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87, 18. April 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 4607 »Neuen Tanhäuser», die starke Ausbreitung der deutschen Bibliophilie datieren können. Die Erstausgaben und seltenen Editionen der Klassiker und Romantiker und vieler anderen, zum Teile mit Unrecht Vergessenen unserer Literatur (und bei Gcisebach auch der französischen, englischen, italienischen, spanischen usw), ferner längst verschollene Zeitschriften, Almanache früherer Perioden waren da in einer Eigenartigkeit und vielfach in einer Vollständigkeit vereinigt, die dem Sammelfleiß, dem Spürsinn, nicht zum wenigsten aber dem von literarhistorischem Sinne geleiteten Geschmacke ihrer Besitzer das schönste Zeugnis ausstellten. Insbesondere der »Weltliteraturkatalog eines Bibliophilen«, in dem es Griscbach hinter der bibliographisch getreuen Verzeichnung der einzelnen Titel und Jahreszahlen an polemischen und zum Teile recht sarkastischen Bemerkungen nicht fehlen ließ, haben es, fast möchte ich sagen, auf dem Gewissen, daß von da an unter den Deutschen die Sehnsucht nach ersten und seltenen Aus gaben immer heftiger entbrannte und die hierfür geforderten Preise in einer für manche Taschen höchst betrüblichen Weise in die Höhe schnellten. Grisebach, Kürschner und die vielen andern von damals hatten es allerdings noch leichter als wir von der jüngeren Garde der Bibliophilen, die, wenn wir nicht von recht guten Eltern sind, unsere brennende Begierde nach diesen schönen und vergilbten Drucken zum Teil nur durch die Lektüre der verschiedenen Kataloge und Auktionsverzeichnifse stillen können, in denen so wunderbar und nach allen Regeln exakter biblio graphischer Wissenschaft von ihnen berichtet wird. Seitdem die Sammlergemeinde so stark angewachsen ist, sind die Preise auch riesig in die Höhe gegangen. Heute, da ich in diesen Blättern zum ersten Male und daher nur in großen Zügen bibliophile Rundschau halte, mögen nur einige hervorstechende Beispiele diese für die Antiquare so erfreuliche und für uns Käufer so schmerzliche Preisentwicklung beleuchten. Die erste Ausgabe von Schillers Räubern! Welches bibliophile Herz schlug nicht höher, wenn von einem solchen Exemplar mit dem schlichten, schmutziggrauen, grobkörnigen Umschläge Kunde zu ihm drang, das vor fast hundertdreißig Jahren — im Jahre 1781 — mit 799 andern Genossen zusammen in des Regimentsmcdikus Friedrich Schiller Zimmer, Ecke am kleinen Graben zu Stuttgart, dem »nach Tabak und allerhand stinkendem Loche», aufgestapelt lag! 1868 war es auf einer Auktion noch mit 45 ^ zu haben, 1888 ebenfalls noch zu 50 1895 kostete es bereits 185 1904 405, und 1906 erzielte es auf der durch die Firma C. G. Boerner in Leipzig veranstalteten Auktion Müller gar den horrenden Preis von — 2650 Der Göttinger Rechtsanwalt Ilr. Otto Deneke, dessen Sammlung allerdings kürzlich gleichfalls unter den Hammer kam, der aber 1906 noch einer der heftigsten und zähesten Auktionskämpen war, hat uns seinerzeit das heiße Ringen, das um das auf der Auktion Müller versteigerte Exemplar der ersten Ausgabe von Schillers Räubern entbrannte, höchst anschaulich folgender maßen geschildert: -Der Auktionsleiter setzte das Buch, nach dem cs im Kreise der Kauflustigen gehörig die Runde ge macht, gleich mit 1000 ^ ein. Schnell boten sich Berliner Sammler bis 1600 in die Höhe, die aber schon ver stummten, als Boerner 1650 gesagt hatte. Nun trat Gottlieb Heß-München auf den Plan, und zwischen ihm und Boerner spielte sich der lange aufregende Endkampf ab. Beide hatten anscheinend einen Auftraggeber, der das Buch -um jeden Preis» erwerben wollte. Aber was heißt »um jeden Preis?