheinlich wichtigere Seite: die reifste Nuancierung ge schmacklicher Werte. Es ist die liebevolle Sorgfalt, mit der er selbst das geringste Detail eines Buches behandelt und mit gediegener Vornehmheit durchtränkt. Da ist alles in einer einzigen Skala von Tönen oder Formen gehalten. Da sind die Umschlagszeichnung, das Vorsatzpapier, der Schnitt und sogar das Band des Lesezeichens angenehm zu einander abgestimmt. Da ist für den Deckel und als Vorsatz ein formal vollständig gleiches Buntpapier benutzt, das, vielleicht nur dem gebildetsten Auge merkbar, sich doch im Kolorit unterscheidet, indem im Buchinnern noch ein neuer oder stärkerer Farbton hinzukommt (Giordano Bruno, Das Ascher mittwochsmahl, oder Gustav Falke und Jakob Loewenberg, Steht auf ihr lieben Kinderlein); da steckt in einem einfachen Buchdeckel, einem Zusammenklang von Weinrot und ver waschenem Grün, ein Letztes an Kulturgefühl (H. Leichen tritt, Deutsche Hausmusik aus vier Jahrhunderten). Buntpapiere, halb verblichen, als ob sie eben aus ver staubten Archiven herausgezogen worden wären (Peter Altenberg, Broärowos). Da sind Signete für S. Fischer, Julius Bard, Schaffstein, Oesterheld L Co. von prägnanter Eindringlichkeit. Titelanordnungen, die an eindringlicher Klarheit unübertrefflich erscheinen. (Lou Andreas-Saloms: Henrik Ibsens Frauen-Gestalten, Carl Spitteler: Glocken lieder, Ellen Key: Der Lebensglaube, Gustaf af Gsijerstam: Karin Brandts Traum, Hedwig Dohm: Schwanenlieder.) Und Schriftzeichen — abgesehen von wenigen handwerklichen Intimitäten — von einer seltenen Schneidigkeit, Eleganz und leicht lesbaren Ausdruckskraft (Karl Frey: Die Hand zeichnungen des Michelagniolo Buonarroti.) So hat er die Fischerschen Publikationen, in denen bis vor wenigen Jahren nichts von den neuen buchgewcrblichen Bemühungen zu ver spüren war, aufgehöht von der früheren Einfachheit zur