« Schon um 2000 ^ herum schien Heß das Rennen aufgeben zu wollen. Tann ließ er sich das Büch lein nochmal reichen, und wie einst Antäus aus der Be rührung der Mutter Erde, gewann Gottlieb Heß aus der Berührung dieses grauen Bändchens neuen Mut: »und noch 50 V6I- Das wiederholte sich ein paarmal. Aber schließlich hatte Boerner doch den längeren Atem. 2640war das letzte Gebot von Heß. Mit 2650 konnte Boerner seinem chiffrierten Auftraggeber den Zuschlag erteilen.« So weit Deneke. Das betraf damals freilich ein wunderschönes Stück der Erstausgabe der Räuber; es war ungebunden, unbeschnitten, hatte noch den alten Umschlag, also so recht ein Stück nach dem Herzen eines eingefleischten Bibliophilen. Der erzielte Preis war allerdings ein Zusallspreis, wie das auf Auktionen oft der Fall ist. Denn diese Höhe hat ein Exemplar der genannten Ausgabe seitdem nicht mehr erreicht. Ein Exemplar, das der vorerwähnte Deneke besaß und von dem es sogar hieß, daß es einmal in der Bibliothek Goethes gestanden habe, brachte es im Sommer vorigen Jahres sogar nur mehr auf 650 Auch die -zwoten Auflagen» der »Räuber», mit dem links und bei einem andern Druck wieder rechts aufsteigenden Löwen, die vor fünfundzwanzig Jahren noch mit 20 bis 30 ^ abgegeben wurden, steigen beständig im Preise, der zwischen 200 und 400 schwankt. Ein seither verstorbener Bekannter von mir erwarb übrigens Ende der achtziger Jahre noch sine Erstausgabe der Räuber bei einem Wiener Antiquar um den Preis von sage zwei Gulden. Diese Zeiten sind natürlich endgültig dahin. Der Zufall spielte mir vor einigen Wochen den Katalog der Riesenbibliothek des alten Hapdinger von Margarethen in die Hände, die leider nicht zusammen gehalten und mit Ausnahme der Viennenstasammlung in alle Winde zerstreut worden ist, und zwar ein Exemplar, das alle damals erzielten Auktionspreise verzeichnet. Da finde ich nebst so vielen anderen mich wehmütig stimmenden Ziffern auch den Preis, der für ein anderes, schon seinerzeit recht rares Jugend werk Schillers, »Die Anthologie auf das Jahr 1782. Gedruckt in der Buchdruckerei zu Tobolsko», bezahlt wurde. Er betrug 2 fl. 20 kr. Das war im Jahre 1876. Aus der Auktion Deneke bei Baer in Frankfurt a. M. brachte es dieser Erstdruck auf 140 Ein andermal will ich von einem Exemplar des »Rheinischen Most» von Goethe erzählen, das bereits in meinem Besitz, aber durch widrige Umstände mir entrissen, mit fast 2000 später versteigert worden ist. Es wäre natürlich ein leichtes, die Beispiele hier fortzusetzen und die Preisentwicklung bei den Urausgaben der Klassiker, der Romantiker usw. an der Hand der Auktionskataloge der letzten zwei Jahrzehnte auf zuzeigen. Zwei den Literaturfreunden recht bekannte Bücher seien noch kurz erwähnt: Gottfried Kellers »Grüner Heinrich in der ersten Fassung der fünfziger Jahre wird heute schon sehr teuer bezahlt — bis zu 200 — und des Fürsten Friedrich zu Schwarzenberg »Aus dem Wanderbuche eines verabschiedeten Landsknechtes», von dem erst kürzlich in dem schönen Aufsatze der Frau Bettelheim-Gabillon in der »Öster reichischen Rundschau« die Rede war. Die vollständige sünf- bändige Ausgabe des »Wanderbuches« ist heute unter 100 U kaum mehr zu haben. Alles in allem läßt sich feststellen, daß die hervorragenden Klassikerwerke in den ersten Ausgaben oder andere seltene Editionen, namentlich Goethes, beständig im Preise steigen — man denke nur an dessen »Römisches Carneval», das meines Wissens im Laufe des letzten Jahr zehnts nur einmal, und zwar in Wien auf der Auktion Metternich, znm Vorschein kam und das bekanntlich Goethe selbst nicht mehr besaß und vergeblich für seine Bibliothek suchte —, indes die Romantiker, die eine Zeitlang künstlich in die Höhe getrieben worden waren, nunmehr wieder einen mehr natürlichen Preisstand zeigen. Begehrt und ziemlich teuer bezahlt werden auch alte illustrierte Ausgaben unserer Dichter, insbesondere die, deren Zeichnungen von ersten Künstlern stanimen. Man begreift, daß es, wenn man nicht über einen recht gefüllten Geldbeutel verfügt, nicht mehr so leicht ist, biblio- SS4»